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Verneigung zwischen Tadashi und Michiko

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29.01.2010
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Verneigung zwischen Tadashi und Michiko

Tadashi absolvierte allmorgendlich auf dem Balkon Übungen, die zur Stärkung von Körper und Geist dienten. Ein Beobachter könnte es auch als Ehrerbietung an die aufgehende Sonne deuten.

Michiko schaute ihm aus dem Haus gegenüber zu. Sie war durch die behutsamen Bewegungen seiner Arme aufmerksam geworden. Es waren graziöse Bewegungen im Zeitlupentempo, die etwas Tänzerisches aufwiesen. Der nackte Oberkörper des Mannes wurde eben von ersten Sonnenstrahlen gestreift. Ein ungewöhnlicher Anblick, wie eine Bühnendarbietung.

Das tägliche Schauspiel des sich der aufgehenden Sonne entgegenreckenden Körpers zog sie in den Bann. Auch ein Regentag schreckte ihn nicht ab. Die vom Wind getragenen Regentropfen perlten auf seiner Haut, während er durch Konzentration geübt Gleichmut zeigte. Keine Verkürzung der Übungen war erkennbar, mit stoischer Ruhe führte er sie aus. Die Stoffhose klebte an seinem Körper und liess so die Bewegungen bis in die Beine mitverfolgen.

Eines Abends stand Tadashi auf dem Balkon und zündete sich eine Zigarette an. Dies tat er immer so, wenn ihm nach diesem Genuss verlangte, in den Wohnräumen rauchte er nicht. Das Licht aus dem Raum hinter ihm liess seine Silhouette wie ein Scherenschnitt abheben. Gegenüber wurde die Raumbeleuchtung eingeschaltet. Durch das Fenster war niemand zu sehen, nur Möbelstücke eines Wohnzimmers sowie ein Rollbild an der Wand.

Ein erster Stern machte sich reflektierend am Abendhimmel bemerkbar. Tadashi mochte diese Stimmung vor der hereinbrechenden Nacht.

Die Bewegung einer Frau gegenüber, die unbekleidet den Raum betrat, erweckte seine Aufmerksamkeit. Einen Stuhl vom Tisch wegziehend, hantierte sie und begann mit einer Hand sich über Schulter und Arm zu streifen. Tadashis Blick war unbefangen, so wie er vorher den Abendhimmel betrachtete. Manchmal griff sie zur anderen Hand, in der sie einen Gegenstand hielt. Ihre Hand strich nun in langsamer Bewegung über eine Brust. Bisher hatte er noch nie eine Frau bei der Körperpflege gesehen.

Einen Fuss stellte sie auf den Stuhl und begann die Beine einzureiben. Ihre Hände glitten behutsam den Oberschenkel entlang zum Knie, auf der Innenseite wieder hochziehend. Auf das Geschehen konzentriert, versetzte Tadashi sich in die Empfindung der Hautberührung. Als die Behandlung beider Beine abgeschlossen war, rückte sie den Stuhl beiseite.

Tadashi zündete eine weitere Zigarette an, was ihm nicht üblich war, da er nur wenige im Tag konsumierte. Das Licht der Flamme erhellte kurz sein Gesicht.

Die Frau begann mit den Armen Dehnbewegungen auszuüben, wodurch ihre Brüste sich hoben und senkten. Nach verschiedenen Übungen hob sie die rechte Fussspitze auf die Tischkante, das Bein ausgestreckt und beugte sich vornüber, die Arme ausgestreckt. Die Behutsamkeit, mit der sie ihre Bewegungen ausführte, waren Tadashi nachvollziehbar, obgleich ihre Übungen nicht den seinen entsprachen. Sein Interesse war dadurch aber noch mehr geschärft. Er blickte gespannt, als sie sich mit gespreizten Beinen hinstellte, und langsame Rumpfbewegungen ausführte. Ihre nächste Übung war eine Rückwärtsbeugung des Körpers, mit den Händen sich am Stuhl abstützend. Ihre Knie waren dazu nach vorn gestellt, sie langsam streckend. Sie musste sehr biegsam sein. Als sie wieder aufrecht stand, nahm sie einige Lockerungsübungen vor. Die Sachen auf dem Tisch zusammenpackend, ging sie hinaus, das Licht im Raum löschend. Tadashi stand noch eine Weile da, die Bilder sich in die Erinnerung einprägend, dann zog er sich zurück.

