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Von gezuckerten Polizisten und kurzsichtigen Zombies
„Wie bitte?“
Mein Gemütszustand hatte sich im Laufe des Tages dramatisch verschlechtert. Schon als mich die Fußgängerin beim Autofahren abgelenkt hat, wusste ich, dass ich lieber bei meinem Hund im Bett hätte bleiben sollen. Was stolperte diese Rentnerin auch erst über ihre eigenen Füße und dann über gerade jene Katze, die es für eine gute Idee hielt, dem Morgenverkehr zu trotzen und die Straße zu überqueren? Die alte Dame hatte vergeblich versucht die Balance zu halten, wackelte wie ein betrunkener Ire durch die Fußgängerzone und ist gegen einen kleinen Informationsstand eines Altenheimes gefallen.
Die sieht man so schnell nicht wieder allein auf der Straße, dachte ich, als die Katze auch meinen Rädern trotzen wollte. Ich hatte jedoch blitzschnell reagiert und den Wagen vor eine Laterne gesetzt. Obwohl ich diese Leuchte mit einer Geschwindigkeit von zehn km/ h nicht gerade aus dem Boden riss, blähte sich der Airbag vor mir auf und begrub mein Gesicht unter seiner gummiartigen Hülle, die mir eher Kopfschmerzen als Sicherheit bescherte. Als ich dann noch aus dem Augenwinkel sah, wie sich die Rentnerin hochraffte und sich meinem Wagen näherte um mir zu den Worten: „Die arme Katze, passen sie gefälligst auf, sie rothaarige Furie“ mit ihrer Gehhilfe mehrmals gegen meinen Kopf stupste, rastete ich aus. Ich stieg aus dem Wagen, nahm die Oma Huckepack und setzte sie an dem Stand für alte Leute ab.
„Sie bewerben sich jetzt sofort um einen Platz, sonst fange ich diese Katze, frittier sie und zwing Sie dazu das Mistvieh zu essen“, schrie ich. Doch das Großmütterchen hatte ihre Ohren wohl zu Hause gelassen, denn sie starrte mich nur verwirrt an. Statt meinem Befehl Folge zu leisten, nahm sie ihren Stock und schlug ihn gegen mein Schienbein. Der Herr, der den Stand betrieb, hatte wohl ein Problem mit seinen Augen, die dicken Gläser seiner Brille schienen jedenfalls kugelsicher zu sein. Anstatt mich zu verteidigen, drohte er mir mit der Polizei. Humpelnd lief ich zum Wagen zurück.
„Ich sagte: Ihr Mann liegt in unserer Ausnüchterungszelle.“ Kommissar Drögge lehnte sich in seinen Sessel, der aufgrund seines Gewichtes vor Schmerzen schrie. Drögge gehörte zu den Menschen, die lieber eine Stunde vor dem Aufzug im ersten Stock warteten, als die Alternative, bis zum Erdgeschoss zu laufen, ernsthaft in Betracht zu ziehen. Er muss kurz vor meinem Besuch noch etwas Süßes gegessen haben, denn seine Finger glänzten, als wären sie glasiert. Ich fragte mich, ob er sie sich im Notfall abbeißen würde.
„Hören sie, mein Mann ist seit sieben Jahren trocken, er hat mir bei dem Leben unseres Hundes versprochen, dass er nie wieder einen Tropfen Alkohol trinkt.“
Ich sah dem Kommissar an, dass ihm ein Spruch auf den Lippen brannte, aber er schluckte seinen Kommentar runter wie einen Jahrmarktsapfel mit Schokoglasur. Gott, diese Finger!
„Wo haben sie Ihn denn gefunden?“ Ich versuchte Drögge’ s Bauch zu ignorieren, doch ich merkte, wie mein Blick immer wieder zu dieser mächtigen, runden Kugel schweifte. Dieser Bauch war wie ein Autounfall, man konnte einfach nicht wegsehen!
„Nun, er hat es mir nicht schwer gemacht. Ich musste noch nicht einmal aufstehen, um Ihn zu stellen.“
Warum überraschte mich das nicht?
„Er kam vor einer Stunde sturzbetrunken im Revier an und verlangte nach seinem Anwalt. Den Kollegen, den er angebrüllt hat, musste ich beinahe nach Hause schicken, er hat sich fast ohnmächtig gelacht.“
„Was meine Sie damit?“ Ich fand die momentane Situation in etwa so lustig wie einen halben Kasten Leergut.
„Ihr Mann kam nur mit seiner Unterhose bekleidet ins Revier“, sagte Drögge ernst. Ich rieb mir die Stirn und schloss meine Augen, eine Geste, die ich seit sieben Jahren nicht mehr gemacht habe.
„Und die trug er auch noch auf dem Kopf.“ Ich spürte, wie ich knallrot anlief.
