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Wie es ist
Ich liebe die Nacht, besonders wenn es wieder wärmer wird draußen.
Ich sitze an meinem Tisch, die Balkontür steht offen und der leichte Vorhang bewegt sich sanft im Wind. Auf dem Tisch steht ein Leuchter mit fünf Kerzen, welche ab und zu flackern. Daneben eine Flasche Wein und mein Glas. Im Radio laufen Jazz- und Swingmelodien. "Bei Dir war es immer so schön", "Zwei in einer großen Stadt"... Ich habe schöne Gedanken. Meine Frau und ich würden tanzen. Ich bekomme Sehnsucht und trete hinaus auf den Balkon. Die Bäume im Garten sind herrlich gewachsen, ihr Laub rauscht im Nachtwind. Eine Laterne wirft ein gelbes, angenehmes Licht auf das grüne Gras und einen kleinen Steinweg. Ich blicke nach oben in den schwarzen Nachthimmel. Der Vollmond ist groß und hell, Sterne sind zu sehen und wenn ich länger hinsehe auch die Milchstraße. Ein helles Mädchenlachen läßt mich wieder hinunter auf den Weg blicken. Da gehen zwei hübsche Freundinnen, welche offenbar über etwas erheitert sind. Ich gehe zurück ins Zimmer, ziehe mir eine leichte Jacke über und verlasse die Wohnung.
Im Treppenhaus stinkt es nach kaltem Zigarettenqualm und nach Essen. Die jugoslawische Freundin des Alkoholikers unter mir hat wieder irgendwas scharf angebraten, mit Zwiebeln. Ich reisse die Fenster auf, die eine Treppe tiefer auch. Allerdings ist der Effekt nur von kurzer Dauer, der Gestank kehrt sofort wieder zurück wenn man die Fenster schließt. Die alte, neugierige Dame von nebenan wird sie schon nach kurzer Zeit schließen, sie behauptet, es kühle ihre Wohnung aus, wenn im Treppenhaus die Fenster offen stehen. Sie bekommt mit, daß ich die Wohnung verlassen habe (so wie sie alles mitbekommt), da der Sinn ihres Lebens darin besteht, die Nachbarschaft auszuhorchen, Tag und Nacht. Bevor sie mich ansprechen kann bin ich jedoch eine Treppe tiefer. Ich bin schneller geworden. Der verwahrloste Mann neben dem Alkoholiker schläft in seinem eigenen Müll. Aus seiner Wohnung dringt ein fauliger Schweissgeruch. Man wird die Räume wohl komplett entkernen müßen oder mit einem Flammenwerfer ausbrennen, sollte er einmal ausziehen.
Draußen umweht mich eine laue Brise, die mir Gänsehaut verursacht. Ich atme tief ein und gehe den Weg entlang. Links und rechts auf den Rasenflächen liegt Müll. Hauptsächlich Verpackungen von Chips, Keksriegeln und McDonalds welche Jugendliche neben die nahestehenden Mülleimer schmeissen. Es war ihnen wohl zu mühsam, zwei Meter weiter zu gehen. Dazwischen massenweise Kippen und leere Alkohol-Flaschen. Auf dem Weg allenthalben ausgespuckte Kaugummis. Am Ende des Weges stelle ich fest, daß man die beiden schönen alten Bäume hier grausam beschnitten hat. Sie sind vermutlich falsch gewachsen. Entlang der ehemaligen Allee, jetzt eine breite Teer-Straße, zu welcher der Weg führt, hat man bereits vor Jahren die gesamten Bäume gefällt. Sie störten. Jetzt stehen hier Autos. Autos gibts viele. Sie rasen durch die Stadt, ein lautes Wummern kommt aus vieler Innernem, oder suchen nach Parkraum.
Ich schlendere die Straße entlang. Gegenüber ist eine Bushaltestelle.