Am nächsten Morgen war Michiko bereits auf, als der junge Mann den Balkon betrat. Ihr Fenster hatte sie weit geöffnet, in der Luft war die Frische der Nacht noch spürbar. Vom klaren Himmel streiften erste Sonnenstrahlen die gegenüberliegende Hauswand.

Sie bemerkte, dass er nicht mehr eine lange Hose trug, sondern einen String, ähnlich dem eines Sumo. Der Haltung nach begann er sich zu sammeln, den Blick dem Himmel zugewandt. Langsam hoben sich seine Arme, seine Beine spreizten sich, und die behutsam fliessenden Bewegungen setzten ein. Sein schlanker Körper wirkte geschmeidig, die absolvierten Figuren von eleganter Natürlichkeit. Bei einer Übung, die seinen Körper zur Seite bewegte, nahm sie das Spiel seiner Sehnen und Muskeln überm Gesäss wahr. Ein Anblick, der ihr ein anregendes Gefühl bereitete. Sie blickte nah am Fenster stehend mit Faszination zu. Nach einer abschliessenden Übung stand er statuenhaft, die Augen geradeaus gerichtet. Michiko vermeinte, sein Blick durchdringe sie, ohne sie wahrzunehmen. Wie vor dem Himmel verneigend beugte er sich. Instinktiv erwiderte Michiko die Verneigung.

Erstmals herrschte an diesem Abend eine milde Temperatur, da die Sonne am Tag die Luft stärker zu erwärmen vermochte. Tadashi trat vor Sonnenuntergang auf den Balkon und schaute kurz auf das Fenster gegenüber, welches weit geöffnet stand. Ein letzter Sonnenstrahl reichte tief in den Raum hinein.

Längere Zeit stand er da, die Arme verschränkt, ohne dass sich gegenüber etwas regte. In der sich ausbreitenden Dunkelheit studierte er den Sternenhimmel, um der keimenden Ungeduld Einhalt zu gebieten. Wie bei einem Theaterauftakt erhellte sich der Raum gegenüber. Die Frau stand in einem Kimono gekleidet neben der Tür im Wohnzimmer, die Hand vom Lichtschalter wegziehend. Mit wenigen Schritten auf das Fenster zutretend, als wollte sie sich seiner Aufmerksamkeit vergewissern. Das Licht hinter ihm zeichnete ihn. Ihre Hand, welche sie an den Gürtel legte, zog am Obi. Der Kimono teilte sich und sie streifte ihn ab, während sie sich umdrehend zum Tisch trat. Es waren die gleichen Handlungen wie am vorgehenden Abend, die sie vollzog. Nur einzelne Bewegungen schienen noch ausführlicher. Auch war ihm, als ob sie mehr Zeit aufwandte, die Körperpflege und die Übungen noch behutsamer vornahm. Zum Schluss stand sie dem Fenster zugewandt, eine leichte Verneigung vornehmend. Tadashi verbeugte sich auch.

Als sie ihr Licht löschte, blieb er stehen, sich der Bilder erinnernd. Im Fenster gegenüber erhellte eine kleine Flamme für einen Augenblick das Gesicht der Frau, dann war ein rot glimmernder Punkt zu sehen. Er zündete auch eine Zigarette an, die Erste an diesem Abend. Wie miteinander kommunizierend erhellten sich zeitweilig die beiden roten Punkte in der Dunkelheit.

Tadashi war zum Einkauf in einem Lebensmittelgeschäft, als er unvermittelt der Frau von gegenüber begegnete. Sie stand plötzlich im gleichen Regalgang, ihre Blicke kreuzten sich. Sie wirkte unauffällig, hübsch, vielleicht wäre sie ihm nicht aufgefallen, wenn er sie in letzter Zeit nicht intensiv betrachtet hätte. Doch je länger der Moment dauerte, nahm er ihr Gesicht, ihre geschwungenen Lippen, als vollendete Anmut wahr.

