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Von Oben nach Unten
Er schaut in das tiefe schwarze Loch, er starrt es an. Er starrt es so an, als wenn es der erste Tag für ihn hier oben wäre. Doch er macht das schon zwanzig Jahre. Zwanzig Jahre guckt er in erkaltete Schlote. Zwanzig Jahre lang geht es von oben nach unten.
Nach einer Weile gibt er seinem Baggerfahrer ein Zeichen. Dieser nickt ihm zu und beginnt seine Arbeit von Neuem. Auch er, der Baggerfahrer, starrt schon zwanzig Jahre in erkaltete Schlote, um sie dann abzureißen. Von oben nach unten. Die Spitze des Presslufthammers am Baggerarm macht da weiter, wo sie gestern aufgehört hat. Es kracht und staubt. Man hört die Steine in die Tiefe rauschen. Unten angekommen, zerfallen sie zu schwarzem Staub. Sein Vorarbeiter steht neben dem Bagger, schaut auf die Steine des Schlotes die so schwarz sind, so verrust. Er blickt auf und schaut in die Ferne. Er sieht die Getreidefelder, die Kiefernmonokulturen, andere Schornsteine die noch auf ihn warten. Als letztes Relikt stehen sie in der Landschaft herum. Vereinzelt qualmt es noch aus einigen. Bald braucht man auch sie nicht mehr. Und wenn erstmal alle abgerissen sind, braucht man ihn, den Schornsteinabreißer, nicht mehr. Vierzig Jahre ging es nur nach oben, doch jetzt gehts nur von oben nach unten...oben nach unten. Bald wird er für immer unten bleiben, bald wird auch er nicht mehr qualmen, weil nichts mehr in ihm glüht.
Der Bagger kommt gut voran, immer mehr Steine rauschen in die schwarze Tiefe. Wieder gibt er, der Vorarbeiter, seinem Baggerfahrer ein Zeichen, wieder nickt dieser, das Gepoltere des Presslufthammers geht weiter. Jeder Stoß des Hammers trifft wie ein Nagel in das Herz der Region. Dieser einst voll von qualmenden Schloten übersäten Landschaft. Dort wo keine Kirchenspitze das höchste Bauwerk war sondern, der Fabrikschlot. Doch mit der Arbeit gehen auch die Menschen, hinterlassen Türme ihrer einstigen Existenz, ihrer Arbeit. Lange schon sind sie unten angekommen und zogen davon um wieder nach oben zu kommen. Doch er, der Schornsteinabreißer, muss immer von oben nach unten. Er der Schornsteinfeger, der nur einmal fegt. Er , der langsam die Wahrzeichen der Arbeit abträgt.
Am Ende eines langen Arbeitstages, schaut er zu seinem Baggerfahrer, gibt ihm das Feierabendzeichen, dieser nickt ihm zu. Ein letztes Mal schaut er in die Ferne. Am Horizont steht die Sonne als glühende rote Kugel. Kraniche steigen von einem abgeernteten Feld auf und fliegen ihr lautstark entgegen.