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Villa Ziffernblatt

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01.01.2015
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Villa Ziffernblatt

Lächelnd öffnet Theodor Ziffernblatt das schmiedeeiserne Gartentor der Villa. Er lauscht auf das Quietschen, das nicht zum goldenen Oktoberwetter und schon gar nicht zu seiner fantastischen Laune passen will. Wo gestern noch ein Sturm finstere Wolken über den Himmel und auch durch sein Leben trieb, lässt heute die tiefstehende Sonne Onkel Baltasars Villa einladend leuchten. Vor einer Stunde hat der Notar Theodor ein dickes Schlüsselbund und eine lange Liste an Hinweisen zum Öffnen der Villa übergeben, einiges davon sinnvoll, anderes seltsam und manches nur zum Kopfschütteln. Onkel Balthasar halt! Bevor er die Treppen zur Villa emporsteigt, verharrt Theodor am mit zwei Meter fünfzig überdimensionierten Türpfeiler und nimmt das Namensschild in Augenschein. Eigentlich wollte er aus Prinzip sofort seinen Namen anbringen, hat extra am Copyshop gehalten und einen Aufkleber drucken lassen. Aber zugegeben, das glänzende Messingschild mit dem schlichten ‚Villa Ziffernblatt‘ ist nicht zu toppen, sein Namensschild würde wie ein Untermieter wirken. Das goldfarben schimmernde Schild löst eine Erinnerung an den verstorbenen Großgroßonkel aus: grummelnd trat der nach jedem Besucher aus dem Tor, zog ein rotes Wolltuch aus der Westentasche und polierte das Schild. Theodor zieht den Ärmel des Sweatshirts über die rechte Hand und reibt liebevoll seine eigenen Fingerabdrücke weg. Anschließend macht er ein Handybild vom Schild und seiner neuen Villa, auch wenn er beides sicherlich nicht behalten wird.

Es dauert eine Ewigkeit bis er den Haustürschlüssel inklusive der drei Sicherheitsbügelschlüssel gefunden hat und die Villa betritt. Direkt hinter der Eingangstür ist es zappenduster, schwerer Stoff fährt ihm durchs Gesicht und erschreckt macht er einen Schritt rückwärts, zurück auf den Treppenabsatz. Nicht einmal sich selbst gegenüber würde Theodor eingestehen, dass ihn die Situation verunsichert. Er ist einfach aufgeregt und glücklich über die unerwartete Erbschaft. „Los jetzt, rein in das Museum!“ Sich selbst motivierend schaltet er die Handytaschenlampe an und tritt mit ausgestrecktem Arm nochmals ein. Nichts Gutes ahnend, reißt Theodor eine am Vorhang befestigte Karteikarte ab und tastet an der Wand nach einem Lichtschalter. ‚Tür schließen, alle Riegel vor und unbedingt den Vorhang zuziehen!‘ steht auf der Karte.
Mit einem Grinsen lässt er den schweren Vorhang halb offen und zieht trotz der deutlich sichtbar aufgestellten Schuhbank die Straßenschuhe nicht aus. Und das, obwohl eine Karteikarte ihn dazu auffordert. „Alter Mann, Du kannst mich mal!“

Wenn in der Familie außer dem legendären Ruf der wertvollen Bildersammlung seines Großgroßonkels etwas bekannt war, dann der pingelige Hang zu Ordnung und Genauigkeit. Die Besuche hat Theodor als eine fortlaufende Ermahnung und Serie strenger Blicke im Gedächtnis. Eigentlich sollte wohl eine Stiftung das Haus übernehmen, aber dafür blieb nicht genug Zeit. Nie, aber wirklich nie wäre Balthasar Ziffernblatt auf die Idee gekommen, dass ausgerechnet ich, der wilde, ungezogene und vor allem an Kunst völlig desinteressierte Theodor sein letzter lebender Verwandter und somit Alleinerbe bin.
Fröstelnd, doch neugierig blickt sich Theodor in der ewig schummerigen Diele um. Tageslicht dringt nur durch schmale, aus Buntglas gefertigte Fenster herein, der Kronleuchter hängt weit oben, eingerahmt durch an den Wänden emporsteigende Treppen. Mit einem mulmigen Gefühl, das für einen Fünfundzwanzigjährige absolut unpassend erscheint, sucht Theodor die Fensterbilder ab. Dort ist der Zauberkessel, da oben irgendwo ein Zauberer und das Fenster im ersten Stock zeigt einen Waldschrat, jedenfalls sind das die Erklärungen des Onkels, die auch nach Jahren noch präsent sind. ‚Sie bewachen das Haus‘ hieß es immer und jedes Mal hatte Theodor sich weggeduckt, schnell überlegt, ob er alles richtiggemacht hatte. Auch jetzt muss er sich regelrecht zwingen, den Türvorhang nicht zu richten.

