So, weiter geht’s.
Moin @Peeperkorn
In meinen Augen ist das ein missglückter Text, weil er die beiden Dinge, die darin angelegt sind, nicht gleichzeitig leisten kann.
Ist nicht unbedingt der erste Satz, den man unter seiner Geschichte lesen will

, aber hey, ist fair, zumal du vieles ansprichst, was ich auch so empfunden habe. Und du warst der Erste, der eine sehr euphorische Kritik damals unter „Butenschön sichert sich ab“ geschrieben hat, insofern schließt sich hier der Kreis

. Wie gesagt, es ist nicht so, dass ich zu der Kurzen hier nicht stehe, ich mag die irgendwie, aber vieles von dem, was ich damit transportieren wollte, ist nicht so wie geplant beim Leser angekommen. Und ja, ich wollte hier definitiv zuviel mit einem kuzen Text erreichen.
Aber der Reihe nach:
Maskenball schrieb:
Das wusste nur einer.
An diesem Satz lässt sich, denke ich, einiges festmachen. Wenn der Text die (durchaus interessante) Konstellation zwischen den beiden Männer ausleuchten will, wenn da gezeigt werden soll, wie schwierig diese Situation ist - worauf die zahlreichen Verweise auf die emotionale Verfassung und das Innenleben des Ich-Erzählers hindeuten - dann müssten die Leser*innen mit dieser Konstellation auch vertraut gemacht werden. In diesem Fall stünde hier aber: "Das wusste nur er." Niemand, der wirklich seine Geschichte erzählte, würde an dieser Stelle eine solche Unschärfe einbauen. Diese Unschärfe steht hier nur deshalb, weil die Autorin / der Autor die Leser absichtlich im Unklaren halten wollte, um dann am Ende einen Twist und eine Auflösung vorzulegen. Das bedeutet aber für mich, dass der Text weder Fisch noch Vogel ist. Ich verlasse mich grundsätzlich auf eine Autorin / einen Autor. Wenn mir ein unzuverlässiger Erzähler präsentiert werden soll, dann verlasse ich mich darauf, dass mir der Autor einen Hinweis darauf gibt. Wenn es einen Twist geben soll, dann verlasse ich mich darauf, dass dadurch nicht meine gesamte bisherige Lesart ad absurdum geführt wird. Das ist hier für mein Empfinden nicht der Fall. Der Text führt mich mit dem ersten Satz gezielt aufs Glatteis und entwertet am Ende meine bisherige Leseerfahrung. Das kann reizvoll und spannend sein. In diesem Kontext aber, wo es offenbar darum gehen soll, sich in diese Situation hineinzuversetzen und irgendwie mitzufühlen / mitzudenken, funktioniert das meiner Meinung nach nicht.
Hier musste ich echt grinsen und hab mich gleichzeitig ein bisschen über mich selbst geärgert. Warum? Rate mal, welchen Satz ich als allerallerletzten noch geändert habe! Und jetzt rate mal, was da vorher stand! Genau: das wusste nur er.
Beim letzten Durchlesen vor dem Posten habe ich es geändert, weil ich den von dir beschriebenen Effekt stärken wollte, den Überraschungsmoment am Ende. Offenbart zu sehr.
Die ganze Twist-Sache ist eh einer der heiklen Punkt an dem Text, da gebe ich dir Recht, das war auch mein Gefühl. Auch wenn ich den ja absichtlich setzte, weil genau das eben der Versuch war: Was passt alles in Flash Fiction, wieviel kann ich dem Leser, der Leserin auf einer Seite zumuten, können gleichzeitig Gefühle, Charaktere und ein Twist überzeugend vermittelt werden. Genau daran habe ich mich versucht und genau darüber habe ich auch nach Fertigstellung des Textes immer noch gezweifelt. Insofern finde ich deine klare Aussage hier sehr hilfreich und wichtig – auch weil sie mir als Autor zeigt, dass ich meinen eigenen Zweifeln trauen darf (was ich nicht immer einfach finde, auch bei anderen Texten nicht.)
Ein ganz klein bisschen anders, stehe ich zu dem unzuverlässigen Erzähler. Die liebe ich. Ich mag das. Sowohl lesen, als auch selbst schreiben. Ich brauch da auch nicht unbedingt den Hinweis, weil ich es als Leser mag, lang e im Unklaren zu sein, aber ich verstehe total deinen Einwand. Und ja – wenn es dich völlig überrumpelt hat, dann war es zu viel, ich hätte gern eine Ambivalenz hier hergestellt. Alles ist möglich, in jede Richtung kann hier gedacht werden. Da wäre der von dir angesprochen und von mir zum Schluss geänderte Satz mit §Das wusste nur er“ wahrscheinlich sogar deutlich zielführender gewesen.
