Warten
Hauptmann saß in der Küche und wartete auf den Erlöser.
Er hatte heute bereits am Vormittag das Gefühl gehabt, dass dieser jeden Moment erscheinen würde, hatte es spätestens zu Mittag gewusst und seither war ihm das Warten unerträglich geworden. Ein ums andere Mal war er aufgesprungen, hatte ganz nutzlose Tätigkeiten begonnen, um sie schon nach kurzem wieder sein zu lassen und sich wieder zu setzen. Bald war er zur Tür gelaufen, hatte sie aufgerissen um hinauszuspähen, dann wieder war er zum Fenster geeilt und hatte von dort ins Freie gelugt, sich fast den Hals verrenkend, um die Gasse möglichst weit einzusehen. Allein – nichts geschah.
Am frühen Nachmittag hatte er begonnen im Hof Holz zu spalten, ganz nutzlos übrigens, die Scheite waren ja bereits gespalten und gestapelt, sie noch weiter zu zerkleinern war nicht notwendig, sie würden im Ofen viel zu schnell verbrennen, eine kurze, heftige Hitze geben und ihn zum andauernden Nachlegen zwingen. Dennoch hatte er wie besessen fast bis zum Abend gehackt, bis ihn heftige Rückenschmerzen zum Aufzuhören gezwungen hatten.
Das Holz hatte er ins Haus geschafft und es in mehreren Reihen neben dem Ofen aufgeschlichtet. „Wenn der Erlöser kommt, wollen wir es schön warm haben“, hatte er gemurmelt. Dann war er wieder ziellos im Haus herumgelaufen.
Nun saß er also in der Küche und tat nichts als Warten. „Bald kommt er“, dachte er, „Wenn ich glaube es nicht mehr auszuhalten, dann kommt er.“ Aber wann würde er es nicht mehr aushalten?
„Alles was ich tue, ist sinnlos, überbrückt es doch nur die Zeit bis er kommt“, stellte er leise fest. „Überbrückte Zeit hat nicht die gleiche Qualität wie andere Zeiten. Das Warten lenkt mich zu sehr ab, ich kann dem Tag nichts Gutes abgewinnen. Auch wenn ich genau weiß, dass der Erlöser bald kommt, schaffe ich es nicht, vorher etwas Rechtes zu tun. Ich wünsche mir, dass er gleich kommt, aber gleichzeitig versuche ich auch mich stark zu machen und mich in Geduld zu üben.“
„Im Übrigen ist das ja völlig gleichgültig“, setzte er nach kurzer Pause fort, „er kommt dann wann er will und nicht dann, wann ich es mir wünsche. Ja sogar, wenn ich es nicht wünschen würde, käme er. Seine Wege sind unergründlich. Und er findet mich immer.“
Später überlegte er, ob er das Haus verlassen sollte, sich davonstehlen und sich auf eine Wanderung durch die Nacht begeben sollte. Es war ja mittlerweile dunkel geworden und außer dem Flackern des Feuers im Ofen, war auch nicht der geringste Lichtschein zu sehen. „Stell dir vor der Erlöser kommt, und keiner ist da“, kicherte er. Er stand auf, machte Licht, war mit einem Satz im Vorzimmer, schlüpfte hastig in seine Jacke und beeilte sich seine Schuhe zu schnüren, als ihm schlagartig sein vorletzter, halblaut ausgesprochener Satz wieder einfiel. „Er findet mich immer“, wiederholte er, während er mit dem Schnüren innehielt. Langsam richtete er sich auf. „Dann ist es ja sinnlos“, schüttelte er langsam den Kopf, „vollkommen sinnlos.“ Und er zog die Jacke mit müden Bewegungen wieder aus.
Wieder in der Küche, setzte er sich, legte einen Arm angewinkelt auf den Tisch und streckte den anderen aus. Er bettete den Kopf in die Armbeuge, schloss die Augen und lauschte in die Stille. Mehre Minuten vergingen. „Wenn ich einschlafe kommt er vielleicht nicht“, dachte er und hob den Kopf. Doch bald ließ er ihn wieder sinken. „Dann kommt er eben morgen.“
Eine gute Viertelstunde lag er so da und versuchte an nichts zu denken. Dann stand er auf, machte Licht und trat an den niedrigen Schrank. Er öffnete ihn, holte ein Glas und eine volle Flasche heraus.
„Ich liebe Dich“, sagte er zum Erlöser. Dann schenkte er ein.