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Vater

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19.08.2010
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Vater

Ich kauere in einer Ecke des Zimmers, du starrst mich an, ich verstehe nicht, warum du das tust. Es ist meine Wohnung, warum bist du hier? Es ist mein Leben, warum zerstörst du es? Voller Furcht betrachte ich dich, wie du so vor mir stehst, beinahe übermächtig, das seltsame Grinsen in deinem Gesicht, die großen, gierigen Augen auf mich gerichtet, die Angst aufsaugend. Du rührst dich nicht von der Stelle, kostest jede Minute deiner Macht aus, ich kann die Lust spüren, die du in diesem Augenblick empfindest. Ich bin erwachsen und doch fühle ich mich wieder wie das kleine, ängstliche Kind, das ich vor Jahren war, ich spüre die Panik langsam in mir hochsteigen, meine Hände werden kälter, meine Kehle trockener.

Du beugst dich über mich, ich spüre deinen Atem, du hast wieder getrunken, ich kenne diesen Geruch, mir wird übel. Deine strähnigen Haare fallen dir ins Gesicht, die Falten auf deiner Stirn verdichten sich zu einem schier undurchdringlichen Labyrinth aus Erinnerungen.

Plötzlich beginnst du zu zittern und hustest mir eine Mischung aus Blut und Schleim ins Gesicht. Angewidert wische ich diese weg. Als ich wieder aufblicke sehe ich dich zurückwanken.
Ein kurzer Augenblick der Schwäche, gleich hast du dich wieder gefangen und doch bemerke ich jetzt wie alt du eigentlich geworden bist.

Dein braungefärbtes Haupthaar ist zu einem mehr als erbärmlichen Pferdeschwanz zusammengebunden, an den Geheimratsecken sieht man bereits den grauen Haaransatz. Dein schmales Gesicht wirkt in diesem Licht noch fahler als sonst. Mein Blick gleitet an deinem Körper hinab, mager bist du, warst du immer, mittlerweile siehst du krank aus. Ich betrachte dich bis ins kleinste Detail, sehe noch einmal in die gebrochenen, alten Augen, die so viel weniger Autorität ausstrahlen als noch vor ein paar Jahren.

Langsam erhebe ich mich. Meine Knöchel geben ein ungesundes Geräusch von sich, was ich aber kaum bemerke. Mit einem Mal merke ich, dass ich mittlerweile um ein gutes Stück größer bin als du. Warum ist mir das bloß vorher nie aufgefallen? Als gebrochenes, altes Männlein stehst du nun vor mir, dein selbstgefälliges Grinsen hat so viel von seiner alten Macht verloren.

Lange habe ich auf den Moment gewartet, in dem ich dir all‘ das heimzahlen würde können, was du mir damals angetan hast. Ich wollte dich büßen lassen für die Kinderaugen, deren Strahlen du für immer zum Erlöschen gebracht hast, für die ausgetrocknete Kehle, die des Schreiens müde war, für die durchwachten Nächte, in denen ich auf die Tür starrte, voller Angst darauf wartend, dass du in mein Zimmer kommst, für die Narben, die deine kalten Hände auf meiner zarten Haut hinterlassen haben, für die Alpträume, die ich seit damals habe, für den Hass, der mich manchmal unkontrolliert durchfährt, ja, ich wollte dich leiden lassen, so wie ich leiden musste.

