Was ist neu

und erlöse uns von dem Bösen

Seniors
Beitritt
08.11.2001
Beiträge
2.833
Zuletzt bearbeitet:

und erlöse uns von dem Bösen

und erlöse uns von dem Bösen

Als er die Fläche jetzt vor sich sah, konnte er es nicht mehr glauben. Die Wiese lag im Sonnenschein, weit über die Hügelkuppe ausgebreitet. Dort hinten über der Baumgruppe kreisten einige größere Vögel und das kurze Gras reckte sich dem Licht entgegen.
Er setzte sich für einen Moment auf einen Baumstumpf und genoss die Frühlingssonne auf seinem blassen Gesicht. Dicht über dem Boden zitterten die gelben Flügel eines Schmetterlings und als sein Blut nicht mehr so laut in seinen Ohren rauschte, konnte er das Brummen der Fliegen um sich herum hören.

Er sah das Gras zu seinen Füßen lange und still an. Die kurzen, grünen Halme hatten sich vom Winter noch nicht erholt, aber ihre Farbe war schon frischer. Seine Blicke schweiften über die Fläche, die sich erst weit hinten hinter den Hügel senkte.

Grün. Ein Neuanfang.
Der Beginn eines völlig neuen Lebens. Ja. Ein positiver Gedanke. Es ging jetzt langsam wieder bergauf mit ihm.

Weiter hinten waren die dunklen Flecken im Gras. Da, wo es niedergedrückt worden war, als alles geschah. Es hatte sich noch nicht erholt.

Die Gedanken an die vergangene Nacht wühlten ihn mehr und mehr auf. Die Bilder kehrten zurück. Er hatte es mitangesehen. Hatte nichts dagegen getan. Aber ob er sich schuldig fühlte, hatte er noch nicht herausgefunden.
Da war ein Gefühl, das in ihm rumorte. Aber es fühlte sich leichter an als Schuld. Mehr eine Art von Erlösung. Er war entkommen.
Langsam wandere er über die Fläche auf die niedergetretenen Stellen zu. Er hatte ihr ins Gesicht gesehen. Hatte alles mitangesehen. Unmöglich, sich abzuwenden. Im Bann dieser Bilder.

Zwischen ihren langen Haaren hatten die Finger so fremd gewirkt. Die Hände so fest um ihren Hals, dass sich die Haut darum verfärbt hatte. In ihren Augen ein Flehen, er möge etwas tun, sie retten. Aber er hatte hilflos zugesehen.
Im feuchten Nebel der letzten Nacht, dicht über dem Boden, hatte es ausgesehen, als sei eine Decke über die Welt gebreitet. Der Mond hatte ein Schimmern hineingelegt, das aus ihren Augen zu ihm heraufgespiegelt wurde, aber er hatte nicht helfen können. Es lag nicht in seiner Macht.

Ihr beim Sterben zuzusehen war eine Erfahrung, die er nie vergessen würde. Ihr Wunsch nach Rettung, den er nicht erfüllen konnte. Die Verzweiflung, die aus ihrem Innersten zu kommen schien. Und der schwächer werdende Kampf gegen die Hände, die sich um ihren Hals geschlossen hatten. Die ihr die kühle Nachtluft nahmen.
All das hatte sich tiefer eingebrannt, als jede andere Erfahrung seines Lebens. Dieses unvorstellbare Grauen, als ihm bewusst wurde, dass dieser nach und nach erschlaffende Körper sterben würde. Als er verstand, welche Macht das Leben ist.
Ihre Augen hatten einen starren Blick angenommen, ihr Köper hing kraftlos im festen Griff der Hände. Ein letztes Aufbäumen hatte er erwartet. Stattdessen schlichte Stille. Ein Enden der Bewegungen und des Ausdrucks. Die Hände ließen los und ihr Körper sank ins Gras. Die Nebeldecke umhüllte diese Szene und er war nicht sicher, ob es real war. Wäre all das geschehen, hätte er doch eingreifen können. Wäre nicht nur Zuschauer dieses Grauens gewesen.

Auf dem niedergedrückten Rasen sank er auf die Knie. Nur Zentimeter entfernt waren die Halme mit einer dünnen Schicht aus Blut überzogen. Dunkel und trocken.
Es war über das Gras in die Erde gelaufen. Aus ihrem Körper heraus und in den trockenen Boden gesickert, als wolle es für immer dort bleiben. Anklagend. Still. Und düster.

