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Warten auf die vorletzte Bahn

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04.04.2008
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Warten auf die vorletzte Bahn

Warten auf die vorletzte Bahn

Die Rolltreppe setzte sich summend in Bewegung und trug die Frau hinunter in den
U-Bahn-Schacht. Der glühende Hochsommertag war in einen stickigen Abend übergegangen. Es würde nicht abkühlen heute Nacht.
Die Frau stand unsicher, ihre hohen Absätze drohten zwischen die Stahlrillen der Rolltreppe zu geraten. Sie umschloss mit feuchter Hand den Gummibelag des Geländers und balancierte auf Zehenspitzen. Eine schwarze Aktenmappe hing wie Blei an ihrer freien Hand. Trost versprach der Gedanke, in einer halben Stunde aus dem eleganten Kostüm zu schlüpfen und die Schuhe abzustreifen. Nur drei Stationen mit der Strassenbahn, unterirdisch, quer durch die Stadt, die ihr hoffentlich ein wenig Abstand zu den Ereignissen des Tages bringen würden. Die Zehen schmerzten nach dem langen Abend und das Atmen stengte an.
Ich bin eben auch nicht mehr die Jüngste, dachte die Frau, doch es hat sich ja gelohnt. Ihre Agentur würde den Auftrag für die Werbekampagne des neuen Kleinwagens bekommen; dafür konnte man ruhig mal ein paar gequetschte Zehen in Kauf nehmen.
Ein scharfer Luftzug traf die Frau von der Seite. Sie erschrak heftig. Eine große Taube segelte an ihr vorbei in den Schacht, beschrieb eine scharfe Rechtskurve über die Rolltreppe hinweg und streifte dabei fast ihren Kopf. Die Frau geriet ins Wanken, umklammerte das Geländer und rutschte mit einem Fuß von der Stufe ab. Wie von sanften Wellen getragen, landete eine weiße Feder auf ihrem Schuh. Im Nacken der Frau erblühte ein Schweißfilm. Sie straffte die Muskeln und stolperte ungelenk von der flachen Stufe auf den Marmorboden der U-Bahn-Station. Zwei Meter entfernt trippelte die Taube geschäftig pickend hin und her.
Niemand war hier. Leuchtziffern über dem Bahnsteig zeigten an, dass die vorletzte Bahn in knapp vier Minuten kommen würde. Es war kurz vor Mitternacht. Die Frau atmete ein, doch die Luft blieb hinter dem Brustbein stecken. Sie stellte ihre Aktenmappe neben sich, zog die Kostümjacke zurecht und überprüfte mit geübten Griffen den Sitz ihrer Frisur. Eine blondgraue Strähne hatte sich aus der Schildpattspange gelöst und war auf ihre Schulter gefallen. Die Frau steckte sie geschickt fest, nahm die Tasche auf und steuerte auf die Bank unter der Leuchtanzeige zu. Sie erschrak über das Klappern ihrer Absätze, das wie höhnisches Lachen von den gekachelten Wänden widerhallte. Die Taube flog auf und segelte hinunter auf die Gleise. Das Herz der Frau schlug schneller, klopfte hart gegen die Brust, als sie sich auf die Bank fallen ließ.
Machte sie sich etwa ernsthaft Sorgen um eine Taube? Aus dem Tunnel auf der anderen Seite drang das anschwellende Dröhnen einer herannahenden Straßenbahn. Die Frau drehte sich um. Die einfahrende Bahn brachte einen Schwall modrig riechender Luft mit.
Niemand stieg aus, die roten Sitze waren leer.
Die Frau wandte den Kopf und beugte sich vor, um den Fahrer zu sehen. Gelänge ihr das, würde alles weniger geisterhaft wirken. Doch in diesem Moment fuhr die Bahn wieder an und wurde gleich darauf von der Schwärze des Tunnels verschluckt. Ein leichter Geruch nach Schmieröl hing im Schacht, als die letzten Fahrgeräusche verstummten.
Die Frau fröstelte, ihre Zehen fühlten sich kalt an. Im Neonlicht wirkten ihre Hände alt. Sie betrachtete das Netz feiner Linien, das Gott sei Dank bei Tageslicht noch nicht zu erkennen war.
Noch drei Minuten. Sie war hungrig. Obwohl das Büfett reichlich gewesen war, hatte sie nichts essen können. So war es immer bei Verhandlungen. Zwei Gläser Champagner, hastig hinuntergestürzt, verursachten Magendrücken. Die Frau seufzte. Ich sollte wirklich ein bisschen kürzer treten, überlegte sie, jetzt wäre es sogar möglich. Dieser Auftrag war wirklich ein ganz dicker Fisch. Von Müdigkeit übermannt, schloss sie für einen Moment die Augen.
Plötzlich war der Mann da.
Sie nahm zuerst seinen Geruch wahr. Ein herbfruchtiger Duft. Die Frau riss erstaunt die Augen auf. Sie hatte keine Schritte gehört. Woher kam er so unvermittelt? Einfach aus dem Nichts. Er muss in der Bahn gewesen sein, sie hatte nur nicht gemerkt, dass doch jemand ausgestiegen war. Das ergäbe allerdings keinen Sinn. Warum sollte er jetzt wieder in die Richtung fahren, aus der er gerade kam? Oder ruhte er sich nur ein wenig aus? Auch das erschien ihr unwahrscheinlich, denn warum sollte sich jemand um Mitternacht in einem U-Bahn-Schacht ausruhen? Ihre Gedanken überschlugen sich, während in ihrem Nacken ein neuer Schweißfilm antrocknete. Die Frau rieb die steifen Finger aneinander. Sie fror. Vor Übermüdung sicherlich. In dieser dumpfen Abgestandenheit fror sie tatsächlich.
Der Mann schaute sie nicht an.
Er saß zurückgelehnt, mit übergeschlagenen Beinen, am anderen Ende der Bank und blickte auf das Gleis. Aus den Augenwinkeln sah die Frau, dass er eine Leinenhose trug, dazu ein kurzärmeliges weißes Hemd. Seine nackten Füße steckten in Lederslippern. Aha, dachte die Frau, er kam auf leisen Sohlen.
In sein welliges blondes Haar hatte er eine blaugetönte Sonnenbrille geschoben. Ein attraktiver Mann, nicht mehr ganz jung, um die vierzig, schätzte die Frau. Er hatte nichts bei sich, keine Tasche, keine Zeitschrift, nichts. Ihr Herz wollte wieder die Rippen sprengen. Wie dumm ich bin, schalt sie sich, wieso möchte ich, dass er eine Tasche bei sich hat? Oder wenigstens eine Zeitung. Sicher war er mit guten Freunden unterwegs gewesen, hatte ein paar Bierchen getrunken, oder…
Ein Stöhnen unterbrach ihre Gedanken.
Es klang zunächst wie ein Seufzer, vor Müdigkeit vielleicht, doch gleich darauf vibrierte ein kehliger Ton zwischen den Schachtwänden.
Die Frau erstarrte. Ungläubig sah sie zu dem Mann hin, zog zugleich die Schultern zusammen und verschlang die Hände ineinander. Die Knöchel traten weiß hervor.
Der Mann hatte seine Position nicht verändert, er saß noch immer angelehnt und sah auf das Gleis, noch immer trippelte die Taube pickend zwischen den Schwellen umher.
Die Frau versuchte, ihr Herzrasen durch regelmäßiges Atmen zu regulieren.
Es war wieder still.
Sie musste sich verhört haben. Die Müdigkeit hatte ihre Sinne vernebelt, ihr etwas vorgespielt. Der Mann wirkte nicht krank, oder so, als habe er Schmerzen, nein, er saß doch ganz entspannt da. Und wenn jemand anderes gestöhnt hätte, wäre er doch sicher aufmerksam geworden. Die Frau sah sich verstohlen um; niemand sonst war hier. Nein, sein Verhalten bedeutete, dass da gar nichts war, überhaupt nichts. Sie machte sich nun wirklich lächerlich, mit ihrem Kloß im Hals und dem hämmernden Herzen. Er sah doch nett und gepflegt aus, seine Haut war sonnengebräunt, das konnte sie selbst im Neonlicht erkennen. Weshalb also sollte er stöhnen? Noch zwei Minuten, dann kam ja auch die Bahn.
Der Mann bewegte sich.
Langsam stellte er seine Beine parallel zueinander und ließ die Oberschenkel weit auseinander fallen. Er rutschte ein Stückchen tiefer, sein Kopf lag nun zurückgebeugt auf der Rückenlehne der Bank.
Er ist auch müde, dachte die Frau und fühlte sich sofort entspannter. Sie nahm ihre Aktenmappe auf den Schoß und legte beide Hände auf das kühle Leder. Was sprach eigentlich dagegen, mit dem Mann ein paar belanglose Worte zu wechseln? Es konnte doch sein, dass er sie nicht ansprach, weil er keinen falschen Eindruck erwecken wollte. So gesehen, war das Ganze wirklich paradox. Mit ihm zu plaudern würde Erleichterung bedeuten, es würde sie entkrampfen und wärmen, weil es diese unterirdische Katakombe in einen wirklichen Ort verwandeln könnte. Ja, sie wollte sogar der Versuchung nachgeben, ihm von ihrem Erfolg zu erzählen; plötzlich war sie der Überzeugung, dass sie mit diesem Mann lachen und reden könnte, gut sogar. Sie würde sich vorstellen, ihren Namen nennen, und er? Sah er nicht nach Harald aus? Sie kannte mal einen ähnlichen Typen, der Harald hieß. Lächelnd hob die Frau den Kopf.