Wenn ich mich nun aber doch auf das Psychologische, Emotionale einlasse, dann ist mir das zu holzschnittartig. Gut ist natürlich diese Ambivalenz: Das Gegenüber ist einer, der getötet hat, ein Ackergaul, ein Schatten eines Schattens, da gibt es ein gerüttelt Mass an Projektion und Hass. Auf der anderen Seite hat sich der Ich-Erzähler ja etwas ganz anderes vorgenommen, er will etwas geradebiegen, er will es für seinen Sohn tun. Das finde ich wirklich spannend, dieser Konflikt oder eben diese Ambivalenz. Aber im Text prallt das ziemlich unvermittelt aufeinander, da gibt es wenig Schwanken und wenig Schattierung, eher springt der Text zwischen diesen Extremen hin und her. Ich denke daher, dass der Text viel zu kurz ist, um der Thematik gerecht zu werden. Ich würde mir wünschen und fände es spannend, wenn du dieser Thematik noch mal in größerem Umfang nachgehen würdest.
Vollste Zustimmung. Die Kürze killt den Text. Und ja, mein größter Kritikpunkt an mich selbst war vor dem Hochladen, dass vieles nur ganz knapp angerissen wird. Für mich als Autor ist es vielleicht noch etwas klarer als für den Leser, die Leserin. Aber sehr spannend ist für mich zum Beispiel, dass du es so liest, als wolle er sich für den Sohn entschuldigen. (was natürlich auch so angelegt ist, da sind wir wieder bei der Sache mit alles sehr vage lassen, um am Ende zu überraschen. Die Kritik lasse ich hier definitiv gelten.) Könnte man es nicht auch so verstehen, dass der Vater sich nur deshalb entschuldigt, weil SEIN guter Sohn so etwas nicht macht. Ist die Motivation des Vaters dann nicht eher Selbstsucht.
Ja, ich bin bei dir. Das ist ein Grund, warum ich m it dem Text nicht richtig glücklich bin, in einem längeren Kontext hätte ich das anders aufgebaut. Ach, ich merke gerade wieder, warum ich Flash Fiction nicht so richtig mag
Handwerklich kann mich der Text nicht so ganz überzeugen. Das liegt unter anderem daran, dass an einigen Stellen gesagt wird, wie ich eine Szene lesen soll oder was gerade eben gezeigt worden ist.
Ich werde den Text daraufhin nochmal lesen. Was sicherlich stimmt, ist, dass ich Regieanweisungen einsetzen, um die Kürze des Textes beibehalten zu können.
Diesen Vergleich hier finde ich sehr schön:
Maskenball schrieb:
Stelze durch die Phrasen wie ein Reiher durch den Sumpf.
Und wieder musste ich grinsen. Das ist nämlich der Satz, den ich als vorletztes eingefügt habe. Und hier war ich mir echt nicht schlüssig, ob das Bild passt.
Ich weiss nicht, wer den Text geschrieben haben könnte, auf keinen Fall aber eine der drei Autorinnen, die Carlo Zwei genannt hat.
Nee, haben sie nicht
Lieber Peeperkorn, das Schöne am Maskenball ist, dass sich Verrisse (ich habe deinen übrigens als sehr freundlich und durchaus auch stellenweise lobend wahrgenommen) viel leichter lesen, als wenn man direkt seinen Nick drübersetzt. Gerade wenn es sich, um einen Versuch handelt, den man im Ergebnis selbst. Nicht so ganz greifen kann.
Dein Kommentar hat mir dabei geholfen.
Als Folge tendiere ich dazu, deutlich mehr Fleisch, um die Geschichte zu packen, und das Terrain der Flash Fiction schleunigst wieder zu verlassen.
Herzlichen Dank und LG
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Moin @kiroly,
danke für deinen langen Kommentar. Ich finde es sehr cool, dass die Kommentare zum Text zum Teil länger sind als der Text selbst, und das ist nicht als Kritik gemeint, sondern zeigt mir einfach, warum „Wortkrieger.de“ nach wie vor ne geile Seite ist.
