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Von Z nach A
- Ding dong, ding dong -
"Achtung meine Damen und Herren, wir machen Sie darauf aufmerksam, dass Sie Ihr Gepäck auf diesem Flughafen nicht unbeaufsichtigt lassen dürfen. Bitte halten Sie deshalb Ihr Gepäck in sichtbarem Abstand."
Natürlich habe ich mein Gepäck gleich bei der Ankunft eingecheckt, das erspart auch viel Schlepperei.
Jetzt stehe ich in der Warteschlange bei der Security, warte darauf, meine Sachen auf das Förderband zu legen und ziehe bereits meine Stiefel aus..
"Haben Sie Flüssigkeiten dabei?", fragt der Sicherheitsbeamte auf der anderen Seite des Förderbandes.
Natürlich habe ich diese Frage erwartet und kann sie automatisch mit "nein, nichts" beantworten.
"Bitte begeben Sie sich zum Tor."
Ich gehe auf meinen Socken zum Metalldetektor und als ich hindurchgehe, piept der Alarm.
«Dürfen wir Sie kontrollieren?», fragt mich eine Security Mitarbeiterin und winkt mich näher heran.
"Natürlich, ich habe nichts zu verbergen", lächele ich einnehmend.
Die Frau reagiert nicht. Ihr mobiler Metalldetektor piept genau dort, wo ich ihn erwarte - wo sich mein Schmuck und meine neue Hüfte befinden. Als ich sie über meine künstliche Hüfte aufkläre, darf ich weitergehen und meine Sachen vom Förderband nehmen.
Im Duty Free Shop zögere ich einen Moment. Soll ich etwas Schokolade für Mama mitbringen? Ich entscheide mich dagegen. In den Niederlanden haben sie auch leckere Schokolade, nicht so gut wie hier, lache ich in mich hinein. Nach so vielen Jahren in der Schweiz bin ich definitiv immer noch sehr holländisch, aber einige Dinge gefallen mir in meiner zweiten Heimat wirklich besser.
Außerdem nascht Mama nicht mehr so viel und wenn ich zwei Wochen bei ihr bin, essen wir trotzdem viel Süßes, z.B. wenn wir einkaufen gehen und mittags Kaffee und Kuchen genießen.
Noch anderthalb Stunden, ich hasse es, zu warten. Aber Reisen heißt vor allem warten und Geduld haben. Nun, mir fehlt definitiv Letzteres!
Ich schlendere Richtung Gate. Die Informationstafel mit Abfahrts- und Ankunftszeiten wechselt fast im Minutentakt.
- Ding dong, Ding dong -
"Achtung, Frau B. wird gebeten, sich so schnell wie möglich am Gate B18 zu melden."
Ups, da muss sich aber jemand beeilen, um seinen Flug zu erwischen! Zum Glück nicht mein Problem.
Sicherheitshalber schaue ich noch einmal auf der Informationstafel nach, an der ich gerade vorbeigekommen bin. Oh, mein Gate ist verändert worden! Diesmal in eine andere Ecke des Flughafens. Das ist ein langer Weg, aber ich habe Zeit.
Ich setze mich hin, wenn ich beim neuen Gate ankomme. Mit einem Blick auf die Uhr sehe ich, dass es noch etwa Dreiviertelstunde dauert, bis wir mit dem Einsteigen beginnen. Ich nehme meinen Reader aus der Tasche, schalte ihn ein und versuche zu lesen.
- Ding dong, ding dong -
"Achtung bitte, für Reisende mit Ziel Amsterdam gibt es eine Gate-Änderung: Flug LX**** ab 14.00 Uhr, Abflug von Gate A**".
Unruhig schaue ich von meinem Reader auf, sehe, dass die Leute aufstehen und weggehen. Dann schaue ich auf die Informationstafel. Ja, mein Verdacht ist richtig. Ein weiterer Gatewechsel, Gate A15 dieses Mal. Die Durchsage habe ich nicht verstanden. Ich stecke meinen Reader zurück in die Tasche, schnappe mir meine Sachen und folge der Menge.
