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Wer ist eigentlich Frank?

Seniors
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24.04.2003
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Wer ist eigentlich Frank?

In meinem Traum begegnete ich einem jungen Mädchen, das keine Kleider trug.
Wortlos gingen wir aneinander vorbei, doch meine ich, sie später noch kichern gehört zu haben.
An dem kleinen Bach, der in den Tannenwald führte, wusch ich mir die Hände, die seltsamerweise voller Blut waren.

Mit einem Lächeln im Gesicht erwachte ich. Für einen Moment war mir, als sei mein Herz stehengeblieben. Ich lag auf dem Bett, schaute an die graue Decke, roch meinen eigenen Schweiß. Dennoch war ich ganz einfach nicht da. Erst, als ich meinen Herzschlag wieder spürte, kehrte das Leben in mich zurück.
Ich stand auf und ging ins Bad, um mir das Gesicht zu waschen. Vorher musterte ich meine Hände, die grobschlächtigen Pranken, die so gar nicht zu meiner hageren Gestalt passen. Es war kein Blut an ihnen.
Draußen dämmerte es bereits. Ich sah zum Radiowecker. Scheinbar hatte es in der Nacht einen Stromausfall gegeben. Die roten Ziffern blinkten und zeigten zwei Uhr dreißig an.
Der neue Tag brachte eine Leere mit sich, die mich fast weinen ließ. Ich zog die schweren Vorhänge beiseite und beobachtete die Leute, die sich unten auf der Straße tummelten. Ich weiß nicht, wie lange ich so dagestanden hatte, als es plötzlich an der Tür klingelte.
"Einen Moment", rief ich, und sammelte hastig die Sachen zusammen, die ich am Abend achtlos neben das Bett geschmissen hatte. Das große Loch in meiner Jeans nahm ich nur kurz wahr, da es jetzt laut und ohne Unterbrechung klopfte. Zwischendrin immer wieder die Klingel.
"Was zum Teufel soll das?", brüllte ich, und riss die Tür auf. Vor mir lag das Treppenhaus; es war verlassen. Ich tat ein paar Schritte aus der Wohnung und lukte über das Geländer nach unten. Niemand da.
Verstört ging ich zurück in mein Schlafzimmer, und griff nach dem Telefon. Die Nummer vom Büro habe ich schon vor längerem eingespeichert.
"Nein, es geht wirklich nicht...ja, wieder diese Kopfschmerzen...ich weiß, es tut mir ja auch Leid...natürlich werde ich zum Arzt gehen...die liegen bei mir auf dem Schreibtisch...hören Sie, bitte, es geht mir nicht besonders...ja, mache ich...vielen Dank...bis Montag."
Ich legte auf. Für einen Augenblick ging mir der irrationale Gedanke durch den Kopf, dass mein Chef gehört haben könnte, mit welcher Lautstärke ich den Hörer auf die Gabel geschmettert hatte.
Was mochten sie im Büro jetzt über mich reden? Ich fehlte oft in letzter Zeit. Zu oft.
Immer dann, wenn diese Träume kamen.

Die Sprechstundenhilfe meldete sich mit ruppigem Tonfall. Ich fragte sie, ob noch ein Termin zu bekommen sei. Nein, das wäre nicht möglich, ich müsste so vorbeikommen. Wie lange ich dann ungefähr warten müsse? Das könne sie nicht sagen.
"Aber ich kann ja mal nachschauen."
Schon durch die Leitung hörte ich lautes Kindergeplärre und zwei Frauen, die über irgendetwas lachten. Ich legte auf.

