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Verrat eines Kameraden

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31.05.2004
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Verrat eines Kameraden

Verrat eines Kameraden

Er kannte sie nur zu gut, die schreckliche Fratze des Todes. Er hatte sie schon so oft gesehen, war dem Sensenmann bei so vielen Gelegenheiten begegnet, aber noch nie hatte er seinen Atem so im Nacken gespürt wie jetzt.
Damals in Verdun hatte er einen ständig begleitet.
Dort war die Welt wenigstens noch ehrlich gewesen. Dort gab es keine Lügen. Der Krieg war der menschlichste, der natürlichste Zustand, den es gab. Dort wurden keine Intrigen gesponnen, man wurde nie betrogen, man mußte sich nie verstellen, nie Sympathie heucheln für Leute, die man haßte - wobei ihm letzteres allein noch lieber war als in dieser Republik zu leben, wo man nie wußte, wer der Feind war.
Er spürte kaltes Metall an seiner Schläfe.
Damals hätte er den Lauf weggeschlagen, sich zur Seite geworfen, dabei sein Feldmesser gezückt und dem verfluchten Franzmann die Qualität deutschen Kruppstahls demonstriert.
Doch jetzt hatte er weder ein Feldmesser in der Scheide am Oberschenkel stecken, noch war es ein Franzos, der ihm sein Gewehr an den Schädel hielt...
Zwar hatte der Genosse in Schwarz ihn immer begleitet, doch seine Sense hatte stets im Interesse des Soldaten gehandelt, auch wenn sie hier und da gegen einen Kameraden geschwungen worden war, oder beim Ausholen zum Schlag gegen einen Tommy einen Deutschen niedergestreckt hatte - es war eng gewesen, im Getümmel von Verdun.
Damals war er vorgestürmt, hatte sich in den Matsch geworfen und auf einen Feind angelegt. Den Rest hatte der Knochenmann erledigt; sie hatten sich angegrinst und dann war es weitergegangen.
Jetzt stand er wieder hinter ihm, die frisch geschärfte Sense in der Hand, bereit für den Streich.
Er wollte diese Visage nicht sehen, dieses knochenharte Grinsen unter den leeren Augenhöhlen. Daß er es ihm nicht zeigte war vielleicht so etwas wie ein Freundschaftsbeweis. Das wäre nur fair, so lange wie sie zusammengearbeitet hatten.
Und doch wandte er sich jetzt gegen ihn. Daß es irgendwann dazu kommen mußte war klar gewesen, aber er hätte gern noch etwas mehr Zeit gehabt. Und warum mußte es ausgerechnet einer von der USPD sein, einer von diesen Vaterlandsverrätern, die Schuld an der Niederlage waren?
Er spürte Hitze an seiner Schläfe und hörte das Schwirren der Sense, noch bevor der Knall des Pistolenschusses sein Ohr erreichte.
Und während er zu Boden stürzte sah er das Grinsen seines Kameraden, der ihm die Hand reichte um ihm aufzuhelfen. Er ergriff sie und gemeinsam verließen sie diesen Ort, seinen Körper auf dem Parkettboden seines Wohnzimmers zurücklassend.

 

Hallo!


Warum die USPD?
Wie du schon gesagt hast, ich spiele auf die Dolchstoßlegende an. Die Weimarer Republik wurde von linken wie Phillip Scheidemann gegründet, in erster Linie von der SPD. Von denen hat sich dann die noch linkere USPD abgespalten. Und die rechten, die im Krieg für ihr Vaterland gekämpft haben, haben das als Dolchstoß in den Rücken empfunden. Sie kämpften für das Kaiserreich, während diese Linken es in der Heimat zerstörten. Man schob deshalb ihnen die Schuld an der Niederlage zu.
Du hast schon richtig erkannt, dass der Protagonist konservativ und nationalistisch ist, und deshalb in Gruppierungen wie die Deutsch-Nationale Volkspartei gehört.
Eben das ist der Grund für die Hinrichtung. Sie erfolgt nicht offiziell, mit Gerichtsurteil, etc.
Deshalb geschiet es auch im Wohnzimmer des Protagonisten (siehe Ende der Geschichte). Es handelt sich einfach um einen der vielen politischen Morde, die zur Zeit der Weimarer Republik an der Tagesordnung waren.
Der Prot sieht sich selbst als Vaterlandsverteidiger, ich will ihn aber nicht so hinstellen. Ich tendiere eher zudem "traumatisierten Typen". Dass er den Tod leibhaftig sieht ist ja wohl eigentlich ein Anzeichen für Wahnvorstellungen, oder zumindest dafür, dass der Krieg ihn verändert hat.
Mit dem Kameraden meine ich den Tod. Er war in Verdun stets an der Seite des Prots, hat ihn verschont, aber die Feinde auf die er gezielt hat nicht. Er war sein Kamerad, denn er hat im Wesentlichen "stets im Interesse des Soldaten gehandelt", wobei mit dem Soldaten der Prot gemeint ist. Dadurch dass der Tod jetzt ihn umbringt hat er ihn verraten, der Prot wurde also von seinem Kameraden verraten. Daher der Titel.

Ideologiche Ziele hatte ich keine, deren ich mir bewusst wäre. Ich wollte einfach einen der politischen Morde ausgestalten, aus der Perspektive eines verdungeschädigten Opfers, das wegen seiner nationalistischen Ansichten Linksradikalen zum Opfer fällt. Und ich wollte dem Tod mal eine etwas andere Persönlichkeit geben.

Hoffe, ich konnte Klarheit bringen.


Gruß,
NR

 
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Hallo!

Die Psychose will ich eigentlich nicht explizit als solche darstellen, da das der Geschichte das Mysteriöse (von dem ich hoffe, dass es da ist) nehmen würde. Der Tod könnte schließlich wirklich in dieser Form zugegen sein, und der Veteran kann ihn sehen, weil er schon so viel mit ihm zu tun hatte. Oder er könnte einfach nen Schaden und Wahnvorstellungen haben, ja. Die Entscheidung will ich jedem Leser für sich selbst überlassen.
Mit den historischen Kenntnissen gebe ich dir Recht, nicht jeder wird erkenen, worum es geht. Aber ich will auch keinen Geschichtsunterricht als Einleitung bringen. Ich habe diese Geschichte vor zwei Jahren geschrieben, als ich noch in der Schule war. Damals haben wir in unserem Geschichtskurs gerade die Weimarer Republik behandelt, ich hatte danach eine Freistunde und Lust etwas zu schreiben. Das Ergebnis war diese Geschichte, hingekritzelt auf die Rückseite eines Mathematik-Arbeitsblattes. Zu dem Zeitpunkt war mir der historische Kontext einfach sehr präsent, und bei meinen Mitschülern und Freunden, die die Geschichte gelesen haben, ebenfalls. Sie entstand aus der Situation heraus. Mag sein, dass das den potentiell verständigen Leserkreis einschränkt, aber ich möchte, wie gesagt, eigentlich keine Erläuterungen an den Anfang packen.
Ein Motiv für den Mord braucht man eigentlich nicht. Er ist Nationalist, wird von Linksradikalen ermordet. Den Rest kann sich jeder selbst ausmalen. Vielleicht war er ein führendes Parteimitglied, etwa in der DNVP, und wurde von der rivalisierenden Partei ausgeschaltet. Mehr war damals als Motiv nicht nötig.

Gruß,
Norman

 

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