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Vom Träumen und Vergessen

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19.02.2006
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Vom Träumen und Vergessen

Auf der Suche nach einer Geschichte stieß Herr Anders auf den Gnom.
Als er erschrocken aus seinen trüben Gedanken fuhr, stellte er fest, dass ihn seine Schritte in den Wald geführt hatten. Er war schon lange nicht mehr da gewesen. Frau Anders mochte es nicht, wenn er im Wald spazieren ging. „Das ist viel zu gefährlich“, hatte sie ihm seine Waldspaziergänge abgewöhnt. „Du könntest stolpern und dir ein Bein brechen, oder du wirst von einem Ast erschlagen, außerdem gibt es dort gefährliche Zecken und anderes Getier.“ Und sie vergaß nie hinzuzufügen, dass er stets nach seinem Spaziergang den halben Wald mit ins Haus schleppte und sie noch tagelang danach Tannennadeln aufkehren musste.
Eine geraume Weile starrte Herr Anders den Gnom nur an, unfähig einen klaren Gedanken zu fassen. Das kleine Männlein ließ die Musterung geduldig über sich ergehen und starrte seinerseits zurück. Es mochte vielleicht zwei Handlängen messen. Es trug ein sackähnliches Gewand, aus dem Füße, Arme und Kopf herauslugten. Der Kopf schien etwas zu groß für den Rest des Körpers zu sein, was der ganzen Erscheinung einen drolligen Anstrich verlieh. Verstärkt wurde dieser niedliche Effekt durch riesige Augen und einen mächtigen Zinken von einer Nase. Dennoch hatte die Gestalt nichts Puppenartiges an sich, denn die Haut wirkte ledern und war von vielen kleinen Fältchen durchzogen. Auf dem Kopf wuchs dem Gnom grasgrünes Haar.
Herr Anders befreite sich aus seiner Starre und rieb sich ungläubig die Augen. Und tatsächlich schien die zwergenhafte Gestalt vor ihm unscharf zu werden. Ob er sich das alles nur einbildete?
„Was tust du?“
Herr Anders fuhr ertappt zusammen. „Ich … Entschuldigung …“ Er sah sich einmal rasch um. „Ich wusste nicht, dass es euch wirklich gibt.“
„Wir haben auch schon an dir gezweifelt. Wo bist du all die Jahre gewesen?“
„Ich verstehe nicht …“
„Früher warst du jeden Tag hier und hast mit uns gespielt.“
Die Worte des Gnoms ließen bei Herrn Anders eine längst verstaubte Erinnerung anklopfen. Das Klopfen klang hohl, und das Echo brachte verschwommene Bilder mit sich. Bilder einer bunten Kindheit voller Fantasie und Lebenslust. Die Bilder zeigten ihm, wie er als Knabe durch den Wald gezogen war und Kraft seiner Gedanken seine eigene fabelhafte Welt erschaffen hatte.
Er hatte den gesamten Wald in eine Märchenlandschaft verwandelt und ihn mit den absonderlichsten Wesen bevölkert.
Die Bilder wurden immer klarer, er sah sich mit den Wesen sprechen, mit ihnen spielen, Abenteuer durchstehen. Das war die Zeit, als er mit dem Schreiben angefangen hatte. Ja, jetzt sah er sich unter einem Baum sitzen und seine Erlebnisse in dieser fantastischen Welt aufschreiben, während die Gnome und Elfen um ihn herumtanzten.
Wie hatte er all das nur vergessen können, wunderte sich Herr Anders.
„Anscheinend ist das geschehen, was allen von deiner Sorte im Alter passiert“, sagte der Gnom. Seine großen Augen blickten traurig.
„Wir verlernen zu träumen“, sinnierte Herr Anders und der Gnom nickte.
Herr Anders dachte zurück, versuchte sich zu erinnern, wann er aufgehört hatte, sich von seiner Fantasie entführen zu lassen.
Wieder das hohle Klopfen, mehr Bilder, schärfer diesmal.
Er hatte immer viel geschrieben, er brauchte sich ja nicht extra etwas auszudenken, sondern nur das niederzuschreiben, was er erlebt hatte. Und die Erinnerungen flossen mühelos aufs Papier.
Irgendwann fiel eine seiner Geschichten jemanden in die Hände, der sich und Herrn Anders großen Profit davon versprach. Und dieser jemand behielt Recht.
Herrn Anders Geschichten wurden in Bücher gebunden und fanden in der Welt der Menschen, die selbst verlernt hatten zu träumen, großen Anklang. Indem die Menschen Herrn Anders Geschichten lasen, war ihnen, als träumten sie ihr eigenes Versäumtes nach.
Doch der Erfolg entpuppte sich als ein Wirbel, der ihn selbst aus seinem Traumreich riss und in die Welt der Nicht-Träumer warf. Herr Anders wurde auf einem Silbertablett herumgereicht, von einem Paar wichtiger Hände in das nächste.
Dabei durchreiste er viele Länder und sah viele Orte, aber je weiter er sich von seinem Wald entfernte, desto mehr ließ er auch seine Gabe des Träumens hinter sich. Doch davon merkte Herr Anders lange Zeit nichts, denn die wichtigen Hände hielten ihn in einem festen Griff umklammert, lenkten ihn von Vergnügen zu Vergnügen. Und er folgte ihnen willig, trunken vom Sog des Ruhmes.
Herrn Anders lief eine einsame Träne über die faltige Wange, als er die letzten Bilder seiner Vergangenheit an sich vorbeiziehen sah.
Denn so wonnig er sich auch im Licht des Erfolgs gesonnt hatte, so tief hatte es ihn letztlich ausgebrannt. Nach einem langen Rausch wachte er wieder bei sich zuhause auf. Er wachte auf mit Frau Anders an seiner Seite, die sich jeden Tag darüber beschwerte, dass es nicht mehr so sei, wie es früher mit ihm gewesen ist. Und tatsächlich war nichts mehr so wie früher.
Das Silbertablett war so stumpf geworden, dass er darin kaum mehr sein Spiegelbild erkannte. Die wichtigen Hände sah er, wenn überhaupt, nur noch aus der Ferne eilig winken. Aber was das Schlimmste, und gleichzeitig der Grund für sein Stranden in der Welt der Nichtträumer war: Die Worte flossen nicht länger aus Herrn Anders heraus, er musste sich beim Schreiben anstrengen und eine nie gekannte Mühe an den Tag legen, um überhaupt einen vernünftigen Satz zu Papier zu bringen. Er verbrachte lange verzweifelte Nächte vor seiner Schreibmaschine, bis er schließlich gar nicht mehr schrieb.

