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vorgespult

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26.03.2002
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vorgespult

Matthias steckte in aller Eile zwei Scheiben Toast in den Toaster, schenkte sich eine Tasse Kaffee ein und warf einen schnellen Blick auf den Leitartikel der Tageszeitung. In dicken Lettern stand dort geschrieben: "Misteriöse Unfallserie fordert 3 Todesopfer!"
"Typisch", dachte er bei sich. Der Schreibfehler in der Headline passte ebenso sehr zum qualitativen Ruf des Blattes wie der Fehler im Datum, den er jetzt erst bemerkte. Nun, am Abend würde er mehr Zeit haben, sich dem Artikel zu widmen, hatte er doch heute morgen den Wecker wieder mal zu oft ein bisschen weiter gedreht.
Die Zeitung zusammenfaltend, beendete er das Frühstück und machte sich auf den Weg ins Büro.

Wie an jedem Morgen begann Klaus seinen Arbeitstag damit, die Stelle auf dem Gehweg, an der er heute arbeiten wollte, akribisch abzusichern. Warnpylonen und Baken in leuchtenden Farben, rot-weisses Flatterband - niemand sollte durch einen unbedachten Tritt auf die falsche Stelle zu Schaden kommen. Kurz überlegte er, wie viele Meter Flatterband er in den letzten 26 Jahren verbraucht hatte. "Quatsch!" Für solche philosophischen Fragen blieb ihm nicht genügend Zeit in seinem Job. Er öffnete den Gullideckel, prüfte noch einmal die Funktion seiner Taschenlampe und stieg langsam hinab.

"... und Milch brauche ich auch noch." Helga schrieb einen weiteren Posten auf ihren Einkaufszettel. Früher hatte sie keinen gebraucht, aber in den letzten Jahren war sie ein wenig vergesslich geworden, und auch die Augen bereiteten ihr zunehmend Probleme. Weit streckte sie den Zettel von sich, während sie noch einmal ihre Notizen überprüfte. Nein, vergessen hatte sie dieses Mal nichts, und so nahm sie ihren Mantel und ihren Einkaufskorb und verliess die Wohnung.

"Tschüss, Mama!" Benjamin zog die Haustür zu. Endlich war er nicht mehr von seinen Eltern abhängig, hatte vor zwei Wochen den Führerschein bestanden und sich mit seinen Ersparnissen und der freundlichen Unterstützung seiner Großmutter seinen ersten Wagen gekauft, einen gebrauchten, dessen beste Jahre sicherlich schon ein Weilchen zurücklagen. Dafür war er preiswert gewesen, und es war sogar ein wenig Geld übrig geblieben, das Benjamin in Radio, Verstärker und Boxen investieren konnte. Er schloss den Wagen auf, setzte sich hinein, startete Motor und Soundanlage und rangierte schwungvoll aus der Parklücke. Das Scheppern an seinem Heck ging in den kräftigen Bässen seines Lieblingsliedes komplett unter.

Klaus hörte einen Motor aufheulen und nahm selbst in drei Metern Tiefe die Vibrationen der lauten Musik wahr. Er schüttelte leicht verärgert den Kopf. Immer mussten diese Jugendlichen so einen Radau veranstalten. Aber was konnte er schon daran ändern? Resignierend wandte er sich wieder seiner Arbeit zu. Das hässliche Knirschen nahm er wohl wahr, hielt es jedoch nicht für wichtig. Im nächsten Moment traf ihn die von oben herabstürzende Warnbake im Nacken. Dunkelheit hüllte ihn ein. Dass er in den Abwasserkanal stürzte, nahm er ebenso wenig wahr, wie die Tatsache, dass der Rest seiner Baustellenabgrenzung - vom verhedderten Flatterband mitgerissen - der Warnbake folgte.

Den Weg zu ihrem Stammgeschäft kannte Helga natürlich längst auswendig. Das war auch gut so, denn mit der kleinen Schrift auf den Straßenschildern hatte sie schon seit Jahren große Mühe. Sie war jedoch zu eitel, um sich einzugestehen, dass es an der Zeit war, über eine Brille nachzudenken. So ging sie auch heute wieder mit leicht zusammengekniffenen Augen durch die Stadt, stets darauf bedacht, niemandem in die Quere zu kommen. Dass sie die Öffnung im Gehweg übersehen hatte, bemerkte sie erst, als sie ins Leere trat. Zeit zum Schreien blieb ihr nicht mehr, der Aufprall kam ihr zuvor.

