Was ist neu

Unter der Weide

Mitglied
Beitritt
02.10.2003
Beiträge
15
Zuletzt von einem Teammitglied bearbeitet:

Unter der Weide

Unter der Weide

Gott. Welcher Gott? Er kannte keinen Gott mehr. Er wollte an niemanden glauben, göttlich oder nicht, der so unbarmherzig und herzlos ein Menschenleben fordern konnte. Niemandem wollte er sein Leben anvertrauen, der die Menschheit so behandelte. Der seine Frau so behandelte. Der sie einfach aus ihrer gewohnten Welt riss und dem Tod überließ. Früher hatte er geglaubt, niemand, der auch nur den Ansatz von Gefühlen zeigen konnte, würde einen Menschen einfach so sterben lassen. Doch Gott, er war eine Ausnahme. Gott konnte handeln wie es ihm beliebte. Und gerade darum hatte er seinen Glauben an Gott verloren.

Er saß an seinem See. Hierher zog er sich zurück, seit er denken konnte. Dies war der Ort, der alles Schlechte der Welt verblassen ließ. Seit dem Tod seiner Frau gab ihm der See mehr als das Gefühl engster Vertrautheit, die er nicht in Worte fassen konnte. Er gab ihm das Gefühl, verstanden zu werden. Er gab ihm die Gelegenheit, seine Gedanken endlos weiter zu spinnen, ohne sich noch um die Wirklichkeit zu kümmern. Warum auch? Er war allein, mehr gab es nicht, das des Wissens wert war.
Die alte Weide hinter ihm strahlte ebenfalls die Gelassenheit aus, die er zurzeit nicht erlangen konnte. Er liebte diese Weide wie nichts auf der Welt – seit seine Frau fort war.
Doch heute war etwas anders. Er hatte die Ahnung, dass heute, und nur heute, etwas geschehen würde, das seine Weltanschauung erheblich ins Wanken brächte.
Und sein Gefühl täuschte ihn nicht, denn eine Stimme ließ ihn aus seinen Gedanken auffahren. Nein, es war nicht Gott, der ihm seinen alten Glauben aufzwingen wollte. Es war seine Frau.
„Mein Gemahl“, hörte er sie flüstern. „Der Tod ist so kalt. Er ist so einsam. Kehre zu mir zurück, mein Gemahl, und wärme mein Herz.“
Er erschauderte, aber er dachte nicht einmal an eine Sinnestäuschung. Und wenn es eine gewesen wäre, hätte es nichts an der Tatsache geändert, dass sein sehnlichster Wunsch dieser war, ihr zu folgen. Weder wollte er sein Dasein in dieser Welt einsam fristen, noch wollte er seine Frau in der anderen zurücklassen.
„Wie kann ich dir folgen, meine Geliebte?“, fragte er also, während er sich suchend umwandte, in der Hoffnung, einen Geist oder ähnliches zu erblicken. Was hätte er dafür gegeben, um seine Frau noch einmal zu sehen. Doch dort war kein Geist.
„Lass mich nicht in meinen eigenen Tränen ertrinken, mein Gemahl. Finde den Weg zu mir. Vertraue auf dein Gefühl. Und vertraue mir.“
Langsam und bebend wandte er sich der Weide zu. In diesem Augeblick schien sie die Lösung aller Rätsel zu sein. Er sah ihr Gesicht.
Vorsichtig ging er auf die Weide zu. Seine Zweifel überwiegten, doch sein Körper gehorchte ihm nicht mehr. Nun, da er seinen Weg ihr zu folgen scheinbar gefunden hatte, kannte er kein Zögern mehr. Entschlossen legte er die flache Hand auf die Rinde der Trauerweide.
Und es begann.
Zwischen Angst und Faszination beobachtete er die Veränderungen an sich. Sein Körper verwandelte sich in raue, unebene Rinde. Aus seinen Füßen keimten Wurzeln, die sich kurz darauf einen weiten Weg in die Erde bahnten, sich verflochten und ihr Ausgangspunkt unterging. Sein Haar ergrünte und wuchs, bis es den Boden berührte und den hängenden Zweigen der Trauerweide neben ihm gleichkam.
Er wurde ein Baum.

