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Warten auf die vorletzte Bahn

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04.04.2008
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Warten auf die vorletzte Bahn

Warten auf die vorletzte Bahn

Die Rolltreppe setzte sich summend in Bewegung und trug die Frau hinunter in den
U-Bahn-Schacht. Der glühende Hochsommertag war in einen stickigen Abend übergegangen. Es würde nicht abkühlen heute Nacht.
Die Frau stand unsicher, ihre hohen Absätze drohten zwischen die Stahlrillen der Rolltreppe zu geraten. Sie umschloss mit feuchter Hand den Gummibelag des Geländers und balancierte auf Zehenspitzen. Eine schwarze Aktenmappe hing wie Blei an ihrer freien Hand. Trost versprach der Gedanke, in einer halben Stunde aus dem eleganten Kostüm zu schlüpfen und die Schuhe abzustreifen. Nur drei Stationen mit der Strassenbahn, unterirdisch, quer durch die Stadt, die ihr hoffentlich ein wenig Abstand zu den Ereignissen des Tages bringen würden. Die Zehen schmerzten nach dem langen Abend und das Atmen stengte an.
Ich bin eben auch nicht mehr die Jüngste, dachte die Frau, doch es hat sich ja gelohnt. Ihre Agentur würde den Auftrag für die Werbekampagne des neuen Kleinwagens bekommen; dafür konnte man ruhig mal ein paar gequetschte Zehen in Kauf nehmen.
Ein scharfer Luftzug traf die Frau von der Seite. Sie erschrak heftig. Eine große Taube segelte an ihr vorbei in den Schacht, beschrieb eine scharfe Rechtskurve über die Rolltreppe hinweg und streifte dabei fast ihren Kopf. Die Frau geriet ins Wanken, umklammerte das Geländer und rutschte mit einem Fuß von der Stufe ab. Wie von sanften Wellen getragen, landete eine weiße Feder auf ihrem Schuh. Im Nacken der Frau erblühte ein Schweißfilm. Sie straffte die Muskeln und stolperte ungelenk von der flachen Stufe auf den Marmorboden der U-Bahn-Station. Zwei Meter entfernt trippelte die Taube geschäftig pickend hin und her.
Niemand war hier. Leuchtziffern über dem Bahnsteig zeigten an, dass die vorletzte Bahn in knapp vier Minuten kommen würde. Es war kurz vor Mitternacht. Die Frau atmete ein, doch die Luft blieb hinter dem Brustbein stecken. Sie stellte ihre Aktenmappe neben sich, zog die Kostümjacke zurecht und überprüfte mit geübten Griffen den Sitz ihrer Frisur. Eine blondgraue Strähne hatte sich aus der Schildpattspange gelöst und war auf ihre Schulter gefallen. Die Frau steckte sie geschickt fest, nahm die Tasche auf und steuerte auf die Bank unter der Leuchtanzeige zu. Sie erschrak über das Klappern ihrer Absätze, das wie höhnisches Lachen von den gekachelten Wänden widerhallte. Die Taube flog auf und segelte hinunter auf die Gleise. Das Herz der Frau schlug schneller, klopfte hart gegen die Brust, als sie sich auf die Bank fallen ließ.
Machte sie sich etwa ernsthaft Sorgen um eine Taube? Aus dem Tunnel auf der anderen Seite drang das anschwellende Dröhnen einer herannahenden Straßenbahn. Die Frau drehte sich um. Die einfahrende Bahn brachte einen Schwall modrig riechender Luft mit.
Niemand stieg aus, die roten Sitze waren leer.
Die Frau wandte den Kopf und beugte sich vor, um den Fahrer zu sehen. Gelänge ihr das, würde alles weniger geisterhaft wirken. Doch in diesem Moment fuhr die Bahn wieder an und wurde gleich darauf von der Schwärze des Tunnels verschluckt. Ein leichter Geruch nach Schmieröl hing im Schacht, als die letzten Fahrgeräusche verstummten.
Die Frau fröstelte, ihre Zehen fühlten sich kalt an. Im Neonlicht wirkten ihre Hände alt. Sie betrachtete das Netz feiner Linien, das Gott sei Dank bei Tageslicht noch nicht zu erkennen war.
Noch drei Minuten. Sie war hungrig. Obwohl das Büfett reichlich gewesen war, hatte sie nichts essen können. So war es immer bei Verhandlungen. Zwei Gläser Champagner, hastig hinuntergestürzt, verursachten Magendrücken. Die Frau seufzte. Ich sollte wirklich ein bisschen kürzer treten, überlegte sie, jetzt wäre es sogar möglich. Dieser Auftrag war wirklich ein ganz dicker Fisch. Von Müdigkeit übermannt, schloss sie für einen Moment die Augen.
Plötzlich war der Mann da.
Sie nahm zuerst seinen Geruch wahr. Ein herbfruchtiger Duft. Die Frau riss erstaunt die Augen auf. Sie hatte keine Schritte gehört. Woher kam er so unvermittelt? Einfach aus dem Nichts. Er muss in der Bahn gewesen sein, sie hatte nur nicht gemerkt, dass doch jemand ausgestiegen war. Das ergäbe allerdings keinen Sinn. Warum sollte er jetzt wieder in die Richtung fahren, aus der er gerade kam? Oder ruhte er sich nur ein wenig aus? Auch das erschien ihr unwahrscheinlich, denn warum sollte sich jemand um Mitternacht in einem U-Bahn-Schacht ausruhen? Ihre Gedanken überschlugen sich, während in ihrem Nacken ein neuer Schweißfilm antrocknete. Die Frau rieb die steifen Finger aneinander. Sie fror. Vor Übermüdung sicherlich. In dieser dumpfen Abgestandenheit fror sie tatsächlich.
Der Mann schaute sie nicht an.
Er saß zurückgelehnt, mit übergeschlagenen Beinen, am anderen Ende der Bank und blickte auf das Gleis. Aus den Augenwinkeln sah die Frau, dass er eine Leinenhose trug, dazu ein kurzärmeliges weißes Hemd. Seine nackten Füße steckten in Lederslippern. Aha, dachte die Frau, er kam auf leisen Sohlen.
In sein welliges blondes Haar hatte er eine blaugetönte Sonnenbrille geschoben. Ein attraktiver Mann, nicht mehr ganz jung, um die vierzig, schätzte die Frau. Er hatte nichts bei sich, keine Tasche, keine Zeitschrift, nichts. Ihr Herz wollte wieder die Rippen sprengen. Wie dumm ich bin, schalt sie sich, wieso möchte ich, dass er eine Tasche bei sich hat? Oder wenigstens eine Zeitung. Sicher war er mit guten Freunden unterwegs gewesen, hatte ein paar Bierchen getrunken, oder…
Ein Stöhnen unterbrach ihre Gedanken.
Es klang zunächst wie ein Seufzer, vor Müdigkeit vielleicht, doch gleich darauf vibrierte ein kehliger Ton zwischen den Schachtwänden.
Die Frau erstarrte. Ungläubig sah sie zu dem Mann hin, zog zugleich die Schultern zusammen und verschlang die Hände ineinander. Die Knöchel traten weiß hervor.
Der Mann hatte seine Position nicht verändert, er saß noch immer angelehnt und sah auf das Gleis, noch immer trippelte die Taube pickend zwischen den Schwellen umher.
Die Frau versuchte, ihr Herzrasen durch regelmäßiges Atmen zu regulieren.
Es war wieder still.
Sie musste sich verhört haben. Die Müdigkeit hatte ihre Sinne vernebelt, ihr etwas vorgespielt. Der Mann wirkte nicht krank, oder so, als habe er Schmerzen, nein, er saß doch ganz entspannt da. Und wenn jemand anderes gestöhnt hätte, wäre er doch sicher aufmerksam geworden. Die Frau sah sich verstohlen um; niemand sonst war hier. Nein, sein Verhalten bedeutete, dass da gar nichts war, überhaupt nichts. Sie machte sich nun wirklich lächerlich, mit ihrem Kloß im Hals und dem hämmernden Herzen. Er sah doch nett und gepflegt aus, seine Haut war sonnengebräunt, das konnte sie selbst im Neonlicht erkennen. Weshalb also sollte er stöhnen? Noch zwei Minuten, dann kam ja auch die Bahn.
Der Mann bewegte sich.
Langsam stellte er seine Beine parallel zueinander und ließ die Oberschenkel weit auseinander fallen. Er rutschte ein Stückchen tiefer, sein Kopf lag nun zurückgebeugt auf der Rückenlehne der Bank.
Er ist auch müde, dachte die Frau und fühlte sich sofort entspannter. Sie nahm ihre Aktenmappe auf den Schoß und legte beide Hände auf das kühle Leder. Was sprach eigentlich dagegen, mit dem Mann ein paar belanglose Worte zu wechseln? Es konnte doch sein, dass er sie nicht ansprach, weil er keinen falschen Eindruck erwecken wollte. So gesehen, war das Ganze wirklich paradox. Mit ihm zu plaudern würde Erleichterung bedeuten, es würde sie entkrampfen und wärmen, weil es diese unterirdische Katakombe in einen wirklichen Ort verwandeln könnte. Ja, sie wollte sogar der Versuchung nachgeben, ihm von ihrem Erfolg zu erzählen; plötzlich war sie der Überzeugung, dass sie mit diesem Mann lachen und reden könnte, gut sogar. Sie würde sich vorstellen, ihren Namen nennen, und er? Sah er nicht nach Harald aus? Sie kannte mal einen ähnlichen Typen, der Harald hieß. Lächelnd hob die Frau den Kopf.

