- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 8
Walküre
Ein gleichmäßig pulsierender Brummton erfüllte den Raum. In einer Ecke stand auf mehreren Stapeln Zeitungen ein altes Modell eines Volksempfängers, der gerade einen Marsch, wahrscheinlich war es Piefkes „Preußens Gloria“, tönte. „Herbert, komm nur rein!“, stieß ein großer Mann von einem alten, massiven Holzschreibtisch hervor, während er wie wild auf einem Blatt vor sich hinkritzelte. Herbert fragte sich, warum Wernher ihn gerade jetzt sehen wollte. Hatten sie doch nun seit fast zwei Jahren kein Wort mehr miteinander gewechselt.
„Wernher, was machst du denn im Keller? Deine Vermieterin hat mir gesagt, du wärst schon seit Stunden hier unten“ Herbert steckte den Kopf in den Raum und sah sich um. Durch ein schmales Kellerfenster, das mal ordentlich abgestaubt werden musste, drang wenig Licht. Aber das war nicht notwendig, um die riesige, kegelförmige Kapsel auszumachen, die fast den ganzen restlichen Keller ausfüllte. Darauf war der Name „Walküre“ eingraviert. Der naheliegendste Vergleich wäre für ihn ein U-Boot gewesen, das er mal auf Bildern gesehen hatte. Jetzt zuckte er nur mit den Schultern und ging die letzte Stufe nach unten.
Wernhers Schreibtisch war voll von Skizzen und wirrem Geschreibsel, von dem Herbert keine Ahnung hatte. Wernher hatte schon immer nur Technik im Kopf gehabt, aber nun – so dachte Herbert - war er dabei es zu übertreiben.
„Das stimmt – ich arbeite.“, antwortete Wernher etwas verspätet. Damit drehte er sich im Stuhl um. Ein Lächeln huschte flüchtig über seine Lippen, nur für einen kurzen Moment, dann wurde seine Mimik wieder ernst. Er hatte sich verändert, dachter Herbert.
„Du lässt dir jetzt einen Bart stehen ... hmm ... das passt zu dir. Sag mir, woran arbeitest du? Deine Vermieterin hat sich beschwert, dass du dieses riesige ... Ding durchs ganze Haus geschleppt hast. Wie hast du das überhaupt durch die Tür gebracht?“
„Wenn ich dir das sage, muss ich umbringen.“ Wernher grinste, als er sah, wie sein Freund mit den Wimpern zuckte.
„Das war ein kleiner Scherz, natürlich verrate ich es dir. Aber du musst Stillschweigen bewahren. Mit diesem 'Ding' kann man durch die Zeit reisen.“
Herberts Augen wurden größer. „Eine Zeitmaschine? Du glaubst doch nicht etwa, dass ich dir das jetzt glaube.“
„Das werden wir gleich haben; du wirst mir glauben.“
„Nicht schon wieder so eine verrückte Sache, ich habe auch gar keine Zeit!“
„Alles relativ, Herbert, alles relativ.“
„Ach ja, ich weiß. Eigentlich bin ich überrascht, dass du überhaupt hier bist.“
„Stimmt, ja, ich bin nur her gefahren, um meine Arbeit zu beenden. Die Hälfte der Unterlagen liegt hier überall verstreut ... sag mir bitte wohin du willst“
„Ich muss noch Angela besuchen und dann-“
„Das meine ich nicht. Wohin würdest du gerne reisen?“
„Tja – äh“
„Wir könnten mit Jesus zu Abend essen, die Entstehung der Menschheit verfolgen oder uns die Dinosaurier anschauen. Komm schon, das wird toll! Nur noch ein paar Feineinstellungen, dann ist die Kapsel bereit“
„Ich weiß nicht ... warum willst du unbedingt mich dabei haben?“
„Nein, ich habs. Wir müssen nach 1894. H.G. Wells' Gesicht möchte ich sehen, wenn wir aus der Kapsel steigen.“
„Wir könnten doch etwas verändern“.
„Die Gefahr ist minimal, glaube mir bitte“
Herbert schwieg. Nun musterte er seinen Freund, dessen Fuß nervös auf dem Boden wippte.
„Bist du etwa schonmal gereist?“, fragte Herbert nun ernsthaft.
„Wieso fragst du?“
„Ach nichts. Ich werde jetzt gehen. Bitte stell mir keinen Unfug mit deiner Arbeit an. Du hast ganz schön viel Verantwortung mit so einer Erfindung.“
„Das werde ich, mein Freund.“ Wernher stand auf. „Wir werden uns eine Weile nicht sehen, weil ich noch andere Arbeit habe, über die ich aber wirklich nicht sprechen darf.“
„Dann machs gut, Wernher. Und viel Erfolg.“
Auf dem Weg nach Hause dachte Herbert nur über die Maschine nach. „Vielleicht hätte ich mit ihm gehen sollen“, dachte er. „Nur für den Fall, damit er auch wirklich nichts ändert.“
Als er an seiner Haustür ankam, stand dort bereits der Postmann. „Guten Tag! Die können sie gleich mir geben“ Es waren eine Rechnung und eine Postkarte.
„Lieber Herbert“, begann die Karte. „Ich hoffe dir geht es gut. Meine Arbeit hier ist zwar schwer, aber sie ist genau wie ich es mir erhofft hatte. Viele Grüße auch an Angela, Dein Wernher v.B.“
Sie war vor ein paar Tagen aufgegeben worden und kam von der Insel Usedom. „Wie kann das nur sein?“, fragte er sich. Herbert drehte sich um und beschleunigte seine Schritte, er musste nach Wernher sehen. „Irgendetwas ist nicht in Ordnung!“.
Das Haus war von Soldaten umringt. Die Vermieterin stammelte unverständlich vor sich hin und lief wie aufgelöst durch den Vorgarten. Als Herbert die Kellertür mit Mühe und Not erreichte, standen bereits fünf Männer der Schutzstaffel davor.
„Von Braun, öffnen sie die Tür!“ „Keine Antwort.“ „Dann werden wir sie öffnen. Den Sturmbock!“. Sie stießen drei Mal gegen die Tür, bis sie endlich zur rechten Seite hin abriss.
„Was wollen sie hier?“, fragte ihn einer der Männer und stellte sich Herbert in den Weg. „Ich bin ein Freund“
„Sie haben hier nichts zu suchen. Wir werden sie später befragen. Nehmt in mit!“
„Halt, ich will nur einen kurzen Blick in den Raum werfen“ Herbert riss sich los und stolperte die Treppe nach unten. Die SS durchsuchte bereits den Raum. Sie blätterten Wernhers unterlagen durch. Der Kapsel war verschwunden.
In der Ecke stand immer noch der Volksempfänger. Herbert lief ein Schauer über den Rücken, als er jetzt die erschreckende Nachricht vernahm.