Im Bad besah ich mir das Loch in der Jeans näher. Es befand sich am linken Bein und legte das gesamte Knie frei. Was mich außer seinem Vorhandensein sonst noch wunderte, war, wie sauber es an den Rändern des Stoffes verlief. Von einem Sturz konnte es unmöglich herrühren, auch deshalb nicht, weil keine Wunde am Knie war. Vielmehr sah es aus, als wenn es mit einer Schere geschnitten worden wäre. Aber selbst dann hätten Fransen herausgehangen.
Bei dem Versuch, den vergangenen Abend zu rekonstruieren, stieß ich auf eine tiefe, schwammige Leere. Vereinzelt drangen Worte in mein Denken, die ich nicht zuordnen konnte. Ich hatte mich mit Frank getroffen. Ich erinnerte mich an den Witz über den russischen Wissenschaftler, den er erzählt hatte. Ich konnte mich aber nicht daran erinnern, wo wir uns getroffen hatten, und auch nicht daran, wie ich nach Hause gekommen war.
Mit Entsetzen stellte ich plötzlich fest, dass ich sogar Franks Telefonnummer vergessen hatte. Und nicht bloß das, ich wusste überhaupt nicht mehr, wer Frank war.
Frank. Dieser Name sagte mir nichts. Ich wusste lediglich, dass ich mich mit ihm getroffen hatte.

Ohne Jacke verließ ich meine Wohnung. Im Treppenhaus war es noch immer still. Eine bedrückende Stille. Als ich aus dem Haus trat, regnete es leicht. Ich hastete über die Straße. Ein Auto hupte.
Im Stadtgarten, der nur wenige Minuten entfernt liegt, setzte ich mich auf eine Bank, und atmete tief ein. Ein furchtbarer Gedanke kam mir. Kann es möglich sein, die eigene Identität zu verlieren?
Noch einige weitere Male atmete ich tief, und langsam ein, dann genauso gleichmäßig wieder aus. Ich rekapitulierte. Seit wann hatte ich diese Träume?
Wieder diese schwammige Leere; jegliche Konzentration war aus meinem Kopf gewichen. Meine Hände zitterten.
Wie oft hatte ich diesen Monat schon auf der Arbeit gefehlt? Welcher Monat war es überhaupt?
Mir wurde eiskalt. Erneut hatte ich das Gefühl, mein Herz würde stehenbleiben. Es ging nicht anders, unwillkürlich fragte ich weiter.
Welches Jahr hatten wir überhaupt?