Im gleichen Moment griff sich der Mann in den Schritt.
Seine Hand schloss sich um sein Geschlecht, er stöhnte auf und begann mit kraftvoll pumpenden Bewegungen seine Genitalien zu bearbeiten. Dabei starrte er weiter auf das Gleis, und die Frau sah, dass er grinste, als die Taube erschreckt davonflog.
Aus seinem Mund drangen wilde, obszöne Töne, schmerzvoll und gequält. Tierische Töne, dachte die Frau, wie ein verwundetes Tier.
Sie umklammerte ihre Tasche, konnte den Blick nicht von dem Mann abwenden. Sie musste hinsehen, paralysiert vor Schreck, während ein Teil ihres Gehirns sich fortwährend fragte, ob das gerade wirklich geschah.
Schluchzende Laute entrangen sich seiner Kehle, sein Unterleib bäumte sich auf und sank auf die Bank zurück, während seine Hand unaufhörlich zwischen seinen Beinen pumpte.
Die Frau bemerkte Speicheltröpfchen, die in seinem Mundwinkel Blasen bildeten. Plötzlich hob der Mann die andere Hand zum Mund und begann, an seinem Zeigefinger zu saugen. Schmatzend und stöhnend schob er den Finger in seinem Mund hin und her, der Speichel rann wie ein Bach an seinem Kinn hinunter und er grinste, grinste unaufhörlich. Und sah sie nicht an.
Doch sie starrte ihn unverwandt an,obwohl sie dachte: Tu das nicht, guck einfach weg.
Es ging nicht.
Vor ihren Augen wurde sein Gesicht zu einer bizarren Grimasse, einer ekstatischen Fratze, und die Zuckungen seines Körpers ließen sie an Besessenheit denken. Vielleicht war es gut, dass er sie nicht ansah. Vielleicht hatte das alles gar nichts mit ihr zu tun. Vielleicht war er einfach ein kranker Mensch. Vielleicht auch nicht.
Noch eine Minute. Egal. Sie musste hier weg. Jetzt. Sofort. Ihre Beine zitterten unkontrolliert, als sie versuchte, die Füße auf den Boden zu stellen. Stechender Schmerz fuhr durch alle Zehen.
Ihre Wirbelsäule war eine weiche Masse, als die Frau sich von der Bank erheben wollte. Salzige Tränen sammelten sich in ihrer Kehle. Die Tasche fiel zu Boden und sie wartete wie gelähmt auf eine Reaktion des Mannes.
Aus der Tiefe des Tunnels drang entferntes Grollen an ihr Ohr.
Der Mann hielt inne und richtete sich auf. Übergangslos, geschmeidig. Er setzte sich gerade hin und schlug die Beine wieder übereinander. Mit dem Handrücken wischte er sich über den Mund und drehte langsam den Kopf in ihre Richtung.
Lächelte sie an.
Er steckte den Finger erneut in den Mund, sah ihr unverwandt ins Gesicht und rutschte dicht an sie heran. Noch reichte die Zeit.
Die Frau war müde, unendlich müde. Sie fühlte keinen Widerstand, ihr Körper zerfloss, sie sehnte sich nach Schlaf und schloss leise wimmernd die Augen.
Fast zärtlich zeichnete der Mann mit seinem nassen Finger die Konturen ihrer Lippen nach, sie roch den säuerlichen Speichel. Er fuhr sanft an ihrem Hals hinunter bis zum Schlüsselbein. Dort hielt er kurz inne, hob blitzschnell die Hand und schlug ihr kurz und hart ins Gesicht.
Ihr Kopf flog nach hinten und das anschwellende Donnern der nahenden Bahn erstickte ihren überraschten Schrei.
Die Bahn fuhr ein und hielt mit zischenden Bremsen fast vor ihrer Bank. Der Fahrer nickte ihr zu. Betäubt erwiderte sie sein Lächeln.
Der Mann war verschwunden.
Wankend griff die Frau nach der Aktenmappe, kämpfte gegen die aufkommende Übelkeit und stieg mit zitternden Knien ein.
Sie war der einzige Fahrgast. Die Frau setzte sich ans Fenster und ließ den Kopf gegen die Scheibe sinken. Mit steifen Fingern suchte sie nach einem Taschentuch und rieb immer wieder über ihre Lippen. Als die Bahn anfuhr, zog der menschenleere Schacht an ihr vorbei, doch kurz bevor sie in den Tunnel einbogen, sah sie den Mann neben einem Getränkeautomaten stehen.
Sie war nicht überrascht.
Lässig angelehnt, die Füße über Kreuz, warf er ihr lächelnd eine Kusshand zu. Sein spöttischer Blick brannte in ihrem Rücken, bis die Bahn im Tunnel verschwand.