Beinahe im selben Augenblick wurden an zwei verschiedenen Orten der Welt zwei Kinder geboren. Es war nicht ihr erster Besuch auf dieser Welt, doch davon wussten sie nichts.
Irgendwann in ihrer Zukunft würden sie sich kennen und lieben lernen. Wie im vergangenen Leben.

 
Zuletzt bearbeitet:

fauchi schrieb über die Geschichte:

Diese Geschichte habe ich für den Deutsch-Unterricht verbrochen - also geht jegliche Kritik an meine Lehrerin *grins*. Sie ist zu einem Bild geschrieben - man stelle sich vor einen angelnden Mann an einem See, hinter ihm steht eine Weide, aus deren Krone ein Frauengesicht mit geschlossen Augen ragt. Hinter der Weide steht sein Fahrrad, aber in meiner Geschichte dazu ist es unwichtig...
Wer das Bild vielleicht kennt, kann es sich ja anschauen, ich weiß nur, dass es "Unter der Weide" heißt, den Künstler habe ich vergessen.. Gut, mehr habe ich nicht zu sagen :sealed:

Liebe Grüße,

fauchi

~~~

Solche Bemerkungen bitte als Extrapost unter der Story. Kritik gibt es nach dem Abendbrot.

So, jetzt ist nach dem Abendbrot. Aber ehrlich gesagt tu ich mir schwer damit, etwas zur Geschichte zu sagen. Am Anfang dachte ich, es sei wieder eine "dieser Suizidgeschichten", aber das war sie dann doch nicht, obwohl, irgendwie schon...
Also, seine Frau ist gestorben und er hadert mit Gott und der Welt. Abgesehen von der Häufung des Wortes "Gott" ist am ersten Absatz wenig auszusetzen, er hat mir gut gefallen. Aber ab da wird es seltsam. Er geht zu einem See, wo er immer herumsitzt, und seine Frau sagt ihm, er solle ihr (in den Tod?) folgen. Daraufhin verwandelt er sich in einen Baum... und spätestens ab dieser Stelle verstehe ich die Zusammenhänge gar nicht mehr. Die Geburt der beiden Kinder kommt völlig aus dem Konzept gerissen.
Auf mich wirkt das, als hättest du dir einfach drei Fantasy-Elemente (Wiedergeburt, Verwandlung in einen Baum, Stimmen aus dem Jenseits) genommen und sie in eine einzige Rahmenhandlung gequetscht. Tut mir Leid, dass ich dir nichts Positiveres sagen kann, aber das Ganze wirkt auf mich ziemlich wirr...

gruß
vita
:bounce:

 
Zuletzt bearbeitet:

Oh. Sorry, merk ich mir für's nächste Mal :)

Zum "Zusammengequetscht" muss ich erstmal sagen, dass wir nur drei Minuten (höchstens vier) reden (in dem Fall lesen) durften.. Meine erste Kritik wäre ja Kitsch gewesen, aber na ja... *grins*
Das Wiederholen vom "Gott" ... Nun ja, am Anfang hats mir gefallen.. Aber okay, ein Fehlgriff. Muss ich mir merken *notier* :D

Die Wiedergeburt am Ende der Geschichte ist darauf bezogen, dass er es schafft, "zu ihr zu kommen". Sein Wunsch war ja die Wiedervereinigung mit seiner Frau und mit dem letzten Absatz soll gezeigt werden, dass er es geschafft hat... Daher "wie im vergangenen Leben".

Danke für's Einschätzen, wenigstens jemand... *lächel*

Liebe Grüße,

fauchi

PS: Jaja, Suizidgeschichten... Mir wurde schon ganz am Anfang gesagt, dass ich mich von solchen Geschichten fernhalten soll... ;)

 

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom