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Warum der Happy Loser Club wegen 5 Euro aufgelöst wurde
Kennen Sie das? Sie stecken tief in irgendeiner Lebenskrise. Sie wissen weder vor noch zurück und alles ist dumpf und grau. Und dann kommt einer dieser esoterisch angehauchten Menschenengel vorbei und salbadert mit erleuchteten Augen was von positivem Denken und Bla und Blubb und davon, dass jede Krise eine Chance ist.
Eigentlich möchte ich mich vor so viel Lebensweisheit verbeugen, dabei mit dem rechten Fuß kräftig ausholen und mit gehörigem Schwung das Schienbein dieses Helferengels in eine Fortbewegungskrise versetzen.
"Na so was“, möchte ich danach höflich tadelnd dem schmerzverzerrten Gesicht sagen, „da muss ich mich nun aber wundern. Wieso bedanken Sie sich nicht für die Chance, die ich Ihnen grad beschert habe?"
Zu meinem Unglück habe ich bis heute an den Resultaten meiner guten Kinderstube zu leiden. Sonst hätte ich gewiss schon so manchem Allwissenden zu neuen Erkenntnissen verholfen.
Aus Trotz oder besser gesagt, gerade deswegen, gründeten Wolfgang und ich den Club der Happy Loser.
Clubmaxime: Egal was vorfällt, wir machen aus allem das Beste!
„Sag mal, du hast doch auch in deinem Bücherregal diesen Quark mit dem positiven Denken rumstehen, nicht?", sagte Wolfgang damals. "Was hältst du von diesen Ratschlägen?“
Ich zuckte die Schultern.
"Also, ich kann mit dem Scheiß nix anfangen“, resümierte Wolfgang.
„Könnt ja sein, es funktioniert", erwiderte ich, "aber beurteilen kann ich das nicht. Die Ratschläge hab ich nie so richtig befolgt.“
So beschlossen wir, einfach mal auszuprobieren, wie das ist, wenn man voller Glück drei Zentimeter über dem Boden schwebt.
Regelmäßig Mittwochnachmittag fanden wir uns im Café Knacks an einem runden Tischchen ein. Wir erwählten dieses Café nicht wegen seines bezeichnenden Namens, sondern weil dort die köstlichsten Konditortorten herumlungerten. Schmausend hielten wir Hof, um über unsere Chancen zu reden, also unsere Krisen, die jeweils die Chancen in sich bargen, na, Sie wissen schon. Das Seltsame war jedoch, dass wir uns nichts zu berichten hatten. Offensichtlich litt keiner von uns an einer Krise.
"Na?", sagte Wolfgang wie üblich, "wie schaut’s bei dir aus? Kriselt es wo?" Und ich zuckte die Schultern als hörte ich diese Vokabeln das erste Mal in meinem Leben. Desinteressiert blickte ich durch die Scheibe auf den kaugummivertrampelten Fußweg.
Eigentlich war Wolfgang nicht die Idealbesetzung für den Happy Loser Club.
Er rückte nämlich selbst nie mit der Sprache raus und erwartete, so wie eben, dass ich zuerst beginne.
Aus sicherer Quelle wusste ich, dass er vor zwei Wochen seinen Job verloren hatte. Ich wusste, dass sein geliebtes Aktienpaket sich gerade in die Erdoberfläche drückte und ich wusste, dass sein Rasseweib Helen ... aber lassen wir das. Die Torten im Café Knacks waren jedenfalls unwiderstehlich.
Wolfgang hatte es geschafft, innerhalb von vier Monaten noch dicker zu werden. Über seinem Hosenbund wölbte sich mittlerweile ein draller Wanst. Ich witterte unsere erste dicke Krise, also besser gesagt, ich erblickte Wolfgang. Meine vorfreudigen Augen auf sein deutlich eingelaufenes Jackett geheftet, begann ich mich ranzutasten. Er hatte seine Arme angewinkelt und ich hörte die Schmerzensschreie der berstenden Ärmel.
"Sag mal, du hast zugenommen in letzter Zeit, nicht wahr?"
"Hm, kann sein", Wolfgang blickte abwesend aus dem Fenster, während ich mir genüsslich eine Gabel mit hochaufgetürmter Schwarzwälder Kirschtorte in den Mund schob.
"Also mir kommt es so vor", schmatzte ich durch einen weiteren Sahnehaufen in meinem Mund hindurch.
Wolfgang hatte plötzlich diese ich-hau-dich-gleich-ungespitzt-in-den-Boden-Augen.
"Es gibt eben sonne und solche Menschen und während du dir täglich drei Sahnestücke in den Schlund ziehen kannst, ohne was anderes zu sein als ein dünnes Gerippe, setzt sowas bei mir tüchtig an. Kann ich da was für?"
Ich schwieg. Soviel hatte Wolfgang schon lange nicht mehr auf einmal geredet. Seine Tonlage hatte allerdings mit jedem weiteren Wort den Klangbereich des Happy Loser Clubs verlassen und war zur offenen Gewaltszene übergelaufen. Wolfgang sabberte, wenn er erregt war.