Bis zum Gate A15 durchquere ich einen großen Teil des Flughafens und als ich ankomme, sind die meisten Plätze schon besetzt. Ich gehe zu einem Sitzplatz zwischen zwei Mitreisenden, die sich mit ihrem Gepäck eingerichtet haben.
"Entschuldigung, dürfte ich hier sitzen?", frage ich einen von ihnen.
Mit sichtbarem Widerwillen und ohne zu antworten, schnappt sich der Mann seinen Rucksack vom Stuhl.
"Danke", sage ich höflich, weil ich ein gutes Beispiel geben will. Der Mann murmelt etwas, das ich nicht verstehe. Als ich mich setze, knallt sein Rucksack heftig gegen mein Bein.
"Autsch", sage ich ein wenig lauter als nötig.
"Wenn es dir nicht gefällt, setz dich doch woanders hin." Jetzt sprühen meine Augen Feuer.
"Nein, du bist aber sehr höflich", erwidere ich sarkastisch. Der Mann murmelt wieder etwas, das ich nicht verstehe, aber ich meine einen Schimpfwort zu hören.
Ich atme bereits tief durch, um zu reagieren, als ich spüre, wie eine Hand sanft meinen Arm berührt. Meine Nachbarin auf der anderen Seite sieht mich an und schüttelt den Kopf.
"Er ist es nicht wert", sagt sie.
"Schlamp!" tönt es dann deutlich. Der Mann steht auf und läuft weg. Meine Nachbarin und ich sehen uns an und verstehen uns auch ohne Worte.
Wieder in meinen Reader vertieft, nehme ich kaum etwas von der Bewegung um mich herum wahr. Dennoch bin ich irgendwie getriggert: wenn ich aufschaue, sehe ich, dass die Stühle fast leer sind. Mein Blick geht automatisch auf die Informationstafel. Ein neuer Gatewechsel und wieder am anderen Ende des Flughafens! Mit nur noch fünfzehn Minuten zu gehen, steigt Panik in mir auf. Schnell packe ich meine Sachen und beginne zu laufen.
Mein Tempo beschleunigt sich, während ich auf dem Weg zum neuen Gate auf eine Uhr schaue. Noch fünf Minuten.
Ich stoße fast mit einer älteren Dame zusammen, umgehe gerade noch rechtzeitig ein Kind, das mir ohne zu schauen vor die Füßen läuft.
Mir geht die Luft aus, mein Herz schlägt mir bis in den Hals.
- Ding dong, ding dong -
"Sehr geehrte Damen und Herren …" Nein, nicht jetzt!
Na endlich! Keuchend steuere ich auf mein Gate zu. Ich bin einer der letzten Passagiere.
"Ihre Bordkarte und Ihren Reisepass, bitte."
Der Ton ist zwingend und ungeduldig. Meine Handtasche ist groß und tief. Ich wippe von einem Fuß auf den anderen, bevor ich die geforderten Dokumente vorzeigen kann und die Türen des Flugzeugs schließen sich sofort, als ich eintrete.
"Willkommen an Bord von Flug LX 2020. Wir wünschen Ihnen einen angenehmen Aufenthalt und einen guten Flug", tönt es durch die Lautsprecher.
"Mama, da komme ich!", denke ich erleichtert und sogar feierlich, als ich in meinen Stuhl falle und fertig bin mit Keuchen.
Etwa viermal im Jahr fliege ich für ein oder zwei Wochen in die Niederlande, um sie, meinen Bruder und den Rest der Familie zu besuchen. Ein ziemliches Unterfangen, aber auch schön, alle wiederzusehen. Als mein Vater so krank war, bin ich öfter hin geflogen, aber daran will ich jetzt nicht denken.