Ich denke, dass Sprache und Perspektive die emotionale Wucht der Themen nicht leisten können. Das mag härter klingen, als es sich anhört. Die Beziehungen zwischen den drei Charakteren des Textes - Finn schließe ich mit ein - sind emotional überfordernd und massiv.
Ja, genau das war die Frage, die ich mir gestellt habe. Geht das auf so engen Raum. Ich habe es oben schon mal geschrieben, mache es aber gern noch einmal: ich glaube, es gibt Autorinnen und Autoren, die das können, mir ist es nicht geglückt
Der Vater glaubt, der S-Bahn-Fahrer habe das Kind getötet. Der S-Bahn-Fahrer fühltsich schuldig, bittet um Verzeihung und Verständnis. Warum Finn gestorben ist - aus einer suizidalen Handlung, Fahrlässigkeit, Mutprobe, Unfall - wird für mich nicht deutlich. Ich tendiere stark zum Suizid Finns.
Kurzer Einschub: Ja, ist von mir als Suizid gedacht. Hier wollte ich nicht einmal vage sein, während eine gewisse Ungenauigkeit sonst ja gewollt und angelegt war. Spannend aber, dass du gleich weitere plausible Möglichkeiten aufzählst, die für mich überhaupt keine Rolle beim Schreiben gespielt haben. Für mich war der Selbstmord ganz klar.
Die gewählte Ich-Perspektive schildert jedoch die Interpretation des Vaters, der sich einen Suizid nicht vorstellen kann, anders als der S-Bahn-Fahrer. Suizid des eigenen Kindes bedeutet jedoch für den Vater, eine mögliche Schuld zu empfinden, doch schließt der Vater den Suizid aus. Ob er ihn verdrängt, ob er nicht anders kann, präzisiert der Text meiner Meinung nicht. Ich lese die letzten Zeilen als "knapp vor der Auflösung".
Ich freu mich gerade echt über die Interpretation. Hier ein klares Jein von mir (soweit ich mir das als Autor leisten kann, weil letztlich ja doch der Lesende entscheidet.) Ich finde es spannend, dass du offenbar ausschließt, dass der Vater einen Suizid seines Sohnes ausschließt. Ich habe mich beim Schreiben viel mehr gefragt, wie kann er sich den plausibel machen, den Suizid „schönreden“, sich und seinen Sohn emotional davon freisprechen und trotzdem den S-Bahn-Fahrer auf einer rationalen Ebene davon freisprechen. Und nein, ich glaube nicht, dass mir das geglückt ist

.
Die Beziehung zwischen Vater und Sohn reduzierst du in Deinem Text auf den Handballsport. Finn stand auf dem Sprung in den Profi-Sport, als er starb. Das wirkt auf mich distanziert. Standen sich Vater und Sohn so distanziert? Wolltest du in deinem Text einen ehrgeizigen Vater schildern, der die Sportkarriere des Sohns in den Vordergrund rückte? Das ist ja ein recht klassisches Motiv: Überehrgeizige Eltern, die ihre Kinder überfordern, Warnsignale nicht wahrnehmen, bis es zum Zusammenbruch kommt. Wie dieser Zusammenbruch aussieht, spiegelt die familiäre Beziehung wieder. In deinem Text hast du den Suizid gewählt (falls es so gekommen ist), also - es mag zynisch klingen - den radikalsten Bruch, der menschlich vorstellbar ist.
Und wieder spannend, weil (ich glaube, dass ich das schon oben schon geschrieben habe) ich das Motiv nicht unbedingt beim Sport sehe. Finn kann sich auch wegen einer unglücklichen Liebe oder persönlichen Problemen vor den Zug geworfen haben. Hier ist bei der Kürze der Geschichte vielleicht der Satz „Aber Finn wollte nicht nach Flensburg wechseln“, das Problem, den ich aber zugegebener Maßen als Finte eingebaut habe. Letztlich könnte der weitergehen: Finn wollte sich das Leben nehmen.
Sowohl S-Bahn-Fahrer und Vater müssen mit dem Tod umgehen. Zum S-Bahn-Fahrer: Er bittet um Vergebung, er fühlt sich schuldig. Die technischen Eigenschaften der S-Bahn machen den Schienensuizid so extrem, so traumatisierend: Der S-Bahn-Fahrer wusste, dass Finn sterben wird und er wusste, dass er als Verantwortlicher nichts, gar nichts tun kann.