Während Theodor langsam durch die Diele geht, knirscht es bei jedem Schritt. Sand und altes Laub haben sich in den Monaten der Abwesenheit des Onkels angesammelt. Der Ärmste ist nach seinem Sturz direkt ins Krankenhaus und nie wieder nach Hause gekommen und selbstverständlich durfte niemand allein in das Haus. Theodor dreht sich um sich selbst, versucht nach gut zehn Jahren den Grundriss der Villa zu erinnern und plant das weitere Vorgehen. „Genau! Morgen kann der erste Makler kommen, für weitere Interessenten mache ich ein paar Bilder.“ Sein Finger fährt durch den Staub auf einem breiten, goldenen Bilderrahmen. „Aber vorher sollte wirklich die Reinigungskraft hier durch.“ Er hat sie bereits nach dem Notartermin kontaktiert.
Erst jetzt fällt Theodor wieder der Zettel mit all den Öffnungsanweisungen ein und er tastet suchend seine Taschen ab. „Ah!“ Aufatmend streicht er die Liste glatt, deren Erhalt sich der Notar extra bestätigen ließ.
Näher an des Fenster mit dem Zauberkessel rückend, beginnt er zu lesen:
1. Das Haus ist unbedingt jederzeit verschlossen zu halten.
2. Nach Betreten unbedingt als erstes dem Baumbild im Schlafzimmer einen Eimer Wasser hinstellen (befindet sich im Bad).
3. Das Büro möglichst nur gut gelaunt oder bei halbwegs gutem Wetter betreten.
4. Wasserbilder müssen gerade hängen.
5. …
Theodor grinst! „Schon klar, alter Mann, willst Du mich jetzt auch nach deinem Tod herumschubsen?“ Dennoch, neugierig geworden, will Theodor das Baumbild suchen und wendet sich der Treppe zu, doch sein Pullover hat sich am Fensterrahmen des Buntglasfensters verfangen. Es muss die untergehende Sonne sein, die das unter dem Kessel befindliche Feuer rotglühend aufflackern lässt. Mit einem hässlichen Reißen kommt Theodor frei und steckt einen Finger durch das entstandene Loch. Sein Blick fällt auf den letzten Punkt auf der Liste: ‚Abstand vom Zauberkesselfenster einhalten.‘

Langsam und nachdenklich steigt Theodor die Stufen in den ersten Stock hinauf, um sich im Haus zu orientieren. Aus der Nähe kann er einige der Bilder deutlicher erkennen, die sich bisher in der Dunkelheit versteckten. Eine Sturmszene mit ungestümen Wellen und sinkenden Dreimaster wirkt düster, erschreckend. Daneben eine kleine Karte: ‚Unbedingt auf waagerechtes Hängen achten!‘ Jetzt, wo er eines der Kärtchen entdeckt hat, findet er sie an verschiedensten Stellen. Es sind nicht die großen, weißen, die am Vorhang und der Schuhbank hingen, nein, es sind kleine, ca. drei Zentimeter große Kärtchen in einem fahlen Gelb, die in der exakten Handschrift des Onkels beschriftet sind. Neben einem Strandbild mit Frauen im Badeanzug steht: ‚Gib ihnen Zeit!‘ und das Bild des schwimmenden Schwanes wird mit: ‚Jungvögel im Mai‘ kommentiert. Das scheinen keine für den Verkauf relevanten Daten zu sein, hoffentlich findet sich im Büro etwas zum Wert der Bilder. Ansonsten wird der Kunstmakler, mit dem er sich direkt im Anschluss an die Notarsitzung in Verbindung gesetzt hatte, sicherlich wissen, wie er vorgehen muss. Am besten kommt der Mann so schnell wie möglich für eine Schätzung vorbei.

Im ersten Stock findet Theodor das Bad, welches aber völlig bilderfrei ist und somit fürs erste uninteressant. Hinter der nächsten Tür liegt das Wohnzimmer. Auf der Karteikarte an der Tür steht: ‚Nicht alles ist wie es erscheint!‘ Auch nicht wirklich eine Weisheit. Allerdings kann Theodor das auch nur hoffen, denn die hier hängenden Bilder sind ausgesprochen seltsam. Ein Himmel mit herumfliegenden Augen darin, eine Wiese mit geköpften Tieren, Wasser, das bergauf fließt und Fische mit Häusern darauf. „Was für ein Schwachsinn!“ Selbst seine Stimme klingt hier verzerrt, ungewohnt schrill und ohne langes Zögern schließt Theodor die Tür wieder. Hoffentlich ist der Blödsinn etwas wert. Und wo ist dieses Baumbild?
Auf dem Flur des ersten Stockwerks hängen große Bilder ohne Rahmen. Eine Gans mit Hut, Schweine auf Stühlen und eine Schafherde vor einem großen See. An letzterem entdeckt Theodor wieder ein Kärtchen: ‚Nicht ins Wasser lassen – nasse Schafe stinken!‘ Soll das der Bildtitel sein? Vielleicht kann er das später googlen, falls sich im Büro nichts an vernünftigen Unterlagen findet.
Der nächste Raum ist offensichtlich Onkel Balthasars Büro. Durch den schwarzen Holzschreibtisch und die Ledersessel wirkt der Raum schwer und irgendwie männlich. Die dem Schreibtisch gegenüberliegende Wand ist ein harter Kontrast. Sie ist reinweiß gestrichen und darauf befinden sich dutzende von bunten Bildern. Ja, bunt, kunterbunt ist eigentlich alles, was man dazu sagen kann, auch wenn Theodor eines aus schwarzgrauen Streifen und eine dunkelblaue „Pfütze“ entdeckt. Die meisten sind in geometrischen Formen gemalt, am irritierendsten wirken dicht liegende Kreise, die bei längerem Hinsehen in Bewegung geraten. Schnell schließt Theodor die Augen und flüchtet, eine leere Staffelei vorm Schreibtisch fast umwerfend, aus dem Zimmer.

