Ungleiche Schlacht
Zitternd lag Jadro unter einem Dornenbusch, dessen Stacheln tief in seiner Haut steckten. Vom Waldrand aus beobachtete er das Geschehen in der kleinen Siedlung die seine Heimat war. Eine schwarze Rauchwolke hing wie ein lachender Teufel darüber, während schwer bewaffnete, berittene Soldaten Jagd auf seine Familie machten. Er sah seine Mutter, die in Panik vor einem der Ritter wegrannte. Jadro presste seine Hände auf die Ohren als das entsetzliche Geräusch brechender Knochen zu ihm herüber drang. Seine Mutter wurde unter den Hufen der Pferde zerquetscht.
Jadro sah seinen Bruder im Eingang einer der brennenden Hütten stehen. Seine Haut war an einigen Stellen bereits zu Asche verbrannt und ihre Blicke trafen sich kurz bevor er nach vorn kippte und reglos liegen blieb.
Tifon, der älteste der Sippe hatte die Arme anklagend erhoben während er von drei Soldaten umkreist wurde. „Warum tut ihr Bestien uns das an? Zwischen unseren Völkern hat es nie Freundschaft gegeben, aber auch noch nie einen solchen Angriff.“ Der Kommandant zügelte sein nervös tänzelndes Pferd, dann hob er die Kriegskeule und schlug sie Tifon mit solcher Wucht gegen die Schläfe, dass dieser sich in der Luft noch einmal um die eigene Achse drehte, bevor er hart auf dem Boden aufschlug. „Die Zeiten ändern sich.“, antwortete der Kommandant mehr zu sich selbst.
Jadro vergrub das Gesicht in den Händen, er konnte das Grauen nicht mehr länger ertragen.
Mitten in der Nacht wurde Jadro von schweren, kalten Regentropfen geweckt, die ihm ins Gesicht klatschten. Unter Krämpfen rappelte er sich auf und sah sich um. Wegen des dichten Regens konnte er seine ehemalige Heimat nicht erkennen. Für einen Moment fiel ihm selbst das Atmen schwer, da ihm das Wasser über das Gesicht in Nase und Mund lief. Ärgerlich riss er einige Stacheln aus seiner Haut und wandte sich dem Wald zu.
Im Wald war der Regen nicht mehr ganz so stark, da ein Teil vom dichten Blätterdach zurück gehalten wurde. Instinktiv wusste Jadro wohin seien Familie geflohen war und nach kurzer Suche fand er sie alle versammelt unter einer gigantischen Eiche stehen. Als er hinzu stieß, kam seine Mutter Melina auf ihn zu gehumpelt und schloss ihn in ihre Arme. Tränen standen in ihren Augen und immer wieder küsste sie Jadro die Stirn. Alle blickten benommen zu Boden, einige waren noch schwer verwundet, erholten sich nur langsam.
Alander, Jadros Bruder, stand mit dem Rücken an den Baumstamm gelehnt. Er hatte den Arm in einer Schlinge um den Hals und ein Blatt im Gesicht, das er sich mit Harz über das Auge geklebt hatte. Jadro hatte gesehen wie Alander mit der zugeklebten Gesichtshälfte direkt in die Glut des Feuers gefallen war. Jetzt da die Sippe wieder vollzählig war, schauten sie alle zu Tifon auf, der auf dem Boden hockte und sich den Kopf hielt. Er wiegte leicht den Oberkörper vor uns zurück und schien leise vor sich hin zu summen.
„Ich kann es nicht mehr ertragen, verflucht. Ich werde mich rächen, die Menschen haben uns den Krieg erklärt.“ Alander hatte leise gesprochen aber in seiner Stimme schwangen so viel Hass mit, dass Jadro schauderte. „Es darf keinen Krieg zwischen unseren Völkern geben.“, flüsterte Tifon, der nun auch seine Stimme wieder gefunden hatte.