Der Gnom schaute Herrn Anders mitleidig an.
„Unsere Welt war einst auch deine Welt. Wie sollen wir leben in ihr, ohne dich?“
Dann klatschte der Gnom plötzlich in die Hände und rief:
„Du hast Verantwortung! Du kannst uns nicht einfach so erschaffen und uns dann dem Vergessen überlassen.“
Durch Herrn Anders ging ein heftiger Ruck. Plötzlich schien alles ganz klar. Er war fest entschlossen, der Welt des Gnoms zu neuer Pracht zu verhelfen. Fest entschlossen, seiner Welt neue Pracht zu verleihen. Mit einem Mal verstand er überhaupt nicht mehr, warum er dies noch nicht längst getan hatte. Wie hatte es nur soweit mit ihm kommen können?
Dann durchzuckte ihn plötzlich Angst. Er dachte an Frau Anders.
„Was, wenn mich die Wirklichkeit wieder einfängt und mich erneut vergessen macht?“, flüsterte er beinahe.
Der Gnom fuhr sich mit einer würdevollen Bewegung durchs Haar und hielt Herrn Anders ein Büschel seiner grasgrünen Haarpracht entgegen.
„Schreib eine Geschichte, bring uns und dir unser Leben zurück!“

Es war spät, als Herr Anders nach Hause kam. Frau Anders begrüßte ihn mit den Worten: „Und, warst du erfolgreich?“
Schuldbewusst zuckte Herr Anders zusammen. Eigentlich war er heute ausgezogen, um endlichen ihrem Drängen nachzugeben, sich eine „richtige Arbeit“ zu suchen.
„Ich habe eine Idee für eine neue Geschichte“, sagte er mit so fester Stimme, wie er konnte. Aber er merkte selbst, dass es sich mehr wie eine Entschuldigung anhörte.
Natürlich war Frau Anders nicht begeistert. Eingeschüchtert ließ er ihre Vorwürfe über sich ergehen. Und mit jedem Wort nagte der Zweifel ein wenig mehr an ihm. Denn Frau Anders hatte Recht. Wann hatte er zum letzten Mal geschrieben? Konnte er überhaupt noch schreiben? Würden seine Geschichten überhaupt noch Anklang finden? Wie sollten sie ihre Rechnungen bezahlen?
Einem gescholtenen Schuljungen gleich, stand er vor ihr, die Hände in den Hosentaschen vergraben, den Blick gesenkt. Doch dann fühlte er das Gnomenhaar in seiner Tasche und neue Zuversicht durchfuhr ihn. Er ließ die Litanei seiner Frau ungeduldig über sich ergehen und huschte rasch ins Arbeitszimmer, als sie eine Pause machte.
Mit zitternden Fingern nahm er die Haube von seiner altmodischen Schreibmaschine. Er rückte den Stuhl zurecht, legte feierlich das Haarbüschel neben sich, atmete einmal tief ein – und begann zu schreiben.
Das erste Wort tippte er noch zögerlich, doch dann konnte er kaum mehr an sich halten. Seine Finger flogen wie von selbst über die Tasten, einem Riss im Staudamm gleich schoss es aus ihm heraus, füllte Seite um Seite. Bis in die tiefste Nacht schrieb er, und die ganze Zeit schien ihm, als spräche das Gnomenhaar zu ihm.

Herr Anders erwachte von polternden Putzgeräuschen seiner Frau. Er richtete sich schlaftrunken auf und konnte sich gar nicht mehr erinnern, wie er den Weg auf das Sofa gefunden hatte. Aber das kümmerte ihn auch nicht. Er fühlte eine tiefe Glückseligkeit, spürte in sich noch immer den Nachklang eines belebenden Traumes. Mit einem Schlag war Herr Anders hellwach. Das gute Gefühl war schrecklicher Angst gewichen. Was, wenn er sich das Ganze nur eingebildet hatte?
Herr Anders stürzte zum Schreibtisch und suchte nach dem Gnomenhaar. Es lag nicht mehr dort.
„Hast du meinen Schreibtisch aufgeräumt?“, rief er mit Entsetzen in der Stimme.
„Das war überfällig.“
„Was hast du mit dem …“ Gnomenhaar gemacht, wäre ihm beinahe herausgerutscht.
„Hast du etwas vom Tisch genommen?“ Herrn Anders’ Stimme überschlug sich fast.
„Nein, ich habe nichts vom Tisch genommen“, rief Frau Anders pikiert zurück.
„Aber da war doch – denk noch mal nach!“
Frau Anders verzog das Gesicht. „Du regst dich doch nicht wegen des Büschels Gras auf?“
„Das war kein Gras!“ Herr Anders war den Tränen nahe. „Was hast du damit gemacht?“
Entrüstet präsentierte sie ihm die Kehrschaufel. „Wenn das kein Gras ist, was dann?“
Herr Anders nahm das Gnomenhaar von der Schaufel. Unter den ungläubigen Blicken Frau Anders’ befreite er es von Staubflusen und befühlte es. Er roch daran, zerrieb es zwischen den Fingern. Ein Schluchzen entrang sich seiner Seele. Es war nichts weiter als gewöhnliches Gras.
„Dann habe ich mir das alles nur eingebildet …“, murmelte er kraftlos.
Wenn er sich die ganze Geschichte nur eingebildet hatte, dann konnte er auch nichts geschrieben haben. Herr Anders zwang sich, erneut zum Schreibtisch zu gehen. Auf der Arbeitsfläche fand sich keine Seite beschriebenen Papiers. Aber das musste nichts bedeuten. Es war immer eine Angewohnheit von ihm gewesen abgeschlossene Arbeiten in die Schublade „Ruhend“ zu legen, wo er sie normalerweise einen guten Monat unter Verschluss hielt, um sie dann erst mit dem nötigen Abstand Korrektur zu lesen.
Aber diesmal konnte er keinen Monat warten. Seine Hand zitterte, als er die Schublade aufzog.

Geräuschvoll klappte Großvater das Buch zu.
„Aber Großvater, wie geht die Geschichte zu Ende?“, protestierte Lena.
„Das, mein Kind, musst du schon selbst entscheiden“, sagte Großvater mit einem verschmitzten Lächeln und strich ihr über den Kopf. „Schlaf gut, meine Liebe.“
Lena wollte erneut protestieren, doch anstatt des Protestes entrang sich ihrer Kehle ein herzhaftes Gähnen.
„Träume etwas Schönes.“
„Ich werde das Träumen nie verlernen“, murmelte Lena trotzig und war kurz darauf eingeschlafen.