Ich konnte nicht länger auf der Bank sitzenbleiben. Mit einem Ruck stand ich auf und begann zu laufen. Warum, dass wusste ich nicht. Ich bog von dem Kiesweg ab und beschleunigte mein Tempo. Schließlich rannte ich über die aufgeweichte, schlammige Wiese. Schmutz spritzte zu den Seiten hoch. Ich spürte ihn an meinem nackten, linken Knie, und es tat gut, etwas zu fühlen.
Minuten später fand ich mich vor einem kleinen Bistro wieder, das mitten im Park, am Ende einer langen Allee stand. Erschöpft stieß ich die Doppeltür auf. Die Kellnerin sah mich im ersten Moment an, als erwarte sie Ärger, lächelte dann aber freundlich und kam auf mich zu. Keuchend nahm ich Platz, als ich auch schon die Karte vor mir liegen hatte.
"Möchten Sie auch etwas essen?"
"Nein, danke. Einen Korn bitte. Warten Sie, besser zwei Korn."
In der Ecke stand ein fetter Mann, der den Spielautomaten ununterbrochen mit Geld fütterte, als hänge sein Leben davon ab. Mit hektischen Bewegungen hämmerte er auf die großen Knöpfe ein. Das Gepiepse dieses Dings machte mich halb wahnsinnig. Am liebsten wäre ich aufgestanden und hätte...
Die Kellnerin stellte die beiden Gläser vor mich hin, wobei sie es vermied, mich anzuschauen. Als sie ging, blieb mein Blick an ihrem Hintern haften.
Das erste Glas stürzte ich hinunter, und mein Magen explodierte. Ich verfluchte mich dafür, nicht meine Jacke angezogen zu haben, in der ich immer die Tabletten gegen Sodbrennen bunkere.
Dann fiel mir etwas ein: Ich hatte gar kein Geld bei mir. Das Portemonnaie lag irgendwo in der Wohnung. Ja, sogar die Schlüssel hatte ich vergessen.
Ich spülte den zweiten Korn runter, was meinen Magen seltsamerweise zu beruhigen schien.
Ohne ihnen den Befehl dafür gegeben zu haben, trommelten meine Handflächen laut auf die Tischplatte. Unwillkürlich begann ich zu pfeifen. Diese Melodie, war die nicht auch gestern Abend dabei gewesen, als Frank den Witz erzählt hatte?
Das junge Mädel sah in meine Richtung und nickte genervt, während der Fettsack weiter sein Kleingeld in den Metallbauch des bunten Monstrums warf, das sich piepsend dafür bedankte.
"Ja bitte?"
"Noch zwei Korn, Süße!"
Langsam wurde ich wieder klarer. Alles schien jetzt einen Sinn zu ergeben. Nur Frank passte noch nicht richtig in das Gesamtbild. Ich hatte gestern lange gearbeitet, kam es mir in den Sinn. Danach wollte ich trinken gehen.
"Nein Scheiße, ich wollte mich besaufen gehen."
Ich hatte den Gedanken laut ausgesprochen, aber niemand schien es bemerkt zu haben. Also überlegte ich weiter.
Frank, dieser Kerl aus dem...aus der Puffstraße, genau! Da hatte ich ihn getroffen. Ich war zuerst davon ausgegangen, er sei ein Stricher, dabei ist er selbst bloß auf der Suche gewesen.
Irgendwann sind wir dann in dieser Kneipe gelandet, und haben uns ganz mächtig die Kante gegeben.
Danach, Leere.
"Wo bleibt denn jetzt mein Korn?"
Schnell kam sie auf mich zu, und stellte meine Bestellung vor mich hin.
"Seien Sie bitte nicht so laut. Sie sind nicht der einzige Gast hier", sagte sie, und in diesem Moment schämte ich mich dafür.
Ich nahm mir vor, meine Unverschämtheit wieder gut zu machen. Obwohl ich aufgehört hatte zu pfeifen, summte es in meinen Ohren. Ich leerte die beiden Gläser und verschränkte die Arme hinter dem Kopf.
Dann wusste ich mit einemmal, wie ich mich bei ihr entschuldigen konnte. Ich würde sie zu einem Tanz auffordern. Ein Tanz, nur zu der Melodie des Geldspielautomatens. Plötzlich war mir der fette Kerl gar nicht mehr so unsymphatisch. Ich meine, wer kommt schon auf so eine verrückte Idee? Alles legte ich mir genau zurecht. Noch zwei, drei Korn, damit die Beine das richtige Gespür zu dem bizarren Rhythmus des Soundprozessors entwickeln konnten. Der Fettsack musste bloß weiterhin den Automaten füttern, notfalls hätte ich ihm das Geld dafür gegeben. Aber nein, ich hatte ja mein Portemonnaie vergessen.
Mein Plan geriet aus den Fugen.
Das Loch!
Jetzt wusste ich es wieder. Es war ebenfalls ein Liebesbeweis gewesen. Dieser Hure hatte ich gesagt, ich würde mir sogar ein Loch in meine Lieblingsjeans schneiden, wenn sie mich heiraten würde. Die Fransen hatte Frank mir abgeschnitten, weil ich schon zu betrunken war.
Danach sind wir dann aber doch nach Hause gegangen. Jeder für sich. Obwohl er, glaube ich, ganz attraktiv gewesen ist, dieser Frank. Mir hatte das Knie gefroren, das wusste ich wieder.
Da war aber noch etwas zuvor gewesen. Dieses junge Ding ohne Kleider. Bin ich durch den Wald zurückgegangen? War ich alleine?

"Noch zwei Korn!"
Die Süße kam an, in einem Schritt, der keinen Widerspruch duldete.
Ich bäumte mich auf, setzte zur Frage an, als ihre wahren Absichten zum Vorschein kamen.
"Darf ich bitte schonmal kassieren?"
Kurz hielt ich inne, verwundert der Frage wegen. Ein bittersüßes Grollen vernichtete meinen Magen, und von Schmerzen geplagt sprang ich auf und schmetterte die hohle Hand nach vorn, die einen sauberen Abdruck auf dem Gesicht dieser dürren Henne hinterließ.
"Nein, darfst du nicht, Schlampe!"