Theodor lehnt sich gegen das Gansbild, atmet tief durch und versucht seinen Puls zu beruhigen. Im Büro empfand er die Bilder nur als seltsam, aber jetzt rührt sich etwas in seinem Unterbewusstsein, macht ihn unruhig. Es muss an den unangenehmen Erinnerungen an die Besuche hier im Haus liegen, den ständigen Beobachtungen durch Onkel Balthasar, dem Gefühl von: da ist noch etwas! Kurz gesagt, die Bilder machen ihn nervös. Ein letztes Mal tief durchatmen. „Ich bin erwachsen und die Bilder sind garantiert viel wert. Nur das zählt!“ Sich selbst Mut machen ist eindeutig eine seiner Stärken. Mit der rechten Hand fährt er sich in den Kragen, fischt eine weiße Feder heraus und macht sich wieder auf die Suche nach dem Baumbild.
Nach kurzem Überlegen wird ihm klar, dass eigentlich nur noch das Schlafzimmer übrigbleibt. Vorsichtig öffnet er die Tür am Ende des Flures. Blätter knistern, als er das Zimmer betritt, es riecht muffig, nach altem Holz und Staub. Ein gewaltiger Baum wird von den letzten Sonnenstrahlen des Tages angestrahlt, die Äste hängen schwächelnd dem Boden entgegen und Theodor spürt die Trockenheit. Mit den Füßen schiebt er raschelnde Blätter zusammen, Eichenlaub, wenn er sich nicht sehr irrt. „Okay, es ist Bullshit, aber ich tue es.“ Ohne länger darüber nachdenken zu wollen, holt er den Eimer mit Wasser und stellt ihn vor das Bild. „Das darf ich niemandem erzählen, wenn ich nicht weggesperrt werden möchte.“ Die altvertraute melodische Klingel zerreißt die Stimmung und Theodor flüchtet aufatmend zur Haustür. Die Reinigungskraft steht vor der Tür und ohne langes Nachdenken übergibt er ihr seine Visitenkarte und den Zweitschlüssel. „Bitte einmal Komplettreinigung. Den Rest können wir morgen besprechen.“

Bevor Theodor am kommenden Morgen zur Arbeit fährt, will er trotz des herrschenden Sauwetters schnell die wichtigsten Fotos für den Makler machen. Mit Glück lässt der sich zu einem kurzfristigen Besuch überreden.
Das Aufschließen klappt heute schon viel schneller, der Vorhang kann ihn nicht erschrecken und die Diele wirkt trotz der an Theodor herunterrinnenden Regentropfen freundlicher. Das wird am Putzeinsatz der guten Frau Mayer liegen. Alles war gestern bestimmt nicht schaffbar, aber heute Nachmittag will sie nochmals reinschauen.

Theodor fotografiert die große Bilderwand in der Diele und nimmt dabei einige leuchtende Flächen wahr. Bei genauerem Hinsehen sind es Bilder mit Himmel, die heute Morgen heller, blauer, frischer erscheinen. Da hat er wohl gestern nicht richtig hingeschaut. Die Luft in der Diele hat etwas Kühles, Frühlingshaftes, das Putzen und vielleicht auch Lüften hat frischen Wind mitgebracht. Warum allerdings auf dem ersten Treppenabsatz eine kleine Sanddüne liegt, erschließt sich ihm nicht. Vielleicht ist Frau Mayer ausgerechnet unter dem Strandbild ein Eimer umgekippt. Es ist ein eher altmodisches Bild, seichte Dünung, weißer Strand und zwei schlanke Dame in weißen Kleidern des späten 19. Jahrhunderts. Warum auch immer, Theodor verspürt das Bedürfnis ihnen hinterher zu laufen, die Füße in den weichen Sand zu drücken. Kopfschüttelnd lässt er den feinen Sand durch seine Finger rinnen. Er könnte schwören, das er Möwen kreischen hört, mit der Geräuschdämmung ist es hier nicht allzu weit her.

Das Foto vom großen Baumbild im Schlafzimmer will einfach nicht gelingen, immer wieder wehen Blätter durchs Foto, die es unscharf, nicht einladend, ja sogar eher abschreckend wirken lassen. Piepsende Vögel lenken ihn ab und das seine Hände zittern, macht es auch nicht besser. Er wird warten, bis Frau Mayer hier geputzt hat. Sich selbst das Nachdenken verbietend, füllt er den großen Eimer nochmals im Bad und stellt ihn unter das Baumbild.

Vor der Bürotür zögert Theodor. Gestern war sein erster Eindruck des Raumes oder vielleicht eher der Bilder verstörend, negativ, ja regelrecht belastend. Aber er muss dringend die Unterlagen zu den Bildern suchen. Vorsichtig drückt er die Tür auf und schaut möglichst direkt zum Schreibtisch, die Bilderwand bewusst ausblendend. Alles gut, die Wand ist leer, alle Bilder stehen umgedreht vor der Fußbodenleiste. Wahrscheinlich haben sie Frau Mayer auch irritiert. Als er sich mit einem erleichterten Grinsen an den Schreibtisch seines Onkels setzt, fühlt er sich groß, bedeutend und erst jetzt entdeckt er auf der Staffelei ein einzelnes Bild. Es ist ungefähr 60 x 60 cm groß und ein Mix aus Düsternis. Schwarz, oder doch dunkelblau ist die Grundfarbe, durchzogen von grellen Blitzen. Auch wenn Theodor sich schon unwohl fühlt, so schnell will er nicht aufgeben. Da sind überlappende Flächen, sich stoßende Körper … hektisch schiebt Theodor den Stuhl zurück und verlässt den Raum. Er probiert noch ein paar Schnappschüsse auf dem Flur und ist doch einfach nur froh, als es Zeit für den Weg zur Arbeit wird. Naserümpfend geht er an den Tierbildern vorüber. Hier oben muss auch dringend gelüftet werden, vielleicht sollte er mit Frau Mayer auch mit Karteikarten verkehren.

