- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 5
Warum?
Es donnert.
„Mami, Mami, warum sind wir hier unten?“
„Weil es da draußen zu gefährlich ist, meine Kleine.“
Es donnert wieder, Lichtblitze zucken durch die Schlitze zwischen den Brettern, mit denen das einzige Kellerfenster vernagelt ist.
„Mami Mami, warum ist das so laut?“
„Hör` nicht hin, meine Kleine, es ist bestimmt gleich vorbei“, sagt die Mutter und drückt Anna fest an sich.
Das Donnern kommt näher und lässt den Boden mit jedem Schlag erbeben, so dass der Staub und Dreck, der ihn in einer dicken Schicht bedeckt, ein kleines Stück in die Höhe wirbelt. Während die groben Stücke schnell wieder zu Boden rieseln, hat sich die Wolke aus feinem Staub noch nicht wieder ganz gelegt, bis das nächste Donnern ertönt.
„Mami ich hab` Angst, ich will, dass das aufhört!“
Die Mutter schweigt einen Moment, dann flüstert sie leise:
„Es hört bald auf …“ doch in ihrer Stimme ist keine Hoffnung zu spüren.
Anna fängt an zu weinen. Die Mutter wischt ihre Tränen weg und sagt:
„Halt dir die Ohren zu mein Schatz, dann musst du diesen Lärm nicht mehr hören.“
„Ich will mir nicht die Ohren zu halten, ich will dass es aufhört!“
Eine einzelne Träne rollt über das Gesicht der Mutter, sie hatte versucht diese zurück zu halten, aber es gelang ihr nicht. Schnell wischt sie die Träne weg. Sie muss stark bleiben, denkt sie, Anna darf ihre Angst nicht spüren.
„Können wir das Licht an machen?“
„Das geht leider nicht, sie haben die Strommasten kaputt gemacht.“
„Das Licht ist kaputt?“, fragt Anna.
„Ja, mein Schatz, das Licht ist Kaputt.“
Das kräftige, dumpfe Donnern ist einem schnellen, hohlen, hektischen Rattern gewichen , welches einige Sekunden andauert und dann, nach einer kurzen Pause, aus einer anderen Richtung von neuem beginnt.
„Mami, was ist Krieg?“
„Krieg ist, wenn Menschen gegen einander kämpfen.“
„Und warum kämpfen Menschen gegen einander?“
„Ach Anna, meisten kämpfen Menschen, weil die einen etwas haben, was die anderen haben wollen.“
„Also hast du vorhin auch gekämpft, um von den Soldaten das Stück Brot zu bekommen?“
Die Mutter schmunzelt einen winzigen Moment.
„Nein, mein Schatz, ich hab sie einfach gefragt. Kämpfen müssen nur die, die nicht reden können.“
Mit einem lauten Knall fliegt ein Stück Holz aus einem der Bretter, mit denen das Fenster vernagelt ist, heraus und hinterlässt ein kleines Loch.
Anna hat Angst und kuschelt sich an ihre Mutter.
„Mami ich hab` Angst, ich will dass die aufhören zu Kämpfen.“
Einen Moment herrscht Stille, dann schreien wieder Menschen und Schatten huschen am Fenster vorbei.
„Mami, warum kann Papi nicht reden?“
„Papi kann doch reden, meine Kleine.“
„Und warum kämpft Papi dann?“
„Papi muss uns beschützen, mein Schatz, vor den Anderen, die wollen uns etwas wegnehmen.“
„Was denn?“
„Unser Land wollen sie uns wegnehmen.“
„Warum, Mami?“
„Weil sie denken, dass es ihnen gehört.“
Der Lärm scheint nun genau vor dem Kellerfenster zu sein. Es ist laut, so laut, dass es schmerzt. Anna hält sich die Ohren zu und fängt wieder an zu weinen.
Nach einigen Minuten macht der Lärm eine kurze Pause.
„Du Mami…“
„Ja Anna?“
„…warum geben wir denen nicht einfach unser Land? Hier ist ja alles kaputt, bestimmt ist es wo anders viel schöner. Dann kann Papi wiederkommen und dann hört endlich dieser Lärm auf.“
Es gibt einen lauten Knall und Splitter der Bretter, mit denen das Fenster vernagelt war fliegen durch den Raum.