Im gleichen Moment griff sich der Mann in den Schritt.
Seine Hand schloss sich um sein Geschlecht, er stöhnte auf und begann mit kraftvoll pumpenden Bewegungen seine Genitalien zu bearbeiten. Dabei starrte er weiter auf das Gleis, und die Frau sah, dass er grinste, als die Taube erschreckt davonflog.
Aus seinem Mund drangen wilde, obszöne Töne, schmerzvoll und gequält. Tierische Töne, dachte die Frau, wie ein verwundetes Tier.
Sie umklammerte ihre Tasche, konnte den Blick nicht von dem Mann abwenden. Sie musste hinsehen, paralysiert vor Schreck, während ein Teil ihres Gehirns sich fortwährend fragte, ob das gerade wirklich geschah.
Schluchzende Laute entrangen sich seiner Kehle, sein Unterleib bäumte sich auf und sank auf die Bank zurück, während seine Hand unaufhörlich zwischen seinen Beinen pumpte.
Die Frau bemerkte Speicheltröpfchen, die in seinem Mundwinkel Blasen bildeten. Plötzlich hob der Mann die andere Hand zum Mund und begann, an seinem Zeigefinger zu saugen. Schmatzend und stöhnend schob er den Finger in seinem Mund hin und her, der Speichel rann wie ein Bach an seinem Kinn hinunter und er grinste, grinste unaufhörlich. Und sah sie nicht an.
Doch sie starrte ihn unverwandt an,obwohl sie dachte: Tu das nicht, guck einfach weg.
Es ging nicht.
Vor ihren Augen wurde sein Gesicht zu einer bizarren Grimasse, einer ekstatischen Fratze, und die Zuckungen seines Körpers ließen sie an Besessenheit denken. Vielleicht war es gut, dass er sie nicht ansah. Vielleicht hatte das alles gar nichts mit ihr zu tun. Vielleicht war er einfach ein kranker Mensch. Vielleicht auch nicht.
Noch eine Minute. Egal. Sie musste hier weg. Jetzt. Sofort. Ihre Beine zitterten unkontrolliert, als sie versuchte, die Füße auf den Boden zu stellen. Stechender Schmerz fuhr durch alle Zehen.
Ihre Wirbelsäule war eine weiche Masse, als die Frau sich von der Bank erheben wollte. Salzige Tränen sammelten sich in ihrer Kehle. Die Tasche fiel zu Boden und sie wartete wie gelähmt auf eine Reaktion des Mannes.
Aus der Tiefe des Tunnels drang entferntes Grollen an ihr Ohr.
Der Mann hielt inne und richtete sich auf. Übergangslos, geschmeidig. Er setzte sich gerade hin und schlug die Beine wieder übereinander. Mit dem Handrücken wischte er sich über den Mund und drehte langsam den Kopf in ihre Richtung.
Lächelte sie an.
Er steckte den Finger erneut in den Mund, sah ihr unverwandt ins Gesicht und rutschte dicht an sie heran. Noch reichte die Zeit.
Die Frau war müde, unendlich müde. Sie fühlte keinen Widerstand, ihr Körper zerfloss, sie sehnte sich nach Schlaf und schloss leise wimmernd die Augen.
Fast zärtlich zeichnete der Mann mit seinem nassen Finger die Konturen ihrer Lippen nach, sie roch den säuerlichen Speichel. Er fuhr sanft an ihrem Hals hinunter bis zum Schlüsselbein. Dort hielt er kurz inne, hob blitzschnell die Hand und schlug ihr kurz und hart ins Gesicht.
Ihr Kopf flog nach hinten und das anschwellende Donnern der nahenden Bahn erstickte ihren überraschten Schrei.
Die Bahn fuhr ein und hielt mit zischenden Bremsen fast vor ihrer Bank. Der Fahrer nickte ihr zu. Betäubt erwiderte sie sein Lächeln.
Der Mann war verschwunden.
Wankend griff die Frau nach der Aktenmappe, kämpfte gegen die aufkommende Übelkeit und stieg mit zitternden Knien ein.
Sie war der einzige Fahrgast. Die Frau setzte sich ans Fenster und ließ den Kopf gegen die Scheibe sinken. Mit steifen Fingern suchte sie nach einem Taschentuch und rieb immer wieder über ihre Lippen. Als die Bahn anfuhr, zog der menschenleere Schacht an ihr vorbei, doch kurz bevor sie in den Tunnel einbogen, sah sie den Mann neben einem Getränkeautomaten stehen.
Sie war nicht überrascht.
Lässig angelehnt, die Füße über Kreuz, warf er ihr lächelnd eine Kusshand zu. Sein spöttischer Blick brannte in ihrem Rücken, bis die Bahn im Tunnel verschwand.