Das gleichförmige Rattern unter ihren Füßen löste den Tränenstrom in ihrer Kehle. Endlich konnte die Frau weinen. Es fühlte sich an, als könne sie nie mehr damit aufhören. Sie betastete immer wieder ihre schmerzende Wange, drückte sie gegen die schmierige Scheibe und hoffte, dass die Helligkeit des kommenden Tages, die Sonne, die flirrend durch die Blätter schien, die eisessenden Menschen, die spielenden Kinder im Freibad, die lachenden Kollegen in der Agentur alles ungeschehen machen würden. Vielleicht käme es ihr morgen früh wie ein schlechter Traum vor, der sich im Laufe des Tages auflösen würde, wie Nebelschwaden.
Schließlich war ihr doch nichts passiert.

 
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Hallo Jutta,

puh, warum musste ich nur die Kommentare lesen (jetzt bin ich ganz aufgebracht)?
Egal, erstmal zur Geschichte. Bei mir hat sie funktioniert: Sie ist ganz fuerchterlich. Selbst ohne Schlag ins Gesicht waere mir dieses Anfassen und ja, auch das arrogante Wichsen zum Angsteinjagen und als Machtbeweis schon tiefenerschuetternd genug gewesen (der Handkuss passt tatsaechlich perfekt). Die Stimmung im Text ist tatsaechlich sehr gut aufgebaut, die Frau ist mir trotz Namenlosigkeit nicht fremd oder unsympathisch - ich kann sie gut verstehen. Gerade diese Schockstarre ist sowas von authentisch. Ich finds auch gut, das so etwas einer "eigentlich" starken und gestandenen Frau passiert, die sich nachher bestimmt sogar schaemt, wie sie das ueberhaupt zulassen konnte (das ist leider oft die Dynamik der Schuldumkehrung, die ja auch in einigen Kommentaren rauskommt).
U-Bahn -Taxifragen irgendwelcher Art sind mir nicht gekommen. Ich finds auch nach laengerem Nachdenken keine unmaessig konstruierte Situation.
Also, die Geschichte hat mir sehr gut gefallen - und wem das alles nicht schlimm genug ist oder meint, selber Schuld, wenn sie Angst hat, na ja, dazu kann ich echt nur verstaendnislos, nein, erbost den Kopf schuetteln.

lieben Gruss,

feirefiz

PS: Ja, genau hier in Alltag gehoert es hin.

Noch was:

Die Hitze hat zu viel Sauerstoff absorbiert, das Atmen war anstrengend.
hatte

 

Jutta, deine Geschichte ist klasse! Du verstehst es, so mit Worten zu malen, dass man sich mitten im Geschehen weiß. Ich habe den U-Bahnhofsgeruch beim Lesen in der Nase gehabt, ich habe mit der Frau gelitten. Die Geschichte hat mich von Anfang bis Ende gefesselt und ich finde auch den Schluss gut so, wie er ist. Die vielen Kritiken sind so unterschiedlich wie Tag und Nacht. Lass dich nicht verunsichern und bleine dir selbst treu.

 

Hallo Are-Efen,

wenn du mich jetzt sehen könntest, speziell meinen Kopf ...

Wie kann man nur diese KG im Zusammenhang mit solchen Aussagen sehen? Für mich nicht nachvollziehbar. Aber jeder soll ja seine Meinung haben. Und ich habe eine andere, über du gern bei Bedarf erbost mit dem Kopf schütteln kannst.

Rick

 

Zitat Are-Efen
Geschichten wie diese hier zähle ich zur zweiten Kategorie, und ich verbitte mir erbostes Kopfschütteln über jeden eher zaghaften Versuch, dagegen etwas einzuwenden

Ja, ich bin schon in Angststarre verfallen und sag besser auch nix mehr ...

 

Vielen dank an barkei und feirefiz für wohlwollende Kommentare und dafür, das die Bedrohung wohl so rüberkam, wie ich es beabsichtigt habe.
Are, Du hast schon recht: ich arbeite zweckbestimmt mit Feind, Angst, Gewalt; aber nicht, um diffuse oder üble Propaganda (wofür auch?) heraufzubeschwören, sondern um an einer speziellen Situation Gewalt aufzuzeigen, die noch immer meist von Männern gegen Frauen ausgeübt wird. Deine persönlichen Wrfahrungen sind für Dich sicher schmerzhaft und prägend, doch ich kenne sie nicht und vielleicht gestehst Du mir zu, dass ich grundsätzlich niemanden im Visier habe, wenn ich schreibe, außer mich selbst und meine Gefühle und Gedanken. Anmerken darf doch hier jede/r was er/sie will, solange die Grenze zur Beleidigung nicht überschreitten wird. Ich schüttele jedenfalls nur sehr selten den Kopf.
LG,
Jutta

 
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Das kann man ganz genauso durchspielen, von Männer sind anders als Frauen über Die Männer sind einfach anders als Frauen bis zu Der Mann ist anders als die Frau.
Und da schwingt dann schon eine ganze Menge Ablehnung und Erniedrigung mit.

Diese letztere Form wird in dem Text eingesetzt und ausgeschmückt.
Das ist eine ganz gefährliche Propagandaschiene, auf die du, liebe Jutta, da geraten bist. Mir war das zu Anfang auch nicht so klar. Nachdem ich mir jetzt selbst eine Antwort gegeben habe, werde ich diesen Thread nicht mehr behelligen müssen.


Das würde ja heißen, dass man einen Mann nie negativ darstellen darf, weil das dann gleich als "Propagandaschiene" gegen Männer allgemein verstanden werden könnte. Was für ein Unsinn!