Zustimmung, auch wenn ich das alles aufgrund des Genres versucht habe, in einem einzigen, sich wiederholenden Satz, bzw. in der kurzen Reaktion des Fahrers reinzubekommen.
Die Perspektive ist die des Vaters. Ich als Leser erfahre, wie der Vater fühlt und denkt. Das ist die härteste Perspektive, die für das Setting gewählt werden kann. Denn hier fallen ambivalente Emotionen und Denkweisen wild übereinander her: Schuld oder Verständnis für den S-Bahn-Fahrer? Akzeptanz des Suizids oder nicht? Eigene emotionale Überforderung oder der Versuch, sich zu kontrollieren? Ich bin ehrlich: Ich weiß gar nicht, wie so etwas als Kurzgeschichte geschrieben werden kann, ohne "holzschnittartig" zu wirken. Das ist so krass gigantisch überviel, was in diesem Augenblick auf den Mann einprasselt, dass der überhaupt noch einen Gedanken fassen kann ... irre. Einfach irre.
Und auch hier Zustimmung: Wenn ich den Text überarbeite, wird er länger und genau dieser Aspekt eine größere Rolle spielen. Gerade das finde ich interessant. Und ich dachte, man könne das in der Kürze angedeutet herauslesen. Ich sehe ein: sehr, sehr schwierig.
Mich würde der Kern deines Textes interessieren. Geht es dir um Schuld und Vergebung? Um Verarbeitung des Suizids eines Angehörigen? Um Leistungsdruck, den Eltern auf ihre Kinder ausüben? Um Suizid im Bahnverkehr? Oder um Verdrängung? Ganz subjektiv fände ich letztes Thema am interessantesten, aber dann entstände hier ein ganz neuer Text.
Kann ich dir klar beantworten: Um Schuld und Verdrängung. Die beiden Dinge. Ich sehe ein, dass sich das bei der Kürze des Textes nicht mit dem gleichzeitigen Twistwunsch deckt. Letzteren kann man durchaus in Frage stellen, oder in einem längeren Kontext runder einfügen. Und generell habe ich es dafür zu unklar gehalten.
Nebenbei gefragt: Wo ist eigentlich die Mutter?
Ganz ehrlich? Keine Ahnung

Die war mir aber nicht wichtig in diesem Text.
Nachtrag:
Ich denke, auf den Verfasser treffen folgende Merkmale zu:
- wohnhaft in Berlin (Handballliga Nord-Ost und S-Bahn) oder mit biographischem Bezug zu Berlin
Nee, aus Kiel. Ich mag Berlin nicht sonderlich. Drei meiner Ex-Freundinnen leben da inzwischen. Was aber nichts mit Berlin zu tun, den die drei sind alle sehr nett und es gibt noch guten Kontakt. Sollte ein zufällig mitlesen: liebe Grüße!
- jemand, der noch nicht so lange am Schreiben ist
hmmmm

Zeit ist relativ!
oder
- jemand, der schon sehr lange schreibt, jedoch beim Schreiben zwei Orientierungspunkten gefolgt ist: a) einfache Sprache und b) hoher Dilemma-Gehalt, woraus ich c) folgere: Eher publikumswirksam
a und b stimmt definitiv, c war mir jetzt nicht so wichtig. Zu a) irgendwie verbinde ich einfachere Sprache mit Flash Fiction. Sage aber nicht, dass das wirklich so ist. Und generell muss man wohl konstatieren: Es gibt hier eindeutig sprachgewaltigere Autorinnen und Autoren als mich.
- ohne, dass ich das jetzt irgendwie negativ werten mag, aber jemand, der einen Schreibratgeber gelesen hat, in dem von einer kleinen Figurenkonstellation, einer möglichst komplizierten moralischen Ausgangslage für die Figuren, einem gütigen Ende und einer eingängigen Sprache als beste Merkmale einer ordentliche Kurzgeschichte berichtet wird und diese Merkmale anwenden wollte
Hier liegste mal komplett falsch. Ich habe in meinem Leben noch keinen Schreibratgeber gelesen (außer vor langer Zeit mal das Buch von Stephen King, aber das ehrlich gesagt auch nur immer mal wieder so nebenbei). Sollte ich vielleicht aber mal tun. 
Lieber kiroly, auch dir vielen Dank für den äußerst interessanten und hilfreichen Kommentar.
LG svg
WIRD FORTGESETZT