Das gleichförmige Rattern unter ihren Füßen löste den Tränenstrom in ihrer Kehle. Endlich konnte die Frau weinen. Es fühlte sich an, als könne sie nie mehr damit aufhören. Sie betastete immer wieder ihre schmerzende Wange, drückte sie gegen die schmierige Scheibe und hoffte, dass die Helligkeit des kommenden Tages, die Sonne, die flirrend durch die Blätter schien, die eisessenden Menschen, die spielenden Kinder im Freibad, die lachenden Kollegen in der Agentur alles ungeschehen machen würden. Vielleicht käme es ihr morgen früh wie ein schlechter Traum vor, der sich im Laufe des Tages auflösen würde, wie Nebelschwaden.
Schließlich war ihr doch nichts passiert.

 
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Spoiler-Kommentar!


Hey Jutta!

Ich gebe es zu, du hast mich voll erwischt, weil ich das eben von dir nicht erwartet habe, ich weiß, dass du gute Geschichten schreibst, und die meisten in Alltag postest und das ist auch richtig und die sind alltäglich, die hier ist es auch, aber die hier ist toll! Die anderen sind so brav und spießig, hier habe ich diese Wut gespürt, das war groooßartig, sag ich dir. ;)

Die Atmosphäre in dieser U-Bahn-SChacht, den Geruch, die Kälte, sogar die Tauben (!) hast du gut eingefangen, genau so sind U-Bahn-Schächte.
Die namenlose (was ich erst bemängeln wollte) Frau, bei der ich nicht wusste, ob ich mit ihr Mitleid haben sollte oder sie hassen wollte oder ob sie mir egal sein sollte. Sie ist so alltäglich gezeichnet, Karrierefrau, die nichts anderes im Kopf hat, und zu den Frauen gehört, die glauben, wenn sie mit einem Kerl allein in einem Raum sind, sofort vergewaltigt werden.
Und als sie diese Gedanken hatte, habe ich mir gewünscht, dass der Kerl eine Axt rausholt und sie zerstückelt (das habe ich mir aber nur gewünscht, weil ich dachte, das käme nicht, und weil mich dieses Passive so oft bei solchen Texten ärgert). Und dann packt der sich an die Eier, und schlägt ihr ins Gesicht und schmiert seine Spucke in ihr Gesicht - okay, ich hör' schon auf. ;)
Mir gefällt nur dieser krasse Kontrast, dieser harte Bruch.
Der Text schwankt so oft zwischen Harmlosigkeit und Bedrohung und wenn man glaubt, man ist in Sicherheit, dann kommt die Faust.
Voll die Horror Show!

Das Ende will mir noch nicht ganz gefallen, als der Kerl sowas wie menschliche "Gefühle" zeigt.

Lässig angelehnt, die Füße über Kreuz, warf er ihr lächelnd eine Kusshand zu. Sein spöttischer Blick brannte in ihrem Rücken, bis die Bahn im Tunnel verschwand.
Ich würd auf die zwei Adjektive und auf die Kusshand verzichten, er sollte ihr einfach nachblicken.

Jetzt verbeuge ich mich ganz tief und verabschiede mich. Und ich will mehr von diesem Zeug lesen. :D

JoBlack

edit: Empfehlung folgt.

 

Nur kurz, ausführlicherer Kommentar kommt später, die Kusshand muss unbedingt bleiben, weil das die Demütigung erst wirklich vollendet! Das hat nichts mit "menschlichen Gefühlen" zu tun, sondern mit Überlegenheit - es trifft das genau ein bestimmtes Verhältnis zwischen Mann und Frau, wo sie immer die Kleinere und Unterworfene ist, etwas, mit dem er machen kann, was er will.

