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Was man mal machen müsste

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13.06.2002
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Was man mal machen müsste

"Weißt du, was man mal machen müsste?"
"Eine Maschine bauen, die alles in sich aufsaugt, inklusive sich selber?"
"Nee, das ist fad. Obwohl... ja, später. Aber ich meine, vorher. Jetzt quasi."
"Austrinken?"
"Auch. Aber danach."
"Ne Frau abschleppen und sie in einem Konglomerat aus wildem Sex, drei Kondomen und einer Packung Schokoeis nach allen Regeln der Kunst nicht schwängern?"
"Kunst?"
"Selbstverständlich."
"Ja, aber mal was Anderes. Weißt du, was man mal machen müsste?"
"Ich meine, der Vorgang an sich, also die ursprüngliche Form der körperlichen Verschmelzung in einem selbstlosen Akt der Fremdwerdung mit dem Gegenüber, der hat doch beinahe etwas künstlerisch Poetisches. Oder nicht?"
"Ich finde, man müsste mal zur Telekom und denen einen bösen Brief schreiben."
"Was?"
"Ja, das find ich."
"Aber warum? Wo wir doch eben noch so nett übers Fi..."
"Weil die so teuer sind. Darum."
"Auch wieder wahr. Aber erst müssen wir austrinken."
"Okay, du zuerst."

...

Es ist jetzt kurz nach drei, Kurt und ich sitzen auf einer alten Bank im Park und suchen was zum Schreiben. Der Barkeeper aus der Kneipe vorhin scheint uns irgendwie für Terroristen gehalten zu haben, oder zumindest für querulante Nazikommunisten, vielleicht war es auch einfach nur eine besondere Form des persönliches Hasses, aber jedenfalls wollte er uns keinen Stift leihen. Der Arsch.
"Hier, ich hab was."
"Das ist ein Zweig."
"Ja, aber damit kann man... hier, guck." Kurt bricht den Zweig in zwei Hälften und grinst mich stolz an. Hat er prinzipiell schon ganz gut gemacht, bringt uns aber nicht viel weiter.
"Kurt, du bist total kontraproduktiv. Jetzt mal echt."
"Ja. Aber... okay, hast Recht. Das bringt nichts."
"Was wir brauchen, ist ein Plan."
"Nee, was wir brauchen, ist ein Stift. Und Papier. Und ein Umschlag. Und ne Briefmarke. Und ein Briefkasten."
"Haben wir irgendwas davon?"
"Warte, ich seh mal nach." Er sieht mal nach. "Nee, irgendwie nicht."
"Also brauchen wir einen Plan."

Etwa ne halbe Stunde später haben wir einen Plan. Okay, er ist nicht besonders ausgereift und hat noch die ein oder andere Schwachstelle - vor allem die Nummer mit dem Dobermann von der alten Frau Röhrmöller scheint etwas komplizierter zu werden, auch und gerade weil wir nicht die geringste Ahnung haben, wie wir diesen verdammten Köter in unseren Plan einbauen sollen - aber insgesamt und alles in allem so global betrachtet ist es ein Plan.
"Hast du mal ein Taschentuch?"
"Warum? Was hast du vor?"
"Naja, was man halt so macht mit... äh..."
"Taschentüchern."
"Ja. Ich will mir nämlich nen Knoten reinmachen, damit ichs nicht vergesse."
"Gute Idee. Hier."
"Danke. Ich weiß übrigens, wo wir einen Stift herkriegen."
"Na, sag."
"Aus meiner Manteltasche."
"Wart mal... du hattest die ganze Zeit einen Stift und hast nichts gesagt? Ich meine, dann hätten wir uns den Plan auch schenken können."
"Ja. Ist das nicht toll?" Finde ich jetzt nicht unbedingt. Aber das muss Kurt ja nicht wissen.
Er ist manchmal ein wenig eigen, wenn man ihn kritisiert. Einmal zum Beispiel, da waren wir auf eine Party eingeladen gewesen. Herberts dreiundzwanzigster oder so. Weiß ich nicht mehr, jedenfalls wars echt ein netter Abend, viel Alkohol, jeder ne Schüssel Eiersalat und sogar Frauen waren da. Zwei, um genau zu sein. Herberts Mutter und an die Andere kann ich mich nicht mehr erinnern. Jedenfalls hatten wir alle gut einen im Tee, viel Spaß gehabt, doofe Partyspiele wie Bockwurstmikado und Idiotendreier gespielt und uns über Gott und die Welt unterhalten, bis dann irgendwann Kurt angefangen hat, in die Bowle zu pinkeln. Und das war bei aller Liebe echt ne Kackidee. Mal so gesagt.
Das hat ihm die Frau, an die ich mich wie gesagt nicht mehr erinnern kann - sie hatte so hellbraune Haare, glaub ich, die Farbe, bei der man nie so genau weiß, ob sie brünett ist und gerade im hellen Licht steht, oder ob sie blond ist und einfach nur mal wieder duschen müsste - also, die hat ihm das dann auch gesagt und danach hat der Kurt drei Tage lang geschmollt und nicht mit ihr gesprochen. Okay, war nicht weiter wild, weil Kurt ja gar nicht wusste, wer das überhaupt war, aber darauf will ich auch gar nicht hinaus.