Alander schnellte nach vorne, packte Tifon mit seiner unversehrten Rechten und zog ihn auf Augenhöhe. „Es hat schon immer Krieg zwischen unseren Völkern gegeben, Tifon. Schon immer. Seit Jahrtausenden drangsalieren uns die Menschen wo sie nur können, und es eskaliert immer öfter in abscheulicher Gewalt. Dabei vergessen die Menschen nur all zu schnell, dass Talofemen nicht durch Gewalt beherrscht werden können. Du sagst es hat seit Ewigkeiten keinen Krieg mehr zwischen uns und den Menschen gegeben, Tifon. Dann wirst du jetzt den nächsten erleben.“
Er ließ Tifon los und drehte sich zu den anderen um. „Die Menschen ziehen durch das Tal westlich von uns, sie fühlen sich sicher, gestärkt vom Sieg unterschätzen sie die Gefahr. Ich sage euch es ist Schluss. Heute muss es ein Ende geben. Ich bin es leid davon zu laufen. Bin es leid mit ansehen zu müssen wie sie wieder und wieder unsere Hütten nieder brennen, unsere Felder abernten und sie mit Salz bestreuen. Sie schlachten unser Vieh und schänden unsere Töchter, eure Töchter. Ich werde mich dem entgegen stellen, wer kommt mit mir?“
Am Ende waren nur noch Jadro, dessen Mutter und Tifon unter der alten Eiche. „Das ist das Ende“, flüsterte Tifon, „ nun sind wir selber nicht mehr besser als die Menschen.“ Melina trat vor Tifon und sah ihn aus ihren smaragdgrünen Augen an. „Du wusstest, dass es eines Tages so kommen würde. Die alten Werte, die wir den Menschen immer wieder abgerungen haben, sie in Schutz genommen haben, sie gelten nicht mehr. Es ist zuviel Zeit vergangen seit damals. Ich wusste, dass Alander eines Tages so handeln würde, ich habe es gewusst seit ich ihn damals von diesem Sattelbock gebunden habe, vor annähernd dreitausend Jahren. Du erinnerst dich doch, du selbst hast noch die Menschen aufgesucht und nach einer Erklärung verlangt. Was war ihre Antwort? Ein Kinderstreich, mehr nicht. Ihr steckt so was doch locker weg. Das waren die Worte der Eltern. Damals hättest du ihnen schon die Köpfe einschlagen sollen, diese Kinder haben Alander aufgeschnitten. Seziert wie eine tote Ratte die man auf der Flur findet.“ In Melinas Augen standen bittere Tränen bei der Erinnerung. „25 Tage hat es gedauert bis Alander sich wieder erholt hatte. 25 Tage entsetzlicher Schmerzen und Qualen, wie sie kein Talofeme vor ihm erlebt hat. Menschenfreunde hat er sie genannt. Mutter, ich habe Menschenfreunde gefunden, ist das nicht toll? Das waren seine Worte, er war so glücklich und wurde zu Tode enttäuscht. Ich wusste es immer.“
Mit diesen Worten ließ sie Tifon stehen, packte Jadro am Arm und nahm ihn mit zur Schlucht.
Es war ein unwirklich mit anzusehendes Schauspiel das sich den beiden bot. Zweihundert schwer bewaffnete Ritter standen einer kleinen Gruppe in Lumpen gehüllter Gestalten gegenüber deren schwerste Waffe von Bäumen abgerissen dicke Äste waren.
Vier der feindlichen Ritter preschten nach vorne um sie nieder zu machen, aber kurz vor dem Zusammenprall schlugen die Männer ihre Keulen gegen die Kniegelenke der Pferde, die wir dünne Zweige zerbrachen. Kaum waren die Ritter am Boden, standen unsere Leute über ihnen und schlugen den Männern die Schädel ein.
Die getöteten Männer wurden entwaffnet und unter lautem Gebrüll des Triumphes schwangen Sie die Waffen über ihren Köpfen. Der Kommandant zögerte, einen derartigen Widerstand hatte es seines Wissens noch nie gegeben. Alander nahm Ihm die Entscheidung ab und stürmte unter lautem Gebrüll den Soldaten entgegen. Es gab ein fürchterliches Gemetzel bei dem unsere Leute mindestens so sehr bluteten wie unsere Feinde. Jadros Herz raste vor Furch und Kampfeseifer, endlich war es soweit, jetzt zahlten sie es den Hunden heim.
Der einzige Vorteil, den die Talofemen gegenüber den Menschen besaßen, waren ihre für menschliche Begriffe unzerstörbaren Körper. Sera, eine Talofeme mittleren Alters hatte einen Speer durch die Brust stecken, kämpfte aber immer noch mit unbezähmbarer Kraft weiter. Alander der immer noch an seinen schweren Verletzungen litt, hatte noch drei Pfeile in die Brust bekommen aber der Hass verlieh ihm ungeahnte Kraft. Der metallische Geruch von Blut stach Jadro scharf in die Nase, und er genoss es in vollen Zügen.
Auch seine Mutter schwelgte geradezu im Geruch des Blutes der zu ihnen herauf wehte. „Endlich.“, flüsterte sie ehrfurchtsvoll. Tifon war lautlos zu ihnen gestoßen und sah, wie Alander vor dem in die Knie gesunkenen Kommandanten stand, der um sein Leben flehte. Eine Gänsehaut überlief alle die es sahen, als Alander Ihm mit stoischer Langsamkeit die Klinge über den Hals zog, und er nach einer Ewigkeit zur Seite kippte.
Das war natürlich nicht das Ende. Immer mehr Talofemen aus den umliegenden Gebieten schlossen sich Alander an, und heute, 52 Jahre nach der ersten Schlacht in diesem Tal, war die Zahl der Anhänger um Alander auf über zehntausend angewachsen. Männer und Frauen die blutige Rache für Jahrhunderte währende übten. Jadro selbst steht heute in den Reihen seines Bruders. Mit fiebriger Erwartung sehnte er dem Kampf entgegen, die feindlichen Heere gingen gegenüber in Stellung. Es waren inzwischen keinen Angriffskriege mehr, es ging um das nackte Überleben. Dennoch spürte kein Talofeme Mitleid, auch nicht Jadro der selbst einige Jahrhunderte dieser Unterdrückung erlebt hatte.
Es ist eine zu lange Zeit in der sich der Hass in einem Talofemen aufstauen kann. Wir die Talofemen, deren Lebenszeit in Jahrtausenden gemessen wird, haben nun bereits die zweite Ära der Menschen hinter uns. Das ist der Grund warum wir ihnen über Jahrtausende hinweg so gut wie alles verziehen haben.