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Warum es einfach nicht aufhört
Er kann sie sehen.
Alles, was sie berührt, berührt auch ihn. Alles, was sie fühlt, fühlt auch er. Alles, was sie atmet, atmet auch er.
Sie hasst ihn. Für all das, was er getan hat. Für all den Kummer, den er ihr bereitet hat. Sie hasst ihn für die zerstörten Nächte und all die Worte, die ihr im Hirn rumgeistern. Sie hasst ihn für die Bilder, die sie in unzähligen Stunden gemalt hat und für die millionen Tassen Kaffee, die sie getrunken hat, um nicht im Schlaf an ihren Träumen zu ersticken. Sie hatte einen Grund, warum sie das nicht wollte. Sie hatte doch einen so guten Grund.
Er kann nicht schlafen. Er weiß, dass sie bei ihm ist. Irgendwo aus der Ferne hört er tausende Gedanken, die er nicht hören will. Er weiß, dass er ihr Leben zerbrechen lassen kann. Er weiß aber auch, dass er im selben Moment ihr Leben so wertvoll wie nie zuvor machen würde. Sie hatte einen guten Grund. Er hat unzählige dagegen.
Als sie sich einen weiteren Kaffee macht, bleibt ihr Blick an der grünen Teekanne hängen. Die hatte sie vor zwei Jahren zum Einzug in die neue Wohnung geschenkt bekommen. Viele Stunden saß sie hier, allein, trank Tee aus der Teekanne und bildete sich ein, glücklich zu sein. Grün war doch die Farbe der Hoffnung! Ihre Farbe.
Sie hasst diese Kanne. Und alles, was sie umgibt. Sie schenkt sich einen Schluck frischen Kaffee ein und gießt den Rest in die Teekanne. So hört sie vielleicht nicht soviel.
Mit der Stirn auf dem kalten Holztisch und Kopfhörern in den Ohren gerät er in einen zähen Halbschlaf. Ihm tut alles weh. Er sehnt sich nach ihr. Er wünscht sich, er könnte alles ungeschehen machen. Nur, um des Vergessens Willen. Nur, um ihr einen Gefallen zu tun. Nur, um sie nicht mehr hören zu müssen.
Sie trägt die Kanne zu ihrem Lieblingssessel und stellt sie auf die kleine Fußbank, die ihr zur linken Ecke steht. Dann setzt sie sich, zieht die Beine an und starrt aus dem Fenster in die Ferne. Der Kaffee ist noch viel zu heiß. Sie stellt ihn zur Kanne und schließt die Augen. Sie kann ihn hören. Laut und deutlich.
Er weiß, dass sie es weiß. Er fühlt sie.
Sie will das nicht. Sie kann das einfach nicht. Sie öffnet die Augen, springt auf und greift eilig nach ihrer Tasse. Sie stolpert und verliert das Gleichgewicht. Es ist so laut.
Er sieht tausende kleiner Porzellanteile in Kaffee schwimmen. Grüne, scharfe, winzige, verstreut über den ganzen Boden. Er sieht sie. Mit dem Kopf auf dem kalten Holzfußboden beobachtet sie, wie sich der Kaffee einen Weg durch die Splitter bahnt. Sie schließt die Augen und fällt in einen zähen Halbschlaf.
Er kann sie atmen hören. Er liebt sie so sehr.
Sie kann ihn sehen. Sie würde nie zugeben, dass er sie berührt.