An das Messer zu denken, verkrampfte ihm den Magen. Viele Male hatte es sich in sie gesenkt, als sie schon leblos dalag. Beim ersten Mal sehr langsam, als wäre es eine Zeremonie. In die Mitte ihres Körpers.
Die Klinge war unglaublich scharf, denn sie zerteilte den Stoff, die Haut und das Fleisch ohne zu zögern. Dann, sehr langsam, zog sie sich blutig und tropfend heraus, und schimmerte im nebligen Mondlicht, kurz bevor sie sich wieder senkte.
Er hatte die Stiche gesehen, war dem Messer mit dem Blick gefolgt. Das Blut begann, über ihren Körper zu laufen, über das Gras. Und auf dem trockenen Boden hatte sich eine Lache gebildet.
Kein Zweifel mehr, ob sie tot war. Er lief davon, konnte es nicht mehr ansehen. Er hatte nicht geholfen. Ihre Blicke hatten ihn angefleht, aber er hatte nicht geholfen. Und dennoch, nicht einmal jetzt konnte er Schuld empfinden.

Am Waldrand hatte er innegehalten. Sich wieder umgedreht und ihren Körper im Mondlicht betrachtet. Ihr Haar hatte düster geschimmert. Schwärzer noch als der blutgetränkte Boden. Sie lag so schutzlos da. An der höchsten Stelle des Hügels, im kalten Licht, für jedermann zu sehen. All die Wunden, durch die man bis in ihr Innerstes sehen konnte.

Jetzt, nachdem es vorbei war, konnte er ihren Blick nicht mehr aus seinen Gedanken verscheuchen. Das Flehen, das ihn nicht erreicht hatte, drang nun tiefer und tiefer in sein Bewusstsein. Schließlich ging er widerstrebend zurück und kniete sich neben die Leiche.
Seine Finger strichen durch ihr blutiges Gesicht. 'Ich werde dir helfen', flüsterte er rau. Dann packte er ihre Beine und zog den Körper über die Wiese. An der Baumgruppe, ganz weit hinten, legte er sie ab. 'Hier, mein Schatz, hier findest du Ruhe.' Sie lag auf dem Rücken, die offenen Augen starr empor gerichtet, das Haar wirr um ihr Gesicht.
Wortlos und ohne noch einmal zurückzusehen, hatte er die Baumgruppe verlassen.

Auf dem Weg zurück ins Dorf war er auf der schmalen Brücke stehen geblieben und hatte das Messer in den Bach fallen lassen. Das mondglitzernde Wasser hatte sich rot verfärbt, und hatte das Blut davongewaschen. Zurück blieb das Funkeln der Klinge über den Steinen am Boden. Erlösung begann von ihm Besitz zu ergreifen.


Sie hatte es gewollt. Herausgefordert. Hätte sie ihn nicht ausgelacht, wäre alles anders gekommen. Der Heiratsantrag hatte das Ende sein sollen. Das Ende des Lebens allein. Jetzt war er zum Neuanfang geworden.

Bei dem Gedanken an letzte Nacht überkam ihn ein neues Gefühl. Es peitschte ihn auf. Trieb ihn voran.

Dies ist der Beginn einer neuen Zeit.

 

Hach... So romantisch, so kitschig schön. ;)

Ich würde empfehlen, den letzten Absatz komplett wegzulassen. Warum die Tat erklären? Frag nicht, machs einfach!

Gruß,

Poncher

 

Hi Frauke,

faszinierende Geschichte! Fängt harmlos, friedlich an, und wird dann immer intensiver - bis hin zum grausamen Ende. Ein klasse Spannungsbogen.
Wenn man das noch ein wenig weiterspinnt (seine Enttäuschung aufgrund Ihrer Reaktion auf seinen Heiratsantrag), dann scheint mir so, als ob wir den ersten Mord eines zukünftigen Serienmörders miterlebt haben? Naja, vielleicht geht auch nur die Phantasie mit mir durch...

Dabi muss das gar nicht sein, seine Gefühlswelt ist auch so ziemlich faszinierend:

Aber ob er sich schuldig fühlte, hatte er noch nicht herausgefunden. Da war ein Gefühl, das in ihm rumorte. Aber es fühlte sich leichter an, als Schuld. Mehr eine Art von Erlösung. Er war entkommen.
[...]
In ihren Augen ein Flehen, er möge etwas tun, sie retten. Aber er hatte hilflos zugesehen.
Poncher hat übrigens gar nicht so unrecht. Aber die Infos, sprich Ihre Reaktion auf seinen Heiratsantrag, solltest Du trotzdem irgendwo in der Geschichte unterbringen. Mir fällt jetzt auch keine bessere Lösung ein, aber so ganz am Ende gefällt es mir auch nicht.