Nun stehst du vor mir, klein und geschwächt, ein Abklatsch meiner größten Furcht, der Gürtel rutscht dir aus der Hand, ich bemerke ihn erst jetzt. Wolltest du mich schlagen? Ich bin erwachsen, hast du das vergessen? Du bemerkst den veränderten Ausdruck in meinem Gesicht, dein selbstgefälliges Grinsen verwandelt sich in eine angsterfüllte Fratze, nun kauerst du in der Ecke meines Zimmers. Ich hebe den Gürtel auf, einen Moment lang denke ich daran, ihn auch gegen dich zu benutzen, dann blicke ich wieder in deine Augen, die still um Gnade flehen. Hast du mich damals auch nur einmal verschont? Wieder steigt Wut in mir hoch, ich hebe den Gürtel, hole aus und…ich kann es nicht…Ich will diese Schwelle nicht überschreiten, nicht in diese Welt eindringen, aus der es kein Zurück gibt. Schlage ich dich nun, so bin ich doch nicht besser als du. Habe ich einmal meiner Wut nachgegeben, tue ich es vielleicht auch beim nächsten Mal. Ich sehe dich an mit einer Mischung aus Verachtung und Mitleid in meinen Augen. Du erkennst mein Zögern, erhebst dich und wankst Richtung Tür. Zitternd öffnest du sie und verschwindest in die Nacht hinaus, ohne dich auch nur ein einziges Mal umzublicken.

Ich schließe die Tür hinter dir, lege mich auf mein Bett und starre an die Decke. Mit einem Lächeln im Gesicht schlafe ich ein und träume zum ersten Mal nicht von dir.

 

Hallo Lebenslust,


Ich habe noch nie eine Geschihte wie die hier in der 2. Person geschrieben, und bisher eigentlich keine überzeugende gelesen, aber diese hier ist in der Form okay, denke ich. Du sprichst den Vater an, den du hasst, und die Geschichte heißt Vater, das fesselt schon irgendwie zu Beginn.
Am Anfang dachte ich es kommt brutal, ich dachte du wirst richtig abgehen, und den Leser, dein Vater, so richtig niedermachen, aber am Ende kommt es dann doch ganz anders. Schade, finde ich. Weil am Anfang steckt richtig Wucht und Wut dahinter, und so wirkt das nun auf mich, als hättest du dich nicht so richtig getraut, die Fetzten fliegen zu lassen. Das nette Ende hat mich auf jeden Fall nicht so überzeugt. Ich finde die Geschichte wäre besser wenn du den Leser und dein Vater so richtig leiden lässt. Das passt einfach besser zu dem Form meiner Meinung nach.
Was mich auch bisschen gestört hat, ist dass du Du und Dein immer groß geschrieben hast. Muss das denn sein? Meine Augen konnten sich nur schwer daran gewöhnen.
Insgesamt gern gelesen.

mfg,

JuJu

 

Hallo JuJu!

Danke für deine Worte!

In meinen Augen geht es gerade darum, dass die Protagonistin ihren Vater nicht in dem Sinne leiden lässt, dass sie ihn niederschlägt, sondern die Angst in seinen und die Verachtung in ihren Blicken bereits Strafe genug ist. Sie ist eben nicht wie er geworden, sondern hat es geschafft, sich aus diesem Kreislauf zu befreien, was - wie wir heute oft genug lesen oder erleben dürfen - nicht selbstverständlich ist. Von daher glaube ich nicht, dass eine brutale Schlägerei am Ende mehr Aussagekraft hat. Aber danke für deine Kritik! :)

Die Sache mit den großgeschriebenen "Du"s und "Dein"s habe ich geändert, daran hatte ich selbst meine Zweifel! :)

Liebe Grüße,
Lebenslust

 

Hallo Lebenslust

und willkommen bei kurzgeschichten.de.

Ich finde du hast ein gelungenes Debüt abgeliefert. Ist natürlich nicht unbedingt ein neues Thema, aber in der Form hab ich es auch noch nicht gelesen.

Die beiden zentrale Punkte der Geschichte hast du sehr schön rübergebracht. Zum Einen ist da der Hass auf den Vater. Hier gefällt mir vor allem dieser Absatz:

Ich wollte dich büßen lassen für die Kinderaugen, deren Strahlen du für immer zum Erlöschen gebracht hast, für die ausgetrocknete Kehle, die des Schreiens müde war, für die durchwachten Nächte, in denen ich auf die Tür starrte, voller Angst darauf wartend, dass du in mein Zimmer kommst, für die Narben, die deine kalten Hände auf meiner zarten Haut hinterlassen haben, für die Alpträume, die ich seit damals habe, für den Hass, der mich manchmal unkontrolliert durchfährt, ja, ich wollte dich leiden lassen, so wie ich leiden musste.