 

Also ehrlich gesagt, wenn es etwas gab, das mich an diesem Text gestört hab, dann war es auch dieses namenslose Gerede von MANN und FRAU. Hab da zwar nicht ganz so viel hineininterpretiert wie Are-Efen, aber gestört hat es mich. Da kann man als Leser durchaus meinen, der Autor würde hier irgendeine allgemeine Aussage über MANN und FRAU treffen. Die Charaktere werden halt auf ihr Geschlecht reduziert. Wenn Mario Barth Witze reißt über Mann und Frau (oder sonst irgendjemand) dann ist es das genauso. Da frage ich mich: war das etwa die Intention des Autors? Und wenn ja, dann ist das was Are hier sagt gar nicht so unberechtigt. Und wenn nein, dann wieso die Irreführung? Was würde der Text verlieren, wenn die Frau einen Namen bekäme?
Meine Meinung.

mfg,


JuJu

 

Im Sinne der Geschichte schlage ich vor, die unselige Diskussion, die sich z.T. an minimalen Details aufhängt, zu beenden.
Sie hat inzwischen in Bereiche geführt, die mit dem Text selbst nicht mehr das Geringste zu tun haben, und in denen nicht mehr als der Austausch von Totschlagargumenten möglich ist.

Nicht an jeder Geschichte lässt sich Tiefenpsychologie, kollektives Unterbewusstsein, Probleme von Welthistorischer Bedeutung und noch mehr dergleichen aufhängen.

 

Hallo Jutta,

da ich nicht alle vorhergehenden Kommentare gelesen habe, ist für dich möglicherweise nicht alles neu.

Du beschreibst sehr viel, was bei Kurzgeschichten etwas aus der Mode gekommen zu sein scheint. Die Bilder, die du dadurch zeichnest, habe ich klar vor Augen und sie erwecken deinen Text zum Leben. Stilistisch bewegst du dich auf einem hohen Niveau.

Dennoch ist es mir irgendwie nicht gelungen, mich in deine Prot hineinzuversetzen. Wieso ist sie nicht aufgestanden, als der Fremde anfängt sich selbst zu befriedigen? Und hätte deine Prot nicht so etwas wie Erleichterung empfinden müssen, in dem Moment, als der Zug anfährt und ihr der Sittenstrolch somit nichts mehr anhaben kann?

Aber die Resonanz auf deine Geschichte legt die Vermutung nahe, dass sie viele Leser erreicht und berührt hat.

Auch wenn das bei mir nicht so ganz der Fall war, habe ich sie dennoch gerne gelesen.

Gruß kaipi

 

Kaipi, du hättest doch ein bisschen mehr in den vorherigen Kommentaren lesen sollen, da wird nämlich die Angststarre beschrieben, von der die Frau befallen ist. Diese Angststarre hat sie daran gehindert, aufzustehen. Wer diesen Zustand aus eigener Erfahrung kennt, so wie ich zum Beispiel, den berührt diese Geschichte nachhaltig und auf eine ganz besondere Weise.

 

Nun bin auch ich hier gestrandet,

liebe Jutta,

find die Geschichte aber nicht so gut wie mancher andere. Häferls Analyse (# 33 v. 27. 5.09) trifft wohl zu. Hinzu kommt, dass mir zu viele Adjektive auftauchen und auch allzu viele würde-Konstruktionen, von denen zumindet einige durch einfache Futur-Konstruktionen ersetzt werden könnten, ohne dass die Aussage des Satzes verloren ginge. Beispiel: >Ihre Agentur würde den Auftrag für die Werbekampagne des neuen Kleinwagens bekommen; ...< oder: >Leuchtziffern über dem Bahnsteig zeigten an, dass die vorletzte Bahn in knapp vier Minuten kommen würde<, was mich zugleich zu einem weiteren Manko führt: die Geschichte dauert angeblich vier, lass sie fünf Minuten dauern und doch dehnt sie sich beim Lesen auf zehn und mehr Minuten aus. Subjektiv mag Zeit sich auszudehnen, sofern Angst die Oberhand über einen gewinnt, was dann selbst einer erfolgreichen Geschäftsfrau zeigt, wie wenig sie ihr eigenes Leben in der Hand hat. Gelegentlich schimmert mir auch das Gesundheitswesen durch, wo Du ja in der pflegerischen Säule beschäftigt bist. Zudem entdeckt die Kleinkrämerseele in mir einige Schnitzer:

Direkt zu Anfang heißt es >Nur drei Stationen mit der Strassenbahn, unterirdisch, ...<, nimm doch das eigenwilligere ß in der Straßenbahn (was Du ja später eh tust).