Michiko erblickte den jungen Mann, seine körperliche Spannkraft war ihr vertraut. In seiner Alltagskleidung hob er sich von andern jungen Männern kaum ab, doch zeichnete ein reifer Zug sein Gesicht. Den Blick seiner mandelförmigen Augen, der einen langen Moment dem ihren begegnete, nahm sie als angenehm wahr.

Der Abstand zwischen ihnen verringerte sich, beide in den Regalen wählend. Als sie auf gleicher Höhe waren, verneigten sie sich höflich einander gegenüber, wie Bekannte die sich nicht namentlich kennen, und gingen weiter. Ihre Gesichter waren dabei von ausdrucksloser Freundlichkeit.

Tadashi setzte seine Betrachtung am Abend wieder fort, Michiko ihre am nächsten Morgen, in den Bewegungsausführungen sich einander sachte annähernd.

 

Hallo Anakreon,

deine Geschichte habe ich gern gelesen. Der ruhige Erzählton gefiel mir und ist passend in Bezug auf die anmutenden, erotischen Bewegungen in den Übungen deiner beiden Protagonisten.
Einerseits fühlen sie sich von dem jeweils anderen angezogen und warten schon voller Vorfreude und Sehnsucht auf den nächsten Tag, das rituelle Abspiel zu verfolgen.

Anderseits kommt eine gewisse Sachlichkeit in ihrem Handeln zu tragen, nämlich dann, wenn sie sich im „wirklichen“ Leben begegnen. Die Kommunikation definiert sich über die Bewegungsabläufe ihrer Übungen, nicht über das Verbale. Als Europäer hätten sie sich vermutlich zu einer Tasse Kaffee verabredet.

Das ist vielleicht so typisch für die einige asiatische Völker, Emotionen, zumindest nach außen hin, meiner Einschätzung nach, eher nüchterner vorzugeben, eben „nur“ mit einer Verneigung, so hab ich es dort zumindest kennen gelernt. Falls du das so ausdrücken wolltest, dann passt das für mich ganz gut.

Freygut

 

Hallo Freygut

Es freut mich, dass die Geschichte bei Dir gut angekommen ist. Du hast sie sinngemäss so interpretiert, wie man sie verstehen darf.

Ich war mir nicht sicher, ob die Darstellung der japanischen Mentalität auch Verständnis und Resonanz findet, doch schien mir die Ansiedlung dieser kleinen Geschichte in diesen Kulturraum angezeigt.

Bei Tadashi liess ich mich ein wenig von der Person des japanischen Schriftstellers Yukio Mishima inspirieren, nicht wie er wirklich war, sondern wie er möglicherweise hätte sein können. Für Michiko versuchte ich mich an die Federstriche des Frauenbildes bei Yasunari Kawabata zu erinnern, ihre Art nur sachte anzeigend.

Gruss

Anakreon

 
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Grüß Dich, Anakreon,

ich weiß zu wenig über Japan - sehn wir mal von ab, dass ich mir einige Spielfilme reingezogen hab (vor allem Kurosawa, die dann ja auch noch idR in andern Jahrhunderten spielen , sehn wir hier wiederum von Rashomon ab, das ja eher mythisch und somit auf die Ewigkeit oder doch verdammt lange Zeit abzielt, und Ran, das ja den Lear in andere kulturelle Bezüge transportiert), so kann ich mich glücklich Freygut anschließen, wobei ich#s als Kammerspiel anseh - mag zwischen dem Personal auch Abstand gewahrt bleiben (räumlich: Straße, persönlich: Distanz). Zudem seh ich schon fast eine Komposition aus den Bausteinen A (er wird gesehn) B (sie wird gesehn) C = A + B usw. Da muss ich aber nachher zuhaus noch mal nachschaun. Kurz: den Text >könnte ein Beobachter auch als ein Ritual, eine Ehrerbietung an die aufgehende Sonne, deuten<, die aufgehende Sonne als Nippon verstanden.