Am Abend gibt es keinen Grund zum Haus zu fahren. Frau Mayer hat geputzt, kann sich aber erst morgen mit ihm zur Besprechung in der Villa treffen. Und aus Theodor nicht ganz klaren Gründe hat er selbst den ersten Maklertermin abgesagt. Er möchte die Villa, oder eigentlich die Bilder noch ein, zwei Tage allein genießen. „Bilder genießen? Habe ich das jetzt gerade wirklich gedacht?“ Ja, aber genauso fühlt es sich an.
Neugierig betritt er die Villa, froh, dass der Regen weitergezogen ist. Bevor er den Vorhang beiseiteschiebt, hört er ein Rotkehlchen zwitschern. Vogelstimmen kann er gut unterscheiden, das hat ihm als kleiner Junge sein Opa beigebracht. Er öffnet nochmals die Haustür, lauscht in den Vorgarten. Irgendwo in den Bäumen ruft ein Vogel nach seiner Partnerin, feiert den Frühling. Er stutzt, hier draußen ist alles ruhig.
Irritiert betritt Theodor das Haus, zieht, ganz in Gedanken seine Schuhe aus und stellt sie ordentlich auf die Schuhbank. Die dicken Filzpuschen hat er als Kind geliebt, man konnte so herrlich mit ihnen gleiten, vorausgesetzt, man ließ sich dabei nicht von Onkel Balthasar erwischen. Die Diele wirkt freundlich, warmes Licht strahlt aus vielen Bildern. Stirnrunzelnd tritt Theodor näher, schaut sich um und staunt. Tatsächlich, aber dort sind keine hellen Morgenhimmel oder Sonnenaufgänge, er muss sich heute früh verguckt haben. Das warme Leuchten stammt von Lagerfeuern, aus Gaslaternen und von Kerzenbildern. Theodor steigt kopfschüttelnd die Treppe hinauf, zweifelnd ob er heute Morgen so müde war? Es riecht streng! Angekokelt! Das fehlt noch, kurz vorm Verkauf fackelt die Villa ab, welch ein Albtraum. Schnell schaut sich Theodor um, sucht nach verräterischem Rauch. Hoffentlich kein Kabelbrand in der Wand ist alles, was er denken kann. Da, auf dem zweiten Treppenabsatz ist eine Gardine zu dicht an das Bild mit dem Kamin geraten. Vergilbtes Leinen knistert mit roten Funken, zerfällt zu schwarzen Fetzen und hinterlässt den Geruch von Gefahr. Hektisch tritt Theodor auf die Funken, reißt die Gardinen von der Wand. Neben dem Bild hängt ein Kärtchen: ‚Achtung bei Westwind – Gardine fängt Feuer.‘ Theodor tastet das Bild mehrfach ab, sucht die Hitze des Feuers. Aber da ist nur Brandgeruch und Holzkohlegrus an seinen Fingern.
Verwirrt lehnt er sich über das Treppengeländer, lässt die Bilder auf sich wirken. Trotz der gerade ausgestandenen Sorge und Verwirrung, wirkt alles warm, gemütlich, beruhigend. Außer dem Kaminbild. Er geht zurück und nimmt es von der Wand. „Weißt Du was? Du kriegst einen sichereren Platz, irgendwo in Wassernähe.

Bei der Überlegung wandert sein Blick zurück zum ersten Treppenabsatz, dort wo gestern der Sandhaufen unter dem Meeresbild mit dem breiten Strand lag. Verwirrt blickt er sich um. Weder der Strand noch irgendein anderes Wasserbild ist zu sehen und dabei hatte er gestern mehrere Seen und Flüsse entdeckt. Aber es mag an dem recht schwachen Lichtverhältnissen liegen. Wenn allerdings Frau Mayer einfach Bilder umhängt, müssen sie ernsthaft miteinander reden. Nachdem Theodor nochmals die verbrannte Gardine auf Glutnester abgetastet hat, steigt er die Treppe in den ersten Stock hinauf. Irgendwo müssen die Wasserbilder ja sein.

Tatsächlich findet er sie im Badezimmer wieder. Direkt nach dem Öffnen der Tür ist es ihm klar und dennoch schaut er sich erstaunt um. Das Badezimmer ist mit gut fünfundzwanzig Quadratmetern wirklich geräumig, das große Fenster macht es am Tag hell und einladend. Doch jetzt wirkt es wie eine andere Welt, draußen das nächtliche Dunkel und hier drinnen Wasserplätschern, Sprudeln und die erfrischende Feuchtigkeit von Meeresluft. Er atmet tief durch, sieht ein Wasserfallbild über der Badewanne, das sie zu füllen scheint. Spontan überlegt Theodor, dass dort ein Kärtchen dran müsste: ‚Umhängen, wenn Wanne voll‘. Grinsend schaut er sich weiter um. Das Strandbild ist auf der gegenüberliegenden Seite der Wanne aufgehängt und wirkt viel größer, nun, wo es nicht von dutzenden anderer Rahmen bedrängt wird. Und aus Sicht des Badenden muss es wirken, als schwömme man im Meer. Neben dem Waschbecken steht der leere Eimer für das Baumbild, darüber ein unglaublich präzises Gemälde eines fallenden Wassertropfens. Theodor würde es für eine Fotografie halten, wären da nicht die sichtbaren Pinselstriche und dicht aufgespachtelten Farbschichten. Auf der Karte daneben steht: ‚einer reicht‘. Beim Weitergehen schnuppert Theodor, rümpft die Nase. Welches Wasser auch immer es ist, es riecht moderig, alt, vielleicht sogar tot. Aus dem Augenwinkel nimmt er eine Bewegung wahr, sucht irritiert die Wand rings um die Toilette ab. Da, hinter dem Moorsee ordnet eine Frau ihre Kleider, hat einen hochroten Kopf und verschwindet in den Büschen. Es sieht aus, als hätte Theodor sie bei etwas sehr Privatem gestört.
Erfrischt, aber auch etwas beschämt füllt er den Eimer und bringt ihn ins Schlafzimmer. Im Vorbeigehen nickt er den Tieren auf den Flurbildern zu. Hat ihn die Gans mit Hut gestern noch erstaunt, sieht er heute den Gedanken des Künstlers. Warum soll die Gans nicht stolz eine Haube tragen und den Tag genießen? Ein Schelm, der dabei an dumme Gänse denkt. Ihr Schnattern begleitet ihn bis zum Baumbild. Allmählich ist das Raumklima weniger trocken, der Baum reckt seine Äste dem Himmel entgegen und generell ist die Stimmung im Zimmer optimistischer. Erst jetzt entdeckt Theodor eines der kleinen Kärtchen: ‚Lese die rote Mappe!‘ Mist, dann muss er doch ins Büro. Das ist immer noch der Raum, der ihn am wenigsten reizt, einfach zu unsicher ist, denn bisher war die Wirkung der Bilder stets anders als erwartet.