„Zwei Minuten später kam sein Anwalt hier rein. Allein sein Atem reichte aus, um dieses Revier geruchsmäßig in eine Schnapsbrennerei zu verwandeln. Also sperrte ich beide ein.“
„Wo ist mein Mann“, fragte ich.
„Er liegt in der zweiten Zelle links, ich habe Ihn in eine Gardine gewickelt, was anderes habe ich auf die Schnelle nicht gefunden. Ihr Anwalt liegt übrigens in der Zelle daneben.“
Die Lache des Polizisten, der die Zelle aufschloss, war so dreckig wie eine Bahnhofstoilette.
„Mit Ihrem Toupet, das so aussieht, als wenn es mal einen Gorillaarsch bedeckt hat, wäre ich nicht so vorlaut. Passen Sie lieber auf, dass Sie vor lauter Lachen ihre Haare nicht verlieren.“
Erst jetzt sah ich, dass die Gardine, die meinen Mann umspannte, fast durchsichtig war. Er sah wie eine außerirdische Larve aus, die bald schlüpfen würde.
Als ich Dirk aus der Zelle vorbei an dem schadenfrohen Polizisten ins Auto schleppte, war er noch immer nicht nüchtern. Er stammelte etwas von einer asiatischen Mafia und einem trinkfesten Folterknecht.
„Schatz, wenn ich’ s dir doch sage“, stammelte er im Auto, während er seinen Kopf festhielt, als wenn er nur lose angeschraubt wäre.
Ich schmiss meine Zigarette aus dem Fenster, atmete lang aus und dann wieder ein. Dirk ahnte wohl, was nun folgen würde, denn er nahm seine gewohnte Abwehrhaltung ein: Er zog seine Knie an und kaute an seinen Fingernägeln. Dieser zusammengekauerte Gardinenständer tat mir kein bisschen Leid. Ich holte gerade Anlauf für eine Standpauke, die einen Marathon vor sich hatte, als der Wagen leicht holperte. Als ich in den Rückspiegel blickte, stellte ich fest, dass die Katze vom Morgen auch jetzt nichts besseres zu tun hatte, als diese verdammte Straße zu überqueren. Dieses lebensmüde Drecksvieh verhielt sich wie ein ängstlicher Lemming, der kurz vor der Klippe noch mal umkehrte und sich die Sache durch den Kopf gehen ließ. Die Katze ließ sich immer nur anfahren! Ich sah noch im Rückspiel, wie sie sich ihre Pfote leckte und dann ihren Kopf schüttelte, wie ein geprügelter Boxer. Anschließend lief sie langsam wieder auf den Bürgersteig und wartete anscheinend auf ein weiteres Auto, als Dirk rief: „Vorsicht, der Stand!“
Doch seine Warnung kam zu spät. Ich fuhr direkt in den Altenheimstand. Der Mann mit den Fischaugen versuchte sich noch zu retten, doch vergebens. Der Stand brach über ihm zusammen wie eine Lawine. Als er kurze Zeit später zwischen den Holzlatten seines Standes wie eine zum Leben erweckte Leiche hervorragte, knüppelte ich den Rückwärtsgang in das Getriebe und verließ den Unfallort.
„Was war das denn“, fragte Dirk.
Meine Antwort reduzierte sich auf einen lang gezogenen Schrei, für den mich wohl jeder harte Rocker beneiden würde.
Nach einem Tag voller brutaler Rentner, amok- laufenden Katzen, gezuckerten Polizisten und kurzsichtigen Zombies war ich froh, als ich zu Hause ankam. Dirk legte sich schnell wieder ins Bett. Seine Ausrede beschränkte sich auf einen Asiaten, der ihn so stark provoziert hatte, dass er ihm beim Wetttrinken zeigen musste, wo der Hammer hing. Das der Asiat sein Anwalt war, ist ihm wohl entfallen.
Zwei Tage später landete ein Brief von unserem Anwalt in unserem Briefkasten. Der Mann, der für den Altenheimstand verantwortlich war, verklagte mich wegen Sachbeschädigung in enormen Maße und psychischen Schäden, die auf seine- wie er es beschrieb- Nahtodsituation zurückzuführen wären, auf 3000 Euro Schadensersatz.
Ich spürte, wie mein Puls seine Geschwindigkeit beschleunigte, doch ein erneuter Gefühlsausbruch würde mich wohl unter die Erde bringen. Ich hatte in letzter Zeit schon genug durchgemacht. Ich entschloss mich dafür, mit Max, unserem treuen Schäferhund, einen ruhigen Spaziergang zu machen. Um den Brief würde ich mich später kümmern.
„Max! Max?“ Mir fiel ein, dass ich den Hund seit Dirk' s Absturz nicht mehr gesehen hatte. Ich schüttelte abermals meinen Kopf. Dirk und seine leeren Versprechen, dachte ich. Moment mal!
„Dirk! Wo ist eigentlich der Hund?“