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Vom Trügerischen
Beil weg, Matthias, dein Boot ist vollendet! Siehst du denn nicht, wie die See sich aufbäumt, in freudiger Erwartung? Bereit sind deine Ruder – setze sie ein, solange noch etwas Kraft in deinen Armen verbleibt! Und schere deinen Bart, deinen wallenden – denn er soll dir Hilfe sein, die Zeit wahrzunehmen, anhand der Länge. Tage nämlich werden verschwimmen und verschwinden für dich, auf der See. Hinweg damit, habe ich gesagt! Du wirst auf der See kein Weib antreffen, das du mit deinem eitel geflochtenen Bart zu beeindrucken vermögen wirst! Bestreichen wirst du dein Boot auch später können, wenn du den Hafen erreichst, welchen du anvisierst. Was ihm fehlt, ist einzig der Name, der einer solch prächtigen Seetüchtigkeit gebührt: Nenne es Hoffnung, Zukunft, Tao, bloß aber nicht Schicksal! Wer sich dem Schicksal hingibt, wird von den Wellen und Fluten verachtet: mehrmals wird jener an seine Ufern zurückgeschlagen, bis das Meer, seiner überdrüssig, ihn auf die Klippen geworfen sehen wird! Die Wellen und Fluten respektieren nur denjenigen, der gegen sie ankämpft, frohen Gemüts ihre Kraft zur Kenntnis nimmt, und sich bereit zeigt, auch von Kopf bis Fuß durchnässt zu werden – diesen Mann achten sie! Sie unterstützen ihn, aufdass er die anderen Ufern erreicht. Du, Matthias, willst zu den anderen Ufern, nicht? Ansonsten würdest du dir keine Boote bauen!
Ja, da lächelst du, und ich sehe, ich habe mich nicht getäuscht mit dir! Ziehe dein Boot zum Wasser, und wenn sich andere auch wundern. Dein Nachbar wird dich fragen, voll Hohn und Unverständnis, voll grundlosen Mitleids, ob es denn nicht bequemer sei, sich eine Karte zu kaufen, auf einen Dampfschiff, und damit die Welt zu bereisen – verachte ihn, denn er wird nie Mann genug sein, um sich ein Boot zu bauen! Singe dein Lied ihm ins Gesicht! Seine Frau aber wird sich besorgt zeigen: „Herr Matthias, ach je, sie wollen uns verlassen, oh, na, warten sie doch, nehmen sie doch ein Paar Pfannkuchen, für ihre Reise, sie brauchen ja Proviant, ich mein', und dort auf der See, da werden sie lange keine Pfannkuchen mehr naschen können, Herr Matthias!“ Verachte sie, denn es sind ihre Pfannkuchen, welche dich auf die See treiben! Ein Mann hat seine Netze, hat sein Pfeil und Bogen, hat seine Angel. Was braucht er Pfannkuchen, die sein Boot verunreinigen, sein Herz aber lähmen? Ziehe dein Boot fröhlich zur See, Landratte, und werde ein Mann. Bist du ein Mann geworden, wirst du die Pfannkuchen umso widerlicher finden! Spucke es aus. Spucke es aus! So, sooo, gut! Auf geht's, zur See.
Siehst du die Wellen, siehst du die Wolken? Sie rufen nach dir! Das Wasser will sich an deine Stiefel schmiegen – gewähre ihm die Möglichkeit! Sei großzügig, und das Meer wird es dir zurückzahlen, mit gutem Wind und wenigen Wellen, und all dem, was dir das Wasser zu bieten hat! Und schaue niemals gen Ufer – vergessen sollst du dein Dorf, es führt dich nirgendwohin, während das Meer offen ist. Und auf! Und auf! Rudere fleißig, rudere geschwind! Und auf! Siehst du, wie dein Dorf verschwindet, unter tausend anderen Dörfern? Fürwahr, du verspürst keine Sehnsucht, außer der nach anderen Ufern! Dein Dorf, Matthias, ist dir vollends gleichgültig! Lache über die Narren von den Zurückgebliebenen! Lache über ihr kleines Leben, in ihren kleinen Häusern. Dich erwartet ein besseres Los. Und verachte die Furcht, die dich überkommt, sobald Wasser dein Boot befällt! Das Wasser ist dein Freund, und Freunde fürchtet man nicht! Freunde grüßt man, Mathias! Grüße das Wasser, und verbanne jeden Gedanken an eine Heimkehrt, jeden Gedanken eines widerlichen kleinen Feiglings! Eines Weibes! Du bist ein Mann, Matthias, lache und singe! Singe, aufdass die Wolken erzittern! Singe, aufdass dein Boot tanzt und springt! Es durstet nach Meer und Salz! Stille sein Durst! Lass auch das letzte aller Fische von deiner Frohmut wissen, aufdass es weiterschwimmt, und den anderen von dem frohen Seemann kündet! Singe dein Lied! Singe dein Lied durch Wellen und Tiefen! Verachte die Furcht! Du bist ein Mann, Matthias! Ein tapfrer Mann! Ein tapfrer Mann bist du gewesen! Ein wahrer Held, der heute untergegangen ist! Beispiel nehmen sollt ihr an ihm! Er hat sein Leben gelebt, so wie er wollte! In vollen Zügen hat er es getrunken! Macht es ihm gleich! Macht es besser als er! Auf! Holt eure Beile!