Verrat eines Kameraden
Verrat eines Kameraden
Er kannte sie nur zu gut, die schreckliche Fratze des Todes. Er hatte sie schon so oft gesehen, war dem Sensenmann bei so vielen Gelegenheiten begegnet, aber noch nie hatte er seinen Atem so im Nacken gespürt wie jetzt.
Damals in Verdun hatte er einen ständig begleitet.
Dort war die Welt wenigstens noch ehrlich gewesen. Dort gab es keine Lügen. Der Krieg war der menschlichste, der natürlichste Zustand, den es gab. Dort wurden keine Intrigen gesponnen, man wurde nie betrogen, man mußte sich nie verstellen, nie Sympathie heucheln für Leute, die man haßte - wobei ihm letzteres allein noch lieber war als in dieser Republik zu leben, wo man nie wußte, wer der Feind war.
Er spürte kaltes Metall an seiner Schläfe.
Damals hätte er den Lauf weggeschlagen, sich zur Seite geworfen, dabei sein Feldmesser gezückt und dem verfluchten Franzmann die Qualität deutschen Kruppstahls demonstriert.
Doch jetzt hatte er weder ein Feldmesser in der Scheide am Oberschenkel stecken, noch war es ein Franzos, der ihm sein Gewehr an den Schädel hielt...
Zwar hatte der Genosse in Schwarz ihn immer begleitet, doch seine Sense hatte stets im Interesse des Soldaten gehandelt, auch wenn sie hier und da gegen einen Kameraden geschwungen worden war, oder beim Ausholen zum Schlag gegen einen Tommy einen Deutschen niedergestreckt hatte - es war eng gewesen, im Getümmel von Verdun.
Damals war er vorgestürmt, hatte sich in den Matsch geworfen und auf einen Feind angelegt. Den Rest hatte der Knochenmann erledigt; sie hatten sich angegrinst und dann war es weitergegangen.
Jetzt stand er wieder hinter ihm, die frisch geschärfte Sense in der Hand, bereit für den Streich.
Er wollte diese Visage nicht sehen, dieses knochenharte Grinsen unter den leeren Augenhöhlen. Daß er es ihm nicht zeigte war vielleicht so etwas wie ein Freundschaftsbeweis. Das wäre nur fair, so lange wie sie zusammengearbeitet hatten.
Und doch wandte er sich jetzt gegen ihn. Daß es irgendwann dazu kommen mußte war klar gewesen, aber er hätte gern noch etwas mehr Zeit gehabt. Und warum mußte es ausgerechnet einer von der USPD sein, einer von diesen Vaterlandsverrätern, die Schuld an der Niederlage waren?
Er spürte Hitze an seiner Schläfe und hörte das Schwirren der Sense, noch bevor der Knall des Pistolenschusses sein Ohr erreichte.
Und während er zu Boden stürzte sah er das Grinsen seines Kameraden, der ihm die Hand reichte um ihm aufzuhelfen. Er ergriff sie und gemeinsam verließen sie diesen Ort, seinen Körper auf dem Parkettboden seines Wohnzimmers zurücklassend.