 

Hej Jutta,

auf mich wirkt die Geschichte stellenweise unglaubwürdig und ich glaube, der Effekt entsteht vor allem, weil Du für mein Gefühl mehr aufbaust als nötig.

Spannung, zum Beispiel, am Anfang der Geschichte. Die Frau könnte auf dem Bahnsteig hocken, nach einem harten Arbeitstag viel zu müde für große Aufregungen und würde auf mich viel glaubhafter wirken, anstatt mir mit ihrem ständig klopfenden Herzen und all ihren Ängsten und Überlegungen das Gefühl zu vermitteln, dass sie eben keine souveräne Geschäftsfrau und Leiterin einer Werbeagentur ist, sondern ein verhuschtes Nervenbündel.

So frage ich mich, warum die Frau eine U-Bahn benutzt, da es ihr offensichtlich Unbehagen bereitet, ihre Füße schmerzen und sie nicht so wirkt, als mangele es ihr am nötigen Kleingeld für ein Taxi.

Auch solche Gedanken

Das ergäbe allerdings keinen Sinn. Warum sollte er jetzt wieder in die Richtung fahren, aus der er gerade kam? Oder ruhte er sich nur ein wenig aus? Auch das erschien ihr unwahrscheinlich, denn warum sollte sich jemand um Mitternacht in einem U-Bahn-Schacht ausruhen?
wirken auf mich irgendwie aufgesetzt.

Wie dumm ich bin, schalt sie sich, wieso möchte ich, dass er eine Tasche bei sich hat?
Das möchte ich auch wissen, was würde das ändern?

Langsam stellte er seine Beine parallel zueinander
Den ganze auf diesen Satz folgenden Absatz finde ich gut, weil die Frau hier nicht ängstlich, sondern nur etwas müde und auf der Suche nach menschlichem Kontakt wirkt - so wie ich mir jemanden in ihrer Situation eher vorstelle - obwohl ich immer noch finde, sie ist ein Taxi-Typ.

Waidwund, schoss es der Frau durch den Kopf, wie ein waidwundes Tier.
Öhem. Sie hat eindeutig eine schriftstellerische Ader. Ich kenne keine Frau - mich selber eingeschlossen - die in so einem Moment nach einer passenden Bezeichnung für einen, nein, mehrere dieser Töne suchen würde.

Insofern kann ich auch nicht nachvollziehen, warum sie sitzen bleibt.
Ich will damit nicht sagen: Ich würde nicht sitzenbleiben, also ist das, was Du schreibst Quatsch. Was ich nicht verstehe ist: Warum bleibt sie sitzen. Das ist eine recht ungewöhnliche Reaktion, finde ich.
"Sie konnte nicht anders" reicht mir da als Erklärung nicht aus.

Vielleicht war es gut, dass er sie nicht ansah. Vielleicht hatte das alles gar nichts mit ihr zu tun.
Diese Frau ist immerhin so alt, dass ihre Händen erste Anzeichen des Alterns zeigen, denkt aber naiv wie ein kleines Mädchen, das im Kino angefasst wird und nicht wagt, den Mund aufzumachen. Solche Frauen mag es (leider) geben, aber soll diese Frau wirklich so einen Typen darstellen?

Die Frau war unfähig sich zu bewegen, nur müde, unendlich müde.
Hier ist die geballte Müdigkeit da, die ich vorher vermisst habe. Jetzt fällt mir ein, dass auch die erklärt werden müsste, denn Müdigkeit hin oder her, sie hat doch gerade einen großen Fisch an Land gezogen, einen großen Auftrag ergattert, stimmt sie das nicht ein bisschen fröhlich, hat sie gar nichts zu feiern, und wenn nicht, warum?

U-Bahn-technisch blicke ich nicht durch, aber da mag es regionale Unterschiede geben.

drang das lauter werdende Dröhnen einer herannahenden Straßenbahn.
:confused: In Berlin sind U- und Straßenbahn zwei grundverschiedene Sachen. Ist das so beabsichtigt?

Ein freundlicher Fahrer nickte ihr zu.
Für mich eine komische Vorstellung. Ein Bus- Straßenbahn, S- oder U-Bahnfahrer ist freundlich, wenn er mich umsonst mitnimmt, mir nicht die Tür vor der Nase zuschlägt oder mir in einer Notsituation hilft. Aber einer Frau, die neben einem Mann sitzt (von dem der Fahrer nicht weiß, ob er dazu gehört) zunicken?

Viele Grüße (und nichts für ungut),
Ane

 

Nur kurz, ausführlicherer Kommentar kommt später, die Kusshand muss unbedingt bleiben, weil das die Demütigung erst wirklich vollendet! Das hat nichts mit "menschlichen Gefühlen" zu tun, sondern mit Überlegenheit - es trifft das genau ein bestimmtes Verhältnis zwischen Mann und Frau, wo sie immer die Kleinere und Unterworfene ist, etwas, mit dem er machen kann, was er will.

Tja, Andyschatz, da lesen wir beide was anderes aus der Geschichte, während ich diesen Kerl als eher etwas Surreales empfinde, denkst du wieder an die Rollen der Männer und Frauen. :P

 

Hallo Jutta,

wie man es von deinen Geschichten kennt, ist auch diese hier gut formuliert und in einem angenehm lesbaren Rhythmus geschrieben. Die unheimliche U-Bahnstory ist eigentlicher schon ein Klassiker in der Gruselecke, den Grusel und die Spannung in den Alltag zu verlagern, und auch durch davon nicht abweichende Beschreibungen und Kniffe Spannung und Atmosphäre zu erzeugen, ist meines Erachtens schon ein Kunstgriff.

Okay, der Schluss bleibt eben auch alltäglich, da darf man nicht hoffen, dass plötzlich doch noch ein Monster auftaucht. Ich meine jetzt so ein richtiges. Und ja, der Schlusssatz kommt mir auch einen Tick zu dramatisch vor.