Er hatte mir eine recht steile Vorlage gegeben und es wäre nun an mir gewesen, ihm auch etwas zu gestehen. Zum Beispiel, dass ich nach jedem Stück Torte das Klo aufsuche und dort keineswegs meine vorgeblich schwache Blase entleere. Aber finden Sie nicht auch, dass ihn das Geheimnis meiner Schlankheit nichts angeht?
Also versuchte ich mich in den Klangfarben unserer Clubmaxime, als hätte ich nix gerafft. "Aber Wolfi, das ist doch die Gelegenheit, jetzt Happy Clubformat zu beweisen."
Für eine Sekunde schaute er mich irritiert an, dann schnappte er nach Luft und ich überlegte mir schon, ob ich bei meiner Flucht unter den Tisch den Kuchenteller mitnehmen sollte. Im Cafe Knacks waren die Torten nicht nur köstlich, sondern auch üppig. Na, Sie wissen schon, ich hatte noch nicht alles aufgegessen.
Aber diese Entscheidung musste ich nicht treffen, denn Wolfgang hatte sich irgendwie verschnappt. Er röchelte dramatisch, um dann in feuchten Husten auszubrechen. Diese Sorte Husten, bei der der grüne Schleim in dicken Placken von der Lunge gerissen wird, um mit der Schnelligkeit einer Gewehrkugel ins Freie zu schießen. Mir verging der Appetit, nein besser, mir wurde schon jetzt schlecht während ich meine Schwarzwälder vertilgte. Das war rundweg praktisch, dachte ich positiv, weil ich ja sowieso gleich aufs Klo wollte. Man musste eben aus allem das Beste machen.
Ich ließ meine Gabel über den leergeräumten Teller kratzen, um auch noch die winzigen Schokoladeplättchen zu erwischen, mit denen die Torte hochwandig kaschiert war, weil dahinter pure Sahne lauerte. Ich glaube, Wolfgang hatte nicht nur ausgeröchelt, sondern auch vergessen, weswegen er nach Luft geschnappt hatte. Mich keines wütenden Blickes würdigend schlürfte er aus seiner Kaffeetasse klangvoll wie ein Verdurstender.
"Du hast 'nen ganz schönen Zug am Leib", setzte ich beherzt unser Thema fort, aber Wolfgang ging darauf nicht ein, sondern hatte so einen komischen Blick in Richtung meiner Bluse. Unwillkürlich, eigentlich wollte ich da ja nicht hingucken, musste ich aber doch seinen Fixpunkt anschauen.
"Is da was?", fragte ich Interesse heuchelnd. "Nee, da is nix", antwortete Wolfgang trocken und seinem Gesicht war keine besondere Regung abzulesen. Und dann schob er punktgenau nach:
"Das ist ja das Problem."
Dieses Arschloch! Er spielte auf meine fehlenden Titten an. Das Reizthema Nr. 1 in meinem Leben. Was würde ich drum geben, vollbusig zu sein. Seit drei Jahren sparte ich jeden Cent, um mir chirurgisch mein Brustbrett aufpolstern zu lassen.
"Ich mach dir einen Vorschlag, Wolfi."
Er stierte einer vorbeigehenden Kellnerin auf den Rock, in dem ein praller Po verpackt war.
"Wenn du jeden Mittwoch das Tortefressen weglässt und die 7 Euro in meinen Titten-OP-Fond zahlst, kannste in zwei Jahren auf eine dicke Wölbung meiner Bluse glotzen. Da haben wir beide was von: du wirst endlich schlanker und ich an zwei Stellen dicker."
Ich glaube mein Lächeln, das ich am Ende aufgesetzt hatte, war ein wenig schief geraten. Aber Wolfgang hatte eh nicht geguckt. Umständlich hatte er seine Brieftasche rausgezogen und ich dachte schon, er wird jetzt zahlen und dann vorzeitig gehen. Das macht er gerne, wenn ihm die Worte fehlen.
Doch dann schob er mir mit seiner dickfleischigen Patschhand einen Fünfeuroschein rüber.
"Was ist damit?" fragte ich. Seine entspannte Gesichtsmiene verhieß irgendetwas Hinterhältiges.
"Davon kannste dir ein paar Socken kaufen. Stopf sie dir in den BH. Das ist billiger als die Gummibeulen.“
Mir blieb die Spucke weg. Nicht, dass ich vorgehabt hätte, irgendetwas mit meiner Spucke zu machen, aber mir blieb auch die Sprache weg.
„Du bist gemein“, presste ich nach unendlich elend langen Sekunden des bitteren Schweigens hervor. Mehr fiel mir nicht ein, was noch schlimmer als die Stille zwischen uns war.
„Wieso gemein? Ich halte mich nur an die Clubregeln.“ Wolfgang sprach gelassen wie ein Dreitonnenbuddha. „Aus allem das Beste machen, nich? Und mit ein paar Socken erreichst du lässig dasselbe Ergebnis in deiner Bluse.“
Das reichte. Den Happy Loser Club gab es ab sofort nicht mehr.
Ich stand auf und verließ wortlos das Cafe. Aber zuvor ging ich noch auf’s Klo.