Noch einmal tief durchatmen. Es sind nur Bilder! Er muss im Büro endlich die Unterlagen sichten, mit dem Makler reden, denn es geht doch um den Verkauf.
Vorsichtig öffnet Theodor die Tür, sieht erwartungsvoll auf die Bilderwand. Sie ist leer! Alle Bilder stehen immer noch umgedreht in einer Ecke des Raumes. Er schnuppert. Irgendwie riecht es grün, frisch, auf jeden Fall nicht unangenehm. Auf der Staffelei steht ein Bild, ein Bild, das so groß ist, dass sich die Staffelei darunter zu biegen scheint, sich dem Gewicht oder vielleicht doch eher der Bedeutung ergeben will. Unsicher tritt Theodor näher, denn von der Tür aus ist nichts Genaueres zu erkennen. Ohne einen Blick zu riskieren, nimmt er auf Onkel Baltasars Stuhl Platz, hebt erst dann den Kopf und wartet auf die Wirkung des Bildes.
Reine Anspannung, ein Knistern im Kopf und dennoch Sicherheit. Das sind seine ersten Gedanken. Eine rahmenfüllende blaue Kugel, blau in allen Tönen, von zartem Wasserblau bis finsterem Nachtblau lässt ihn zur Ruhe kommen. Im inneren schimmern gelb-orange Glocken und erst nach längerem Beobachten, fällt Theodor auf, dass bei jedem neuen Gedanken eine der Glocken deutlicher, intensiver sichtbar wird. Nur mühsam reißt er sich vom Anblick des Bildes los, hört auf, seinen Gedanken nachzuspüren, denn er soll die rote Mappe lesen. Bisher waren die Tipps auf den Kärtchen sehr hilfreich, es wäre dumm, nicht weiterhin darauf zu hören.

Die Mappe findet sich in der zweiten Schublade, die Theodor aufzieht. Neugierig, doch gleichzeitig zaudernd öffnet er den ledergebundenen Deckel und weiß nicht, was er sich erhofft hat. Über die erste Seite kann er nur lachen: ‚Nein, Sie sind nicht verrückt!‘. So beruhigend das ist, aber es wird ihm nicht helfen, eine Entscheidung über die Villa und die Bildersammlung zu treffen. Denn genau das ist es, wie ihm nach einem nochmaligen Blick auf die jetzt schwebend wirkende blaue Kugel, bewusst wird. Er hat beide Maklertermine unter fadenscheinigen Vorwänden abgesagt und kann sich kaum von der Villa fernhalten. Aber warum? Neugierig blättert er weiter in der roten Mappe. Es gibt anscheinend zu jedem Bild eine Geschichte, nein, eigentlich zwei – die Geschichte der Bildentstehung und die Geschichte in der Villa. Dann bleiben seine Gedanken an einem Brief hängen, ein Brief, der aus dem Jahr 1910 stammt. Die Handschrift ist kaum zu entziffern, mühsam enträtselt Theodor das kurze Anschreiben. „Ich hatte Angstattacken und fürchtete mich vor den Bildern. Aber jetzt habe ich verstanden, dass man mit ihnen leben kann, dass man ihre Wünsche hören und berücksichtigen muss. Ich werde mein Bestes für die Bildern tun.“
Auf einem andern Blatt steht in Onkel Balthasars Handschrift:
„Wenn die Bilder mit Dir reden, wenn der Baum im Schlafzimmer wächst und gedeiht und Du Dich in das Büro traust, dann gehört die Villa wirklich Dir. Nun musst Du entscheiden, ob Du den Bildern weiterhin ein zu Hause geben möchtest, oder anderen Menschen.“
Theodor klappt die Mappe zu und geht ins Bad. Er lässt sich eine Wanne heißes Wasser einlaufen und fängt an zu überlegen.

 

Liebe @greenwitch ,

interessante Geschichte mit dem besonderen Eigenleben der Bilder. Gute Idee und obwohl mir Fantasiegeschichten nicht so arg liegen, konnte ich doch dem Geschehen locker folgen und stand nicht, wie meist bei Fantasy, im Nebel der Unkenntnis.

Gut gelungen ist dir die Hausbeschreibung, ich fühlte mich gleich wie in einem dieser alten Filme, (ich denke da grad an Edgar Wallace und Miss Marple Filme) war sofort auch in die besondere Stimmung hineinversetzt. Ich war gleich mit deinem Protagonisten mittendrin.

Teilweise fand ich ihn etwas zu übererzählt, wenn du ihm zusätzlich zu dem, was er grad tut, auch noch zusätzliche Umschreibungen gegeben hast, wie z.B. lächelnd öffnet er die Tür, liebevoll wischt er das Schild sauber, erwartungsvoll schaut er, ach das sind irre viele solche Zusätze, die es eigentlich nicht nötig haben, da stehenzubleiben. Du zeigst ja durch das, was er tut, wie es ihm damit auch ergeht. Vielleicht mit ein wenig Abstand nochmals drübergehen?