Da passt auch irgendwas nicht so ganz zusammen. Diese dynamische Karrierefrau aus der Werbeagentur, großstadterprobt und bestimmt nicht zum ersten Mal (nachts) mit der U-Bahn unterwegs, und dann wegen einer relativ läppischen Sache in ihren Grundfesten erschüttert ... aber egal, es tut der Geschichte keinen Abbruch. Geschichten sollen ja davon leben, dass die Prots eben nicht stereotyp erscheinen :-)

Die Geschichte liest sich wie geschnitten Brot.

Rick

 

Salve Jutta,

ehrlich gesagt weiß ich nicht, wie ich mich zu deinem Text positionieren soll - jedes Mal, wenn ich ihn lese, stellt sich mein Inneresanders dazu.

Zuerst fand ich, Du hast die sexuelle Belästigung sehr gut eingefangen; auch, welche Konsequenzen ein dem Anscheinn nach harmloser Vorfall haben kann (wenn man in diesem Zusammenhang je von harmlos sprechen kann). Die Frau ist, durch Hitze, Übermüdung, Überarbeitung, Hunger an die Grenze der psychischen Belastbarkeit gekommen. (Erschreckend, ie wenig manchmal dazu reicht, dass man die Nerven verliert.) Schon das Setting des U-Bahnschachts, das Klappern der Absätze, das Halt verlieren auf der Treppe erschüttern sie zutiefst, in dieser emotionalen Verfassung kann die sexuelle Belästigung einen kompletten Zusammenbruch bewirken.

Beim zweiten Lesen fragte ich mich, ob das nötig gewesen wäre, die beiden Themen zu kombinieren. Wenn Du die augenblickliche Labilität der Prota darstellen willst, hätte es gereicht, sie mit einer überfahrenen Taube oder Ähnlichem zu konfrontieren. (Auf dem Heimweg von der siebten Nachtschicht in Folge, vielleicht mit dreit Tagen, an denen ich wegen der Hitze nur wenige Stunden schlafen konnte, kann mir so etwas z.B. den Rest geben.)

Wenn Du darauf abheben willst, was ein verhältnismäßig harmloser Zwischenfall anrichten kann (verhältnismäßig dazu, was es sonst noch an Brutalitäten und Perversionen im Vergewaltigungs- und Missbrauchsbereich gibt), würde es mE viel stärker wirken, wenn es einer stabilen Persönlichkeit begegnete.

Im Augenblick bin ich der Ansicht, dass beides sich gegenseitig aufhebt, und ein zynischer Leser denken mag: "Naja,ein Opfer halt."; aber wer weiß, vielleicht lese ich die Geschichte beim dritten Mal schon wieder ganz anders.

LG, Pardus

 
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Hallo Jutta!

Interessant zu lesen, was manchen Männern, betreffend sexuelle Nötigung, so alles relativ harmlos vorkommt; üblicherweise Situtationen, in die sie selbst kaum je geraten können. ;)
Ich konnte jedenfalls sehr gut mit deiner Protagonistin mitfühlen, ihre Angst nachvollziehen und auch die brennende Scham, die sie verspürte. Der letzte, lächelnde Blick des Täters, sein Kussmund, sind mMn unentbehrlich für die Story; wie Andrea schon anmerkte, gerade dieser Passus ist es, der das hilflose Opfer zusätzlich demütigt, ihm vor Augen führt, wie sehr er es zum Objekt der Begierde degradiert wurde. Und dass sich das jederzeit wiederholen kann, wenn er nur will.
Geschickt hast du die Atmosphäre des verlassenen U-Bahnhofs eingefangen, das Bild mit der flatternden Taube verstärkte diesen Eindruck sehr schön. Auch das Opfer kam gut rüber, die Frau wurde plastisch, ihre Gefühle spürbar und nachvollziehbar.
Eine rundum gute Story, wie ich meine, die ich gern gelesen habe. Merci!
Großartige Verbesserungsvorschläge habe ich keine, würde aber speziell das erste Drittel deines Textes von den allzuvielen Adjektiven, Adverben säubern. Sie wirken halt immer beschreibend, da könntest du das eine oder andere wegfallen lassen, bzw. durch Zeigen ersetzen und so deinen Text noch verdichten.

Hab die ersten Absätze zitiert um klar zu machen, was ich meine.

Die Rolltreppe setzte sich summend in Bewegung und trug die Frau hinunter in den
U-Bahn-Schacht. Der glühende Hochsommertag war in einen stickigen Abend übergegangen. Es würde nicht abkühlen heute Nacht.
Die Frau stand unsicher, ihre hohen Absätze drohten zwischen die Stahlrillen der Rolltreppe zu geraten. Sie umschloss mit feuchter Hand den gleitenden Gummibelag des Geländers, schwankend bemüht, auf Zehenspitzen zu balancieren.
Sie war erschöpft und verschwitzt. Eine flache, schwarze Aktenmappe hing wie Blei an ihrer freien Hand. Trost versprach allein der Gedanke, in einer halben Stunde aus dem eleganten Kostüm zu schlüpfen und die Schuhe abzustreifen.

Lieben Gruß,
Manuela :)

 

Hallo Jutta!

Das ist eine der Geschichten, die man einfach so nehmen muss, wie sie ist, man sollte nicht viel daran herumkritteln. Du baust eine beklemmende Stimmung auf, mit der Leere und der Taube. Wieso sollte eine Karrierefrau nicht auch manchmal Angst haben?
Ich denke, dass es hier auch sehr um die eigentliche Einsamkeit der Frau geht, es ist klar, dass niemand zu Hause auf sie wartet, denn das kommt in ihren Gedanken nicht vor. Ich verstehe den Titel "Die vorletzte Bahn" daher durchaus auch im übertragenen Sinn. Vielleicht sieht sie den Mann ja als eine ihrer letzten Chancen, jemanden kennen zu lernen. Sie hat niemanden in ihrem Leben und vielleicht taucht in ihr neben dem Mann zuerst kurz die Hoffnung auf, dass er etwas für sie wäre, er ist ja ungefähr in ihrem Alter, vielleicht etwas jünger. Sie kann sich ja zuerst vorstellen, mit ihm zu plaudern, ja, sogar gut mit ihm zu reden.