Vier Uhr, noch immer keine Briefmarke und gleich geht die Sonne auf. So langsam beginnt der Plan, der anfänglich so klar und einfach erschien, bis auf die Sache mit den drei Wäscheklammern und dem Goldhamster der kleinen Melanie vielleicht, im Nebel des Vergessens zu verschwimmen. Und noch schlimmer, so langsam scheint auch der Nebel des Vergessens im Nebel des Vergessens zu verschwimmen, was an sich kompletter Blödsinn ist. Aber so ist es halt, wenn man sich ärgert, dass man etwas vergessen hat, und sich nicht nur nicht daran erinnert, was man vergessen hat, sondern auch, warum man sich ärgert, dass man es vergessen hat.
"Telekom", sagt Kurt gerade und ich stimme ihm zu. Recht hat er.
"Meinst du, wir sollten nochmal irgendwo auf ein Bier?"
"Wohin? Ach nee, lass mal. Erstmal den Brief fertig schreiben hier. Sonst wird das doch wieder nix, ich kenn uns doch."
"Ich auch. Aber wir haben kein Papier."
"Ja, ist mir auch aufgefallen. Hey, wir könnten ne E-Mail schreiben."
"Eine ausgezeichnete Idee. Aber auch da gibt es ein Problem."
"Du meinst, weil wir die Adresse der Telekom nicht kennen?"
"Das macht dann schon zwei Probleme. Aber das erste Problem ist, dass es hier keinen Strom gibt."
"Oh ja. Den braucht man ja dafür."
"Unter anderem dafür, ja."
"Oh... du, vielleicht sollten wir doch irgendwo Papier auftreiben."
"Wir könnten jemanden fragen."
"Alter", sagt Kurt und er hat Recht, "es ist jetzt... puuh, ist dir schonmal aufgefallen, dass meine Uhr total viele Zeiger hat? Das passiert immer dann, wenn ich Bier getrunken hab."
"Vielleicht hat sie immer soviele Zeiger und du siehst sonst einfach nicht genau genug hin."
"Ja. Nein. Weiß ich doch nicht. Is auch egal, aber jedenfalls ist es... dunkel. Meinst du, um diese Uhrzeit läuft hier noch jemand lang?"