 

Hallo Weltenläufer,

mir hat deine Geschichte gefallen, auch wenn sie klischeehaft sein mag. Am Ende stehen ja zwei Fragen, die eine offensichtliche - was ist in der Schublade - und die andere letztlich viel wichtigere. Ist Frau Anders in der Lage, nicht nur zu nörgeln - du hast dich verändert - sondern auch den Grund zu erkennen. Denn mir wurde aus der Geschichte mal wieder klar, das es oft nicht langt, wenn ein Mensch alleine sich ändert.

LG

JO

 

Danke Jobär für deine wohlwollende Kritik.
Deine zweite Frage finde ich sehr interessant. Wenn es rein um die Beziehung geht, stimme ich dir auf jeden Fall zu. Da gehören immer zwei zu. Aber wenn man es etwas gelöster betrachtet, reicht es schon wenn sich der einzelne Mensch ändert (zumal man nur sich selbst ändern kann) - er muss dann nur die nötigen Konsequenzen in Kauf nehmen (was unter Umständen hieße, die Beziehung zu kappen).

grüßlichst
weltenläufer

 

Hallo weltenläufer!

Jetzt bin ich doch schon schneller fertig als erwartet – wird also nix mit dem prophylaktisch empfohlenen Schönen-Tag-Machen, sorry! :p (Du kannst natürlich auch gleich wieder zu lesen aufhören, Dir erst einen schönen Tag machen und dann weiterlesen. ;) Das war Empfehlung Nummer zwei, wenn Du jetzt trotzdem weiterliest, bist Du selbst schuld! :D)

Ich habe Deine Geschichte sehr gern und mehrmals gelesen, was natürlich heißt, daß sie mir schon mal grundsätzlich gefallen hat. Das bezieht sich neben der guten Lesbarkeit besonders auf die märchenhafte Umsetzung des Themas, wodurch Du es sehr gut schaffst, das Innere des Protagonisten von dem, was er nach außen hin abgibt, abzugrenzen. So hab ich mich sehr gern damit beschäftigt, was aber auch mit sich bringt, daß die Kritikpunkte mehr wurden, als wenn ich nach dem ersten Lesen einen spontanen, kurzen Kommentar geschrieben hätte. :)

Nun würde ich mich natürlich freuen, wenn Du meine Kritik nicht mit den Worten »aber zum Glück wird deinem niederschmetternden Kommentar nicht mehrheitlich zugestimmt« abtust, sondern Dich mit meinen Gedanken ebenso beschäftigst, wie ich mit Deiner Geschichte. Richte Dich nicht nach der Mehrheit, sondern entscheide selbst, welche Argumente (damit meine ich selbstverständlich nicht nur meine, sondern die von allen Kritikern, die ihre Meinung begründen, und überhaupt wo es im Leben um Meinungen geht) Du nachvollziehen kannst, überlege, welche Deine Intention oder Interessen unterstützen und welche vielleicht daran vorbeigehen.
Und vor allem: Versuch, die Geschichte noch zu bearbeiten. Gerade bei dem Thema fände ich es schade, wenn Du Dich hinter einem »die Geschichte ist eben etwas leichter gestrickt« versteckst – sowas kann man doch gar nicht leicht stricken … ;)

Zu Beginn gleich einmal ans Ende:

weltenläufer schrieb:
Letztlich möchte ich die Antwort dem Leser selbst überlassen, entscheidet er sich fürs Träumen oder Vergessen?
Das tust Du nicht, denn dadurch, daß Du am Ende die Enkelin einbaust (und es wirkt eindeutig so, als wäre der Großvater selbst der erzählende Autor), wird offensichtlich: Er muß sich mit seiner Frau irgendwie arrangiert haben (vorher hatten sie ja offenbar noch kein Kind, jedenfalls läßt nichts in der Geschichte auch nur ansatzweise darauf schließen). Die Charakterisierungen in der Geschichte lassen mich jedoch nicht glauben, daß er vielleicht mit seiner Frau geredet hätte und sie zu einem Einsehen gekommen wäre, ihn sein läßt, wie er ist, sondern es läßt eher vermuten, daß er sich angepaßt hat.
Ich würde daher dieses Vorlese-Ende streichen. Das Ende mit der Schublade gefällt mir ganz gut, ich würde es dabei belassen, damit es wirklich ein offenes Ende ist.

xadhoom schrieb:
Die Frau versteht nichts und scheint sich auch nicht einmal die Mühe zu machen; er macht sich nicht mal ansatzweise die Mühe, was dazu zu sagen.
Das finde ich auch und frage mich, warum er überhaupt mit ihr zusammen ist. Insgesamt wirkt sie doch eher wie eine strenge Mutter als wie eine Frau, mit der ihn irgendwelche schönen Gefühle und gemeinsame Interessen verbinden oder überhaupt jemals verbunden haben.
weltenläufer an xadhoom schrieb:
Deiner Argumentation nach, müsste das Verhalten meines Prots ja an irgendeiner Stelle einen Bruch aufweisen, so dass du sein Verhalten nicht nachempfinden kannst.
Es ist kein »Bruch«, es ist insgesamt unschlüssig, warum sie diese Macht über ihn hat. Ich nehme nicht an, daß er zwangsverheiratet wurde, finanziell abhängig ist er auch nicht von ihr, also muß etwas anderes dahinterstecken, was aber auch nicht Liebe ist, denn die kommt in der ganzen Geschichte nicht vor – außer in Form des vorlesenden Großvaters. Würde die Frau ihn lieben, würde sie ja versuchen, ihn zu verstehen, würde zum Beispiel bei dem Grasbüschel anders reagieren (etwa »Oh, entschuldige, wie konnte ich das nur mit einem Grasbüschel verwechseln?«) bzw. sich schon vorher denken, daß es sich nicht von selbst auf den Schreibtisch gelegt haben wird und es ihm deshalb liegen lassen. Sie erwartet, daß er schreibt, tötet aber jede Phantasie, und er versucht trotzdem, ihren Anforderungen zu entsprechen, auch wenn er den Weg dahin heimlich und unterirdisch suchen muß, ohne auch nur einmal für sich zu sprechen.
Das erklärungslos stehen zu lassen, finde ich auch unbefriedigend. Natürlich kann man auch einmal eine Situation einfach nur darstellen und den Leser selbst weiterdenken lassen – ich will damit nicht sagen, daß alles immer aufgelöst usw. sein muß –, aber es sollte dann in sich klar sein, stimmig wirken, und keine so gravierenden Fragen aufwerfen, ohne deren Beantwortung man sich recht schwer tut, das Ganze soweit nachzuvollziehen, daß man überhaupt zum Weiterdenken kommt und sich nicht mit den ungelösten Fragen im Kreis dreht.