Mit ihm zu plaudern würde Erleichterung bedeuten, es würde sie entkrampfen und wärmen, weil es diese unterirdische Katakombe in einen wirklichen Ort verwandeln könnte. Ja, sie wollte sogar der Versuchung nachgeben, ihm von ihrem Erfolg zu erzählen; plötzlich war sie der Überzeugung, dass sie mit diesem Mann lachen und reden könnte, gut sogar. Lächelnd hob die Frau den Kopf.
Und dann passiert etwas, was ihr Urvertrauen in andere Menschen erschüttert (und deswegen passt auch der letzte Satz), das Wichsen ist zwar irritierend, aber der unvermittelte Schlag ins Gesicht, das ist Eigentliche, was einem den Boden unter den Füßen wegzieht, wenn so etwas passiert. Weil man es einfach nicht verstehen kann, es grundlos ist. Vielleicht wünscht sie sich schon lange, dass jemand zärtlich zu ihr ist, vielleicht ist das auch der Grund, der sie zu lange warten lässt, und auf befremdliche Art wird ihr Wunsch hier erfüllt, und dann wird sie geschlagen, sie wird zu einem Objekt, mit dem der Mann machen kann, was er will, sie ist ja offensichtlich wie gelähmt, willenlos, die Kusshand unterstreicht die Demütigung ja eher noch. Es ist alles andere als eine Lappalie. Es nimmt ihr schlichtweg das Vertrauen zu anderen Menschen, und es nimmt ihr vielleicht auch den Glauben daran, dass Liebe möglich ist.

Eine tolle Geschichte, weil du auch die Befindlichkeit der Frau so minutiös und eindrücklich beschreibst, zu Recht empfohlen, auch wenn ich keine Sekunde gedacht habe, dass dieser Mann etwas Surreales ist. ;)


Die Hitze hat zu viel Sauerstoff absorbiert
hatte
Sie stellte ihre Aktenmappe neben sich, zog die Kostümjacke zurecht
ich würde "Aktentasche" nehmen, "Aktenmappe" würde man legen, aber auch wenn du Aktentasche nimmst, ich weiß nicht, die würde wahrscheinlich nie ihre Tasche auf einen schmutzigen Stationsboden stellen, eine Tasche, die sie wahrscheinlich oft auf ihren Schoß nimmt.
Da klopfte ihr Herz schon wieder als wolle es die Rippen sprengen.
Komma: wieder, als
wartete wie gelähmt auf eine Reaktion des Mannes .
space weg vor dem Punkt
Die Bahn fuhr ein und hielt mit zischenden Bremsen fast vor ihrer Bank.
ich nehm mal an, dass die Länge der Bahn den ganzen Bahnsteig einnimmt, deswegen passt das hier nicht, es ist klar, dass die Bahn vor ihrer Bank hält, aber es ist ja so, dass das Führerhäuschen auf ihrer Höhe hält, sonst könnte sie den Fahrer nicht sehen
die eisessenden Menschen
Eis essenden

Gruß
Andrea

 

Hallo Jutta,

die Geschichte hat mich neugierig gemacht und ich las sie mit Spannung bis zum Punkt, als die Protagonistin in der U-Bahn Platz genommen hat. Danach war klar, dass das Gröbste überstanden war.

Du hast diese Protagonistin in einer Art und Weise aufleben lassen, dass ich keinerlei Mitleid mit ihr hatte, also für mich eine Antihelden beschrieben, das aber sehr gut. Die Distanzierung auf die Frau
finde ich in dieser Geschichte auch passend, wenn es mich anfangs auch erst etwas gestört hat. Es lassen sich dadurch leider manche Wiederholungen nicht umgehen, die mich in meinem Leseempfinden stören, die aber für die Gesamtgeschichte das kleinere Übel darstellen.

Zur Antihelden wird sie für mich durch Handlungen wie z.B. die Folter mit den Schuhen. Nichts einfacher, wie sie auszuziehen, zumal ja sowieso kein Mensch weit und breit zu sehen ist. Dazu gehört auch die Frage, die Ane mit dem Taxifahren aufgeworfen hat, die ich auch viel schneller verwerfen könnte, wenn das mit den schmerzenden Füßen nicht wäre. Ich glaube, da würde ich mir sogar als schlechtverdienende Sachbearbeiterin eins leisten ;)

Die Geschichte hat im ersten Drittel eine ambivalente Stimmung in mir ausgelöst, ich wusste nicht, ob ich die Situation der Frau nun unangenehm, bedrohlich oder neutral einschätzen sollte. Das fand ich auch einer der Punkte, die die Spannung ausgemacht haben.

Wieso sie nun so auf der Bank reagiert hat, während der Typ sich befriedigt hat, weiß nur sie selber. Jeder tickt anders. Ich empfand es als gut in Worte eingefangen und authentisch.

Den letzten Satz würde ich streichen, das ist zu melodramatisch.

Die Empfehlung ist gerechtfertigt, denn auch Antihelden können begeistern.


Textarbeit:

Der glühende Hochsommertag war in einen stickigen Abend übergegangen. Es würde nicht abkühlen heute Nacht.
Damit ist es für mich ca. 20-21 Uhr. Doch später wird etwas von Mitternacht erwähnt. Das passt nicht.

Eine flache, schwarze Aktenmappe hing wie Blei an ihrer freien Hand.
Wenn die Aktenmappe an der Hand hängt, kann sie doch nicht frei sein?