Wir fragen eine alte Rentnerin, die um diese Uhrzeit immer mit ihrem Hund hier spazieren geht, aber die hat kein Papier dabei. Die drei Jugendlichen haben zwar vielleicht welches, aber Kurt traut sich nicht zu fragen - angeblich aus Angst um seine Credibility, was auch immer das sein mag. Dieses eine Pärchen auf der Nachbarbank ignoriert uns, zwei Obdachlose wollen uns keines geben, bevor wir nicht aus ihrer Wohnung verschwinden, der Rosenverkäufer will uns nur seine Botanik andrehen, die alte Dame, die etwa zehn Minuten später immer auf dem Rückweg vom Spaziergang mit ihrem Hund hier vorbeikommt, hat unverschämterweise immer noch kein Papier und als dann einer der Jugendlichen uns nach was zu Schreiben fragt, geben Kurt und ich auf.
"Ich hab mich gepiekst."
"Hm?"
"Na, an der Rose."
"Was genau war nochmal der Grund, aus dem du sie gekauft hast?"
"Vermutlich derselbe Grund, aus dem du diesem Typen deinen Stift gegeben hast", sage ich beleidigt und sauge einen Blutstropfen aus meinem Daumen.
"Wir könnten unseren Brief mit Blut auf die Bank schreiben."
"Eine ausgezeichnete Idee. Wirklich. Ich werde nur das Gefühl nicht los, dass wir die Bank nicht durch den Briefkastenschlitz kriegen werden."
"Ja... Ach Kacke, wie wir es auch probieren, irgendwas geht immer schief."
"Ich glaube, wir gehen die ganze Sache zu verkrampft an. Wenn wir es erzwingen, dann wird das nichts. Verstehst du?"
"Nein."
"Ich meine, wir sitzen hier und grübeln, wie wir diesen Brief geschrieben kriegen und dabei vergessen wir vollkommen, dass es in dem Moment, in dem wir darüber nachdenken, nicht wir sind, die den Brief schreiben, sondern dass es umgekehrt der Brief ist, der uns schreibt."
"Das find ich... ähh... hier, wie war nochmal das Wort, wenn man nicht gut meint?"
"Blöd?"
"Nee, das andere."
"Hirnrissig?"
"Genau! Aber sowas von."
"Naja, aber du musst doch zugeben, dass wir seit Beginn des Abends nicht einen Schritt weiter gekommen sind. Wenn wir jetzt den Brief aus unserem Mikrokosmos verbannen, nur einen einzigen Augenblick lang, dann entfokussieren wir uns und unsere gedanklichen Kapazitäten werden wieder frei."
"Ach."
"Ja. Das ist metaphysisch."
"Ich weiß selbst, dass eine Entfokussierung des Mikrokosmos metaphysisch ist. Brauchst du mir nicht sagen. Das ändert aber nichts daran, dass es total bekloppt ist."

Kurt und ich beschließen trotzdem, die Sache von einem anderen Blickwinkel aus zu betrachten. Inzwischen ist es fast fünf und wir haben keine Ahnung, welcher das sein könnte. Also, Blickwinkel jetzt. Aber dann kommt Kurt auf einmal ne Idee.
"Hier, pass auf!"
"Worauf?"
"Auf mich. Also, neuer Plan. Wir lassen das mit dem Brief. Das ist eh doof."
"Gut. Ich hab auch inzwischen total vergessen, wem wir eigentlich schreiben wollten. Vom Was ganz zu schweigen."
"Ja, geht mir genauso. Also, wie ist? Bauen wir jetzt diese Maschine, die alles in sich aufsaugt, inklusive sich selber?"
"Logisch."

 

Hallo gnoebel!

Tja, eigentlich sagt Dein Eingangsposting ja schon alles über diese Geschichte aus. Recht viel mehr kann man nicht ergänzen. Man merkt allerdings dem Text nicht unbedingt an, dass er rein assoziativ entstanden ist - das ist nun durchaus als Kompliment gemeint.
Freilich ist hier das Rad nicht neu erfunden, aber: na und? Einen kurzweiligen Text zu schreiben ist alles andere als einfach - und Du hast das gemacht.

In diesem Sinne,
c

PS Ich habe übrigens sofort bemerkt, dass der Begriff "Nazikommunisten" geklaut war und wusste auch sofort woher. Trotzdem fand ich ihn an diese Stelle unpassend, taugt höchstens als Hommage.

 

Moin chazar,

Find ich toll, mal wieder von dir zu hören.

