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Vergessen
Vergessen
Der Mann mit dem schwarzen Pullover kontrollierte noch mal seine Ausrüstung, bevor er die Schiebetür öffnete um herauszutreten. Vier weitere Leute stiegen aus dem Lieferwagen und gingen mit ihm zusammen auf den Bahnhof zu. „Die Kontaktperson ist etwa 30 Jahre alt, hat kurzes, schwarzes Haar und trägt einen grauen Anzug mit grüner Krawatte“ flüsterte der Mann im schwarzen Pullover, von seinen Kollegen „Eins“ genannt.
Die Männer versuchten möglichst unauffällig zu wirken, doch eine Gruppe von vier durchtrainierten Männern, die mit den Schutzwesten unter den Pullovern noch mächtiger aussahen, sind kein alltäglicher Anblick. Die Anonymität in Städten ist hierbei die größte Hilfe nicht erkannt zu werden, dachte sich der Anführer.
Eins ging voraus und kontrollierte den Abfahrplan. „Das Ziel muss nach Berlin, der ICE fährt in 15 Minuten los. Bahnsteig vier“. Ohne Kommentare folgten die finster dreinblickenden Gefährten von Eins. Ein kurzhaariger Mann mit Kinnbart überprüfte stets den Bereich hinter der Gruppe. Sein Deckname war „Mad“, während dieser Mission „Nummer vier“ genannt.
Auf dem Bahnsteig angelangt erkannten die Verfolger die Zielperson am Ende des Bahnsteigs im Bereich der ersten Klasse, scheinbar mit fünf anderen Reisenden zusammen auf den Zug wartend. Nummer zwei wusste, wie die anderen auch, dass es sich hierbei um Leibwächter handeln muss. Er war mit 41 Jahren der Älteste in der Gruppe. Sein raues, stoppelbärtiges Gesicht und die Körpergröße von knapp zwei Metern ließen ihn unbesiegbar erscheinen.
Der Mann mit der grünen Krawatte bemerkte die Gruppe nur im Unterbewusstsein. Sein Name war Buchhausen, er war der Geschäftsführer eines großen Konzerns. Die Leibwächter hatte er organisiert, da er vor kurzem viele Mitarbeiter entlassen hatte und nun Anschläge auf Leib und Leben vermutete.
Eins ließ Nummer drei, den letzten und auch jüngsten der vier Gefährten, an einem Pfeiler Deckung beziehen. Er war der beste Schütze der Gruppe und sollte im Notfall Rückendeckung geben. Die anderen vier bewegten sich auf das Ziel zu. Jetzt bemerken die Leibwächter die anrückenden Menschen und orientierten sich in Richtung Buchhausen um im Notfall sofort eingreifen zu können. „Drei Leibwächter“ flüsterte Mad. „Die anderen beiden sind bestimmt nur einfache Zivilisten“. Eins kam zum selben Entschluss. Mit Handzeichen hinter seinem Rücken wies er jedem einen Leibwächter zu. Er selbst würde sich um Buchhausen kümmern. Kurz vor dem Ziel blieben sie stehen und unterhielten sich über neue Autos und die ewigen Verspätungen der Bahn. Die Leibwächter verloren langsam das Interesse, aber als sie sich gerade wieder in Sicherheit fühlten rannte Eins, gefolgt von den drei Kollegen los. Er schlug seinem Opfer den Ellenbogen ans Schlüsselbein und warf ihn mit Hilfe seines ganzen Körpergewichts auf den Boden um ihn dann zu fixieren. Als er aufblickte sah er gerade, wie Mad den Faustschlag eines Leibwächters abblockte und ihm an den Hals trat. Sein Gegner fiel keuchend in sich zusammen. Auch die anderen beiden wurden ohne Gegenwehr auf den Boden befördert. Plötzlich ertönte ein lauter Knall, ein vierter, bisher unentdeckter Leibwächter hatte einen Warnschuss abgegeben und zielte mit seiner Beretta auf die Gruppe von Eins. Doch schon in diesem Moment wurde der Kopf des Mannes stark nach hinten geschleudert, er sackte leblos in sich zusammen, im selben Moment ertönte ein weiterer Knall, der im Bahnhofsgebäude widerhallte. Nummer drei, der an der Säule stehend unauffällig die Waffe gezogen hatte, traf sein Ziel sicher. Er versteckte die Waffe sofort und wechselte seine Stellung. Auf dem Bahnsteig entstand Panik, die Leute liefen durcheinander und flüchteten. Mad streifte Buchhausen einen schwarzen Sack über den Kopf und fesselte ihn mit Kabelbindern, während Eins dem Lieferwagen über Funk den Befehl gab sie am Reservepunkt abzuholen.