Im Nacken der Frau erblühte ein Schweißfilm.
Das Verb finde ich unpassend.
Machte sie sich etwa ernsthaft Sorgen um eine Taube?
Wäre angebracht, denn normalerweise schlafen die um Mitternacht ;)

Liebe Grüße
bernadette

 

zu Are-Efen

Hinzu kommen dann die latenten psychischen Gegebenheiten der Prota selbst - ihre uneingestandenen Phantasien und Wünsche. Der Mann ist vielleicht das, als was er da gezeigt wird, inklusive die Unterwerfungsmachenschaften.
Ausgeschlossen ist es aber auch nicht, dass die Frau das auf ihn projiziert hat und er unter ihrem Zwang stand. Selbst der Schlag ins Gesicht kann unbewusst gewollt gewesen sein.

Was für ein Unsinn! Ich würde zu gerne wissen, auf welche Textstelle du deine letzte Behauptung beziehst, dass SIE es unbewusst so gewollt hätte. Sie signalisiert nur, dass sie Angst hat, und er weiß daher instinktiv, dass er mit ihr machen kann, was er will. Das heißt aber noch lange nicht, dass sie alles, was er mit ihr macht, unbewusst so gewollt hat. Diese Behauptung ist wirklich infam, weil es die Täter immer entschuldigt.

 

Hallo Jutta!

Nicht einfach, so eine typische Situation - U-Bahn nachts, Menschenleere, das Unheimliche - aufs Neue zu erzählen, ohne auf alte Phrasen zu greifen. Es ist dir gut gelungen, die Atmosphäre aufzubauen und den Leser hineinzuziehen. Aber auch die Figuren sind gut gezeichnet. Es gibt also nicht viel zu meckern von mir. (Nur "die Frau", "die Frau", "die Frau" hat mich ehrlich gesagt genervt, vor allem weil soviele Sätze damit anfangen. - Da sie keinen Namen hat, kann man's nicht so umgehen, aber dann kann man zumindest die Sätze anders anfangen lassen und mehr "sie" als "die Frau" verwenden.)

Lächelnd hob die Frau den Kopf.

Im gleichen Moment griff sich der Mann in den Schritt.


Der Höhepunkt ist wirklich gut gemacht!

Gern gelesen!
Gruß
Kasimir

 

Hallo Jutta,

was für eine tolle Geschichte!
Selten hat mich etwas so in den Bann gezogen wie deine Geschichte. Alles nachvollziehbar für mich, am meisten diese Lähmung, zu reagieren. Ich glaub, dass das etwas sehr Tiefes ist zwischen Mann und Frau, dieses Stillhalten, was man nicht wirklich erklären kann.
Den Titel mit dem Hinweis auf vorletzte Bahn habe ich auch als vorletzte Chance empfunden. Einfach nur ein Gespräch führen, freundlich sein, um diesen Spannungsbogen zu unterbrechen und dann- diese Wichsszene, die ja an sich vom physischen her harmlos ist. Es passiert ja das meiste in ihrem Kopf, aber wie er Macht über ihre Gedanken bekommt, das ist extrem beklemmend.
Ich finde die Geschichte ganz stark! Danke!

Ciao,
jurewa

 

Hallo Jutta Owens,

eine gelungene Geschichte, die allemal in die Empfehlungsliste gehört.

Du schaffst, ohne viel Affektheischerei eine plastische realistische und somit verdammt gut vorstellbare bedrückt-bedrohliche Atmosphäre. Klasse gemacht! :thumbsup:

Ich hab sie fast atemlos runtergelesen.

Ein bisschen Textkram:

Sie nahm zuerst seinen Geruch wahr. Ein herbfruchtiger Duft.
Der 2. Satz ist mir zu ungenau. Ich kann mit einem herbfruchitgen Duft nichts anfangen bei einem Mann. Herbfruchtig wäre für mich sowas wie Bitterorangenmarmelade, aber ich kann mir im Moment nicht vorstellen, wie das riecht. Wonach riecht das?


Als der Antagonist sich selbstbefriedigt, hat sie zuvor ihre Hände auf die Aktentasche gelegt und empfindet Beruhigung, dann später als sie entsetzt ist, umklammert sie eine Tasche. Woher kommt die Tasche? Wäre es nicht eine Idee, dass sie ihren Koffer jetzt fest packt und sich mehr oder weniger quasi an ihm festhält?

Schluchzende Laute entrangen sich seiner Kehle
Diesen Satz halte ich für nicht gelungen. Zum einen finde ich schluchzen sehr sehr sehr weiblich, vielleicht würde grunzend besser passen? Und dann finde ich "entrangen" sehr geqüält. Ich würde einfach nur schreiben: Er grunzte.


Schmatzend und stöhnend schob er den Finger in seinem Mund hin und her, der Speichel rann wie ein Bach an seinem Kinn hinunter und er grinste, grinste unaufhörlich.
Das hab ich mir versucht, vorzustellen und bin zu dem Ergebnis gekommen, dass alles zur gleichen Zeit nicht gut funktioniert. Er kann meiner Meinung nach nicht dabei noch grinsen oder anders gesagt, mir fällt es schwer mit einem Finger im Mund, der hin und her geschoben wird, zu grinsen.

Vor ihren Augen wurde sein Gesicht zu einer bizarren Grimasse, einer ekstatischen Fratze, und die Zuckungen seines Körpers ließen sie an Besessenheit denken.
ist eine Grimasse nicht immer irgendwie bizarr? Und ist eine Fratze nicht auch immer irgendwie ekstatisch?

Vielleicht war es gut, dass er sie nicht ansah. Vielleicht hatte das alles gar nichts mit ihr zu tun. Vielleicht war er einfach ein kranker Mensch. Vielleicht auch nicht.
Die ersten beiden Sätze sind nicht stimmig. Das Wort "vielleicht" passt hier nicht. Klar, war es gut für die Protagonistin, dass er sie nicht ansah und klar hatte das alles nicht mit ihr zu tun, jedenfalls nicht direkt. Sie hat bestimmt ausschließlich gedacht, dass es gut ist, dass er nicht schaut.

Ich würde den Absatz so schreiben:

Es war gut, dass er sie nicht ansah. Das hatte alles gar nichts mit ihr zu tun. Vielleicht war er einfach ein kranker Mensch. Vielleicht auch nicht.