Kleinigkeiten, die mir bei der ersten Durchsicht so auffallen:

>Ihre Hände glitten behutsam dem Oberschenkel entlang<, den

>… nahm sie das Spiel seiner Sehnen und Muskeln über das Gesäss wahr<, über dem … oder kürzer: überm

>Längere Zeit stand er da, die Arme verschränkt, ohne dass sich Gegenüber etwas regte.< gegenüber

Gegenüber wird häufig genannt und könnte darum auch symbolhaft für diesen nahezu ritualisierten Text stehen im Gegensatz zum neben- bzw. miteinander. Aber dazu weiß ich zu wenig übern japanischen Knigge.

Am Rande: >Fussspitze< zeigt eigentlich, warum auch in der Schweiß das durchaus schöne ß eingeführt werden müsste!" So geht's bei Kompromissen zu.

Gruß

Friedel

 

Hallo Anakreon,

Mir hat dein Text auch gefallen. Ich finde es schön, wie du die Sinnlichkeit in der Annäherung der beiden rüberbringst. Selten, dass man hier so etwas ohne viel Sex und Action liest.

Meiner Meinung nach hättest du vielleicht eine Runde in diesem Pingpong-Spiel noch streichen können, um es zu intensivieren und noch minimalistischer (in der Handlung) zu machen. Der Text lebt ja vom Wenigen.

Die behutsamen Bewegungen, welche seinen Körper und Geist für den Tag stärken sollen, könnte ein Beobachter auch als ein Ritual, eine Ehrerbietung an die aufgehende Sonne, deuten.
Das fand ich dann ein bisschen zu dick aufgetragen für den Anfang. Das mit der Ehrerbietung auf die aufgehende Sonne, das hättest du dem Leser bestimmt auch ein bisschen weniger direkt mitteilen können. Wäre schön, wenn es der Leser selbst, der ja dann Beobachter wird, es deuten könnte.

Ein erster Stern machte sich reflektierend am Abendhimmel bemerkbar, die Venus. Tadashi mochte diese Stimmung vor der hereinbrechenden Nacht.
Dass es die Venus ist, müsstest du nicht erklären, das nimmt dem Bild die Stärke. Und ja, das Licht von der Venus ist reflektiertes Licht, aber mir scheint das hier ein bisschen zu sehr gewollt, weil ja dann auch streng genommen die Venus eigentlich ein Planet und kein Stern ist ...

Mit Bedauern sah er, wie sie die Sachen auf dem Tisch zusammenpackte, beim Hinausgehen das Licht im Raum löschend.

Ansonsten kriegt dein Text ein "gerne gelesen" von mir.

Liebe Grüsse,
sirwen

 

Hallo Friedel

Ich freue mich, dass Du Dich in der Einschätzung der kleinen Geschichte Freygut anschliessen kannst, trotz des Fremden, das sie enthält.

Kurosawa drehte übrigens 1970 den sehr stillen Film Dodes’ka-den, der, wenn ich mich recht erinnere, mit äusserst spärlichem Dialog auskam. Allerdings stiess dieser Film beim Publikum und Kritikern auf ungewohnt heftige Ablehnung, was als Ursache der existenziellen Krise angesehen wird, die Kurosawa ein Jahr später einen Suizidversuch unternehmen liess. Nach Fertigstellung der kleinen Geschichte erinnerte ich mich an diesen Film, da er eine ähnlich stille Atmosphäre bildete und ebenso im Japan der Gegenwart spielte.

Ja die Geschichte, wäre sie bühnenreif, könnte nur als Kammerspiel daherkommen, um das Knappe und Distanzierte auszudrücken. Das Ritual als symbolischer Hinweis auf Nippon hast Du treffend gedeutet. Ich brachte nebst den Namen ein paar Brosamen ein, damit die Kultur auch zugeordnet werden kann. Die Japaner sind ein Volk, bei denen extreme Modernität sich noch mit Tradition verbindet, erst die aktuelle Generation der Jugend geht zur alten Kultur auf Distanz. Kurosawa war diesbezüglich ein Vorreiter des Westlichen, auch wenn viele seiner Filme von der Bushido-Tradition (Samurai) handelten.