Schnell rannte die Gruppe mit dem Entführten, der geduckt gehalten wurde, in die Menge der panischen Leute, hier konnte man sie am schlechtesten Entdecken und die Polizei war sicherlich schon unterwegs. Außerdem wurden sie von zwei Leibwächtern verfolgt, welche offenbar wieder zu sich gekommen waren. Doch Nummer drei, der von seiner neuen Stellung aus alles aus sicherer Entfernung beobachte hatte, folgte ihnen. Als er den ersten erreicht hatte, trat er ihm von hinten ins Kniegelenk, noch bevor sein Opfer auf den Boden fiel schlug Nummer drei ihn bewusstlos. Dieser Angriff auf den Leibwächter fiel in der Menge fliehender Menschen kaum auf und der zweite Leibwächter dachte immer noch, dass sein Kollege direkt hinter ihm sei. Am Hinterausgang angelangt hob er seine Waffe um die Entführung zu stoppen, doch in diesem Moment spürte er einen starken Schlag auf seinen Hinterkopf, gleichzeitig wurde ihm die Waffe abgenommen. Dem Verfolger wurde schwarz vor Augen, dann sackte er in sich zusammen. Nummer drei schloss nun zu seinem Team auf und warf die gestohlene Waffe in den nächsten Papierkorb. Gerade als die Polizei den Bahnhof am Vorderausgang stürmte, fuhr der Transporter am Hintereingang bereits los.
Buchhausen spürte, wie seine Gliedmaßen zitterten. Er hatte noch nie so viel Angst gespürt wie in diesem Moment. „Was wollen die von mir? Was haben die vor?“ dachte er sich die ganze Zeit, während er auf einem Holzstuhl gefesselt in einem Raum saß, immer noch mit dem schwarzen Sack über sein Haupt.
Plötzlich riss ihm jemand die Sichtbehinderung vom Kopf, zwei Lampen waren direkt auf ihn gerichtet und blendeten. „Was wollen Sie von mir!“ rief er laut, die schmerzenden Augen immer noch geschlossen. Eine dunkle Stimme antwortete sofort „Sie werden wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und dem Auftragsmord an einem Betriebsratsmitglied zu lebenslänglicher Haft verurteilt“. Buchhausen schrie sofort „Das war kein Mord, das war ein Unfall, der Fall ist abgeschlossen!“ er spürte wie seine Knie wieder das zittern anfingen. „Das dachten wir auch, bis wir den Mörder gefasst haben. Er hat gestanden diesen Unfall für sie vorgetäuscht zu haben. Dazu haben Sie Millionen gemacht indem Sie ihre Mitarbeiter mit falschen Versprechungen ausgebeutet haben um diese dann auf die Straße zu setzen. Das Urteil steht fest!“. Stille lag im Raum, die Augen von Buchhausen schmerzten zwar nicht mehr so stark, doch seinen Gesprächspartner konnte er aufgrund der Scheinwerfer nicht erkennen. Männer, die mit schwarzen Overalls gekleidet waren, brachten den Mann in eine Zelle und schlossen die schwere Stahltür ohne einen Laut abzugeben.
Viele Jahre der Aufklärung wurden dem "Fall Buchhausen" gewidmet, jedoch stand die Polizei vor einem Rätsel. Selbst wenn die Ermittler kurz davor waren eine wichtige Spur zu entdecken, verschwanden Beweismittel oder revidierten Zeugen ihre Aussagen. Verschwörungstheoretiker hatten neuen Stoff um zuzuschlagen.
Buchhausen wurde nie wieder gesehen, der Fall wurde nach zehn Jahren zu den Akten gelegt, kurze Zeit später war er vergessen...