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Von den Chinesen
Die Sonne ging unter.
Enrio el Sherif betrat die Terrasse, die groß, jedoch völlig leer und freigeräumt war. Diese Größe war aber nicht erstaunlich, wenn man das dazugehörende Penthouse in der 27. Etage betrachtete. Das Hochhaus stach aus dem Gewerbegebiet der Großstadt in die Höhe und den Bewohnern der Stadt blendete die untergehende Sonne, die sich auf den vielen Fenstern des Penthouses spiegelte.
Der alte Enrio stand am Rand der Terrasse, zog an seiner Havanna, trank einen Schluck vom Single Malt und begutachtete die Stadt. Er inhalierte zunächst den kubanischen Qualm, dann die stickige Luft, die von den mittlerweile abgekühlten Straßen hinaufstiegen war und den Gestank von Abgasen und Hundepisse mit sich gezogen hatte. Und er lächelte. Er lächelte über die Menschen, die ihm zu diesem Ruhm verhalfen.
Hinter el Sherif öffnete sich die große, gläserne Tür. „Großvater?“ Es gab keine Antwort und Salvadore ging langsam auf Enrio zu. Der junge Mann war keine zwanzig Jahre, sein Großvater hingegen mindestens das Vierfache alt.
„Du ließest mich rufen?“, gab der Junge zu sagen, als er neben Enrio stand. Mit der Zigarre in der Hand wies der alte Mann auf die Stadt. „Weißt du, wer da unten lebt?“
Salvadore war irritiert da ihm der Sinn der Frage nicht klar war. „Ja, die Bürger – würde ich sagen.“
Enrio schüttelte den Kopf. „Nein, die Wesen meine ich.“
Wesen? „Die Menschen, Opa?“ Es gab keine Antwort und so war sich der junge Mann sicher. „Die Menschen!“
„Falsch, mein Junge!“ Er trank den letzten Schluck des Whiskys und mit einer kleinen, abwertenden Handbewegung warf er das Glas über den Sims. „Da unten leben die Junkies, die Abhängigen, die nur darauf warten, dass das Fernsehen und die Industrie sie mit neuem Scheiß beliefert, den sie sich in die Gehirne pumpen und mehr wollen. Mehr von dieser Droge, vom Fernsehen, von den Medien. Ja die Zeiten haben sich geändert: Hasch, Koks, Heroin - all dies ist nichts gegen die Volksdroge der Medien.“ Dann sagte er nichts mehr und beide lauschten den Schreien, die unten auf der Straße ausbrachen. Beide standen da, starrten in die Ferne und lauschten.
Dann, in einer Bewegung, wie sie nur Christopher Walken nachahmen könnte, wendete sich Enrio seinem Enkel zu. „Kennst du Chinesen?“
Wieder so eine bescheuerte Frage! Salvadore nickte.
„Nein! Kennst du die Art der Chinesen? Die Mittel der Mafia?“
Der Junge war irritiert und sein fragender Blick ließ Enrio weiter erzählen. „Wieso sind in den unzähligen Chinarestaurants immer Fische? Nicht die zum Essen, nein! Die Fische in diesen Aquarien und kleinen Wasserbecken! Man verbindet China immer mit Fischen, die neben einer Buddha-Statue umher planschen. Woher kommen diese Fische?“
Salvadore wollte sagen, dass sie aus dem Wasser kommen, konnte sich aber noch zurückhalten.
„Ich sag’ es dir, Junge. Ich sag’ es dir.“ Und mit einem Wink schob der Junge seinen Kopf näher, als wenn der Alte ihm was ins Ohr flüstern wollte. Hier oben, wo sonst niemand war.
„Diese Fische sind ...“abonniert“ ...geliehen ...von der Mafia. Zu einer guten Summe. Ein kleiner Unkostenbeitrag. Nicht dumm was?“
Der junge Mann nickte.
Dann winkte Enrio ihn noch näher. „Und was ist, wenn du chinesisch essen gehst und du nirgendwo Fische sehen kannst?“ Enrio wartete kurz. „Dann weißt du, dass dieses Restaurant in großen Schwierigkeiten steckt! Nicht schlecht was? Von der chinesischen Mafia kann man noch viel lernen.“
Salvadore wusste, warum sein Großvater ihm dies erzählt hatte. „Ich werde das nie vergessen. Du wirst stolz auf mich sein.“
Dieter fuhr schon seit einer Woche durch Deutschland. Als Fernfahrer bekam er oft solche Jobs und langsam fragte er sich, ob es die Sache wert sei. Wenn wenigstens das Radio mal am Stück gute Musik liefern würde. Die ganze Zeit zappte er durch die Sender. Hin und wieder kam mal ein gutes Lied, doch danach musste er wieder umschalten, da das Gejaule nicht zu ertragen war. „Das war die Stauschau! Bleiben sie dran! Radio WDR 2! Das Beste aus den 80ern, 90ern und von heute. Und jetzt Atomic Kitten mit ihrem derzeitigen Chartsong ‚You can make ---FRRR!--- Willkommen bei Radio Mecklenburg-Vorpommern. Das Beste aus den 80ern, 90ern und von heute. Jetzt erst einmal Werbu ---FRRR!--- Ja, Danke, Martin! Das war Martin Rosen, life aus Georgien von den Terroranschlägen. RPR1, das Beste aus den 80ern, 90ern und von heu ---FRRR!--- you can make me hole agai ---FRRR!--- Willkommen beim Lokalsender 90,1! Das Beste aus den 80ern, 90ern und von heute! Bleiben sie dra ---FRRR!--- aus den 80ern, 90ern und vo ---FRRR!--- Wow, da spare ich ja 5 Prozent, wenn ich ---FRRR!--- you can make me ho ---FRRR!--- nd von heute! ---FRRR!--- Das Beste a ---FRRR!--- Life verbunden aus Papua-Neugu ---FRRR!--- von heute! ---FRRR-OPP!“
Dieter schaltete das Radio aus, denn er konnte es nicht mehr hören. Das Beste aus den 80ern, 90ern und von heute! Warum hatten so viele den gleichen Werbeslogan? Was steckte dahinter?
Was?
Wer?
von Marius von der Forst am 3.9.2003 geschrieben