Ich meinte schon, diesmal alle Klippen der Textkritik umschiffen zu können, doch muss ich eingestehen, Du hast mich auch diesmal wieder erwischt. Das Gegenüber wäre ja nett als symbolische Form, doch auch der japanische Knigge sieht es m. W. in diesem Bezug nicht vor. In Japan müsste ich jetzt wohl den Kopf senken, doch ich ziehe es vor, ihn einzuziehen und mich ganz still an die Korrektur zu machen.

Danke für Deine kritische Auseinandersetzung.

Gruss

Anakreon

Hallo sirwen

Dank auch Dir für Deine positive Einschätzung und die kritischen Anmerkungen.

Es gibt den spielerischen Ehrgeiz, Kurzgeschichten in knappster Ausgestaltung darzubieten, doch diesbezüglich bin ich nicht unbedingt ein Freund des Minimalismus, da der Text allzuleicht zu einer Sequenz wird und sich im Sinngehalt als Geschichte verwirkt.

Der einleitende Satz mit der aufgehenden Sonne, scheint mir wichtig um den Leser erahnen zu lassen, in welchem Kulturraum sich die Handlung vollzieht. Einer der Brosamen, die ich Friedel gegenüber erwähnte. Natürlich ist es etwas pathetisch formuliert, doch dies ist auch ein Aspekt japanischer Kultur.

Du hast recht, die Venus ist astronomisch ein Planet, beinah so gross wie die Erde. Im Volksmund bezeichnet man ihn jedoch auch als Abendstern sowie auch als Morgenstern. Die Erwähnung des Namens ist aber überflüssig, da stimme ich Dir zu. So, die Venus ist gelöscht, ohne Bedauern, da es ja nicht jene von Sandro Botticelli ist.

Ich hoffe, dieser Kompromiss mindert nicht Deine Lesefreude daran.

Gruss

Anakreon

 

Kopf hoch!,

Anakreon,

da bricht in diese formalisierte Welt mE im Prinzip mit dem (europäisch) benannten Sternenhimmel die Globalisierung ein, da ist sie wieder weg - wenn das mal so einfach wäre:

>Ein erster Stern machte sich reflektierend am Abendhimmel bemerkbar, die Venus< (ich seh's doch noch!), die vordem von den Alten mit zwo Namen belegt war: Hesperos (Hesperiden hieß das Land gegen Abend, also von Nippon aus wir Schlafmützen) und Phosphoros hieß der Lichtträger am Morgen.

Der ist aber auf welch wundersame Weise auch immer zu Luzifer, dem Lichtbringer geworden. Somit könnte der Abendstern eine Mahnung sein an den künftgen HausDrachen, wenigstens zur Sphinx und allemal selbst in der liebsten Person.

So viel oder so wenig für heute.

Gruß

Friedel

Dann doch noch einen Hinweis: >Mit bedauern sah er, …< Entweder Bedauern (siehe Sirwen) mit Großbuchstaben oder’s "mit" weg und bedauern + d (kleine ironische Bemerkung zum Schluss: was Dir sicherlich nicht schwer fällt).

 

hallo Anakreon,
eindrucksvolle Geschichte, verhalten die Kraft sammelnd...von Fenster zu Fenster ein bißchen wie in deutschen Altstadtvierteln, aber die Interaktion deutlich anders. Könnte tatsächlich japanisch sein, für einen Japannichtkenner wie mich, der durch Doris Dörries "Kirschblüten" seine ersten Lektionen in asiatischer Kultur empfangen hat.

Wie so oft hier im Forum, plädiere ich für einen unmittelbaren Einstieg, anstelle von
Wie jeden Morgen absolvierte Tadashi auf dem Balkon seine Übungen.
besser:
Langsam hoben sich Tadashis Arme, seine Beine spreizten sich, und die behutsam fliessenden Bewegungen setzten ein. Sein schlanker Körper wirkte geschmeidig, die absolvierenden Figuren von eleganter Natürlichkeit oder ähnlich, ich wollte nicht selbst formulieren.

und am Schluß anstelle von:
Tadashi setzte seine Betrachtung am Abend wieder fort, Michiko ihre am nächsten Morgen, in den Bewegungsausführungen sich einander sachte annähernd.
besser:
Am Abend setzte Tadashi seine Betrachtung fort.