Irgendwann stand ich wieder im Park, Blut floss aus meiner Nase, über das dunkelgraue Hemd. An den Rest des Tages kann ich mich nicht erinnern. Vielleicht habe ich mein Portemonnaie geholt und mir einen über den Durst getrunken. Keine Ahnung.

Ich weiß nicht, wie ich dann schlussendlich nach Hause gekommen bin. Bei meinem Nachbarn habe ich noch kurz geklingelt.
"Weckst du mich aber morgen wieder...ja, kannst ruhig an die Tür trommeln und Klingelgewitter machen...nein, heute nicht mehr, du kennst mich ja, ein paar Korn und ich bin hin und weg...bis morgen, mein Lieber."

Ist morgen nicht Samstag? - Ich glitt ohnmächtig ins Bett.

In meinem Traum begegnete ich einem jungen Mädchen, das keine Kleider trug.
Der Wald wurde dichter.
Als sie an mir vorbeigegangen war, wusch ich mir im Bach die Hände, die seltsamerweise voller Blut waren.

Ich erwachte mit einem Lächeln im Gesicht.
Da war nur die graue Decke, und der Geruch meines eigenen Schweißes. Ich selbst war ganz einfach nicht da.
Erst, als es an der Tür klingelte, bemerkte ich die dunkelroten Blutflecken auf meinem Hemd, und das Loch im linken Knie der Jeans.
Ich hatte keine Zeit, mich damit zu beschäftigen, denn mittlerweile hämmerte es ununterbrochen gegen die Wohnungstür.

Als ich öffnete, schlug die Tür meines Nachbarn zu.

Ich wollte mich auf der Arbeit krankmelden, aber niemand nahm ab.

Schließlich kam mir ein Name in den Sinn.
Frank.
Wer zum Teufel war eigentlich Frank?

 

Hallo cerberus,

um ehrlich zu sein, hätte ich die Geschichte eher in Seltsam erwartet, auch wenn sie in der Beschreibung des alltäglichen Allerlei, im Realitätsverlust durch Alkohol durchaus gesellschaftliche Bezüge hat.

Ich muss allerdings gestehen, nicht alles zu verstehen. Der wiederkehrende Traum zum Beispiel leuchtet mir nicht ein. Für das Bild der blutenden Hände darin habe ich keine Verwendung.
So bleibt es für mich bei einigem eigentümlich sentimentalen Charme, den die Geschichte hat. Ich habe sie gerne gelesen, ohne ganz schlau aus ihr geworden zu sein.

Zwei Anmerkungen noch:

Kann es möglich sein, die eigene Identität zu verlieren?
Die Frage könntest du direkter stellen: Ist es möglich, seine Identität zu verlieren? (ist dann eh immer die eigene)
Alles schien jetzt einen Sinn zu machen.
Etwas kann einen Sinn ergeben, ihn aus sich selbst heraus herstellen kann es ihn nicht. Dass diese Formulierung immer mehr gebraucht wird macht sie nicht richtiger, sonst könnten wir auch "einzigster" in den Duden aufnehmen.

Einen lieben und ratlosen Gruß, sim

 

Hallo sim!

Ich habe darüber nachgedacht, den Text unter Seltsam zu posten, war dann aber der Meinung, dass er unter Gesellschaft etwas passender ist.
Wie du richtig erkannt hast, wollte ich das schwere Alkoholproblem des Prots herausstellen.
Der Traum ist Sinnbild dafür, dass er nicht mehr weiß, ob etwas tatsächlich geschehen ist, oder nicht. Daher fragt er sich, ob ihm dieses Mädchen im Wald wirklich begegnet ist, und ob er sie vielleicht vergewaltig und ermordet hat. Durch seinen betrunkenen Dauerzustand ist es ihm unmöglich, Realität und Traumgedanken voneinander zu unterscheiden.
Möglicherweise kommt das aber auch nicht richtig raus.
Vielen Dank jedenfalls für deinen Kommentar.