Die Tasche fiel zu Boden und sie wartete wie gelähmt auf eine Reaktion des Mannes .
Oben ist es eine flache schwarze Aktenmappe.
DIESE könnte ihr doch einfach von den Knien rutschen. Immerhin zittern ihre Knie doch auch.

Endlich konnte die Frau weinen.
Weshalb endlich? Mir war nicht bewusst, dass sie vorher schon den Tränen nahe war. Im Gegenteil, du schilderst eine hochspannende Situation, wo sie alle ihre Sinne darauf fokussiert, mit der Situation irgendwie klar zu kommen. Sich aus der Starre zu lösen. Nach Weinen war ihr garantiert vorher nicht zumute. Kann aber gut sein, dass sie jetzt weint.

und hoffte, dass die Helligkeit des kommenden Tages, die Sonne, die flirrend durch die Blätter schien, die eisessenden Menschen, die spielenden Kinder im Freibad, die lachenden Kollegen in der Agentur alles ungeschehen machen würden. Vielleicht käme es ihr morgen früh schon wie ein schlechter Traum vor, den man im Laufe des Tages völlig vergisst.
Wenn nicht, wie sollte sie weitermachen?
Das Ende ist nicht so gut gelungen. Ich würde alles, was ich da rauskopiert habe, einfach weglassen und den Leser mit den eigenen Gedanken zurücklassen.

Lieben Gruß
lakita

 

Hallo, alle miteinander!
Habe soeben alle Kommentare hintereinander gelesen und lasse sie erst einmal sacken. Jo, herzlichen Dank für die Empfehlung und es ist natürlich super, dass diese Geschichte mal nicht so brav und spießig ist!!! Ein fehler ist mir gleich klar geworden: Die U-Bahn ist in meinem Kopf unsere unterirdisch fahrende Straßenbahn gewesen, sorry...
Spannend wie immer, welche Assoziationen die Geschichte auslöst. Von Grusel über 'ist doch nicht so schlimm' bis hin zur Verharmlosung oder gar der Unterstellung, es seien unbewusste Gewaltwünsche im Spiel, ist alles dabei. So soll es sein, da halt ich mich raus. Meine Intention war, das zunehmende Gefühl von Angst und Ausgeliefertsein darzustellen, die Atmosphäre einzufangen. Ich danke für die ausführliche Textarbeit und werde mich damit noch beschäftigen.
Noch was: warum die Frau jetzt die U-Bahn genommen hat, weiß ich auch nicht, aber ich schätze, ich wollte es so! Klar, wenn sie ein Taxi genommen hätte, wäre das alles nicht passiert, aber dann hätte Jo auch keine Empfehlung geschrieben....
LG und DANKE,
Jutta

 

Klar, wenn sie ein Taxi genommen hätte, wäre das alles nicht passiert
Doch. Mit einem wichsenden Taxifahrer.

 

Hallo Jutta,

das ist schon der zweite Kommentar heute für Dich, aber Deine Geschichten sind auch immer so gut, dass ich sie alle lesen und Dir natürlich auch ein Feedback zukommen lassen will.

Sehr schön, wie Du den U-Bahn-Bahnhof beschrieben hast, sehr realistisch.
Auch die Situation mit dem Mann kam gut bei mir an. Man denkt sich ja nichts Böses, denkt nicht an so was, ich jedenfalls nicht. Insofern war "die Frau" mir nahe. Auch das erste Stöhnen missdeutet man zuerst.

Ich hätte mir nur vorstellen können, dass sie - nachdem sie bemerkt hat, um was es dem Mann geht - aufgestanden und weggelaufen wäre, sich zumindest irgendwie räumlich von ihm entfernt hätte. Also, ich glaube, ich würde nicht neben ihm sitzen bleiben.
Aber wie reagiert eine Frau in so einer Lage? Wahrscheinlich jede irgendwie anders, keine Ahnung. Es ist ja eine Ausnahmesituation.

Sehr bedrückend in jedem Fall, aber trotzdem (oder gerade deshalb) gerne gelesen ;)

LG
Giraffe :)

 

Hallo Jutta,
ich fand die Handlung nicht wichtig, auch nicht das sexistische, was darin gesehen wird:

Interessant zu lesen, was manchen Männern, betreffend sexuelle Nötigung, so alles relativ harmlos vorkommt; üblicherweise Situtationen, in die sie selbst kaum je geraten können.

Eben doch. Man geht in eine öffentliche Toilette, gleich stellt sich einer daneben und holt sich einen runter. Scheiß drauf.

Nein, diese Geschichte lebt von der Dichte, mit der Gefühl transportiert wird, von der Surrealität der modernden Gerüche, der Tauben und was dort sonst noch lebt...sie lebt auch davon, daß sie den Verstand ausschaltet, deswegen kommt jetzt auch kein "was ist da gemeint" oder " das ließe sich besser so sagen". Und die Ohrfeige, die hat ja auch etwas von Zen.

Ein ganz seltenes Stückchen Text.

Gruß Set

 
Zuletzt bearbeitet:

Zitat Setnemides:

Eben doch. Man geht in eine öffentliche Toilette, gleich stellt sich einer daneben und holt sich einen runter. Scheiß drauf.

Eben nicht. Mann ist körperlich ebenbürtig, er schließt furchtlos sein Hosentor und geht. Scheiß drauf.

Lg, Manuela ;)

 

Hallo Pardus!
Aber wie hätte ich die Taube ins Taxi gekriegt? Die sollte unbedingt dabei sein.
Hi Giraffe,
mir ist auch daran gelegen, dass jede(r) seine eigenen Gefühle und Fantasien dazu wahrnimmt, Angst hat ganz viele Gesichter. Danke Dir.
Hallo Set,
bin maximal erfreut über Deinen Kommentar, denn genau darum ging es mir. Finde es auch spannend, dass Männer sich (natürlich) auch belästigt fühlen können, wobei Manuela schon recht hat: Der Angstfaktor dürfte dem Ärger unterliegen.
Schönes Wohenende,
Jutta

 

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