Also: rein in die Geschichte, raus aus der Geschichte, nicht so lange einführen und am Schluß noch erzählen, wie die Reise weiter geht. Das weiß man doch eh schon.

Gern gelesen,

Gruß Set

 
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Hallo Friedel

Etwas früher als in andern Nächten, allein die Zeit sei mein Zeuge, studierte ich nochmals das Manuskript. Uppsss dachte ich, es war nicht meine Absicht sirwen zu brüskieren. Doch im Manuskript ists richtig. Wie hab ich das nur fertiggebracht, es einseitig zu kaschieren? Da war ich wohl schon von einem orpheus’schen Schlaf ergriffen. Doch nun sollte es Bestand haben, dass mir ja nicht ein Hacker spasseshalber mit dem elektronischen Radiergummi daran geht. Doch auch in der Version auf KG.de blinkt mir das korrigierte Bedauern entgegen. Oder ist es doch ein Hacker, der mit mir ein Verwirrspiel treibt?

Gruss

Anakreon

Hallo Set

Danke Dir fürs Prädikat gern gelesen und auch Deine kritischen Überlegungen. Deine Einwände bewogen mich, die Geschichte erneut durchzulesen und die Textform auf mich wirken zu lassen.

An Kirschblüten kann ich mich in einzelnen Bildern noch erinnern. Die kleine Gästeunterkunft gegenüber dem Fuss des Fujiyama zeigte zwar ein etwas klischeehaftes Japanbild, doch die Geschichte an sich fand ich schön.

Ich kann Deine Sichtweise verstehen, wenn Du in meiner Geschichte die deutschen Altstadtviertel darin zu erkennen vermeinst. Vor meinen Augen liess diese Assoziation etwa die Riegelbauten in Tübingen auferstehen, oder das kleinste Haus in Wernigerode. Aber eigentlich müsste die Geschichte dann eher fast bayerisch daherkommen, mit Fensterln und so.

Den direkten Ein- und Ausstieg, für den Du plädierst, ist sicher für manch eine Geschichte naheliegend, doch als Muss vorgetragen zu sehr schablonenhaft. Es gehört zweifellos zu den möglichen Formen, wie es auch doziert wird, aber es ist abhängig vom Bild, das sich dem Leser erschliessen soll. Nach reiflicher Überlegung belasse ich es so, wie es ist, da es diesen Pinselhauch des Erklärenden bedarf, um nicht ins Seichte abzudriften. Es ist so, wie wenn man z. B. arabische Musik hört, sie ist einem fremd und doch wird sie vertraut, wenn man sich auf sie einlässt. Ich hoffe Du kannst dies verstehen.

Gruss

Anakreon

 

Hey Anakreon,

Lass den Text auf alle Fälle so, wie du selber damit zufrieden bist (solange du nachvollziehbare Gründe hast ;) ).

Der einleitende Satz mit der aufgehenden Sonne, scheint mir wichtig um den Leser erahnen zu lassen, in welchem Kulturraum sich die Handlung vollzieht.
Das lässt auch schon der Titel erahnen, aber wenn du auf Nummer sicher gehen willst.

Natürlich ist es etwas pathetisch formuliert, doch dies ist auch ein Aspekt japanischer Kultur.
Hmm, ich glaube, das verstehen die Europäer meistens falsch (ich habe jetzt nur Chinesisch als Referenz, aber ich denke, im Japanischen wird es wohl ähnlich sein). Die Sprache mag in Übersetzungen blumig wirken, besonders im Deutschen, aber wenn man es sich im Original anhört, ist es etwas Natürliches. Es will nicht pathetisch wirken, sondern es geht um die Poesie, die sich in dieser Sprache anders entfalten kann. Schon nur durch die Silbenhaftigkeit der Worte ergibt sich ein völlig anderer Sprachrhythmus ... na ja, das hat vielleicht jetzt nicht direkt mit deiner Geschichte zu tun, aber ich wollte es Mal loswerden. Ich glaube, es funktioniert einfach nicht, wenn man mit der deutschen Sprache diese Form von Poesie nachahmen will. Schon allein Übersetzungen klingen manchmal ungewollt amüsant ...