Das "Alles" ergibt jetzt übrigens einen Sinn.

Viele Grüße

Cerberus

 

Hi Cerberus,

jou, der Text verwirrt. Als Leser kann man sich echt gut mit dem Protagonisten identifizieren, weil es dem ja genauso geht :D - ich halte das für einen tollen Kunstgriff.

Andererseits fand ich das als Leser natürlich schade, nicht mehr zu wissen als der Prot und genauso wie er nur rätseln zu können... aber ändere das nicht, sonst wär der Kunstgriff dahin.

Stilistisch sauber gearbeitet hast du die textimmanente Spannung den ganzen Plot durch aufrecht erhalten können. Also eine gute und gut lesbare Erzählung - was will man mehr?

Schönen Gruß,

Anea

 

Hallo Cerberus,

mir hat deine Geschichte gefallen.

Mir war auch klar, dass du mit dem wiederkehrenden Traum darstellen wolltest, dass dein Prot. nicht mehr weiß, was Wirklichkeit oder Traum ist. Der Leser weiß es auch nicht.
Angesichts des Endes tendiere ich dazu zu glauben, dass er tatsächlich jemandem etwas angetan hat... aber wissen kann man es nicht. Er könnte sich auch an einer Bierflasche oder so geschnitten haben...

Die Figur des Frank fand ich etwas verwirrend. Fast glaube ich, dass es diesen Frank gar nicht gibt und er so etwas wie der imaginäre Freund deines Prot. ist.

LG
Bella

 

Hi Cerberus,
zuerst hat mir deine Geschichte gar nicht gefallen, bis sich der Kreis am Ende der story wieder schloss und Frank zur ersten Frage jeden Morgens mutierte...
Diese Wendung hat mir gefallen und rettete deine Kg vor dem Durchschnitt, denn ein druch Alkohol verwirrter Mann ist nicht wirklich aufregend, außer es handelt sich um mich ;) *g*
Ich finde, du könntest die Geschichte an einigen Stellen kürzen, z.B. wo dein Prot über die Wiese läuft mit dem spritzenden Schlamm.
So, hier noch ein paar Kleinigkeiten:

Noch einige weitere Male atmete ich tief, und langsam ein, dann genauso gleichmäßig wieder aus

also er atmet mehrmals ein und dann erst aus??? (ok, ich gebs zu. Das ist Haarspalterei ;) )

Ich verfluchte mich dafür, nicht meine Jacke angezogen zu haben, in der ich immer die Tabletten gegen Sodbrennen bunkere

Ich würde hier keinen Tempuswechsel vornehmen - bunkerte

Ich würde sie zu einem Tanz auffordern. Ein Tanz, nur zu der Melodie des Geldspielautomatens.

Da ist wohl ein s zuviel am Automaten

Plötzlich war mir der fette Kerl gar nicht mehr so unsymphatisch

unsympathisch

hmm, ich glaub, mehr ist mir nicht aufgefallen. Und daher: Ein Lob an den Autor, auch wenn man es hätte besser machen können :Pfeif:

Liebe Grüße...
morti

 
Zuletzt bearbeitet:

Wortlos gingen wir aneinander vorbei, doch meine ich, sie später noch kichern gehört zu haben.

Na das ob das im "echten Leben" wirklich ein Kichern war?

Hallo Cerberus,

dass du den Leser ebenso verwirrst wie den Trinker ist geschickt und bringt einen näher an diese Person heran, die nicht mehr weiß, was gestern war und morgen sein wird. Woher stammt das Blut auf seinem Hemd am Ende? Aus seiner Nase? Von einem Mädchen? Man ist genauso ratlos darüber wie er selbst.

Dieser Text hat mir nicht "gefallen" in dem Sinne, dass ich ihn schön fand, aber er hat mich zum Nachdenken gebracht. Das ist wahrscheinlich auch was du mit ihm bezwecken wolltest.