Ich persönlich denke: Entweder willst Du hier eine Mutter als Ehefrau »tarnen«, oder der Protagonist hat sich die Frau entsprechend seiner Mutter ausgesucht, um das wiederzufinden, was er so gut kennt. Hierbei wäre die Frage interessant, warum er überhaupt als Kind in den Wald geflüchtet ist, um sich dort seine Phantasiewelt aufzubauen – solche Fluchtorte sind ja oft für Kinder ein Mittel, mit der harten Realität fertig zu werden. Und damit muß ich auch der Kritik zustimmen, daß die Kindheit zu wenig dargestellt, vielmehr als bunt und schön gewertet übergangen wird. – Ein bekanntes Zeichen dafür, daß sie vielmehr das Gegenteil davon war.
Hier hättest Du die Möglichkeit, durch genaueres Hinsehen in der Kindheit Parallelen zwischen der Frau und der Mutter aufzuzeigen. Hätte ich als Leser das Gefühl, er würde anfangen, die Parallelen zu erkennen, hätte ich am Schluß beim Öffnen der Lade eher ein gutes Gefühl, daß er in der Lage sein wird, sich zu befreien.
Im Moment kann ich dieses Gefühl nicht haben, denn er macht viel eher den Eindruck, als wollte er weiterhin versuchen, alles unter Dach und Fach zu bringen, nach außen so zu sein, wie er gewünscht wird, alle Anforderungen als gegeben hinzunehmen und diesen ohne Hinterfragen zu entsprechen, und nur dann, wenn er es heimlich tun kann, er selbst zu sein. Wie er schon als Kind in den Wald laufen mußte, um seine Welt zu leben …

Was die Schuldzuweisungen in der Geschichte betrifft: Auch das ist ein Zeichen, des nicht selbstbestimmten Handelns. Solange man nicht erkennen kann, daß man selbst über sich und die Umstände, in denen man lebt, entscheiden kann, läßt man über sich bestimmen. Deshalb liegt die Ursache und damit zunächst auch die Schuld immer in der Erziehung, die einem das selbstbestimmte Denken und das Durchsetzen eigener Wünsche abgewöhnt hat. Erkennt man das aber eines Tages – was automatisch kommt, sobald man sich bewußt wird, daß man darunter leidet, wie Dein Protagonist –, ist man dann selbst schuld, wenn man es nicht ändert (deshalb sind auch z. B. mißhandelnde Eltern oder Kinderschänder später schuldig, auch wenn sie selbst ursprünglich Opfer waren).
Nun scheint Dein Protagonist der Vorgeschichte nach aber nicht mehr gerade zwanzig zu sein, sondern eher mindestens jenseits der dreißig oder auch schon vierzig. Da ist es unwahrscheinlich, daß er erst jetzt beginnt, etwas zu bemerken bzw. sich Gedanken zu machen. Schließlich ist er ja nicht irgendein ungebildeter Mensch, sondern ein Autor, der zumindest das Zeug dazu hat, überzeugend zu schreiben – sonst hätte sich nie jemand um seine Geschichten gerissen, und ich glaube, man kann gar nicht so viel schreiben, ohne dabei an seinen eigenen Problemen vorbeizukommen.
Damit will ich sagen: Die Gedanken, die er sich hier in der Geschichte macht, müßten wesentlich ausgereifter sein – so ausgereift, daß am Schluß klar ist: Er braucht nur mehr den Mut. Das würde auch dem oben schon in Bezug auf die Ehefrau Gesagten entsprechen und meiner Meinung nach die Nachvollziehbarkeit insgesamt erhöhen und so auch das Sich-am-Ende-mit-Fragen-im-Kreis-Drehen verhindern.


So, jetzt laß mich noch schnell das Grießkorn an die Wand nageln :D:

Zu der entmummte/entpuppte-Diskussion: Ich würde die beiden ihrem tieferen Sinn nach differenzieren. Vermummt ist etwas, das schon vorher so war, bloß unkenntlich verpackt und beim Entmummen wieder ebenso ausgepackt wird. Vermummen sehe ich also eher als eine bewußte Handlung, man versteckt etwas, während sich etwas, das sich entpuppt, erst (weiter)entwickelt hat, vorher also noch nicht ersichtlich gewesen sein muß. Deshalb fände ich auch entpuppte hier angebrachter, denn auch die, die ihm zu dem Erfolg verholfen haben, mußten nicht damit rechnen, daß er den Erfolg nicht verkraftet, entmummt klingt also, wenn man es genau betrachtet, eher so, als hätten sie vorher schon gewußt, daß seine Phantasie dabei verloren geht, es ihm aber nicht verraten, während es in Wirklichkeit aber doch eher eine Entwicklung aus seinem Inneren heraus war. Auf viele andere wirkt der Erfolg sicher eher beflügelnd, es ist also nicht unbedingt böse Absicht dahinter, wenn z. B. ein Verlag jemanden unter Vertrag nimmt und ihn bewirbt. ;)


Und dann noch ein paar Kleinigkeiten:

»Auf der Suche nach einer Geschichte stieß Herr Anders auf den Gnom.
Als er erschrocken aus seinen trüben Gedanken fuhr, stellte er fest, dass ihn seine Schritte in den Wald geführt hatten.«
– Ist die Reihenfolge nicht eigentlich so, daß ihn erst seine Schritte auf der Suche nach einer Geschichte in den Wald führen, er dann aufschreckt und erst jetzt auf den Gnom stößt? Wenn ja, dann würde ich das auch in der Reihenfolge beschreiben.

»Er war schon lange nicht mehr dort gewesen,«
– »da« statt »dort« (er ist ja bereits da), und am Ende würde ich einen Punkt machen.

»„Das ist viel zu gefährlich“, hatte sie ihm seine Waldspaziergänge abgewöhnt.«
– »hatte sie ihm … abgewöhnt« ist nicht wie »sagte« zu verwenden, Vorschlag: »… sagte sie und hatte ihm damit seine …«, oder vielleicht auch: »Mit Mahungen wie „Das ist ja viel zu gefährlich!“ hatte sie …«

»Das kleine Männlein ließ die Musterung geduldig über sich ergehen und starrte seinerseits zurück.«
– »seinerseits« würde ich streichen

»Es mochte vielleicht zwei Handlängen messen. Es trug ein sackähnliches Gewand, …«
– zwei »Es«-Satzanfänge hintereinander, würde das zweite streichen und statt dem Punkt einen Beistrich machen

»Verstärkt wurde dieser niedliche Effekt durch riesige Augen und einem mächtigen Zinken von einer Nase.«
– durch … einen mächtigen Zinken

»Dennoch hatte die Gestalt nichts puppenartiges an sich,«
– nichts Puppenartiges

»Und tatsächlich schien die zwergenhafte Gestalt vor ihm unscharf zu werden. Ob er sich das alles nur einbildete?«
– Durch die nachgestellte Frage kannst Du Dir »schien … zu werden« eigentlich sparen: Und tatsächlich wurde die zwergenhafte Gestalt unscharf.