Dann habe ich noch ein paar grammatikalische Fehler gefunden. Ich gehe mal einfach der Reihe nach vor:

Er lauscht auf das Quietschen, dass nicht zum goldenen Oktoberwetter und schon gar nicht zu seiner fantastischen Laune passen will.
anstatt "dass" das
Wo gestern noch ein Sturm finstere Wolken über den Himmel und irgendwie auch durch sein Leben trieb,
irgendwie würde ich streichen, es ist nutzlos
Onkel Balthasar halt!
Diesen Satz halte ich auch für überflüssig.
grummelnd trat der nach jedem Besucher aus dem Tor,
So total glücklich formuliert ist dieser Satz nicht, denn wenn du das "aus dem Tor" nicht so schnell liest oder zufällig gar nicht liest, dann trat er nach jedem Besucher.
zurück auf dem Treppenabsatz.
den
dann der pingelige Hang zu Ordnung und Genauigkeit.
Ich würde nur das Wort Pingeligkeit verwenden, das ja schon Ordnung und Genauigkeit enthält.
ie Besuche hier hat Theodor als eine fortlaufende Ermahnung und Serie strenger Blicke im Gedächtnis.
"hier" würde ich streichen
Eigentlich sollte wohl eine Stiftung das Haus übernehmen, aber dafür blieb nicht genug Zeit.
Der Satz ist überflüssig. Es ist nur die Tatsache, dass er Erbe geworden ist, wichtig.
Nie, aber wirklich nie wäre Balthasar Ziffernblatt auf die Idee gekommen, dass ausgerechnet der wilde, ungezogene und vor allem an Kunst völlig desinteressierte Theodor sein letzter lebender Verwandter und somit Alleinerbe ist.
Hm... hier finde ich zwar, dass gerne kurz etwas zur eigentlichen Motivation des Onkels gesagt werden kann, aber durchaus nicht muss, aber ich würde es anders formulieren. Du hast ja bisher nur aus der Sicht von Theodor geschrieben. Hier änderst du die Sichtweise und schreibst aus der Sicht des Onkels. Ich würde es umformulieren, damit du nicht die Sichtweisen wechseln musst. Lass doch Theodor das denken, dass sein Onkel nie ... und vielleicht, wenn es dir wichtig ist, schiebst du noch als Info ein, dass der Onkel ja immer vorhatte, sein Erbe einer Stiftung übergeben zu lassen.
der Kronleuchter hängt weit oben, eingerahmt durch an den Wänden emporsteigende Treppen.
Wieviele Treppen sind es denn? Das Bild wirkt etwas schief, es sind bestimmt zwei seitlich emporsteigende Treppen, wobei man bei Treppen nicht extra erwähnen muss, dass sie emporsteigen oder herabsteigen, es sind ja Treppen, die können nichts anderes.
das für einen fünfundzwanzigjährige
Fünfundzwanzigjährigen
Der Ärmste ist nach einem Sturz aus dem Krankenhaus nie wieder nach Hause gekommen
Bitte umformulieren, sicherlich wolltest du nicht mitteilen, dass Onkel aus dem Krankenhaus gestürzt ist.
Ah!“ Aufatmend streicht er die Liste glatt, der Notar hat ihn den Erhalt selbiger extra bestätigen lassen.
...dessen Erhalt sich der Notar extra bestätigen ließ.
Dennoch, neugierig geworden will Theodor
Dennoch, neugierig geworden, will Theodor
aber völlig Bilderfrei ist
bilderfrei
das Bergauf fließt
bergauf
er hat sie über einen Kollegen vermittelt bekommen.
Überflüssige Info.
nimmt dabei einige leuchtende Flächen war.
wahr (wahrnehmen)
Die Luft in der Diele hat etwas kühles, frühlingshaftes,
etwas Kühles, Frühlingshaftes
Er könnte Schwören, das er Möwen kreischen hört,
schwören, dass
. Aber er muss dringend den Unterlagen zu
die Unterlagen
Am Abend gibt es genaugenommen keinen Grund zum Haus zu fahren.
genaugenommen kann gestrichen werden und ...keinen Grund, zum Haus zu fahren.
froh das der Regen weitergezogen ist.
froh, dass
Die dicken Filzpuschen hat er als Kind geliebt, man konnte so herrlich mit ihnen gleiten, vorausgesetzt, man ließ sich dabei nicht von Onkel Balthasar erwischen.
Schöne Erinnerung. Man gleitet mit ihm mit.
an das Bild mit dem Karmin geraten.
Kamin
Außer das Kaminbild.
dem
Er atmet tief durch, sieht ein Wasserfallbild über der Badewanne, dass sie zu füllen scheint.
Badewanne, das ...
als schwömme man im Meer. N
Schwömme ist nicht falsch, aber altmodisch, würde schwimme nehmen.
nimmt er eine Bewegung war,
wahr
verschwindet in die Büsche
verschwindet in den Büschen
Vorsichtig öffnet Theodor die Tür, sieht erwartungsvoll auf die Bilderwand. Sie ist leer! Alle Bilder stehen umgedreht in einer Ecke des Raumes.
Dass die Bilder abgehängt worden waren, von wem auch immer, hat Theodor doch schon bemerkt, nachdem die Putzfee dort gewesen war. Er vermutete doch, dass sie es gewesen war. Jetzt ist es kein neuer Sachverhalt und die Leser erinnern sich an so etwas noch.
Auf der Staffelei steht ein Bild, ein Bild das so groß ist,
Auf der Staffelei steht ein Bild, ein Bild, das so groß ist.
und erst nach längerem beobachten,
Beobachten
hört auf seinen Gedanken nachzuspüren,
hört auf, seinen Gedanken nachzuspüren
und kann sich kaum vom der Villa fernhalten
von
Auf einemandern Blatt steht in Onkel Balthasars Handschrift
Trennung
Er lässt sie eine Wanne heißes Wasser einlaufen und fangt an zu überlegen.
anstatt "sie" sich und anstatt "fangt" fängt.

Du siehst, ich habe praktisch nur sehr sehr wenig inhaltlich zu meckern gehabt, die Rechtschreibfehler sind schnell beseitigt.


Lieben Gruß

lakita

 

Hallo @greenwitch,

eine ruhig erzählte Surrealismus-Geschichte!