Ich schalte meine Hörgeräte aus und versuche, die Umgebungsgeräusche zu ignorieren, nehme meinen Reader aus der Tasche und ergebe mich dem Flug.
Plötzlich stößt mich meine Sitznachbarin an. Als ich aufschaue, sehe ich die Stewardess neben unserer Reihe im Gang stehen. Sie schaut mich erwartungsvoll an. Ich mache mit meiner Hand ein Stoppzeichen, um ihr zu signalisieren, dass ich meine Hörgeräte einschalten muss.
"Was möchten Sie trinken?", fragt sie, sobald ich wieder "online" bin.
"Kaffee bitte und Wasser."
"Kaffee mit Zucker und Milch?"
"Nein, danke, nur schwarz"
"Wasser mit oder ohne Kohlensäure?"
"Ohne, gerne, danke!"
Dankbar nehme ich das Wasser, den Kaffee und den Nachmittagssnack an und schalte meine Hörgeräte wieder aus. Der Rest des Fluges verläuft ruhig und als ich spüre, dass wir im Senkflug sind, packe ich meinen Reader wieder ein.
"Auf Wiedersehen", sage ich automatisch, als ich das Flugzeug verlasse und lächle eine freundliche Stewardess an.
Bei der Gepäckausgabe schaue ich mir die Informationstafel an. Förderband 12 für meinen Flug. Es ist noch kein Zeitpunkt bekannt, wann das Gepäck ankommt. Das heißt wieder warten.
Nachdem alle Gepäckstücke von drei anderen Flügen auf dem Band abgeladen sind, verliere ich die Geduld. Ich sehe einige Leute, die zur Gepäckaufbewahrung gehen, und beschließe, es ihnen gleich zu tun.
"Wir verstehen, dass das Warten unangenehm ist, aber das Gepäck aus Zürich kommt etwas später", lautet die Antwort. Eine halbe Stunde später ist das gesamte Gepäck aus Zürich ausgeladen, mein Koffer ist nicht dabei.
Ich gehe zurück zum Büro der Gepäckverwaltung, um nachzufragen. Nein, das gesamte Gepäck aus Zürich war ausgeladen und lag auf dem Band. Sie raten mir, meinen Koffer als vermisst zu melden.
Am Schalter "Lost & Found" gebe ich müde und resigniert meine Daten auf. Sie wollen eine Telefonnummer, unter der ich zu erreichen bin. Wenn ich ihnen sage, dass das nicht viel Sinn macht, weil ich nicht telefoniere, wird das nicht akzeptiert. "Ohne eine Telefonnummer können wir Ihr Formular nicht bearbeiten", heißt es.
Willkommen in den Niederlanden.
Ich habe es trotz allem wieder geschafft. Müde und ohne meinen Koffer laufe ich am Zoll vorbei - nein: nichts zu verzollen, danke - zum Bahnhof und nehme den ersten Zug, der mich meinem Ziel näher bringt. Dort, am Ziel, wartet Mama auf mich mit einer Tasse Tee.
Erschöpft von all den Eindrücken, Anstrengungen und dem Lärm, sinke ich in meinen Zugsitz. Eine Stunde Zeit bleibt mir noch, um mich zu entspannen, und ich hole meinen Reader aus der Tasche.
"Meine Damen und Herren, geschätzte Fahrgäste, ich wünsche Ihnen einen schönen Nachmittag. Sie befinden sich im Zug von Amsterdam-Schiphol nach Venlo. Für Reisende mit einem Ziel weiter als Utrecht habe ich eine unangenehme Mitteilung: Dieser Zug fährt nicht weiter als Bahnhof Utrecht. Fahrgäste mit anderen Zielen müssen in Utrecht umsteigen."
Der Durchsage entnehme ich, dass ich umsteigen muss.
Ein tiefer Seufzer entweicht aus meinem Inneren und ich schließe für einen Moment die Augen.