Durch die hier gewählte Form, die lange Aufzählung, kommt die Wut und Verzweiflung des Protagonisten glaubhaft rüber. Btw, für mich ist nicht deutlich geworden, ob es ein Mann oder eine Frau sein soll. Das finde ich auch in Ordnung, aber du schreibst in deiner Antwort explizit, dass die Person weiblich ist. Das würde ich dann doch noch in die Geschichte einfliessen lassen, wenn sie weiblich sein soll.

Auch den zweiten zentralen Punkt, den Wandel vom gefürchteten Vater zu einer harmlosen, vielleicht sogar bemitleidenswerten Figur, hast du gut herausgearbeitet.

Was ich dir ebenfalls nicht ganz abnehme, ist das Ende. Die Wut scheint für mich Überhand zu nehmen, da verstehe ich die Wandlung der Frau nicht, dem Vater sogar aufzuhelfen und an die Tür zu begleiten. Einen verachtenden Blick finde ich da zu wenig. Dass eine Schlägerei auch nicht so besonders gut kommt (vor allem, wenn der Protagonist eine Frau ist), seh ich aber auch ein. Würde irgendwie nicht passen. Was du machen könntest, sie schaut ihn zwar an, aber er geht allein zur Tür. So als "Zwischenlösung". :)

Sprachlich sehr sauber, schöne Formulierungen. Da gibts nichts zu beanstanden von meiner Seite.
Zwei Kleinigkeiten und eine Anmerkung hab ich aber noch:

Es ist mein Leben, warum zerstörst du es? Ängstlich betrachte ich dich, wie du so vor mir stehst, beinahe übermächtig, das seltsame Grinsen in deinem Gesicht, die großen, gierigen Augen auf mich gerichtet, die Angst aufsaugend, die ich verströme.

Dieses "..., die ich verströme" ist ein unschöner Rattenschwanz dieses Satzes. Warum nicht "..., gierigen Augen auf mich gerichtet, meine Angst aufsaugend."

Vielleicht findest du für das "Ängstlich" zu Beginn des Satzes noch ein anderes Wort, da "Angst" sonst zweimal vorkommt.

Plötzlich beginnst du zu zittern und hustest mir eine Mischung aus Blut und Schleim ins Gesicht. Angewidert säubere ich mich.

Wie säubert man sich ohne Wasser von Blut und Schleim? ;)

Und eine Anmerkung noch:

Diese Stelle hier

Du beugst dich über mich, ich spüre deinen Atem, du hast wieder getrunken, ich kenne diesen Geruch, mir wird übel. Deine strähnigen Haare fallen dir ins Gesicht,

finde ich etwas zu klischeehaft. Ich denke es ist OK in deiner Geschichte, da die Realität tatsächlich meist so ist, aber es muss nicht unbedingt sein.

Gut finde ich auch noch, dass du die "Gewalttat" nicht explizist erwähnst, sondern nur Andeutungen machst. Dann liegt es am Leser, sich was drunter vorzustellen.

Alles in allem hab ich es auch gern gelesen.

Viele Grüße.

 

Lieber Schwups!

Danke auch dir für deine Worte! :)

Ich weiß, dass das Thema nicht unbedingt originell ist, aber ich habe die Geschichte gerade wieder gefunden (Verfasst habe ich sie bereits im Jahr 2007) und sie hat mich aus irgendeinem Grund angesprochen, sodass ich die Veröffentlichung selbiger als würdiges Debut empfunden habe.

Zu deiner Kritik:

Die Punkte, die du angesprochen hast, habe ich gleich einmal umgearbeitet. Wobei ich "Voller Furcht" als Ersatz für "Ängstlich" auch nicht gerade als sprachliche Meisterleistung empfinde und hoffe, dass mir in den nächsten Tagen doch noch etwas besseres einfällt. Für Vorschläge bin ich gerne offen!