Hast Du noch mehr für das Genre "Spannung"?

gruss,
philipp.

 

ach, zwei kleine formelle Fehler sind mir noch aufgefallen:

Langsam wanderte er über die Fläche auf die niedergetretenen Stellen zu [...]
und:
Dieses unvorstellbare Grauen, als ihm bewusst wurde [...]
Nur Kleinigkeiten...

gruss,
philpp.

[ 23.04.2002, 00:15: Beitrag editiert von: philipp ]

 

hi Ihr 2!
danke für Euer Feedback!
jetzt denke ich, ich habe was gelernt. Und sonst hat mir immer jemand gesagt, ich sollte solche Dinge wie Motiv erklären. Dann tu ich es, und ihr ...
naja, ich wollte diesmal tatsächlich erklären, aus was für einem kranken Grund er das tut. und die Sache mit dem Anfang und Ende gefiel mir eigentlich ganz gut so .. so schön verdreht!
*hehe*

Ich werd mal drüber nachdenken!

Gute Nacht,
Frauke

 

Hallo Frauke!

Ich kann mich meine Vorgängern eigentlich nur noch anschließen.

Sehr schöner Anfang, treffend beschrieben (löst Frühlingsgefühle aus... :) ); dann nach und nach die überraschende Auflösung des eigentlichen unheilvollen Geschehens.

Gefällt mir gut; den letzten Abschnitt empfand ich aber auch als störend. Die Erklärung macht sich weiter vorne wohl wirklich besser.

Viele Grüße,

Michael :)

 

also der letzte absatz bringt mich jetzt irgendwie in bedrängnis! den versteh ich voll und ganz nich, was hat die sache mit heiratsantrag zu tun? so schön und gut gefällt mir wie du alles beschrieben hast vielleichrt n bissl viel

Er hatte nicht geholfen
drin aber sonst klasse!
nur was hat die sache mit heiratsantrag zu tun? und wieso bringt ein anderer sie gerade dann um?! bin ich jetzt blond?! *heut beim frisör war und eigentlich schwarz färben lassen hat*

gefällt mir trotzdem bis auf den fucking letzten absatz! *gg*

 

hi Michael,

das mit den Frühlingsgefühlen war voll und ganz meine Absicht. Ich saß nämlich Ostern auf so einer sonnigen Wiese und hab den Frühling genossen. Nur war meine Laune schon seit Wochen so "düster", daß DAS dabei rauskommt. :D

hey, instinct: das ist doch gar nicht so schwer, oder?
Also chronologisch: Er macht ihr einen Heiratsantrag, sie lacht ihn aus. Daraufhin erwürgt er sie und sticht sie mit dem Messer zu Brei. Dabei distanziert er sich aber innerlich so davon, daß er glaubt, nicht selbst zu handlen.
Am nächsten Tag kehrt er zum Tatort zurück. - da beginnt dann der Text.
( wenn ich das aber soooo erzählt hätte, wär es nur noch halb so spannend! oder? )

Liebe Gruß,
Frauke

 

@Frauke: Wahnsinn, Deiner Kurzfassung nach müsste die Geschichte total banal und einfach sein! (Siehe nur: "Daraufhin erwürgt er sie und sticht sie mit dem Messer zu Brei.")
Da kann man mal sehen, was gute Erzählkunst aus solch einem Plot machen kann...
gruss,
philipp.

 

hi philipp!
naja, einfach kann ja wohl jeder. Aber dann macht's doch keinen Spaß!
ich finde, das Verpacken ist die Kunst, auf die es hier ankommt! Und solange mir das gelingt, schreibe ich fröhlich weiter! :D

Lieben Gruß,
Frauke

 

oh aso naja konnt ich mir denken habs aber verdrängt weil ich dachte es ist noch was anderes dahinter. vielleiucht könntest du das lachen noch irgendwie unterbringen weeßte?! damit man die wut von ihm mehr zu spüren bekommt!

 

hi!
meinst Du damit, daß alle Pschopathen hysterisch lachen?
also ich weiß nicht... :D :lol: :rotfl: :bounce:

nein, ich hatte ihn mir mehr als "stillen, introvertierten" Typen vorgestellt. Verklemmt, eigenbrödlerisch mit einer stillen, aber verheerenden neuen Erfahrung...

oder hab ich jetzt Dich falsch verstanden?

