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Welche Tür?

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23.09.2008
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Welche Tür?

Seine Stimme klingt warm. „Es erfordert nur einen Schritt nach vorn.“
Aha. Nur einen Schritt nach vorn also. Ein lächerlicher Schritt. Den Schritt über die Schwelle. Den Schritt in einen neuen Anfang, oder wie immer man das auch nennen mag.
Sein Blick wird eindringlicher. „Ich kann Sie nur ermuntern, es zu tun. Es wird Ihnen helfen, da bin ich sicher.“
Zweifelnd schaue ich ihn an. „Woher wollen Sie das so genau wissen?“
Er zieht die Brauen hoch. „Das ist mein Job.“
Ich lehne mich zurück. „Okay, das ist richtig. Trotzdem; Verzeihen ist für mich in diesem Fall undenkbar.“
Er lächelt. „Es wird Sie entlasten.“
Ich verschränke die Arme vor der Brust. „Wissen Sie eigentlich, was Sie da von mir verlangen - was das für mich bedeutet?! Sie sagen das so leicht daher, aber es gibt nun mal Dinge, die kann man nicht verzeihen, niemals!“
Langsam legt er die Fingerspitzen vor seinem Gesicht zu einem Dreieck zusammen. „Sehen Sie, mir ist klar, dass Sie in einem Dilemma stecken. Das belastet Sie über alle Maßen und beeinträchtigt Ihr Leben in einer Weise, die Sie sich gar nicht vorstellen können.“ Er beugt sich vor. „Ihr Wunsch ist es, da heraus zu kommen und ich will Ihnen doch nur helfen, es zu schaffen.“
Meine übereinander geschlagenen Beine wippen. „Das habe ich ja verstanden“, entgegne ich. „Dennoch; mir ist nicht deutlich geworden, was mir dieses Verzeihen bringen soll.“
Er macht eine kleine Pause und sieht mich an. „Sie bekämen dadurch die Chance, sich auch selbst zu verzeihen“, sagt er schließlich.
Ich starre ihn an. „Wie bitte?!“ Dann richte ich mich auf und umfasse ich die Armlehnen meines Sessels. „Ich hab mich wohl verhört? Das ist doch jetzt nicht Ihr Ernst, oder?!“
Er lächelt wieder sein warmes Lächeln. „Doch, das ist mein Ernst. Mein voller Ernst.“
Ich schnaube hörbar durch Nase. „Ich soll verzeihen? Ich?! Ich, das Opfer, soll ihm verzeihen? Und dann auch noch mir selbst?! Das ist …“ Einen Augenblick fehlen mir die Worte. „Das ist einfach ungeheuerlich!“, bringe ich schließlich heraus.
Seine Stimme wird weich. „Richtig. In Ihren Ohren mag das ungeheuerlich klingen, doch wenn es Ihnen gelingt, durch diese Tür zu gehen, findet Ihre Seele Frieden. Glauben Sie mir.“
Was faselt er da? Ich betrachte mir den so genannten Fachmann genauer.
Entspannt zurückgelehnt in seinem Sessel wirkte er vor knapp einer Stunde ganz sympathisch und harmlos auf mich, doch sein gleich bleibendes Lächeln und die eingefrorene Mimik seiner Augen straft nun diesen Eindruck Lügen.
Auf den rechten Ellenbogen gestützt, klickt er mehrmals mit seinem Daumen auf den Kugelschreiber und sieht mich dabei fragend an, doch ich ignoriere es. Mein Blick wandert weiter und bleibt an seinen mageren, blassen Fesseln hängen, die aus beigefarbenen Hosenbeinen hervor lugen. Blaue, feine Äderchen durchkreuzen ziellos den unteren Teil seiner Waden; Verästelungen, die aus dem Ruder gelaufen sind, wie seine Worte.
Nein, nicht mit mir. Ich stehe auf.
Ich mache einen Schritt nach vorn und fixiere das smarte Grinsen meines Gegenübers. „Eines weiß ich genau, Herr Dr. Merten: Bevor ich durch – wie haben Sie es genannt? - diese Tür gehe, gehe ich erst einmal durch Ihre!“ Mit Schwung drehe ich mich um und verlasse den Raum.
Noch während ich die Klinke in der Hand halte, ruft er mir nach, „wie Sie wollen! Sie müssen damit leben, nicht ich!“
Draußen betrachte ich für einen kurzen Moment die Tür, deren Schwelle ich mit solcher Zuversicht betreten hatte.
Offenbar habe ich mich in der Adresse geirrt.

 

Hallo Sua Sponte,

jetzt habe ich deine Geschichte gelesen und weiß nicht recht, was ich davon halten soll.

Es scheint eine Person bei einem Psychologen(?) zu sein, der von der Person verlangt, durch eine Tür zu gehen und dann stellt die Person fest, dass sie sich in der Tür geirrt haben könnte. :confused:

Warum ist die Person beim Psychologen und wo wollte sie eigentlich hin?
Für mich bleiben sehr viele Fragen offen.

Sprachlich finde ich den Text nicht schlecht.


Eine Kleinigkeit ist mir noch aufgefallen:

Draußen betrachte ich für einen kurzen Moment die Tür, deren Schwelle ich mit solcher Zuversicht betreten hatte.
Betreten würde ich eher im Zusammenhang mit Raum schreiben; bei einer Schwelle würde ich eher an übertreten denken.


Viele Grüße
Glückskäfer

 

hallo Sua,

ich mag dein Stil. Deine Protagonistin ist frech und offen. Ich ich finde sie ganz einfach cool. Allerdings bleiben auch bei mir einige Fragen offen bei diesem Text, bzw. ich hätte vom Ende mehr erwartet, dass da entweder wieder eine Wendung kommt (war sie bei dem falschen Psychologen oder wie?)
oder dass man mehr über die Situation an sich erfährt. So bleibt der Leser schon ein wenig mit dem Häh...? Gefühl zum Schluß. Vielleicht habe ich es auch noch nicht ganz verstanden.
Trotzdem nett zu lesen,

mfg

JuJu

 
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Hallo Glückskäfer,

richtig erkannt!
Die Prot. war beim Psychologen und wollte nicht durch die "Tür des Verzeihens" gehen. Hierbei steht die Tür (und auch die Schwelle) als Metapher.
Danke dafür, dass Du Dir Gedanken machst und Fragen entstehen. Genauso war es von mir beabsichtigt! ;)

Der Inhalt, oder das Ende, oder die Intention einer Geschichte muss nicht zwangsläufig erklärt werden, sondern kann auch Fragen aufwerfen und dürfen unbeantwortet bleiben. Vielmehr sollte die Geschichte den Leser animieren darüber nachzudenken, was man selbst im eigenen Leben "nie verzeihen" würde ...
Zur Schwelle:
Eine Schwelle wird in verschiedenen Zusammenhängen unterschiedlich verwendet. Im Verkehr (Bahnschwellen), in der Geographie, in der Neurophysiologie, in der Politik - und auch in der Psychologie.
Die von mir genannte "Türschwelle" ist ein Brett oder ein flacher Stein zwischen den senkrechten Teilen eines Türrahmens und kann selbstverständlich be-, sowie auch übertreten werden.
In meiner Geschichte steht die Schwelle für das Betreten, des sich "Hineinwagens" in die unbewältigten Probleme. Und gilt auch als die oben erwähnte Metapher, diese "Tür", diese "Schwelle" hinter sich zu lassen, da dieser Psychologe von der Prot. nicht als der für sie geeignete erkannt wurde.

Liebe Grüße
Sua Sponte

Hallo JuJu,

ich finde es gut, dass Du mit einem "Hä?" zurückbleibst. Und ja! Du hast die Geschichte richtig interpretiert und verstanden, denn genauso war es gewollt. ;)
Siehe dazu meine Antwort an Glückskäfer.

Danke dafür, dass Du die Prot. als cool und frech erlebst und auch für Dein feedback bzgl. meines Stils. Habe mich darüber gefreut!
Die Geschichte sollte unter anderem aufzeigen, dass man bei sogenannten "Fachleuten" auch kritisch sein darf und sollte.

Mit lieben Grüßen
Sua Sponte

 
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Hallo Sua-Sponte,

Ich lese hier eine Geschichte über den rigorosen Selbstschutz deiner Protagonistin, die - als Opfer mit einer nicht näher bezeichneten, aber offensichtlich starken seelischen „Verletzung“- den vom Psychologen ihr quasi aufgedrängten „Weg des Verzeihens“ nicht bereit ist zu gehen.
Das Ansinnen des Psychologen empfindet sie unter diesen Umständen nicht als Hilfestellung zur Verarbeitung ihres Problems, sondern eher wie eine Art seelische Vergewaltigung.

Interessant in Szene gesetzt hast du die jeweilige Körpersprache der beiden Protagonisten, ihre Hand- und Beinbewegungen, die allesamt signalisieren, dass zwischen dem Psychologen und der Hilfesuchenden keinerlei Akzeptanz herrscht, kein innerlicher Zugang zueinander aufgebaut werden kann. Die Protagonistin sendet zunehmend Signale der Abwehr, nimmt die Worte des Gegenübers nicht mehr auf und auch nicht mehr ernst.
„Mein Blick wandert weiter und bleibt an seinen mageren, blassen Fesseln hängen, die aus beigefarbenen Hosenbeinen hervor lugen…“

Zum Schluss macht die Protagonistin den für sie einzig richtigen und rettenden „Schritt nach vorne über die Türschwelle“ der Praxis.

Die detaillierte, sprachlich sauber ausgearbeitete Darstellung mit subtiler Beobachtung dieser verkorksten Therapiestunde habe ich gerne gelesen!


Gruß
kathso60

P.S.: Als Titel hätte auch "Selbsttherapie " gepasst.

 
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Salü Sua Sponte,

ein flüssig und atmosphärisch gut geschriebener Ausschnitt eines psychologischen Gesprächs, den ich mit schmunzeln gelesen habe. Der Dr. Mertens muss ein esoterischer Kauz sein, wenn er meint, er könne gleich so im Erstgespräch (?) seiner Klientin mit Vergebungsfloskeln das Leben konfliktfrei schalten.

Wieso ich auf Erstgespräch komme? Normaler Weise würde ein kundiger Psychologe zunächst mal ein Vertrauensverhältnis aufbauen. Das dauert schon ein paar Stunden. Erst dann kann seine Klientel Schritte über Schwellen wagen, die den Opferstatus auflösen. Dazu braucht es aber wesentlich mehr Gespräche und - seitens des Herrn Dr.’s - eine gehörige Einsicht in die eigene Lebenssituation. Nur „Das ist mein Job.“ reicht da nun gar nicht.

Also entweder hat der/die KlientIn schon viel zu lange ausgehalten (!) oder sie merkt tatsächlich so schnell, dass sie am falschen Ort ist. So oder so: Gut, überschreitet sie die reale Schwelle dieser obskuren Praxis. :)

Lieben Gruss,
Gisanne

 

Hallo Sua,
eine kniffelige Angelegenheit, diese Geschichte! Du hast ja schon begonnen, sie zu erklären und genau so sollte es eigentlich nicht sein. Für meinen Geschmack zeigt sie lediglich starre Ausschnitte einer unerquicklichen Situation, bleibt dabei aber unpersönlich und irgendwie auch pädagogisch.(Liebe Patientin, Du darfst auch wieder gehen!) Das reicht aber nicht, weil beide P.s über Stereotype nicht hinauskommen. So ist es mit einfach zu dünn.
LG,
Jutta

 
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Hallo Kathso60,

danke für Deine Rückmeldung.
So, genauso wollte ich meinen Beitrag zum Leser transportiert wissen. Als rigoroser Selbstschutz der Protagonistin.
Stimmt, "Selbsttherapie" wäre als Titel auch passend gewesen.

Hallo Gisanne,

richtig. Auf dem "esoterischen Markt der Absonderlichkeiten" tummeln sich so manche Käuze. Dieser ist einer davon ;-) Danke für Deine Stellungnahme!

Hallo Jutta,

muss ein bisschen lachen :D
Obwohl ich die Metapher und den Begriff "Schwelle" erklärt habe, habe ich damit noch lange nicht die Geschichte erklärt.

"Liebe Patientin, du darfst auch wieder gehen!"<-- Aus welcher Passage liest Du das heraus??? :hmm:
Dass die Geschichte keinen Eindruck auf Dich machte, bleibt Dir selbstverständlich unbenommen. Nicht jedem kann und muss sie gefallen. Doch die Personen als stereotyp zu bezeichnen, halte ich doch für sehr weit hergeholt. Nun denn, seis drum - danke trotzdem für Deinen Kommentar. :)
Gruß
Sua Sponte

 

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