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Voll da

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10.10.2006
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Voll da

Ich bin noch voll da. Daran besteht kein Zweifel. Ich könnte mir mit dem Zeigefinger der linken Hand an die Nasenspitze fassen, könnte einbeinig einen Streifen entlang hopsen, könnte alle Bundesländer mit den dazugehörigen Hauptstädten aufzählen und das wäre beachtlich, denn das mit den Hauptstädten krieg ich sonst nie hin. Wie gesagt: Ich bin voll da.
Dirk nicht. Dirk sagt: „Glaub mir. Ich bin voll da.“
Aber er sagt es so, dass ich denken muss, er ist nicht voll da. Er sagt das – und es tut mir weh, es zu sehen – er sagt es wie ein Irrer. Er sagt: „Du hältst mich jetzt für verrückt.“
Ich greife mir mit der Hand an den Mund, so als müsste ich nachdenken, wobei mein Urteil natürlich schon lange feststeht, aber ich greife mir mit der Hand an den Mund und mache „Tjoar“, ein Geräusch, das soviel sagen soll wie: „Wenn du das sagst“, aber ich sag nicht „Wenn du das sagst“, ich nehme meine Hand an den Mund, mache „Tjoar“, schaue ihn an und nicke.
„Du denkst, dass Verrückte immer sagen, dass sie nicht verrückt sind.“
„Nein“, sage ich. „Daran dachte ich nicht. Ich dachte an … eigentlich hab ich gerade an gar nichts gedacht.“
Dirk sagt: „Ich bin voll da.“
Ich sage: „Dirk, du bist voll da.“
Dirk sagt: „Du sagst nur, dass ich voll da bin, weil du denkst, dass ich hören will, dass ich voll da bin.“
Ich sage nichts.
Dirk sagt: „Jemand, der nicht voll da ist, würde kaum feststellen, dass der andere vermutlich vermutet, dass dass dass…“
Ich sage: „Ja, du hast Recht.“ Weil Dirk auf den Boden starrt, auf seine Füße, auf seine Zehen, weil seine Augen wie bei einem Tennismatch von links nach rechts geschleudert werden, sich nicht entscheiden können, zu welcher Seite sie gehören. Ich sage: „Empathie?“
„Aphasie“, sagt Dirk. „Ha! Damit hast du nicht gerechnet!“
Ich sage: „Okay, du bist voll da, worum geht’s?“
„Ich hab's rausgefunden“, sagt Dirk und das war es fürs Erste. Er steht hastig auf, reibt sich seine schweißnassen Hände an der Jeans ab, so als wären sie Schlangen und müssten dringend gehäutet werden.
„Was?“, frage ich.
„Unsere Generation. Das Problem unserer Generation!“, sagt Dirk, während er seine Schlangen knetet.
„Tjoar“, mache ich. „Da lehn ich mich doch mal gespannt zurück.“ Und dann tue ich das, ich lehne mich zurück, nicht sonderlich gespannt, aber voll da.
„Wiederholungen amerikanischer Sit-Coms!“, sagt Dirk. Also eigentlich hat er es nicht so gesagt. Er ist viermal vor mir hin und her getigert, hat die Spannung bis ins noch gerade so Ermessliche hinausgezögert, dabei wild gestikuliert und mich schließlich über die Schulter mit diesem irren „Ich bin nicht irre“-Blick angestarrt und gemurmelt: „Wiederholungen amerikanischer Sit-Coms!“ und jede Silbe hat er betont wie einen Paukenschlag.
Ich sage: „Tjoar, das hab ich auch schon vermutet.“
„Hast du nicht!“, schreit Dirk.
Und ich sage: „Nein, hab ich nicht.“
Dirk sagt: „Es ist doch klar, das macht uns total fertig. Weil die schneller altern als wir. Du guckst die Serie und die scharfe Tochter ist noch gar keine scharfe Tochter, sondern vielleicht zehn und du bist vierzehn. Und drei Monate später ist die Tochter sechzehn und rattenscharf, aber du bist immer noch vierzehn. Und du willst sie unbedingt ficken, aber du weißt ja, dass sie eigentlich erst zehn ist.“
„Dirk“, sage ich. „Ich habe mich geirrt. Du bist voll da.“
Und Dirk sagt: „Danke. Das wollte ich nur wissen.“
„Kann ich gehen?“, frage ich.
Dirk nickt.
Auf dem Weg nach draußen, muss ich meine Füße über Pillenschachteln heben und über kleine Röhrchen, die auf dem versifften Teppichboden liegen, der mal weiß war und jetzt braun ist, und als ich die Tür öffne, die Klinke ist schmierig und fühlt sich an wie abgeworfene Haut, schaue ich über meine Schulter und sage: „Eigentlich hab ich mich nicht geirrt, ich wusste ja, dass du voll da bist.“
Aber Dirk sitzt schon auf seinem Sofa und irgendwie ist er jetzt woanders.

 

Verdammt. Ich kenne einen Dirk der GENAU SO drauf ist... :eek:

Ähh...

Hallo Quinn,
coole Story, irgendwie voll daneben und doch voll da...