»„Ich… Entschuldigung…“«
»„Ich verstehe nicht…“«
– Leertasten vor die drei Punkte

»Bilder aus Herrn Anders Kindheit. Einer bunten Kindheit voller Fantasie und Lebenslust.«
– würde einen Satz draus machen und abei »aus Herrn Anders Kindheit« streichen, weil es eh klar ist: Bilder einer bunten Kindheit …

»Die Bilder zeigten ihm, wie er als Knabe durch den Wald zog und Kraft seiner Gedanken seine eigene fabelhafte Welt erschuf.«
– durch den Wald gezogen war und Kraft seiner Gedanken seine eigene fabelhafte Welt erschaffen hatte.

»Ja, jetzt er sah sich unter einem Baum sitzen, und seine Erlebnisse in dieser fantastischen Welt aufschreiben, während um ihn die Gnome und Elfen herumtanzten.«
– jetzt sah er sich
– keinen Beistrich nach »sitzen«
– würde ich auch umdrehen: während die Gnome und Elfen um ihn herumtanzten

»Herr Anders dachte zurück, versuchte sich zu erinnern wann er aufgehört hatte,«
– erinnern, wann

»Herr Anders Geschichten wurden in Bücher gebunden und … Indem die Menschen Herr Anders Geschichten lasen,«
– 2 x Herrn Anders

»der ihn selbst aus seinen Traumreich riss«
– aus seinem Traumreich

»Aber was das schlimmste, und gleichzeitig der Grund für sein Stranden in der Welt der Nichtträumer war:«
– das Schlimmste (ohne Beistrich) und gleichzeitig

»„Unsere Welt war auch einst deine Welt.«
– verdreht: war einst auch deine Welt

»Er war fest entschlossen der Welt des Gnoms zu neuer Pracht zu verhelfen. Fest entschlossen seiner Welt neue Pracht zu verleihen.«
– »entschlossen, der« und »entschlossen, seiner«
– statt »entschlossen« und die »neue Pracht« zu wiederholen, fällt Dir doch bestimmt auch eine andere Formulierung ein? ;-)

»warum er dies noch längst nicht getan hatte.«
– verdreht: »noch nicht längst«

»„Was, wenn mich die Wirklichkeit wieder einfängt und mich erneut Vergessen macht?“, flüsterte er beinahe.«
vergessen lässt

»hielt Herrn Anders einen Büschel seiner grasgrünen Haarpracht entgegen.«
– ein Büschel

»„Schreib uns eine Geschichte, bring uns und dir unser Leben zurück!“«
– das erste »uns« könntest Du auch streichen: Schreib eine Geschichte, bring uns …«

»„Was hast du mit dem…“«
– Leertaste vor die drei Punkte

»Herr Anders’ Stimme überschlug sich fast.«
– Herrn Anders’ Stimme

»rief Frau anders pikiert zurück.«
– Frau Anders

»Unter den ungläubigen Blicken Frau Anders’ befreite er es von Staubflusen und befühlte es.«
– würde schreiben »von Frau Anders«

»Herr Anders zwang sich erneut zum Schreibtisch zu gehen. Auf dem Schreibtisch fand sich keine Seite beschriebenen Papiers.«
– sich, erneut
– Vielleicht läßt sich der zweite Schreibtisch ersetzen, etwa durch »Auf der Arbeitsfläche«?

»sagte Großvater mit einem verschmitzten Lächeln und strich ihr über den Kopf.«
– einfacher wäre »strich über ihren Kopf«


Liebe Grüße,
Susi :)

 

Wow, Häferl.
Wie du bereits angekündigt hast, hat es dein Kommentar wirklich in sich.
Drum werde ich mir etwas Zeit nehmen, um deine Stellungnahme entsprechend zu würdigen/ überdenken. Eine ausführliche Antwort wird also erst demnächst kommen.
In jedem Fall sei aber schon mal ganz lieb gedankt, für deine großen Mühen. Ich weiß das wirklich zu schätzen :kuss:

grüßlichst
weltenläufer

 

Hey Welty

Meine Kritik wird nicht so lang sein wie die von Häferl, aber ich möchte dir doch sagen, was ich von der Story halte.
Mir hat sie gut gefallen. Eigentlich lese ich nie in Fantasy/Märchen, aber da du es bist. :)

Das Thema hat mir gefallen: Verlust der Fantasie, der Unschuld(?) dachte ich im ersten Moment, weil du ja auch von der Kindheit erzählst. Vermischt mit deinem selbstsicheren Stil, macht es die Geschichte wirklich gut.
Auch die Umsetzung finde ich gelungen. Auch wenn so eine Figurenkonstellation mit der gleichen Problematik oft gegeben hat und bearbeitet, und auch wenn du (vllt) nichts neues reingebracht hast(?) habe ich die Geschichte gerne gelesen.

Kleinigkeiten:

Ja, jetzt er sah sich unter einem Baum sitzen
Der Satzbau: ... jetzt sah er sich ...
Herr Anders Geschichten wurden in Bücher gebunden
Herr Anders' Geschichten
Aber was das schlimmste,
Schlimmste - glaub ich :shy:
Dann klatschte der Gnom plötzlich in die Hände und rief:
„Du hast Verantwortung! Du kannst uns nicht einfach so erschaffen und uns dann dem Vergessen überlassen.“
Kein Absatz und vllt Ausrufezeichen.
Geräuschvoll klappte Großvater das Buch zu.
Du bist gemein. :p Ich wollte wirklich wissen, wie es weitergeht, was ja für deine Geschichte spricht.

Cu Blacky

 

Hallo Häferl,
jetzt ist es soweit, ich habe so gründlich es eben ging über deine Vorschläge nachgedacht und hier sind meine (bisherigen) Gedanken dazu:

zum Glück wird deinem niederschmetternden Kommentar nicht mehrheitlich zugestimmt, und deswegen belasse ich alles so, wie es ist

:p
sorry, konnte ich mir nicht verkneifen

Nein, im Ernst, deine Kritikpunkte haben mir arg zugesetzt. Wo ich auf jeden Fall geneigt bin etwas zu verändern, ist die Schilderung der Kindheit. Ich sehe ein, dass hier auf jeden Fall der eine oder andere Satz fehlt. Ob ich dann das Bild mit der Mutter unterbringen kann, will ich nicht versprechen. Irgendwo sprengt mir das den Rahmen.
Auch zur Beziehung zu Frau Anders werde ich noch ein paar Worte verlieren. Anscheinend geht das wirklich nicht auf.
Allerdings werde ich hier in dieses Märchen keine tiefenpsychologische Erklärung ablassen. Aber ich denke auch nicht, dass das dein Anliegen war?