Jeden Tag fuhr Matthias die gleiche Strecke zum Büro. Lange schon hatte sich dabei Routine breitgemacht, so dass er sich immer wieder dabei ertappte, wie er seinen Blick von der Straße abschweifen liess. Irgendwann, so dachte er amüsiert, würde die Technik in den Autos so fortschrittlich sein, dass er gar nicht mehr wach sein müsste, um zur Arbeit zu fahren. Just in dem Moment, in dem er wieder einmal die Fussgänger beobachtete, die neben der Straße vorbeihasteten, verschwand einer davon plötzlich. Matthias erschrak, schaute genauer hin, doch die Gestalt blieb verschwunden. Den kleinen Schlenker, den er fuhr, bemerkte er gar nicht. Was er sehr wohl bemerkte, war die Hupe des LKW, auf den sein Wagen nun zusteuerte - doch zum reagieren war es schon zu spät.

Seit 12 Jahren schon war Wilhelm Redakteur bei der Tageszeitung, und noch immer weigerte er sich, den Sieg der Technik über den freien Willen des Menschen zu akzeptieren. So sass er auch an diesem Nachmittag wieder über seinen Artikeln und kontrollierte sie selbst, anstatt sie durch die Rechtschreibprüfung seines Computers laufen zu lassen. Dabei faszinierte ihn besonders der Leitartikel über eine Unfallserie mit 3 Todesopfern. Erneut las er den Artikel durch. Mitgefühl konnte er sich als Reporter nicht erlauben, aber dieser Fall war so tragisch, dass er ihn nicht losliess. Den Fehler in seiner Überschrift indes übersah er versehentlich.

 

Guten Abend, SaltyCat!
Deine Geschichte ist hübsch geschrieben, leider aber auch extrem vorhersehbar. Ich könnte schwören, mindestens zwei Gullydeckelkatastrophenkettenreaktionsgeschichten schon gelesen zu haben; kaum hatte Klaus seine Arbeitsstelle gesichert, wußte ich: Alle Unfallltoten aus Matthias' Zeitung waren Gullyopfer. Das ist natürlich eine schlechte Startposition für den Autor, wenn die Handlung ausgeleiert ist. Daß die einzelnen Personen kurz umrissen werden, macht sie nicht wirklich zu Sym- oder Empathieträgern, wird geradezu unwichtig, wenn man schon weiß: Da lauert der Gully. Hier sterben sie (zeilenmäßig hochgerechnet) wie die Fliegen, aber es ließ mich kalt.
Gab es nicht mal so Werbung, wo solche und ähnliche Kettenreaktionen vorkamen und nachher irgendwer sich schwarzärgerte, weil er das alles hätte filmen können, wenn die Batterien von seinem Filmdings nicht leergewesen wären? So einer hätte das Ganze vielleicht aufgemotzt (kein seriöser Vorschlag).
Ich glaube, wenn Du Dir mehr Zeit für deine Helden nehmen würdest, könntest Du den Stil etwas lockern und Dich ins Subtile verzetteln. Da lauert das gewisse Etwas, flüssig schreiben kannst Du ja schon.
Vertipper:

Nein, vergessen hatte sie dieses Mal nichts, udn so nahm sie ihren Mantel
Freundliche Grüße,
Makita.

 

Hallo Makita!
Danke für Deine Kritik. Den Vertipper hab ich umgehend ausgemerzt - einen überseh ich immer *g*

Ich bin ein bisschen traurig, dass offenbar für den Leser die Gullideckelkatastrophe so im Vordergrund steht - die Form, in der die Unfälle hier passieren, ist mir nämlich im Prinzip völlig egal gewesen. Als ich die Idee zu dieser Geschichte hatte, war etwas ganz anderes für mich Hauptmerkmal - mal schauen, ob jemand ausser mir das auch so wahrnimmt ...

 

Hallo saltycat,

leider habe ich hier auch nur eine

Gullydeckelkatastrophenkettenreaktionsgeschichten
herausgelesen ;)
Dazu eine recht lustlos hingeklatschte, muss ich sagen. Mich berührt zumindest nichts davon, weil du mir die Ereignisse zu leblos runterratterst. Jetzt, da ich deinen KOmmentar gelesen habe, verstärkt sich mein Eindruck, dass du dir über die Form des zu Erzählenden nicht viel Gedanken gemacht hast. Du hattest eine Idee und hast sie eben rasch und auf dem einfachsten Wege zu Papier gebracht. Möglicherweise mag deine eigentliche Idee eine spannendere sein, als das Gully-Dingens ( ;) ), das in den Vordergrund gerutscht ist, aber der Text bietet für mich nicht genug Interessantes, um länger danach zwischend den Zeilen zu suchen.
Die Auflösug würde mich trotzdem interessieren ...

grüßlichst
weltenläufer

 

Hallo SaltyCat!