Ich greife mir mit den Hand an den Mund, so als müsste ich nachdenken

Vertipper: der Hand

Ansonsten - es ist zu spät um mehr zu schreiben und ich zu müde um noch Fehler zu suchen und vor allem von dieser Story (und der rein zufälligen Ähnlichkeit zu lebenden Personen) völlig "geflasht". Vielleicht morgen (heute) bei Tageslicht noch mehr!

Gute Nacht,
H.D.

 

Hallo Quinn!
Der Text hat mich gebannt. Ich mag diese Wiederholungen, die schon leierhaft wirken.

Kleiner Vertipper gefunden:
- Aber es sagt es so,

-die Klinke ist schmierig und fühlt sich an wie abgeworfene Haut,
das BIld bekomm ich nicht in meinen Kopf- Wie fühlt sich abgeworfene Haut an?? SInd Klinken nicht eher klebrig wenn man sie länger nicht putzt?

Bin hin und hergerissen zwischen: "mir fehlt was in dem text" und "genau dieses Wenige gibt ihm seine Wirkung"

Wünsch dir noch einen schönen Tag --baba
Kröte

 

Servus!

Deine Geschichte passt gut in diese Rubrik und dabei ist sie nicht so seltsam, dass man sie nicht mehr versteht. Hat mir gefallen.

Das Bild mit den Schlangen fand ich jetzt nicht so wahnsinnig passend, aber das ist mein einziger Einwand.

mit diesem irren „Ich bin nicht irre“-Blick angestarrt
:thumbsup:

Georg

 

Hallo ihr Drei,

freut mich, dass die kleine Nummer euch unterhalten konnte. Die angemerkten Fehler hab ich ausgebessert. Das Bild mit den Schlangen ist in dieser Schrägheit irgendwie passend, finde ich. So leicht daneben. ;)

Danke euch für eure Kommentare
QUinn

 

Hallo Quinn,

ein kleiner Drogenflash?
In sich stimmig, konsequent durchgezogen. Wer kennt das nicht, diesen Drang sich rechtfertigen zu müssen, wodurch man stets das genaue Gegenteil erreicht, am Ast der eigenen Glaubwürdigkeit sägt.

Mehr kann ich dazu auch schon nicht mehr sagen. Hat auf jeden Fall Spaß gemacht und wirkte auf mich trotz der Skurilität irgendwie authentisch.

grüßlichst
weltenläufer

 

Hey weltenläufer,
schön, dass auch dir die Nummer gefallen hat. Jau, das mit dem "rechtfertigen" stimmt schon, ich wollte grad die Idee so halten, dass noch genug Substanz dran ist, um sich damit zu beschäftigen, aber dass sie absurd genug ist, um sie immer wieder zu vewerfen. :)

Gruß
Quinn

 

Tach Quinn!

Die Geschichte ist echt geil. Beim zweiten Mal lesen fand ich sie sogar noch besser als beim ersten Mal, weil wahrscheinlich habe ich mich da geirrt und war doch nicht voll da sondern nur so halb da, aber jetzt war ich voll da und muss sagen, echt coole Geschichte. So banal und albern und irgendwie richtig doof, aber so, dass es wieder cool ist.

Das Problem unserer Generation!“, sagt Dirk, während er seine Schlangen knetet.
Das ist ... echt ... Also der Beweis, dass ich beim ersten Mal lesen nicht voll da war. Das mit den Schlangen ist mir da nämlich gar nicht aufgefallen. :) Aber ich muss mich Bär mal anschließen, das finde ich nicht so toll.
Ändert aber nix daran, dass ich die Geschichte ziemlich witzig fand, aber ich glaub das sagte ich schonmal.

Liebe Grüße,
vom strudel

 

Hallo Quinn,

in der KG variierst du den sonst typischen Dialog:

"Ich merk noch nichts. Merkst du was?"
"Nö, ich merk auch noch nichts."

Und man weiß ganz genau, dass das bereits der Code ist, über den man sich Sekunden später schon kaputt lacht, weil man schon total was merkt.

Deine coole Art zu schreiben trägt die zierliche Grundidee. Ein solcher Ansatz würde bei vielen in die Hose gehen.

Inwieweit solche Geschichten/Situationen für jeden nachvollziehbar sind oder nicht, und ob da jeder irgendwie ein Stück Unterhaltung rauslesen kann, das ist schwer zu sagen.

Mir hat's jedenfalls gut gefallen. Aber ich kenne halt auch viele "Dirks" und viele solcher Situationen. Da brauchst du mir nur diesen Quickie zu liefern, und ich kann mich darüber amüsieren und einen Haufen weiterer Geschichten dazu erinnern.

Deine Fähigkeit, wörtliche Rede so zu schreiben, ist echt beeindruckend. Vielleicht solltest du mal ernsthaft überlegen, Drehbücher zu schreiben.

Grüße von Rick

 

Hey Stru,

schön, dass du die Geschichte mochtest. Ja, das mit den Schlangen is halt schon daneben. :) ABer das Schräge hat was irgendwie, der Protagonist selbst ist ja auch nicht so ganz voll da.

