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Versteck im Wald
Sie hörte das Einrasten des Türschlosses und augenblicklich rannen die Tränen schneller ihre Wangen entlang. Sie presste ihren Teddybär noch fester an sich und ihr kleiner Körper zitterte. Sie wusste was jetzt kam. Er würde sie „besuchen“, er besuchte sie oft.
Sie kannte kein Wort für das, was er dann mit ihr tat, aber sie wusste sicher, dass sie sich schlecht fühlte, wenn er es tat.
Ihrer Mama durfte sie nichts sagen, sonst würde Mama sie in ein Heim schicken, er sagte ihr das immer wieder.
Ihre Zimmertür öffnete sich leise und sie sah den großen Schatten in dem Lichtschein, der vom Flur nun in ihr Zimmer fiel.
Sie musste würgen, aber das durfte sie nicht, dann würde er sie schlagen.
„Na, meine Kleine, schläfst du schon?“ Sie rollte sich immer weiter zusammen, in der Hoffnung für ihn unsichtbar zu werden. Doch dann spürte sie schon, wie seine Hand unter ihre Decke griff.
Vögel zwitscherten, sie hörte das Lachen von Lilly, Florian und den anderen, so hatte sie sie genannt, wie die Kinder im Kindergarten.
Sie war jetzt wieder an ihrem Versteck im Wald, lachend rannte sie auf die anderen zu, ihren Teddy fest in der Hand haltend.
Immer kam sie hierhin, wenn er bei ihr war. Hier konnte sie sich verstecken, hier war sie vor ihm sicher. Hier durfte sie spielen, lachen und all ihre Freunde waren hier. Hier war sie frei.
Aber niemand durfte von diesem Ort wissen, denn die Kindergärtnerin hatte mit ihren Eltern gesprochen, als sie ihr von diesem Ort erzählt hatte, und das hatte Ärger zuhause gegeben.
Nie wieder erwähnte sie ihr Versteck.
Am nächsten morgen wurde sie früh wach, ängstlich stellte sie fest, dass sie nicht mehr in ihrem Versteck, sondern wieder in ihrem Zimmer war. Alle schliefen noch, die Sonne ging grade über den Häuserdächern auf. Leise öffnete sie die Tür, sie hörte ihn Schnarchen und fasste einen Entschluss, sie würde zu ihrem Versteck laufen. Es war ja ein Wald, und ganz hier in der Nähe war ein großer Wald, dass wusste sie.
Leise öffnete sie die Haustür, den Teddy fest in der Hand. Niemals mehr sollte er sie nachts besuchen kommen. Sie lief los, auf den Strassen war noch nicht viel Betrieb, so fiel niemandem das kleine 5 jährige Mädchen auf, das im Schlafanzug, mit einem Teddy in der Hand durch die Stadt lief.
Wielange sie schon gelaufen war, das wusste sie nicht, aber sie hatte den Wald erreicht, es war warm, sie hatte durst und war müde, aber das machte ihr nichts, denn sie wollte zu ihrem Versteck, zu all ihren Freunden. Nach weiteren Stunden des rumirren hörte sie endlich das Lachen und Rufen von Florian. Sie lachte und spielte mit ihren Freunden. Sie war frei.
Man fand sie drei Tage später. Sie lag zusammengerollt unter einem Baum, im Wald nahe der Hauptstrasse. Ein Lächeln umspielte ihre blassen Lippen, ihren Teddy festumklammert, konnte man nur noch ihren tot feststellen. Sie war frei.