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Vollkommen
Die Wüste...sie ist vollkommen. Sie ist leer. Nur der Sand unter meinen Füßen lässt mich begreifen, dass ich immer noch hier, an diesem Ort bin und nicht im Paradies.
Die Sandkörner, die von einem animalisch blasenden Wind durch die Luft getrieben werden zerkratzen meine Haut, zerschneiden sie, reißen sie auf. Alles ist gut.
Ich stehe wieder auf und blicke zum Horizont. Eine Welt aus braun und blau. Eine Welt, fern jeglicher weltlicher Schmerzen. Eine Welt, auf ihre Entdeckung wartend.
Sie ruft mir zu.
„Komm und fliehe.“
Ich folge der Wüste. Sie verführt mich, lässt mich nicht mehr an ihr zweifeln.
Jeder Schritt, den meine Füße in den heißen Sand vor mir setzen lässt mich vergessen, was einst war und aufjubeln vor Freude auf das, was kommen wird. Es ist alles weg, alles was ich tat, was andere taten, was je getan wurde. Vergangenheit. Vorbei.
Ich werde schneller, schneller, immer schneller. Die Welt um mich herum ist nur noch ein verwaschener Tunnel, denn ich renne, immer geradeaus, immer in die eine Richtung. Heim, dort wo ich hingehöre. Meine Beine bewegen sich von selbst, alles in mir kennt nur noch das eine Ziel, vergessen ist jeder andere Gedanke. Ich will weg, nur weg.
Ich spüre das Feuer, dass vor mir lodert, das größer wird und droht mich zu verschlingen. Es brennt, ich koche, doch ich werde nicht langsamer. Nichts in mir ist in der Lage, die Hitze zu spüren, das Leid, dass sie meinem Körper antut zu registrieren, die Schmerzen, die ich habe zu fühlen.
Unter mir wird der Sand zu scharfem Glas, gräbt sich in meine Füße, spiegelt den Schein der Sonne und lässt mich erblinden. Doch ich renne weiter, immer weiter, durch das Feuer, das Glas, das Licht.
Ich schreie, vor Glück, nicht vor Wut oder Schmerz. Nichts hält mich auf.
Mein Schrei endet. Ich werde langsamer, beginne wieder zu sehen, beginne wieder zu fühlen.
Vor mir liegt das Meer. Tosend brechen die Wellen an den meterhohen Klippen, von denen ich auf das blaue Wunder hinabblicke. Es ist vollkommen.
Erneut schließe ich die Augen, vergesse den Sonnenuntergang, für den ein jedes Paar auf dieser Welt getötet hätte. Er ist nicht wichtig. Nichts ist das. Nur mein Ziel.
Ich atme ein, so tief es geht, schöpfe die Vollkommenheit, sauge sie in mich hinein.
Ich springe.
Das Meer ruft mich, weckt Vertrauen und verspricht mir alles, was ich mir wünsche.
Doch der Moment des Eintauchens belehrt mich eines Besseren. Die Lügen des Meeres tanzen vor mir, lachen mich aus und bringen mich um den Verstand.
Ich schwebe im Blau, fühle mich erlöst, doch weiß, dass es eine Täuschung ist.
Ich fühle, wie ich weg gezerrt werde, zurück zum Braun, zur Klippe, fort von meinem Ziel.
Doch ich weiß, es ist sinnlos. Ich bin eins mit mir, kenne meinen Weg, meine Bestimmung, meinen Traum.
Das Wunder zerrt an mir, brüllt mich an und schmettert meinen Körper vor die Klippen. Immer und immer wieder spüre ich, wie das Braun und das Blau sich vereinen um mich zu zerstören, vom Weg abzubringen, für sie einzuspannen. Ihre Stimmen sind furchtbar, schrill und laut und vermögen es nicht, zu verstummen.
Mein Leib wird durchbohrt vom Stein, zerdrückt vom Wasser, doch ich fühle nichts.
Ich schließe die Augen und blicke doch geradeaus und sehe mein Ziel.
Ich spucke sie aus, die Verdorbenheit, die man mir schmackhaft machte.
Und wieder atme ich ein.
Vor mir liegt die Welt.
Zornig, wütend, erbost.
All der Hass, die Wut, der Schmerz, die Arroganz, die Eifersucht, die Engstirnigkeit, die Trauer wirft sie mir entgegen. Ich solle knien vor ihr, knien vor der Welt.
Die Fassaden des Braun und Blau sind zerschmettert, ihre hässlichen Fratzen zeigen sich mir, tanzen ihren fürchterlichen Tanz und zwingen mich, ihn zu ertragen.
Alles schreit mir zu. Alles zerrt an mir. Alles engt mich ein.
Doch ich fürchte mich nicht.
Wenn die Welt sagt, knie, so steh ich gerader als je zuvor.
Wenn die Welt sagt, schweig, so brülle ich lauter als es Zehntausend Männer vermögen.
Wenn die Welt sagt, folge, so bleibe ich stehen.
Als das Feuer der Wüste mich ergreift werde ich zu Wasser, zerdrücke es in meinen Händen und lasse es verschwinden.
Als das Wasser des Meeres mich umspült werde ich zur Erde, absorbiere es und trockne es aus.
Alles ist still. Alles schweigt. Ich atme ein.
Vor mir liegt die Schwärze. Keinen Laut gibt sie von sich. Ich blicke mich um.
Alles ist still.
Die Schwärze schweigt.
Sie gibt mir keine Versprechungen. Sie enttäuscht mich nicht.
Sie bietet mir kein Vergnügen. Sie lässt mich nichts missen.
Sie spricht nicht zu mir. Sie schreit mich nicht an.
Ich lasse mich fallen, fallen ins Nichts. Ich schwebe, doch wenn ich will, dann stehe ich.
Alles ist still.
Die Schwärze...sie ist vollkommen.