ich hatte bei deinen Argumenten den starken Eindruck, dass du etwas zu sehr auf das wirkliche Leben abzielst. So zum Beispiel die Angelegenheit mit Frau Anders, die sich mein Prot wahrscheinlich aufgrund seiner Erfahrungen mit seiner Mutter ausgesucht hat. Das ist gut gedeutet, findet aber in einem Märchen vielleicht nivht den rihtigen Platz :shy:
Aber ich werde mal sehen, wie ich die Angelegenheit löse. Vielleicht fließt deine Anregung von ganz allein mit ein. AUgenblicklich stelle ich mir das allerdings etwas schwer vor. Zu viel.
ähnlich erging es mir hiermit:

Deshalb liegt die Ursache und damit zunächst auch die Schuld immer in der Erziehung, die einem das selbstbestimmte Denken und das Durchsetzen eigener Wünsche abgewöhnt hat. Erkennt man das aber eines Tages – was automatisch kommt, sobald man sich bewußt wird, daß man darunter leidet, wie Dein Protagonist –, ist man dann selbst schuld, wenn man es nicht ändert (deshalb sind auch z. B. mißhandelnde Eltern oder Kinderschänder später schuldig, auch wenn sie selbst ursprünglich Opfer waren).
das ist ein interessanter Punkt, der auch meine Zustimmung findet, aber die Frage nach der Schuld spielt in meiner Geshcichte eigentlich gar keine Rolle. Natürlich wird Frau Anders als die Böse dargestellt, aber ebenso Herr Anders als der Schwache. Es obliegt doch dem Leser, wem er die Schuld anlasten möchte. Der eine mag denken: "hach, die blöde Kuh, soll die den armen kerl mal in Ruhe lassen" und der andere: "Dieser schlaffe Träumer soll mal aus dem Arsch kommen!"
Beides findet seine Berechtigung.

Zum Ende sagst du

Die Charakterisierungen in der Geschichte lassen mich jedoch nicht glauben, daß er vielleicht mit seiner Frau geredet hätte und sie zu einem Einsehen gekommen wäre, ihn sein läßt, wie er ist, sondern es läßt eher vermuten, daß er sich angepaßt hat.Ich würde daher dieses Vorlese-Ende streichen. Das Ende mit der Schublade gefällt mir ganz gut, ich würde es dabei belassen, damit es wirklich ein offenes Ende ist.
hmm, mir ist das nicht ganz schlüssig.
Zum Ende der Geshcichte verändert er sich doch sehr wohl. Ist außer sich. Ist das nicht Indikator genug, dass er aus seinem alten Muster springen könnte? Aber selbst wenn die Tendenz eher in die Richtung geht, dass er sich angepasst hat - der Leser kann sich doch noch immer entscheiden. Beides ist zumindest möglich, oder?
Von dem Vorlese-Ende mag ich mich nicht trennen. Das ist für mich so unwiderruflich mit der Geshcichte verknüpft, dass ich das Gefühl hätte sie zu zerreißen, wenn ich das Ende streichen würde.

so, zum Rest:
das vermaledeite entpuppen ändere ich.

»Auf der Suche nach einer Geschichte stieß Herr Anders auf den Gnom.
Als er erschrocken aus seinen trüben Gedanken fuhr, stellte er fest, dass ihn seine Schritte in den Wald geführt hatten.«
– Ist die Reihenfolge nicht eigentlich so, daß ihn erst seine Schritte auf der Suche nach einer Geschichte in den Wald führen, er dann aufschreckt und erst jetzt auf den Gnom stößt? Wenn ja, dann würde ich das auch in der Reihenfolge beschreiben.
gibt es für diese Umstellung in der Literaturwissenschaft nicht irgend so einen komplizierten Namen?
Zumindest nehme ich mir dieser Verkehrung mal einfach so raus, weil der Einstiegssatz der stäkere Hook ist.

Danke auch für das Raussuchen der Fehler, die werde ich gleich mal ausbessern. Der Rest der Überarbeitung wird wohl unter Umständen noch ein bissl dauern.

In jedem Fall danke ich dir vielmals für deine gründliche Kritik. Ich hoffe nicht, dass es für dich so aussieht, als hätte ich sie nicht entsprechend gewürdigt, nur weil mir einige Aspekte nicht so zusagen. Vielleicht habe ich auch nicht alles richtig verstanden.
In jedem Fall hast du mir stark zu denken gegeben und ich mache mich an eine Überarbeitung!
:)


Auch ein Doppeldankeschön an JoeBlack hierfür

Mir hat sie gut gefallen. Eigentlich lese ich nie in Fantasy/Märchen, aber da du es bist.
und ein Äätsch hierfür
Du bist gemein. Ich wollte wirklich wissen, wie es weitergeht, was ja für deine Geschichte spricht.

Deine Fehler besser ich auch gleich aus. Danke fürs Raussuchen.

grüßlichst
weltenläufer

 

Lieber weltenläufer!

Nein, im Ernst, deine Kritikpunkte haben mir arg zugesetzt. Wo ich auf jeden Fall geneigt bin etwas zu verändern, ist die Schilderung der Kindheit. Ich sehe ein, dass hier auf jeden Fall der eine oder andere Satz fehlt. Ob ich dann das Bild mit der Mutter unterbringen kann, will ich nicht versprechen. Irgendwo sprengt mir das den Rahmen.
Auch zur Beziehung zu Frau Anders werde ich noch ein paar Worte verlieren. Anscheinend geht das wirklich nicht auf.
Allerdings werde ich hier in dieses Märchen keine tiefenpsychologische Erklärung ablassen. Aber ich denke auch nicht, dass das dein Anliegen war?
Nein, um eine tiefenpsychologische Erklärung geht es mir nicht, nur um eine stimmige Darstellung. ;)
ich hatte bei deinen Argumenten den starken Eindruck, dass du etwas zu sehr auf das wirkliche Leben abzielst.
Früher hatten die Märchen ja fast alle irgendeinen realen Hintergrund, über den man (zu der jeweiligen Zeit, als sie geschrieben wurden) nicht sprechen durfte, weshalb dann eben viele Dinge verschleiert/verschlüsselt dargestellt wurden. Es ist also ganz und gar nicht so, daß alles in Märchen immer nur reine Phantasie war, oder andersrum: Die Praxis bzw. Möglichkeit, in Märchen unangenehme, gesellschaftspolitische, psychologische oder erzieherische Themen zu behandeln, ist so alt wie das Märchen selbst. Es ist nur eben eine andere Art der Darstellung eines Problems, eines Gedanken oder einer Erkenntnis, als wenn man den Leser vor die nackten Tatsachen der Realität stellt. Letzteres liegt mir beim Schreiben mehr, aber ich lese ganz gern ab und zu Märchen, bei denen ich tiefere Hintergründe vermuten kann.
Allerdings ist Deine Geschichte fast schon ein bisschen zu deutlich. - Wenn Du es also schaffst, die Änderungen, die Du machst, märchenhaft umzusetzen, die Dinge nicht direkt anzusprechen und sie trotzdem zu zeigen, dann wäre das natürlich optimal. Ich kann Dir nur keine Tips geben, wie Du was verschleiert darstellen kannst - deshalb hab ich ja auch noch kein Märchen geschrieben ... ;)