Gruß
MisterSeaman

 

Hallo Cerberus,

nein, schön ist deine Geschichte wahrlich nicht. Aber ungemein faszinierend. Mich hat es sehr beeindruckt, wie du es schaffst, herüberzubringen, dass dein Prot erst durch Alkoholgenuss so langsam wieder "klar" wird. In dem Maße, wie er sich selber erinnert, zeigt sich sein Zustand dem Leser.

Den Traum hätte ich allerdings ohne dein Erklärung glaube ich nicht einordnen können...
Hm, kann man bei einer solchen Geschichte sagen, das sie einem gefällt? Wahrscheinlich nicht. Aber sie hat mich beeindruckt. :thumbsup:

Liebe Grüße,

Ronja

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Cerberus!

Sicher eine grausame Sache, wenn man solche Aussetzer in Verbindung mit diesen Träumen hat. Die Geschichte hat mir gut gefallen! :)

Auch die Tatsache, daß für den Leser offen bleibt, was nun wirklich geschehen ist, gefällt mir gut, das läßt Platz für eigene Phantasie(n), ohne zu viel offen zu lassen.
Ich persönlich tendiere ja dazu, daß er nichts gemacht hat, wozu mich auch diese Stelle bringt…

Für einen Augenblick ging mir der irrationale Gedanke durch den Kopf, dass mein Chef gehört haben könnte, mit welcher Lautstärke ich den Hörer auf die Gabel geschmettert hatte.
Was mochten sie im Büro jetzt über mich reden?
…denn der Mann scheint ganz allgemein von schlechtem Gewissen geplagt zu sein. ;)
Allerdings ist da dieses Hemd… Hmm…

Interessant ist die Frage: »Kann es möglich sein, die eigene Identität zu verlieren?« – Nicht auf Dauer, aber auf den Moment bezogen, wäre die Antwort, diesem Artikel nach zu schließen, eigentlich ja. Diese Art von Bewußtseinsausfall kann allerdings auch ohne Alkohol oder Drogen stattfinden, es braucht nur den richtigen Auslöser.
Du sprichst aber nicht von Bewußtsein, sondern von Identität – da müßte man erst einmal fragen: Was gehört zur eigenen Identität? Wirklich nur Bewußtes? :susp: Kann ich mein Unterbewußtsein von mir trennen?

Stilistisch finde ich die Sätze teilweise zu glatt formuliert, für die Verwirrung, die Du ausdrücken möchtest. Aber das nur so nebenbei, lesen ließ es sich jedenfalls gut.

Ansonsten noch ein paar kleine Anmerkungen:

»In meinem Traum begegnete ich einem jungen Mädchen, das keine Kleider trug.«
– das ginge kürzer/einfacher: einem jungen Mädchen ohne Kleider

»Vorher musterte ich meine Hände, die grobschlächtigen Pranken, die so gar nicht zu meiner hageren Gestalt passen.«
– hier könntest Du seine Unsicherheit noch ein bisschen andeuten, z.B.: »Vorher musterte ich meine Hände. Sie kamen mir plötzlich vor, wie riesige, grobschlächtige Pranken, die so gar nicht zu meiner hageren Gestalt passen wollten.« Außerdem kannst Du auf diese Art den Tempuswechsel vermeiden, da sie ihm nur zu diesem Zeitpunkt so vorkommen, es aber nicht unbedingt tatsächlich sein müssen.

»Ich tat ein paar Schritte aus der Wohnung und lukte über das Geländer nach unten.«
– lugte

»"Nein, es geht wirklich nicht...ja, wieder diese Kopfschmerzen...ich weiß,«
– vor und nach diesen drei Punkten gehört jeweils eine Leertaste

»Noch einige weitere Male atmete ich tief, und langsam ein, dann genauso gleichmäßig wieder aus.«
– nach »tief« gehört jedenfalls kein Beistrich (= Komma), ansonsten würde ich so umformulieren: atmete ich tief und langsam ein und genauso gleichmäßig wieder aus.