Ich hab dein Posting leider irgendwie übersehen bisher, darum erst jetzt ein verspätetes, aber nicht minder herziches Danke fürs Kommentieren und so.

Man merkt allerdings dem Text nicht unbedingt an, dass er rein assoziativ entstanden ist - das ist nun durchaus als Kompliment gemeint.
Ja, so kommt es auch an. Freut mich.
Trotzdem fand ich ihn an diese Stelle unpassend, taugt höchstens als Hommage.
Ich finds schon passend - der Begriff ist an sich genial (leider eben nicht von mir) und stellt somit einen humoristischen Gegenpol zu dem Terroristen im selben Satz dar. Klingt jetzt vielleicht etwas seltsam, aber auf mich hat der Satz tatsächlich diese Wirkung.

 

Moin gnoe,

direkt vorweg: Schöne Geschichte. Nicht spitze, aber doch ziemlich befriedigend.

Was mir nicht so gut gefallen hat ist, dass die beiden "Betrunkenen" noch so klar sprechen. Andererseits würde es das Lesen vermutlich sehr erschweren oder einfach nur albern machen, das zu ändern.

Ich denke mal, die meisten kennen es von sich selber, betrunken mit nem Kumpel unterwegs zu sein und irgendwann fällt unweigerlich zu später Stunde der Satz "Ich hab da ne Idee". Endet meistens mit ziemlichem Blödsinn. Oder mit der Ausnüchterungszelle. Gern gesehen ist auch die Kombination. (Erinnert mich ein bisschen an "Ein guter Freund wird für dich Kaution hinterlegen, wenn du im Knast landest. Aber dein bester Freund sitzt neben dir und sagt 'Das war absolut geil!'")

OK, ich schweife ab. Eigentlich wollte ich ja nur kurz einwerfen, dass mich die KG gut unterhalten hat.

Gruß,
:zensiert:

 

Moin Zens,

Danke für Lob und Kommentar. Freut mich ja immer, wenn ich dich befriedigen kann.

Was mir nicht so gut gefallen hat ist, dass die beiden "Betrunkenen" noch so klar sprechen.
Das ist in der Tat ein Problem. Wenn ich die beiden nuscheln lasse (hab ich in älteren Texte öfter gemacht), wirds irgendwann unleserlich. Darum mache ich das jetzt immer so und lass den Leser sich das Lallen dazudenken.

 

hallo gnoebel

"Alter", sagt Kurt und er hat Recht, "es ist jetzt... puuh, ist dir schonmal aufgefallen, dass meine Uhr total viele Zeiger hat?
diesen Satz fand ich herrlich!
die Episode mit der Party hätte ich wahrscheinlich eher weggelassen.

stellenweise habe ich echt schmunzeln müssen. Ein lustiger Happen für zwischendurch.

 

Moin Schrei Bär,

Auch dir vielen Dank fürs Kommentieren und Schmunzligfinden.

die Episode mit der Party hätte ich wahrscheinlich eher weggelassen.
Nee, die ist total wichtig. Zum Einen, weil dadurch Kurt charakterisiert wird und zum Anderen will ich darauf auch gar nicht hinaus.
okay, sie ist vollkommen unwichtig, aber witzig (find ich) ;)

 

Hallo Gnoebel,
der Titel ist mir schon einige Male ins Auge gesprungen und heute hab ich sie auch mal gelesen, also ... ich glaube, dass du ein ziemlich fauler Hund bist.
Schreiben kannst du auf jeden Fall und man merkt auch, dass du die Leute geistig vor dir hast und ihnen nur zuhören brauchst und dann aufschreibst, was sie so reden.
Aber die reinen Dialog-Sachen finde ich schwächer als die total durchgeknallten Nicht-Dialog-Passagen, bei denen ich das Gefühl hatte, du hättest nicht nur genau hingehört, sondern bist noch einen Schritt weiter gegangen und hast - aus irgendeinem Winkel - noch ein bisschen mehr Mühe hineingesteckt.

Gerne gelesen, das auf jeden Fall :)
Quinn

 

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