Bezüglich des Endes habe ich deinen Vorschlag als sehr ansprechend empfunden. Die Idee, dass die Protagonistin ihren Vater selbst zur Türe bringt, war vielleicht wirklich ein wenig zu sehr an den Haaren herbeigezogen. Ich weiß nicht, ob es dir jetzt besser gefällt, ich bin mir noch nicht einmal sicher, ob ich mit dieser Version ganz zufrieden bin, aber jedenfalls spricht es mich so um einiges mehr an.

Eigentlich ist es nicht relevant, ob es sich hierbei um eine Frau oder einen Mann handelt. Bei der Antwort habe ich mich dann für das weibliche Geschlecht entschieden. Denkst du denn, das macht einen Unterschied in der Geschichte?

Liebe Grüße,
Lebenslust

 

Hallo,

jetzt wollte ich auch mal bei dir rumkritisieren. Allerdings fand ich die geschichte schon echt gut. Auch wenn ich mich am Anfang der Geschichte auf ein Horrorspectakel gefreut habe und dahingehen enttäuscht wurde, fand ich sie für das genre Gesellschaft echt gut.

Was Rechtschreibfehler angeht, habe ich nicht darauf geachtet und selbst wenn sollte ich da wohl besser eh nicht zu sagen. ;)

Wobei eins wollt ich dann doch als kleinen Kritikpunkt äußern. :)

Meine Knöchel geben ein ungesundes Geräusch von sich, was ich aber kaum bemerke.

Wenn sie das eh kaum bemerkt, warum erwähnst du das dann überhaupt?
Ich persönlich hätte das einfach weggelassen. ;)

 

Lieber Skymountain,

Aus irgendeinem Grund habe ich fast vermutet, dass du dich nun über meine bislang einzige hier veröffentlichte Geschichte hermachen wirst ;). Schön, dass sie dir gefallen hat und vielleicht darfst du ja demnächst auch eine in einem dir näheren Genre kritisieren.

Zu deinem Kritikpunkt: Dieser Satz sollte eigentlich lediglich deutlich machen, dass sie sehr konzentriert und daher nicht auf ihr Umfeld oder auch ihren eigenen Körper achtet. Mir gefällt dieses Bild mit dem knackenden Knöchel trotzdem, aber danke dir für deine Meinung! ;)

Liebe Grüße,

Lebenslust

 

ok, wenn du mal eine geschichte in einem mir eher gelegenen Genre veröffentlcihst kann ich vlt auch ein wenig mehr dazu sagen. (meine genre: Horror und fantasy) ;)

naja, das mit dem Knöchel war auch nur meine bescheidene Meinung. das sie konzentriert ist, finde ich, konnte man auch so schon erkennen. ;)

 

Hallo Lebenslust,

ich mag die Geschichte.
Die Stimmung ist sehr dicht, und die Entwicklung (Protagonistin fühlt sich und ihr Leben ihrem Vater hilflos ausgeliefert - wird sich bewußt, dass sie kein Kind mehr ist - Protagonistin wird sich bewußt, dass sie die Wahl hat - Protagonistin entscheidet sich sich dagegen, Täterin zu werden) vom Prinzip her sehr glaubwürdig.

Allerdings frage ich mich ein wenig, warum sie überhaupt noch ihr Wort an den Vater richtet, nachdem sie sich so innerlich von ihm und von seiner Art zu leben abwenden konnte. Jedoch ist dieses Moment tatsächlich sehr spannungsfördernd.

Ich mag das Detail mit den knackenden Knöchel; wenn andere sagen dass es ihnen unlogisch vorkommt könntest du z.B. einen Fuß eingeschlafen lassen sein oder so?!

Bin mal gespannt was du noch so schreiben wirst.

MfG
Situation

 

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