»Warum, dass wusste ich nicht.«
– das

»Schmutz spritzte zu den Seiten hoch.«
– statt »zu den Seiten« schlage ich »seitlich« vor

»als hänge sein Leben davon ab.«
– als hinge

»Das Gepiepse dieses Dings machte mich halb wahnsinnig.«
– »Dings« klingt hier komisch, wäre für »dieses Apparates« oder »dieses Gerätes«

»Die Kellnerin stellte die beiden Gläser vor mich hin,

Schnell kam sie auf mich zu, und stellte meine Bestellung vor mich hin.«
– würde einmal eine andere Formulierung verwenden, z.B. »stellte … vor mir ab/auf den Tisch«, »servierte mir …«, …

»Ein Tanz, nur zu der Melodie des Geldspielautomatens.«
– des Geldspielautomaten

Liebe Grüße,
Susi :)

 

Hallo Cerberus!

Auch mich hat Deine Geschichte fasziniert. Besonders gelungen finde ich den Kreisschluss zum Ende. Gut dargestellt hast Du die Abhänigkeit vom Alk, um wenigestens einen klaren Gedanken zu fassen. Auch die Parallele zu dem Spieler, der ihn so nervt, ist gelungen. "Schön" zum Lesen kann man wirklich nicht sagen, aber erschreckend fesselnd. Du lässt den Leser nicht raus, wie auch der Protagonist nicht rauskann. ME eine gelungene Geschichte.
Die Träume lassen Raum für Spekulationen, ich bin nicht sicher, glaube aber eigentlich nicht, dass sie in der Intensität, wie sie sich andeuten (Mord oder ähnliches) real sind - ich sehe sie eher als Symbole dafür, wie er in seiner Realitätsferne und seiner Trinkerrei Menschen und sich selbst verletzt.

Kleinigkeit noch:

"Nein, es geht wirklich nicht...ja, wieder diese Kopfschmerzen...ich weiß, es tut mir ja auch Leid...natürlich werde ich zum Arzt gehen...die liegen bei mir auf dem Schreibtisch...hören Sie, bitte, es geht mir nicht besonders...ja, mache ich...vielen Dank...bis Montag."
soweit ich weiß ... kommt vor und nach den ... Punkten je ein Leerzeichen. ;)

schöne Grüße
Anne

 

Holla Sombreros!

Mann, an diesen Text hatte ich gar nicht mehr gedacht. Ich sollte mal wieder die E-Mail Erinnerung aktivieren.

@Anea

Vielen Dank für deinen positiven Kommentar.

@Bella

Die Figur des Frank fand ich etwas verwirrend. Fast glaube ich, dass es diesen Frank gar nicht gibt und er so etwas wie der imaginäre Freund deines Prot. ist.

Es gibt ihn schon, er ist allerdings bloß eine flüchtige Bekanntschaft, der der Prot im Suff ab und an mal begegnet.

@morti

denn ein druch Alkohol verwirrter Mann ist nicht wirklich aufregend, außer es handelt sich um mich

:D

Ich finde, du könntest die Geschichte an einigen Stellen kürzen, z.B. wo dein Prot über die Wiese läuft mit dem spritzenden Schlamm.

Ich weiß...Kill your Darlings. Aber das ist wohl die einzige ungeschriebene Regel, mit der ich mich nie werde anfreunden können. Ich hasse es einfach, meine Geschichten zu kürzen. Die erwähnte Szene ist für die Geschichte zwar eigentlich nicht wichtig, aber ich liebe es, ab und an auch unwichtige Details zu erwähnen, um die Atmosphäre zu steigern. Ich nehme mir da ein Beispiel an petdays, die es in ihren Geschichten schafft, unwichtige und wichtige Details in einem Atemzug zu nennen, und den Leser so zu verwirren. Finde ich persönlich toll.

Des weiteren vielen Dank für die Rechtschreibanmerkungen.

@MisterSeaman

Na das ob das im "echten Leben" wirklich ein Kichern war?