Er lauscht auf das Quietschen, dass nicht zum goldenen Oktoberwetter
Quitschen, welches nicht zum Wetter passt ... wie soll dieser akustische Eindruck mit optischen (Sonne) und gefühlten (Wärme) interferieren?

Mit einem Grinsen lässt er den schweren Vorhang halb offen und zieht trotz der deutlich sichtbar aufgestellten Schuhbank die Straßenschuhe nicht aus. Und das, obwohl eine Karteikarte ihn dazu auffordert. „Alter Mann, Du kannst mich mal!“
Ach, wie gut tut ein wenig Trotz!

4. Wasserbilder müssen gerade hängen
Super - finde ich auch!
Daneben eine kleine Karte: ‚Unbedingt auf waagerechtes Hängen achten!‘
Die Existenz der Kärtchen kannst du doch an einem anderen Beispiel aufzeigen. So ist dieses "waagrechte Hängen" redundant zu Punkt 4.

Im ersten Stock findet Theodor das Bad,
Bei diesem Absatz kann ich mir so richtig vorstellen, wie du dir ein Bild nach dem anderen mit etwas Schalk und einiger Fantasie ausgedacht hast - schöner Surrealismus!


die Äste hängen schwächelnd dem Boden entgegen und Theodor spürt die Trockenheit. Mit den Füßen schiebt er raschelnde Blätter zusammen, Eichenlaub, wenn er sich nicht sehr irrt. „Okay, es ist Bullshit, aber ich tue es.“
Man spürt das Unbehagen, das Über-Ich, welches den Mann zu der Handlung 'zwingt'. Diese Steigerung, dass da irgendwas im Busch ist, ist dir gelungen.

Dann reizt du deine Idee aber zu sehr aus. Als man schon weiß, worauf es hinausläuft schiebst du immer noch mehr Details hinterher.

Mit dem Schluss kann ich mich nicht anfreunden - er ist zwar möglich, aber zu banal. Es fehlt nach den vielen Ideen so eine kleine Überraschung, ein Aha-Effekt.
Schade, da an sich schön zu lesen.

Theodor würde es für eine Fotographie
Eigentlich Fotografie (oder, veraltet Photographie).


L G,

Woltochinon

 

Hallo @greenwitch!

Spontan habe ich Lust bekommen, mir deinen Text durchzulesen. Der Titel hat einen schönen Klang und ich war neugierig, was die Villa zu bieten hat. Auf jeden Fall ein Ort, der aus dem Rahmen fällt. Aus dem Blattrahmen. Vielleicht sogar dem Ziffernblattrahmen.

Als allgemeinen Punkt will ich erwähnen, dass es sich mehr wie ein Romananfang liest. Was jetzt nicht heißt, dass ich enttäuscht bin, sondern dass ich irgendwie Andeutungen herauslese, dass sich die Vorkommnisse an späterer Stelle steigern werden.
Es war dennoch amüsant, Theodors ständige Anzweifelungen der lebendigen Bilder zu lesen. Jede Person reagiert ja unterschiedlich auf Ereignisse, die von der Normalität abweichen. Und irgendwo ist der Kipppunkt, an dem jemand erkennt: Hier stimmt doch was nicht.

Lächelnd öffnet Theodor Ziffernblatt das schmiedeeiserne Gartentor der Villa.
Es gefällt mir, dass die Geschichte mit einem Lächeln beginnt. Toller erster Eindruck!
Fröstelnd, doch neugierig blickt sich Theodor in der ewig schummerigen Diele um. Tageslicht dringt nur durch schmale, aus Buntglas gefertigte Fenster herein, der Kronleuchter hängt weit oben, eingerahmt durch an den Wänden emporsteigende Treppen.
"Diele" klingt mit dieser Beschreibung viel zu bescheiden, das ist ja schon eine richtige Eingangshalle.
Langsam und nachdenklich steigt Theodor die Stufen in den ersten Stock hinauf, um sich im Haus zu orientieren.
Nebensätze mit "um" geben meistens recht offensichtlich die Absicht dahinter preis. Es geht oft eleganter, in diesem Fall vielleicht einfach weglassen.
es sind kleine, ca. drei Zentimeter große Kärtchen in einem fahlen Gelb, die in der exakten Handschrift des Onkels beschriftet sind.
Drei Zentimeter sind sehr winzig für einen handbeschriebenen Zettel. Ich bin für "wenige Zentimeter"
die hier hängenden Bilder sind ausgesprochen seltsam. Ein Himmel mit herumfliegenden Augen darin, eine Wiese mit geköpften Tieren, Wasser, das Bergauf fließt
Wie sieht man in einem sich nicht bewegendem Bild, dass da Wasser bergauf fließt? Fließen ja, aber auch die Richtung?
aber jetzt rührt sich etwas in seinem Unterbewusstsein, macht ihn unruhig. Es muss an den unangenehmen Erinnerungen
Sehr unglückliche Wörter
Vorsichtig öffnet er die Tür am Ende des Flures. Blätter knistern, als er das Zimmer betritt, es riecht muffig, nach altem Holz und Staub. Ein gewaltiger Baum wird von den letzten Sonnenstrahlen des Tages angestrahlt, die Äste hängen schwächelnd dem Boden entgegen und Theodor spürt die Trockenheit. Mit den Füßen schiebt er raschelnde Blätter zusammen, Eichenlaub, wenn er sich nicht sehr irrt. „Okay, es ist Bullshit, aber ich tue es.“ Ohne länger darüber nachdenken zu wollen, holt er den Eimer mit Wasser und stellt ihn vor das Bild.
Erst am Ende wird ein Bild erwähnt, also ist es nicht eindeutig, ob da ein echter Baum ist oder nur ein Baum auf einem Bild. Fand ich genial!
Alles war gestern bestimmt nicht schaffbar, aber heute Nachmittag will sie nochmals reinschauen.
Für meinen Geschmack ist das etwas stark zusammengefasst. Es gab da also noch ein Gespräch, war das telefonisch, in der Villa oder woanders? Eigentlich unwichtig, aber der Satz gibt mir ein minimales Gefühl, etwas verpasst zuhaben.
„Weißt Du was? Du kriegst einen sichereren Platz, irgendwo in Wassernähe.
Anführungszeichen am Ende fehlt
Welches Wasser auch immer es ist, es riecht moderig, alt, vielleicht sogar tot
Totes Wasser? Wie ist das gemeint?
‚Lese die rote Mappe!‘
Interessant, dass Balthasar nicht das Wort "Lies" verwendet
Ich werde mein Bestes für die Bildern tun.
Bilder