Liebe Grüsse,
sirwen

 

Hallo sirwen

Nur kurz zu Deinen Anmerkungen, da Du etwas missverstehst. Das Pathetische bezieht sich keineswegs auf die Sprache, sondern auf die Gesellschaftsnormen und die Verhaltensweisen. Auch was Du über die Sprache erwähnst, erscheint mir so zu wenig differenziert. Ein altes Kōan in deutscher Übersetzung tönt auch für Europäer i. d. R. schön, aber erst wenn man den philosophischen Gehalt der sich dahinter verbirgt erfassen kann, wird es an sich sinnbestimmt, sonst ist es nur poetisch. Moderne japanische Literatur gibt es übrigens in einwandfrei verständlicher deutscher Übersetzung viele, ebenso wie aus anderen Kulturen, z. B. Amerikanische etc. Wie der Leser mit kulturellen Spezifikationen umgeht, ist eine andere Sache. Beispielweise wäre Robert Aghion nie geschrieben worden, hätte Hermann Hesse sich nicht getraut, sich in die indische Kultur hineinzudenken. Das Prinzip ist an sich gleich, wie wenn man ein anderes Thema wählt. Man sollte immer wissen, wovon man schreibt und es muss in den Angaben stimmig sein.

Gruss

Anakreon

 
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Hallo Anakreon,

sollen, könnte ein Beobachter auch als ein Ritual, eine Ehrerbietung an die aufgehende Sonne, deuten.
ich finde den EInstiegssatz unelegant.
sollen und können so dicht beeinander, das bvremst aus. Braucht es denn das sollen?
weshalb Ritual und Ehrerbietung? Das Doppelte bremst auch doppelt aus. EIn Bild wird nicht unbedingt stärker durch mehr Beschreibung.

Sie war durch die Bewegungen seiner Arme aufmerksam geworden, welche im Zeitlupentempo zu schweben schienen
hier hast du schon wieder welche. Bereits im Absatz zuvor benutzt, wirkt es schon hier etwas ungeschliffen

Es waren sehr graziöse Bewegungen, die etwas Tänzerisches aufwiesen, durch die Langsamkeit aber die Wahrnehmung für jedes der Körperteile, die eingesetzt wurden, noch intensivierte. Obwohl ihr Zeitgefühl sie mahnte, sich zu beeilen, um rechtzeitig wegzukommen, vermochte sie den Blick nicht abzuwenden.
boah, dieser Absatz ist so verhackstückelt, dass das Geschmeidige, was du eigentlich transportieren möchtest, sehr darunter leidet. Inhalt und Stil beißen sich hier

Das Schauspiel des sich der aufgehenden Sonne entgegenreckenden sehnigen Körpers wiederholte sich in den folgenden Tagen mit präziser Pünktlichkeit. Auch ein Regentag schreckte ihn nicht ab. Die vom Wind getragenen Regentropfen perlten seiner Haut entlang, während er durch Konzentration geübt unberührbar Gleichmut zeigte.
das ist zu redundant.

Die Stoffhosen klebten zeichnend an seinem Körper und liessen so die Bewegungen bis in die Beine mitverfolgen.
#
hatz er mehrere Hosen an?
das zeichnend ist zu viel. WIe im zuvor bemängelten Absatz machst du deine Bilder mit unnötigen Füllsel kaputt

Sie kleidete sich nun jeweils vor dem Fenster an, während sie sich der Morgenbetrachtung hingab, den übrigen Ablauf bis zum Weggang auf dieses Ereignis koordiniert.
der Satz verdreht einem die Hirnwindungen ;)

Insgesamt finde ich den Text sehr umständlich formuliert. Das geht für mich durch den gesamten Text. Die Idee dahinter finde ich eigentlich sehr schön. Aber dein Stil bremst das aus und erzielt das Gegenteil. Einmal mehr gilt hier die Van-der-Rohsche-Devise Weniger ist mehr.