Lieben Gruß,
Frauke

 

Hi noch mal!

Schön zu sehen, dass ich mit meinen Gedanken richtig lag; das Ergebnis kann sich jedenfalls sehen lassen. :D

Michael

 

man dankt, man dankt!

schön, wenn die KG das rüberbringt, was ich meine. Es freut mich immer, verstanden zu werden.

Lieben Gruß,
Frauke

 

nee ich meinte das lachen seiner frau denn so beim lesen is mir nix groß aufgefallen davon. naja aber is ja deine geschichte, find sie trotzdem gut wenn auch anfangs etwas unverständlich! :)

 

hey! ich finde es interessant, daß mein Text eine unverständliche Tendenz hat. :D ich mag nur keine einfach gestrickten Texte. also schreibe ich so, wie ich denke. Ein wenig verdreht. :p
Hab wegen des Lachens nochmal nachgelesen. Ich hab doch ganz deutlich geschrieben:

Sie hatte es gewollt. Herausgefordert. Hätte sie ihn nicht ausgelacht , wäre alles anders gekommen.
Es noch deutlicher zu machen, hat mir nicht gefallen.

Lieben Gruß,
Frauke

 

Hallo Arc!

Immer mehr lese ich von dir, so auch diese schöne Geschichte. Zuerst habe ich gedacht, es wird eine schöne frühlingshafte Geschichte. Dann wurde es dunkler, aber richtig schön unterschwellig, wie aufziehende Wolken. Die Erkenntnis, dass er sie selbst getötet hat, kam genauso langsam beim Lesen, sie war ohne großes Nachdenken zu entdecken, aber aufgedrängt hat sie sich auch nicht mit aller Macht. Was ich sehr gelungen finde. Der letzte Absatz hat mich auch gestört. Ich hätte ihn ganz weggelassen und ich bin auch nicht dafür, die Erklärungen anders einzuflechten. Das, was im Rest des Textes steht, genügt eigentlich. Ich bin ja nicht so für große Erklärungen. V.a. nicht bei solchen Sachen, die mich am Ende an "Asphalt" denken lassen. Deine KG könnte ja eine Vorgeschichte sein, und so wie du den Typen beschreibst (introvertiert, ruhig) stelle ich mir meinen "Asphalt"-"ich-tagträumte-ihn"-Protagonisten ja auch vor.

Mal wieder liebe Grüße,

Mario

 

na siehst Du? wenn ich die Vorgeschichte schreibe, Du dann den weiteren Teil, wir aber beide dabei nix davon wußten ... das heißt doch schon was :D

schön, wenn es Dir gefallen hat. Ich weiß nicht, ob JEDER es versteht, wenn ich diesen Absatz weglasse... gehen könnte es schon. Aber dann wird mir doch wieder nachgesagt, ich wäre zu subtil? zu verdreht? weiß nicht recht...

Lieben Gruß,
die zweifelnde Frauke

 

Hallo arc en ciel!

Ich fand deine Art einen Mord zu erzählen, indem der Mörder ihn geistig nochmals durchlebt, wirklich gut gewählt und erarbeitet. Du hast die Stimmung eingefangen mit der er sich erinnert, indem er meint, sie hätte ihn um Hilfe gebeten, und seine Machtlosigkeit als wäre er nur Statist oder Zusehender gut dargestellt. Auch hast du die Bilder des zustoßenden Messers sehr klar und ebenso die fast romantisch anmutenden Bilder der blutverzierten Landschaft, Nebel und schimmerndes Mondlicht aneinandergefügt ohne Kanten zu erzeugen.

Der manchmal bemängelte Schluss störte mich im Sinne von Erklärung gar nicht, einzig, dass einer ausrastet weil er nicht geheiratet wird, das war mir ein bisserl zu banal. Aber das ist rein subjektiv gesehen und daher von geringer Bedeutung.

Lieben Gruß - schnee.eule

 

lieben Dank für ein so schön formuliertes und so präise begründetes Lob! das freut den Schreiblering :D
freut mich wirklich, daß es Dir gefallen hat... hatte neulich wieder mal so eine Idee ( mit Wahl der Perspektive ... ) aber dann fehlt mir daran noch etwas ... und deshalb wird es wohl noch eine Weile dauern, bis ich in dieser Hinsicht Nachschub liefere. Mir macht es jedenfalls Spaß, Perspektiven einzunehmen, die sonst vielleicht niemand sieht und sie ungewöhnlich darzustellen ... manchmal gelingt es :shy:

lieben Gruß,
Frauke

 

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom