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Wer bist du?
Er sieht es an. Dieses ihm so bekannte, vertraute Gesicht.
Er berührt ihre schmalen Lippen. Sie hat ein hübsches Gesicht. Nicht schön, doch sicher ist es hübsch zu nennen. Feine Sommersprossen überziehen ihre Nase und breiten sich langsam über ihre Wangen aus. Er hat es beobachtet. Mit jedem Sommer werden es ein paar rotbraune Tupfer mehr auf ihrer hellen Haut.
Ihre kleinen grünen Augen hat sie geschlossen und eine zarte weiße Feder hat sich in ihren kupfern schimmernden Wimpern verfangen. Mit jedem Atemzug den er tut, mit jedem Lufthauch, zittert sie, versucht sich zu befreien. Doch sie ist gefangen, sie wird nicht mehr von ihr loskommen.
Er betrachtet ihr rotes, welliges Haar.
Doch, doch, sie hat rotes Haar, aber ein bisschen hat sie nachgeholfen, lächelte er.
Er beugt seinen Kopf ganz zu ihr hinunter, um sich den Ansatz ihrer gefärbten Spitzen anzusehen.
Ein Lächeln umspielt seine Mundwinkel. Er erinnert sich...
...Jeden Morgen stehe ich in aller Frühe mit dir auf. Wir kochen uns Kaffee. Du magst ihn schwarz, mit viel Zucker, ich trinke ihn lieber mit viel Milch. Ein weiches Ei für dich, Rührei für mich. Dann gehen wir duschen. Ich zehn Minuten, du eine viertel Stunde. Und wenn du aus dem Bad kommst, nur ein helles Handtuch um die Hüften gewickelt, bin ich bereits angezogen und lächle dich an. Du kämmst deine roten Haare, ärgerst dich, dass sie so widerspenstig sind und bindest sie dann verzweifelt zu einem einfachen Zopf. Vor dem Spiegel versuchst du deine Sommersprossen abzudecken, mit viel Make-up. Ich mag das nicht. Ich mag dich wie du bist. Mit Sommersprossen und zerzaustem Haar. Aber du gefällst dir so nicht. Du ziehst dir jeden Morgen den Lidstrich nach, nur um ihn dann erbost wieder zu entfernen, weil du es einfach nicht schaffst, ihn gerade aufzuzeichnen. Du ziehst deine schon am Vorabend sorgfältig zusammengestellten Kleider an. Ein enges Kostüm, oder einen schicken Hosenanzug, mit passenden Accessoires, wie einer Perlenhalskette oder den winzigen Strassohringen. Gehetzt siehst du auf die Uhr und rennst dann eilig zum Auto, um dich nicht wieder zu verspäten. Du solltest einfach ein bisschen früher aufstehen, oder den Lidstrich gleich weglassen. Aber das kann ich dir nicht sagen.
Er schiebt die völlig zerwühlten Laken ein wenig beiseite, um ihren Körper bestaunen zu können. Schöne weiße Brüste, hellrosa Brustwarzen, ein flacher, straffer Bauch.
Du seist schwanger, wolltest du mir erzählen. Da musste ich lachen. Wie sollte das gehen? Jeden Abend nimmst du brav um die selbe Uhrzeit deine kleine Belara-Pille ein. Das weiß ich doch. Woher ich das weiß? Du würdest mich nicht kennen, hast du gesagt! Aber wie kann das sein? Ich weiß doch alles über dich. Ich lebe doch mit dir. Wie kannst du mich nicht kennen?
Plötzlich versiegt sein Lächeln und ein gefähliches Glitzern liegt in seinen Augen.
Du kennst mich nicht? Nein? Nein, anscheinend nicht. Weil du viel zu sehr mit DIR beschäftigt bist! DU denkst nur an DICH, und deine Schönheit. Dabei bist du gar nicht so schön. Wenn du schön wärst, wieso hast du dann nie einen Mann? Du hättest mich haben können. Ich hätte dich geliebt. Ja. Ich hätte dir alles gegeben. Ich HABE dir alles gegeben. Mein ganzes Leben habe ich umgestellt für dich. Und dann sagst du mir, du kennst mich nicht? Du bist genauso ein egoistisches Miststück, wie alle anderen... Du....
Und wieder nimmt er das völlig zerrupfte Kissen und drückt es ihr auf das Gesicht. Rasend vor Wut schlägt er wild auf sie ein. Tausende winzige Daunenfedern fliegen durch die Luft.
Langsam kommt er wieder zur Ruhe. Die Federchen schweben tänzelnd nieder und verteilen sich überall. Sie verfangen sich in ihrem nicht ganz natürlich roten Haar, legen sich auf ihre kalten Wangen und ihre blauen Lippen.
Und als er sie erneut ansieht, ihre Haut, ihren Mund, ihr Haar, da läuft ihm eine Träne über die Wange.
Es tut mir leid, was ich gesagt habe. Du BIST schön!
Wir hätten gut zusammengepasst... Warum wolltest du mich nicht kennen lernen?
Und eine einzige kleine Feder wirbelt noch durch die Luft. Sie hat es geschafft sich aus ihren Wimpern zu befreien.