Sehr offenes Ende, regt aber auch zum Weiterdenken an. Hat mir gefallen.

Viele Grüße
Michael

 
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Hallo liebe @greenwitch,
was für ein charmantes Setting. Diese zauberhafte Atmosphäre in der Villa kommt sehr schön bei mir an, will ich auch hin. Wenn ich mir etwas wünschen dürfte, dann so etwas wie eine Hürde, ein Hindernis, ein Konflikt, aber ich bin auch so deinem Theodor gerne durch das Haus gefolgt.

Hier noch ganz klein wenig Textkram:
Vielleicht wäre es gut noch mal mit dem Adjektiv-Adverb-Kamm durch die Geschichte zu gehen, um die ein bisschen zu reduzieren? Für den ersten Absatz hab ich die mal alle(?) markiert.

Lächelnd öffnet Theodor Ziffernblatt das schmiedeeiserne Gartentor der Villa. Er lauscht auf das Quietschen, dass nicht zum goldenen Oktoberwetter und schon gar nicht zu seiner fantastischen Laune passen will. Wo gestern noch ein Sturm finstere Wolken über den Himmel und irgendwie auch durch sein Leben trieb, lässt heute die tiefstehende Sonne Onkel Baltasars Villa einladend leuchten. Vor einer Stunde hat der Notar Theodor ein dickes Schlüsselbund und eine lange Liste an Hinweisen zum Öffnen der Villa übergeben, einiges davon sinnvoll, anderes seltsam und manches nur zum Kopfschütteln. Onkel Balthasar halt! Bevor er die Treppen zur Villa emporsteigt, verharrt Theodor am mit zwei Meter fünfzig überdimensionierten Türpfeiler und nimmt das Namensschild in Augenschein. Eigentlich wollte er aus Prinzip sofort seinen Namen anbringen, hat extra am Copyshop gehalten und einen Aufkleber drucken lassen. Aber zugegeben, das glänzende Messingschild mit dem schlichten ‚Villa Ziffernblatt‘ ist nicht zu toppen, sein Namensschild würde wie ein Untermieter wirken. Das goldfarben schimmernde Schild löst eine Erinnerung an den verstorbenen Großgroßonkel aus: grummelnd trat der nach jedem Besucher aus dem Tor, zog ein rotes Wolltuch aus der Westentasche und polierte das Schild. Theodor zieht den Ärmel des Sweatshirts über die rechte Hand und reibt liebevoll seine eigenen Fingerabdrücke weg. Anschließend macht er ein Handybild vom Schild und seiner neuen Villa, auch wenn er beides sicherlich nicht behalten wird.

„Okay, es ist Bullshit, aber ich tue es.“ Ohne länger darüber nachdenken zu wollen, holt er den Eimer mit Wasser und stellt ihn vor das Bild.
Ja, fand ich gut, dass er das macht. Als Leser wissen oder vielleicht ahnen wir natürlich mehr als er ...

Es ist ein eher altmodisches Bild, seichte Dünung, weißer Strand und zwei schlanke Dame in weißen Kleidern des späten 19. Jahrhunderts. Warum auch immer, Theodor verspürt das Bedürfnis ihnen hinterher zu laufen, die Füße in den weichen Sand zu drücken. Kopfschüttelnd lässt er den feinen Sand durch seine Finger rinnen. Er könnte Schwören, das er Möwen kreischen hört, mit der Geräuschdämmung ist es hier nicht allzu weit her.
Das fänd ich ziemlich cool, wenn man immer und jederzeit in einen Sommer am Strand einkehren könnte, einfach in ein Bild rein und da. Den letzten Halbsatz bspw würde ich weglassen, der schmälert für mich die Wirkung ...
Und Schwören mit kleinem s

„Bilder genießen? Habe ich das jetzt gerade wirklich gedacht?“ Ja, aber genauso fühlt es sich an.
Du hast eine Tendenz zur - ich sag mal: Redundanz. Auch diesbezüglich könnte man den Text noch mal abklopfen, also mit der Frage im Hinterkopf: Bringt dieser Satz neue Informationen in den Text oder wiederholt er bereits vorhandene? Hier zB: Hab ich das jetzt gerade wirklich gedacht - sagt doch eigentlich schon alles, oder?

Irgendwann, ich weiß jetzt gar nicht mehr genau wann, wurde es mir dann ein bisschen zu viel mit dem Setting. Da hatte ich dann das Gefühl, ich hab verstanden, dass die Bilder ein Eigenleben haben, dass das Haus keine gefährliche Welt ist, sondern eher eine zauberhafte und ich dachte, okay, ich bin bereit, zu sehen, was jetzt passiert, aber dann war die Geschichte auch schon zu Ende. Ist natürlich schön, dass er das Haus (vermutlich) doch nicht mehr verkauft, aber für mich fängt die eigentliche Geschichte jetzt erst an mit der Frage, was für Abenteuer warten da eigentlich auf ihn in diesem Haus mit den verzauberten Bildern.

Hab ich gerne gelesen :-)
Viele Grüße von Katta

 

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