Wenn denn im echten Leben tatsächlich etwas passiert ist. Ich selbst habe mir die Frage übrigens auch nicht beantwortet, da ich es voll und ganz dem Leser überlassen wollte, darüber nachzudenken, ob der Prot. ein Verbrechen begangen hat, oder nicht.

dass du den Leser ebenso verwirrst wie den Trinker ist geschickt und bringt einen näher an diese Person heran, die nicht mehr weiß, was gestern war und morgen sein wird.

Ich finde diesen Gedanken eines "Dauerblackouts" sehr faszinierend. Vor Ewigkeiten habe ich einer alten Horroranthologie, die ich auf dem Dachboden gefunden hatte, eine Geschichte gelesen, in der es um eine Party geht. Der Prot der Geschichte ist absoluter "Antialkoholiker", und als man ihn fragt, warum er nichts trinkt, beginnt er seine Geschichte davon zu erzählen, wieviel er gesoffen hat, und es geht um Regierungsverschwörungen und Außerirdische. Das interessante ist aber, dass er sich selbst nicht mehr sicher ist, ob er dies alles wirklich erlebt hat, oder ob er es sich bloß eingebildet hat.

Woher stammt das Blut auf seinem Hemd am Ende? Aus seiner Nase?

Yepp. Ich erwähne kurz, dass er sich irgendwann vor dem Bistro wiederfindet und seine Nase blutet. Er hat ja kein Geld bei sich gehabt und als er die Kellnerin angepöbelt hat, ist vermutlich der Besitzer dazwischen gekommen.

@Felsenkatze

Auch dir vielen Dank für deinen Kommentar.

@Häferl

Ich persönlich tendiere ja dazu, daß er nichts gemacht hat, wozu mich auch diese Stelle bringt…

Wie gesagt...ich habe für mich selbst nicht überlegt, ob er nun etwas gemacht hat, oder nicht, weil ich ansonsten vermutlich zu konkrete Hinweise in den Text eingebaut hätte. Mein Ziel war es, dass der Leser für sich selbst überlegt, was gewesen, oder nicht gewesen sein könnte.

Danke für die Detailanmerkung.
Den verlinkten Artikel werde ich mir noch durchlesen.

@Maus

Auch die Parallele zu dem Spieler, der ihn so nervt, ist gelungen. "Schön" zum Lesen kann man wirklich nicht sagen, aber erschreckend fesselnd.

Das fasse ich als großes Kompliment auf. Ich bemühe mich immer darum, den Leser vielmehr zu fesseln, als "lediglich" zu unterhalten.

soweit ich weiß ... kommt vor und nach den ... Punkten je ein Leerzeichen.

Das wusste ich nicht. Man lernt immer was dazu.


Euch allen vielen Dank fürs lesen und kommentieren!

Grüße

Cerberus

 

Hallo cerberus,

Diese Geschichte hätte ich auch unter Seltsam eingeordnet, weil es mir schwer fällt den gesellschaftlichen Aspekt zu sehen. Du beschreibst zwar das Alkoholproblem, aber meiner Meinung nach ist das Surreale Element hauptsächlich der Träger des Gedankens. Den Alkoholismus sehe ich nur als Krücke, um das Surreale besser verständlich zu machen.
Ich sehe den Protagonisten als jemanden in der Krise. Er ist ein Mensch, der im Alltag nicht zurecht kommt. Der Realitätsverlust ist wirklich, der Prot verliert sich in Träume, die zu seiner Wirklichkeit werden. Er kann den Unterschied nicht ausmachen, weiß nicht was ist wahr oder Traum. Man könnte meinen, erlebt eine Art Wahnsinn, der ihn ängstigt, weil er vergisst, was er wo erlebt hat. Seine Fantasie lässt ihn denken, er habe eine Frau umgebracht, tatsächlich ist aber sein Blut auf dem Hemd von der Schlägerei und aus seiner Nase. ;)

Ich finde die Geschichte fesselt und hat ihren eigenen Reiz.
Danke fürs Lesevergnügen

Goldene Dame

 

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