Dann wird der Komparativ i. d, R. mit dem vergleichenden als gebildet: >Er ist auch müde, dachte die Frau und fühlte sich sofort entspannter< als was? Wär's nicht eleganter >Er ist auch müde, dachte die Frau und entspannte sich sofort< oder so ähnlich, denn wirklich entspannt ist sie ja immer noch nicht.

>Doch sie, sie konnte den Blick nicht abwenden, musste ihn anzustarren, immerzu, ...< raub dem anzustarren das zu.

>Die Tasche fiel zu Boden und sie wartete wie gelähmt auf eine Reaktion des Mannes .< Vorm Punkt kann die Leerstelle eigentlich verschwinden.

Der Text eignet sich wahrlich schlecht zu einer Verallgemeinerung, bezeichnen die Ausdrücke der Frau und des Mannes keineswegs Gattungsbegriffe, wohin man aber leicht gelangen könnte. Da wären Personalpronomen sicherer.

Dann verursacht der Text Kuriositäten bei der Lobhudelei wie die, dass die Geschicht sich >wie geschnitten Brot< läse. Da interessierte mich dann doch der Belag ...

Weiterhin fällt mir auf, dass es unter uns Kg.de-Genossen gelegentliche Muskelschwächen geben muss, die sich in Kopfschütteln ausdrücken. Da wäre Muskeltraining angesagt oder ein Orthopäde. Oder sollte das Leiden durch eine andere, dem Erkrankten unverständliche/-begreifliche Meinung verursacht sein? Bei uns Deutschen - insbesondere im Berufsleben - gilt oft der als schuldig, der auf etwas Unangenehmes hinweist, weil man's gar nicht so genau wissen will. Das gilt hier in dem Maße, wie Ressentiment aufkommt gegenüber einer Kollegin, die auf Ressentiments in der Gesellschaft hinweist und von denen keiner behaupten kann, dass es sie nicht oder nicht mehr gäbe.

So, jetzt hab ich mir aber das größte Volksfest am Niederrhein verdient, vielleicht sieht man sich!

Gruß und nix für ungut

Friedel

 

Es hat lange gedauert, doch nun habe ich die Anregungen, die mir wichtig und richtig erschienen, aufgenommen. Noch einmal Dank an Euch alle.
LG,
Jutta

 
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Hallo Jutta,

das mochte ich nun wirklich nicht mehr alles lesen. Deine Geschichte trifft, sogar diejenigen, die es nicht zugeben und weite Exkurse auf der Flucht vor dieser Geschichte beschreiben, auch nah ran gehen,um sie mit Schablonen und Schubladen zuzuwerfen.
"Abrieb der Bremsklötze" - ja, das ist es, weit über den maschinenbaulichen Aspekt hinaus, das atmet die ganze Geschichte.
Ich mag nicht denken bei diesem Text, dazu ist er zu unmittelbar. Langsam merke ich, daß der ganze Text wie die Ohrfeige ist, die darin vorkommt: er ist vollkommene Präsenz, er ist Zen.

Wie klingt das Klatschen einer Hand?

Set

 

Warten auf die vorletzte Bahn

Marmorboden der U-Bahn-Station.
anschwellende Dröhnen einer herannahenden Straßenbahn.QUOTE]

Hallo Jutta Ouwens,
Ja, was denn nu? Straßen- oder U-Bahn? Straßenbahn fährt nicht unterirdisch.