IN meinen Augen muss hier noch einmal ordentlich durch den Text gegangen werden, um ihn auszudünnen, ihn klarer zu machen.

grüßlichst
weltenläufer

 
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Hallo weltenläufer

Danke für Deine objektive Kritik und die klaren Hinweise. Angst vor splitterndem Glas verhinderte, dass ich in die Schreibtischplatte biss, als ich diese argen Schnitzer wahrnahm. Meine Konzentration war wohl beim wochenlang korrigierenden lesen und ändern einer Textblindheit unterlegen, vereinnahmt durch erzählendes Hineindenken. :confused:

Auf dem Manuskript begann ich, den Rotstift bereits gnadenlos einzusetzen. Die Regeneration muss ich jedoch noch etwas setzen lassen und überdenken, damit die Geschichte in ihrem Sinn gewinnt. Sobald ich mit mir da im Reinen bin, werde ich sie neu aufschalten.

Gruss

Anakreon

 
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Hallo Anakreon

Ich hatte Schwierigkeiten in den Text zu kommen und dachte, dass anders gesagt werden könnte, was du sagst: knapper, schicker. Nach ein, zwei Absätzen aber kam ich rein und fand dann schon, dass der Stil an den meisten Stellen fein mit dem Inhalt harmoniert.

Thematisch ist der Text eine herrliche Abwechslung zu den üblichen Geschichten hier und auch zu denen, die ich selbst mittlerweile lese. Von Kawabate erinnere ich vor allem seine zarten Naturbeschreibungen, die habe ich nirgendwo schöner gelesen. Mishimas Geständnis einer Maske steht bei mir im Regal - es ist jetzt schon ein paar Jahre her, aber ich glaube dein disziplinierter Tadashi passt in das Bild, das ich mir von diesem höchst eigenwilligen Schriftsteller gemacht habe. Zu seiner konsequenten Selbsterforschung und gleichzeitiger -entblößung, die in diesem aufsehenerregenden Suizid endete. Kawabata hat sich ja auch das Leben genommen - tragischerweise in so einem billigen Motel, das auf amerikanisch gemacht war, wenn ich richtig erinnere.

Die ritualisierte, erotische und vorsichtige Annäherung beider Protagonisten ist ein tolles Gedankenspiel - die nehme ich dir die ganze Zeit ab, Tadashi und Michiko sind meistens völlig bei sich, aber trotzdem für den anderen da.

Die Stoffhose klebte an seinem Körper und liessen so die Bewegungen bis in die Beine mitverfolgen.

Ich denke hier müsste wegen des Bezugs liess stehen.

versetzte Tadashi sich in die Empfindung der Hautberührung.

Klasse Idee. So ein Mitempfinden geht doch bei uns im Rauschen verloren, also wenn Westler sowas mal konnten, können sies nicht mehr.

die absolvierenden Figuren von eleganter Natürlichkeit.

absolvierten

Ein Anblick, der ihr Entzücken bereitete.

Die Behauptung hat mich richtig aufgeschreckt! Ist Entzücken hier nicht zuviel gesagt? Ein geringerer Ausschlag auf der Gefühlsskala passte mE hier eher.

Ihre Schritte auf das Fenster zu waren ihm, als würde sie auf ihn zutreten, sich seiner Aufmerksamkeit vergewissernd.

Zweimal zu und das Partizip - da stockte mir der Lesefluss.

Grüße
Kubus

 

Hallo Kubus

Für Deine Hinweise, die ich alle übernahm respektive die Passagen überarbeitete, danke ich dir. Beim Entzücken war meine Inspiration wohl in die Zeit europäischer Romantik verirrt. :confused:

Dass die Geschichte deinen Gefallen fand und du an den meisten Stellen eine Harmonie zwischen Stil und Inhalt orten konntest, freut mich sehr. Es war wohl schon etwas verwegen, einen literarischen Text annähernd im Stil einer anderen Kultur zu verfassen. An sich würde ich mir selbst davon abraten, doch der Reiz dazu hatte mich da voll im Griff. :sealed:

Ja, Kawabata nahm sich auch das Leben. Im bewussten Hotel, in dem er dies tat, hatte er sein Arbeitsstudio. Doch mit seiner Arbeit als Schriftsteller schien es nicht zusammenzuhängen, sein Motiv wurde allerdings nie bekannt. Möglicherweise Altersbeschwerden.

Danke für dein Feedback. :)

Gruss

Anakreon

 

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