Leider muss ich sagen, dass auch ich der Geschichte nicht viel abgewinnen konnte. Es kam mir alles so lieblos runtergerattert vor.
Ich habe das ganze allerdings nicht unter dem Kettenreaktionsaspekt gelesen, obwohl ab hier: "akribisch abzusichern" klar war, dass sich Unfälle ereignen würden.
Aber im Grunde war der Text noch vorhersagbarer, nämlich durch den Titel und durch das hier: "der Fehler im Datum". Klar, dachte ich mir, das wird also eine Zeitschleife.
Ich geh davon aus, dass dein "Hauptmerkmal" darin liegen sollte: "den Sieg der Technik über den freien Willen des Menschen". Das solltest du aber ausarbeiten, denn dass die Unfälle nur passieren, weil es in der Zeitung stehen wird, geht unter den Unfällen komplett unter.

Grüße
Chris

 

Hallo SaltyCat!

Ich bin ein bisschen traurig, dass offenbar für den Leser die Gullideckelkatastrophe so im Vordergrund steht - die Form, in der die Unfälle hier passieren, ist mir nämlich im Prinzip völlig egal gewesen. Als ich die Idee zu dieser Geschichte hatte, war etwas ganz anderes für mich Hauptmerkmal - mal schauen, ob jemand ausser mir das auch so wahrnimmt ...
Naja, Chris’ Interpretation klingt ja schon nicht schlecht. Wobei für mich schon auch sehr die Unachtsamkeit aller im Vordergrund stand. Immer hat irgendeiner nicht aufgepaßt oder gar fahrlässig gehandelt, selbst Klaus, der vielleicht einen Schutzhelm aufsetzen hätte sollen, und das falsche Datum, das ebenfalls versehentlich entstanden ist. Aber ich bin mir ziemlich sicher, daß es Dir nicht darum ging, sonst wäre die Geschichte wohl in Gesellschaft.
Die Logik der Zeitschleife darf man allerdings nicht hinterfragen (was war zuerst, der Artikel oder der Unfall?), aber wir sind ja in Seltsam. Auch die Theorie, es wäre alles nur passiert, weil der Artikel geschrieben wurde, funktioniert nicht, dann hätte der Redakteur die Unfälle ja erfinden müssen.

So, jetzt kommen noch ein paar Anmerkungen, bei denen ich mir aber die Frage nicht verkneifen kann: In welch grammatikalisch finsteren Spelunken treibst Du Dich herum, daß es zu so einem Verfall Deiner ss/ß-Schreibung kommt? :susp: Allein das Alter kanns ja doch nicht sein … :p

»Der Schreibfehler in der Headline«
– Überschrift wäre doch ein nettes deutsches Wort

»hatte er doch heute morgen den Wecker wieder mal zu oft ein bisschen weiter gedreht.«
– heute Morgen
– zusammen: weitergedreht

»die Stelle auf dem Gehweg, an der er heute arbeiten wollte,«
sollte würde ich passender finden

»Warnpylonen und Baken in leuchtenden Farben, rot-weisses Flatterband«
– rotweißes

»wie viele Meter Flatterband er in den letzten 26 Jahren verbraucht hatte.«
– sechsundzwanzig

»so nahm sie ihren Mantel und ihren Einkaufskorb und verliess die Wohnung.«
– verließ

»wie er seinen Blick von der Straße abschweifen liess.«
– ließ

»Just in dem Moment, in dem er wieder einmal die Fussgänger beobachtete,«
– Fußgänger

»doch zum reagieren war es schon zu spät.«
– zum Reagieren

»Seit 12 Jahren schon war Wilhelm Redakteur bei der Tageszeitung,«
– zwölf

»So sass er auch an diesem Nachmittag wieder über seinen Artikeln«
– saß

»Dabei faszinierte ihn besonders der Leitartikel über eine Unfallserie mit 3 Todesopfern.«
– drei

»dieser Fall war so tragisch, dass er ihn nicht losliess.«
– losließ

»Den Fehler in seiner Überschrift indes übersah er versehentlich.«
– das »indes« ist an der Stelle nicht sehr schön, besser fände ich den Satz, wenn Du ihn so umstellst: Indes übersah er versehentlich den Fehler in seiner Überschrift. »versehentlich« könntest Du aber auch streichen. Wenn jemand etwas übersieht, macht er das normalerweise versehentlich; absichtlich wäre es dann eher ein Ignorieren oder daß er es nicht wahrhaben will.

Und dann war da noch ein Buch, das ich gern wieder zurückhätte, auch wenn Du meinst, auf diesbezügliche PMs nicht reagieren zu müssen. Ich hoffe, es findet bald ein Kuvert und den Weg zur Post.

Liebe Grüße,
Susi :)

 

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