Ansonsten: Was will uns der Dichter sagen? Frauen taugen nur als Opfer, auch wenn sie erfolgreich Kleinwagen bewerben dürfen?

Gruß vom handballfan

 

Hallo Jutta Owens,

ich bin von dieser Geschichte nicht besonders angetan ... von dem Kleinkrieg der Kommentatoren aber schon gar nicht.

Viele Kommentare, viele Meinungen, viele gute Ideen wie man es besser machen könnte... Ja... und dann noch die vielen tollen Analysen... Mann, Frau... Frau, Mann... Real, abnormal, katastrophal, ganz egal, oder einfach... ganz normal (?)

Es hat zudem den Anschein als wollten manche IHRE Geschichte von dir geschrieben haben.

Aber eins ist sicher ... wenn die „Gutheit“ einer Geschichte an der Anzahl der abgegebenen Kommentare zu messen ist, dann muss diese Geschichte irgend etwas haben was die Menschen bewegt... und das ist doch schon mal gut.


Gruß, Keinstein

 
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hallo Jutta,

jetzt habe ich mir mit drei Monaten Abstand diese Diskussion nochmal angesehen; eines ist mir dazu noch eingefallen: eine gute Geschichte handelt immer unmittelbar von ihren Personen und ihrer Handlung, sie relativiert nicht. Wenn diese Frau weint, weint sie - das ist ihr Empfinden in diesem Moment; nur darum geht es. Wenn dieser Mann wichst und sich ihr nähert, tut er es, und es bleibt nur nachzuempfinden, warum, nicht zu bezweifeln, daß - denn er tut es ja; die Geschichte ist für den Moment des Lesens die Wirklichkeit.
Die Geschichte sollte keine Rücksicht auf die Schablonen des Lesers nehmen -was weint sie denn, es hätte doch viel schlimmer kommen können, was soll denn die Ohrfeige; wer mißhandelt, der wichst nicht - die Geschichte soll nur den Moment vollkommen präsent werden lassen; zu messen ist sie daran, ob sie alles tut, diese Präsenz herzustellen und alles unterläßt, was die Präsenz abmindert. Hierbei gibt es eigentlich keine Relativität der Präsenz; entweder, sie trifft, oder sie verfehlt das Ziel - ein Meister im Bogenschießen schießt auch nicht daneben, aber dicht dran: er trifft.- Soweit meine Idealvorstellung für eine Geschichte der Art, wie Du sie hier geschrieben hast. Sie hat mehr Leser getroffen, als es wahrhaben wollen, und ich habe keine Hemmungen, auf Keinsteins Kommentar noch eins draufzusetzen und die eine oder andere Stellungnahme als Abwehrhaltung zu deuten, nicht gegen die vorgehaltenen Details, sondern gegen die unerträgliche Präsenz selbst.

Gruß Set

 

Hallo Are-Efen;

sich der Relativität der Präsenz annehmen

politisch etwas nicht korrekt ist

und beide schaufeln den intellektuellen Wall höher auf, der sie von der Wirklichkeit trennt. Kriterien wie "relativiert" und "politisch korrekt" erscheinen dann wie "in die Summe aller Allgemeinplätze stimmig eingefügt" und "TÜV-geprüft", mithin: normiert und langweilig.

Gruß Set

 

Hallo Handballfan,
doch doch, in meiner Stadt (Duisburg) fährt die Straßenbahn ein gutes Stück unter der erde, ebnso in Düsseldorf, Köln und sicher noch in vielen anderen Städten und es gibt auch den marmornen Boden. Vielleicht ein Imitat... Ansonsten habe ich an vorausgegangener Stelle über meine Intention ausführlich geschrieben. Danke fürs Lesen und Nachhaken!
LG, Jutta

Hallo keinstein,
Deinen Kommentar kann ich gut unkommentiert stehen lassen! Danke und LG
Jutta

Hallo Set,
sieh oben, danke.
LG,
Jutta

Hallo Are,
eigentlich wendest Du Dich ja an Set, deshalb verzichte ich auf Wiederhlungen meiner Ausführungen. Danke und LG,
Jutta

 

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