So zum Beispiel die Angelegenheit mit Frau Anders, die sich mein Prot wahrscheinlich aufgrund seiner Erfahrungen mit seiner Mutter ausgesucht hat. Das ist gut gedeutet, findet aber in einem Märchen vielleicht nivht den rihtigen Platz
Es kommt, wie gesagt, auf Deine Umsetzung an, ob es dann Platz hat oder nicht. Ein Märchen darf sich oberflächlich ruhig auch leicht lesen lassen, es reicht, wenn man Tiefgründigeres erst findet, wenn man tiefgründig liest bzw. sucht.

aber die Frage nach der Schuld spielt in meiner Geshcichte eigentlich gar keine Rolle. Natürlich wird Frau Anders als die Böse dargestellt, aber ebenso Herr Anders als der Schwache.
Diese Stelle klingt für mich zum Beispiel schuldzuweisend:
Wie hatte er all das nur vergessen können, wunderte sich Herr Anders. [...]
Irgendwann fiel eine seiner Geschichten jemanden in die Hände, der sich und Herrn Anders großen Profit davon versprach. Und dieser jemand behielt Recht.
Herrn Anders Geschichten wurden in Bücher gebunden und fanden in der Welt der Menschen, die selbst verlernt hatten zu träumen, großen Anklang. Indem die Menschen Herrn Anders Geschichten lasen, war ihnen, als träumten sie ihr eigenes Versäumtes nach.
Doch der Erfolg entmummte sich als ein Wirbel, der ihn selbst aus seinem Traumreich riss und in die Welt der Nicht-Träumer warf.
Herr Anders ist immer passiv, während selbst der Erfolg als aktiv gesehen wird (er reißt und wirft ihn herum). Daraus schließe ich, daß in Herrn Anders' Augen auch nur die anderen schuld sind, sonst könnte da ja zum Beispiel auch stehen: "Doch der Erfolg wurde ihm zu viel, er fand keine Zeit mehr, zur Ruhe zu kommen und verlor sich immer mehr selbst." (Was Du natürlich auch anders darstellen kannst, etwa, daß er, selbst, wenn er in den Wald ging, die Gnome nicht mehr hören oder sehen konnte, weil seine Ohren an den lauten Trubel und seine Augen an grelles Licht gewöhnt waren. ;))
Vielleicht hat er seine Kraft auch nur irgendwo im Wald vergraben und ist in Wirklichkeit gar nicht so schwach?

Frau Anders stellst Du sehr beherrschend dar, so mag ich ihr zwar Recht geben, daß man natürlich erst einmal schauen muß, daß man genug zum Leben hat, damit ist es mit der Zustimmung aber auch schon wieder vorbei, denn, das wurde ja auch schon gesagt, sie könnte ja genauso arbeiten gehen und ihm so die Möglichkeit geben, seine Phantasie wiederzufinden. Tut sie aber nicht. Stattdessen fordert und nörgelt sie, und sobald auch nur ein Ansatz von Phantasie da ist, tötet sie ihn ab.
Klar fließen da meine persönlichen Wertungen mit ein, wenn ich es als schuldzuweisend sehe. Aber ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, daß Frau Anders' Verhalten bei vielen Menschen Zustimmung findet, sodaß sie wirklich überlegen müßten, wem sie denn nun Recht geben wollen. Ich kann mich natürlich auch täuschen, aber ich sehe hier nicht sehr viele Möglichkeiten, mich anders zu entscheiden. Was nicht unbedingt schlecht ist!

hmm, mir ist das nicht ganz schlüssig.
Zum Ende der Geshcichte verändert er sich doch sehr wohl. Ist außer sich. Ist das nicht Indikator genug, dass er aus seinem alten Muster springen könnte? Aber selbst wenn die Tendenz eher in die Richtung geht, dass er sich angepasst hat - der Leser kann sich doch noch immer entscheiden. Beides ist zumindest möglich, oder?
Du sagst, Du willst das Vorlese-Ende nicht streichen, aber genau das macht eben für mich sämtliche, durch die Veränderung gekeimten Hoffnungen zunichte, weil ich mich eben frage: Wo kommt die Enkelin jetzt her, wenn sie zuvor noch keine Kinder hatten? Das riecht für mich eben dermaßen stark nach Anpassung, daß ich auch da nicht das Gefühl habe, die Wahl zu haben, was ich glauben möchte, während beim Öffnen der Schublade tatsächlich alles offen ist.
Durch die Enkelin zeigst Du etwas aus der Zukunft, wodurch eben diese Zukunft nicht mehr beliebig variierbar ist, sondern eine fixe Vorgabe hat, nämlich die, daß der Protagonist statt frei offensichtlich Vater wurde - was mich dann höchstens zu Spekulationen über den Grund des Schwangerwerdens der Frau veranlaßt, ob sie ihn damit vielleicht an sich binden und in die Knie zwingen wollte - jedenfalls hat er jetzt, im Gegensatz zu vorher, tatsächlich Verantwortung für einen Menschen, und da kann man sich dann seinen Weg nicht mehr so leicht aussuchen.

gibt es für diese Umstellung in der Literaturwissenschaft nicht irgend so einen komplizierten Namen?
Bestimmt hat das einen Namen, weil ja alles einen Namen hat - nur kann ich ihn Dir leider auch nicht sagen.
Zumindest nehme ich mir dieser Verkehrung mal einfach so raus, weil der Einstiegssatz der stäkere Hook ist.
Beim Einstiegssatz hab ich allerdings noch kein richtiges Bild, weil ich noch nicht weiß, wo bzw. wie der Protagonist nach einer Geschichte sucht und dabei auf den Gnom stößt. Aber der Punkt ist nicht so wichtig, und wenn Dir der Einstiegssatz so gefällt, dann laß ihn halt, wie er ist. ;)

Nein, im Ernst, deine Kritikpunkte haben mir arg zugesetzt.
Sorry. ;) Aber Du weißt glaub ich eh, daß das nur deshalb so ist, weil ich Dich ernst nehme. Du gehörst jedenfalls in meinen Augen nicht zu den "Was ich nicht zu sagen habe, möchte ich mit Stil tun"-Autoren, sondern zu denen, die auch tatsächlich was zu sagen haben oder sich zumindest tiefgehende Gedanken machen und versuchen, das ansprechend zu verpacken. Die intensive Auseinandersetzung sollte also schon mehr eine Würdigung sein. :)

Liebe Grüße,
Susi :)

 

Hallo Chirurg,

danke für dein Lob. Anscheinend gehörst du zu denen, die die Geshcichte genau so aufgefasst haben, wie ich sie erdacht. Soetwas freut einen natürlich immer ganz besonders. Vorallem die Sache mit dem offenen Ende macht mich natürlich glücklich.
Ich denke, das werde ich auch so stehen lassen.
Werde aber dennoch noch einmal über die kg insgesamt gehen, da ich einige Kommentare doch durchaus berechtigt fand. Ein bisschen muss sie dafür aber noch ruhen, muss Abstand gewinnen.

