Von der Raupe zum Schmetterling
Kennst du die Geschichte vom Schmetterling, der das Raupenstadium beinahe nicht verlassen hat, weil er gemeint hat? Nein? Also, es war einmal ….
… ein kleines glückliches Räupchen. Seine Freunde nannten es Räupi. Räupi kroch ein bisschen umher, ass, wenn er Hunger hatte, schlief, wenn er müde war und krabbelte oft einfach so durch die Gegend, um zu entdecken, was es so Neues gab.
Räupi hatte viele gute Freunde und ganz besonders viel Spass mit seinem besten Freund Regli, dem Regenwurm. Er war glücklich und fühlte sich sehr wohl auf der Erde.
Eines Tages verspürte Räupi einen unerklärlichen Drang, etwas ganz verrücktes zu tun: Er hatte das Gefühl, auf einen Zweig klettern zu müssen, sich dort einzuwickeln und schliesslich aufzuhängen.
Da Räupi eine sehr intelligente Raupe war, dachte er sehr lange darüber nach, was alles passieren könnte, wenn er das tun würde. Er sah all die Gefahren, die damit verbunden sein könnten und beschloss deshalb, es sicher nicht zu tun.
So lebte Räupi also weiter sein normales Räupchenleben. Er ass wenn er Hunger hatte, schlief, wenn er müde war und spielte mit seinen Freuden, wenn er Lust dazu hatte.
Tage später fühlte er sich plötzlich nicht mehr so gut. Die Haut spannte, das Fressen schmeckte nicht mehr so gut wie früher und überhaupt, seine Beinchen schmerzten und er fühlte sich müde und lustlos.
Na ja, das wird schon wieder, sagte sich Räupi. Aber immer und immer wieder sagte ihm eine innere Stimme, er solle sich nun doch auf einen Zweig begeben, sich einwickeln und aufhängen. Räupi ging das langsam aber sicher sehr auf die Nerven. Vor allem, weil er ja vor einigen Tagen beschlossen hat, es nicht zu tun – warum auch. Er war ja nicht verrückt.
Räupi fühlte sich krank. Er legte sich ins Bett, telefonierte seinem Freund Regli und erzählte ihm, dass er sich gar nicht gut fühle. Regli besuchte ihn, sah dass es ihm gar nicht gut ging und besorgte ihm sofort ein Medikament. Räupi war froh. Er fühlte sich sofort wieder besser. Die Schmerzen waren fort und er konnte wieder mit seinen Freunden spielen.
Mitten in der Nacht wachte er auf. Er hatte einen wunderschönen Traum. Er hatte geträumt, dass er fliegen kann. Räupi fand das ein wunderschönes Gefühl. Aber Raupen können nun mal nicht fliegen, schade - dachte er.
Räupi schlief wieder ein. Am nächsten Morgen erinnerte er sich an seinen Traum und das damit verbundene Gefühl von Leichtigkeit und Freude. Leider war es nur ein Traum, kurz „zu schön um wahr zu sein“. Er war nun halt mal nur eine kleine Raupe und musste sich mit der Realität abfinden.
Sein Gesundheitszustand begann sich wieder zu verschlechtern. Die Medikamente wirkten nicht mehr und ausserdem hat er jetzt auch noch Kopfschmerzen. Regli empfahl ihm, sofort zu einem Arzt zu gehen.
Der Arzt –es war auch ein Regenwurm – verschrieb ihm andere Medikamente und empfahl ihm einige Tage zu hause zu bleiben. Räupi legte sich also wieder ins Bett. Regli kam ihn ab und zu besuchen.
Eines Tages nahm Räupi all seinen Mut zusammen und erzählte Regli von seiner verrückten Idee, auf einen Zweig zu klettern, sich einzuwickeln und aufzuhängen und von seinem Traum, dass er fliegen kann. Regli schaute ihn mit grossen Augen an und sagte, das sei nun wirklich gespunnen. So was käme ja fast Selbstmord gleich und empfahl ihm sofort zum Psychologen zu gehen.
Räupi fand das eine gute Idee und schleppte sich also zum Psychologen. Herr Tausi wollte dieser Sache auf die Spur kommen und bat Räupi ihm alles ganz genau zu erzählen. Und so erzählte Räupi immer und immer wieder, was und wie er es erlebt hatte und was für Gefühle er dabei hatte. Räupi war froh einen Zuhörer gefunden und nun auch Erklärungen für sein Hirngespinst zu haben. Mit der Zeit hatte er dieses dann auch unter Kontrolle und das Leben wieder im Griff.
Räupi fühlte sich nun wieder etwas besser. Er war nicht wirklich glücklich und zufrieden, aber auch nicht sehr unglücklich. So sei das Leben einer erwachsenen Raupe nun mal, meinte er. Den anderen ging’s ja auch nicht besser.
Eines heissen Tages starb Regli. Räupi war sehr traurig über den Verlust seines Freundes. Er schwor sich, das so kurze Leben zu geniessen, ging auf Reisen und feierte viel. Aber irgendwie machte ihn das auch nicht glücklicher.
Nun suchte er nach dem Sinn des Lebens. Es musste doch irgendeinen Sinn geben. Er wollte jetzt eine gute Raupe sein, die anderen Kriechtieren hilft. Also tat er das, fühlte sich jetzt gebraucht und fand sein Leben mache jetzt wirklich Sinn.
Eines Tages besuchte er eine kranke junge Raupe. Diese erzählte ihm, dass ihr die Beine schmerzten, sie keinen Hunger mehr hätte und ihre Haut spannte. Räupi meinte, das hätte er auch gehabt, das sei wahrscheinlich normal für eine Raupe, die langsam erwachsen wird. Die junge Raupe fasste Vertrauen in den hilfsbereiten Räupi und schilderte ihm, dass sie manchmal das Gefühl habe, auf einen Zweig klettern zu müssen, sich einzuwickeln und aufzuhängen.
Räupi zuckte für einen kurzen Moment zusammen. Er erinnerte sich wieder an die Zeit, in der er auch von diesem Hirngespinst verfolgt wurde.
Eigentlich wollte er jetzt der kleinen Raupe erzählen, was ihm der Psychologe darüber gesagt hatte und dass es absolut unsicher, sinnlos und gefährlich wäre. Und dass er auch schon mal von einer Raupe gehört hätte, die das versucht habe, die dann aber nie mehr aufgetaucht sei.
Aber irgendwas hielt ihn davon ab und er hörte sich sagen: Tu’s einfach! Die kleine Raupe schaute ihn mit grossen fragenden Augen an. „Sicher?“ Räupi wich ihrem Blick aus und verabschiedete sich schnell. „Ich muss jetzt gehen!“ sagte er.
Räupi krabbelte so schnell er konnte aus der Wohnung der kleinen Raupe hinaus. Er hatte plötzlich das Gefühl, keine Zeit mehr verlieren zu dürfen. Kletterte auf den nächst besten Zweig, wickelte sich ein und hängte sich auf.
Tage später erwachte er – es war kein Traum. Er hatte wunderschöne Flügel und konnte fliegen.