Danke dir für deinen Kommentar ;)
Quinn

Hey Rick,
"zierliche Grundidee" ist ja noch sehr geschmeichelt, es war einfach eine kleine Blödelei und sicher können damit viele gar nichts anfangen. Die Situation ist ja einfach absurd, dass dich wer anruft (wohl mitten in der Nacht), nur um sich von dir bescheinigen zu lassen, dass er nicht verrückt ist - und genau das wirkt ja dann schon verrückt. Wobei ich ein wenig stolz bin auf die Sit-Com-These. :)

Das mit den Drehbüchern ist ein schönes Kompliment, aber ich werd mal weiter bei der Prosa bleiben. Macht Spaß und ist ja auch viel romantischer. Die Mädels stehen drauf. ;)

Danke dir
Quinn

 

Hallo Quinn,

Rick hat es mit der zierlichen Grundidee bereits charmant und exakt formuliert, für mich darf ein Text sich auch um solchen Kleinstkram ranken solanger er unterhaltsam ist. Deinen finde ich unterhaltsam, wenngleich in der Ausführung etwas zu nachlässig :

Dirk sagt: „Ich bin voll da.“
Ich sage: „Dirk, du bist voll da.“
Dirk sagt: „Du sagst nur, dass ich voll da bin, weil du denkst, dass ich hören will, dass ich voll da bin.“
Ich sage nichts.
bis hierhin hat es einen schönen Rhythmus und mit der Variation eine kleine Pointe.
Dirk sagt: „Jemand, der nicht voll da ist, würde kaum feststellen, dass der andere vermutlich vermutet, dass dass dass…“
Ich sage: „Ja, du hast Recht.“ Weil Dirk auf den Boden starrt, auf seine Füße, auf seine Zehen, weil seine Augen wie bei einem Tennismatch von links nach rechts geschleudert werden, sich nicht entscheiden können, zu welcher Seite sie gehören. Ich sage: „Empathie?“
„Aphasie“, sagt Dirk. „Ha! Damit hast du nicht gerechnet!“
Ich sage: „Okay, du bist voll da, worum geht’s?“
ab dann wirkt es zunehmend ungelenk und formelhaft.

Doch im Ganzen finde ich sie fluffig und mit Spaß zu lesen, nichts für die Hauptvorstellung, doch als Vorfilm vor den Eisverkäufern macht es Laune und Lust auf Mehr.

Grüße
C. Seltsem

 

Hallo Quinn,

Tja, was soll man noch sagen? Die Geschichte ist mit der für deinen Stil typischen Lockerheit geschrieben und es gelingt dir, das Ganze so zu erzählen, dass ich mich trotz der sich wiederholenden Dialog-Strukturen und des durchgekauten Semi-Schwachsinns an keiner Stelle genervt fühlte. Dafür aber nett unterhalten.
Klasse fand ich zu Anfang:

könnte alle Bundesländer mit den dazugehörigen Hauptstädten aufzählen und das wäre beachtlich, denn das mit den Hauptstädten krieg ich sonst nie hin.
:lol:


Gruß,
Abdul

P.S.: Ich möchte mal halb so viele Geschichten pro Zeit schreiben wie du! Ach, was red' ich! Die Hälfte davon täte es auch...

 

Hallo Seltsem,

jau, das Ungelenke ... hm, mal gucken, ob ich da noch was dran machen kann.
Klar, ist es eher ein Appetithäppchen, aber ich find diesen Mix aus kurzen, mittellangen und längeren Geschichten ganz interessant als Schreiber. Geht man halt anders ran.

Schön, dass du's fluffig fandest, danke dir für deine Kritik
Quinn

Hey Abdul,
schön, dass es dir gefallen hat. Mit der Anzahl der Geschichten, na ja, manchmal wär mir etwas mehr Klasse statt Masse da auch lieber, also wenn ich nur die reinstellen würde, von denen ich denke: "Jau, die sind irgendwie wichtig", säh's in meiner Geschichtenliste auch anders aus. :) Aber hey, dann hätte man als Leser auch nicht so die Überraschung, was einen diesmal erwartet. Wenn's vielleicht so auch ein bisschen zu viel wird.

Gruß
Quinn

 

Hallo Quinn!

Tjoar ... Was soll man noch hinzufügen? :) Ich stimme mal ins Lob ein. Klasse Geschichte, locker geschrieben und locker zu lesen, eine durchgeknallte Situation mit einen entsprechenden Dialog. Meiner Meinung nach sogar mehr als ein Appetithäppchen. :)
Das mit den Schlangen und der abgeworfenen Haut, was angemerkt worden ist, stört mich persönlich überhaupt nicht. Finger müssen ja nicht immer Würste sein. :)
Tjoar ... empfehlen oder nicht? :)

Beste Grüße

Nothlia

 

Hey Nothlia,

freut mich natürlich, dass dir die Nummer hier so gut gefallen hat, dass du ne Empfehlung springen lässt. Tjoar, danke noch mal, an der Sit-Com-Sache ist sicher irgendwas dran. ;)

Gruß
Quinn

 

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