Noch mal vielen Dank für deinen Kommentar :)

grüßlichst
weltenläufer

 

Hallo weltenläufer,

bislang habe ich es ja versäumt eine Geschichte von dir zu lesen oder gar zu kommentieren. Aber ich denke mal, diese ist wohl nicht die schlechteste Gelegenheit, um wieder aktiver hier zu werden. Zudem war ich doch nach dem persönlichen Kennenlernen interessiert, was der Herr weltenläufer so zu Papier bringt.

Dann steigen wir mal direkt mit dem Gefühl ein, das die Geschichte hinterlassen hat: Skeptisch. Ich weiß nicht so Recht, was ich über die Geschichte denken soll. Das liegt wohl zu einem guten Teil an zwei Dingen. Zum einen zieht sie sich recht langsam voran. Das ist nicht unbedingt schlecht (ich habe sie ja auch bis zu Ende gelesen), aber es bedeutet, dass sie zum Abschluss hin ein Knaller sein sollte, um nicht in der Durchschnittlichkeit zu versinken. Und zum anderen daran, dass ich bis kurz vor Schluss immer wieder das Gefühl hatte, da steckt wenig Neues drin. Die Traurigkeit darüber, dass man als Erwachsener seine fantasiereiche Kindheit hinter sich lässt, klingt ein wenig nach dem grüngekleideten, fliegenden Jüngling, der gegen den Piraten mit der Hakenhand kämpft. Und auch der Gnom der beim Schreiben hilft ... darüber habe ich schon gelesen. Da nannte ihn der Autor "Fornit" und bat um "Fornus" (quasi Ideen). [Falls Fragen dazu, gerne per PN]
Das unterstellt nicht, dass da "angelehnt" wurde. Ich habe es ja selbst oft genug, dass ich irgendwas schreibe, was es dann doch leider zufällig schon gab, aber es mag sagen, dass vielleicht noch etwas Würze fehlt.

(Ich habe übrigens keine der Kritiken bis hierher gelesen, um möglichst unbefangen und noch geschichtsnah zu kommentieren. Verzeih also bitte, falls etwas bereits genannt wurde.)

Ein weiterer Punkt, der mich etwas störte: Ich empfinde die Geschichte nicht als Fantasy und bloß weil der Großvater es als ein Märchen vorliest, ist es noch nicht unbedingt eines.
Eher würde ich die Geschichte in Alltag sehen (insbesondere, weil der Gnom ja auch tatsächlich nur ausgedacht ist), denn es ist eine Sache, die uns allen leider tagtäglich passiert. Diese Traurigkeit darüber hast du übrigens prima eingefangen und wiedergegeben.

Das Ende ist übrigens wiederum ein guter Abschluss. Er passt sich in das Thema der Geschichte ein und kam absolut unerwartet. Du hast mich also mit etwas erwischt, mit dem ich nicht gerechnet habe und das hat wohl dann auch Anteil daran, dass ich die Geschichte wirklich nicht schlecht fand.
Dennoch kam mir zwischenzeitlich ein Gedanke, wie die Geschichte ebenfalls hätte enden können. Das passt dann zwar nicht mehr in die moralische Thematik "Erinnere dich deiner Kindheit und deiner Träume", dafür dann aber wieder besser in Fantasy. Was zum Beispiel, wenn es nicht Herr Anders ist, der sich die Welt erträumt, sondern der Gnom. Ein alterndes kleines Geschöpf, das die Schnauze voll hat von der Natur um sich herum und deshalb eine "Fantasygestalt" erschafft. Aus seiner Sicht ist ein Romanautor vermutlich genauso abgehoben, wie bei uns ein Minotaurus.


Fazit: Eine doch eher ungewöhnliche Geschichte für diese Rubik, die inhaltlich etwas flotter gemacht werden könnte (vielleicht allein schon durch einen Vornamen des Prots?), aber die alles in allem nicht unbefriedigt zurück lässt.

Liebe Grüße,
:zensiert:

 

Hallo Zensur

und ein verspätetes Danke für deine Kritik.
Wahrlich, das Thema ist kein neues und ich gestehe auch den von dir erwähnten Fornit zu kennen, allerdings kann ich die Verbindung zu meinem Gnom nur sehr bedingt als eine solche sehen. Beide Gestalten mögen der Fantasie entspringen, treten aber in einer vollkommen anderen Funktion und Rolle auf...
Ansonsten entnehme ich deiner Kritik, dass du etwas zwigespalten bist, was die Qualität der Kg angeht.
Mich lässt du allerdings auch etwas verwirrt zurück.
Hier schreibst du:

aber es bedeutet, dass sie zum Abschluss hin ein Knaller sein sollte, um nicht in der Durchschnittlichkeit zu versinken
Und dann heißt es:
Das Ende ist übrigens wiederum ein guter Abschluss. Er passt sich in das Thema der Geschichte ein und kam absolut unerwartet. Du hast mich also mit etwas erwischt, mit dem ich nicht gerechnet habe und das hat wohl dann auch Anteil daran, dass ich die Geschichte wirklich nicht schlecht fand.
Die Idee mit dem Perspektivwechsel finde ich auch reivoll, allerdings wäre das dann eine vollkommen andere Geschichte als die, die ich zu erzählen beabsichtigte ;)
Was die Frage nach der Sparte angeht... Hm. Müßiges Thema. Das du wenig Fantasy erkennst, weil
der Gnom ja auch tatsächlich nur ausgedacht ist
ist im übrigen eine klare Deutung deinerseits. Im Text selbst wird das nicht so deklariert.
Auf jeden Fall noch mal Danke für deine Kritik und es freut mich, dass die Geschichte dich trotz deiner Skepsis nicht unbefriedigt zurückgelassen hat. :)

grüßlichst
weltenläufer

 

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