Auf der Lehne der Bank sitzen ein paar Gestalten, daß Geschlecht durch viel zu weite Hosen und Kapuzenjacken unkenntlich gemacht, die Sportschuhe auf der Sitzfläche. Sie rauchen eine Haschischzigarette. Jeder der einen Zug nahm spukt anschließend auf den Boden. Da ich stehenblieb werden sie meiner Gewahr. Einer ruft plötzlich "Hasch Du Problem?" Ich reagiere nicht. Sie bleiben auf der Bank und spuken weiter. Die beiden Mädchen, welche ich vorhin von meinem Balkon aus sah, waren zwischenzeitlich den Weg zurückgegangen und befanden sich nun dicht hinter mir. Sie warfen mir verstohlenen Blicke zu, ich blickte zurück und lächelte. "Ey, Schlampe" kam es von der Bushaltestelle. Die Mädchen blieben stehen und blickten hinüber. "Hey ficken, oder was?" Die Mädchen guckten noch angestrenger zu den Gestalten. Dann sagte eine "Der eine ist doch Sali" und "Hey, was geht". Sie liefen dann über die Straße, offensichtlich erfreut. Ich ging weiter. Eine ältere Dame kam mir entgegen. Sie blieb plötzlich stehen und schaute ängstlich in meine Richtung. Als ich mich ihr zügig näherte ging sie noch zwei Schritte nach links, zwischen die parkenden Autos. Ich grüßte und ging vorbei.
Unter einer häßlichen Brücke welche mitten durch und über die alte Stadt führt befindet sich eine Tankstelle. Getankt wird hier weniger Benzin als vielmehr Hochprozentiges. Mindestens zwanzig verwahrloste Männer und auch Frauen, abgemagert, das Haar fettig, gammeln unter der Brücke herum. Sie trinken Bier und Schnaps aus Flaschen. Ihre Bewegungen sind langsam und krankhaft. Ein paar können noch sprechen, allerdings ebenfalls sehr langsam. Andere bringen nur noch stammelnde Laute heraus.
Meinen Weg kreuzen nun immer mehr Menschen. Sie sind überwiegend jung und gehen zu zweit oder in kleinen Gruppen. Gelacht wird wenig, gegrüßt garnicht. Viele sind damit beschäftigt, die Tasten ihres Mobiltelefons zu drücken. Cafes und Bars welche dichtgedrängt an der Straße liegen sind zum Bersten gefüllt. Drinnen lacht auch niemand richtig, sie schauen auf ihre Telefone. Vor vielen Lokalen stehen große, muskulöse Männer die manche hereinlassen, andere nicht. An einem Platz befindet sich links ein amerikanisches Schnellrestaurant, daneben ein türkisches. In der Runde folgt eine Bier-Kneipe, noch zwei Dönerbuden, eine Szenebar und ein Kebaphaus, eine Spielhalle und noch ein Restaurant mit Döner. Ich höre wie eine Blondine herzhaft in ihren Döner beisst und mit vollem Mund sagt. "Pinar isch geilster Döner in der Stadt". Ich widerstehe der kulinarischen Verlockung und biege rechts ab. Ein enferntes Wummern wird lauter, je weiter ich geradeaus gehe.
Leute stehen in einer langen Reihe bis zum Eingang eines Kellers. Aus dem Inneren kommen laute Geräusche. Davor ebenfalls kräftige Männer welche die Wartenden mustern. Ich stelle mich an. Die Schlange rückt langsam Richtung Eingang. Vor mir drei Jungs. Die Muskelmänner vor der Türe haben sie bereits im Auge als sie noch nicht unmittelbar vor ihnen stehen. Ich höre zu: "Jungs, zu dritt?" "Sorry, wenn ihr Frauen dabeihättet..." "Unsere Freunde sind schon drin, lasst mich nur kurz rein damit ich ihnen bescheid sagen kann" "Ok, einer" Er kommt zurück, die Männer nochmals bittend, es hilft nicht "Vielleicht geht später noch was" "Nächstesmal einfach früher da sein" und auf mich gerichtet: "Gehört der zu euch?" Ich verneine und darf hinein.
Innen ist es stickig, eng und ohrenbetäubend laut. Ich hole mir ein Glas Wasser-Limonaden-Gemisch mit Alkohol. Zehn Euro. Wechselgeld gibts nicht. Durch einen Ellenbogenstoß verschütte ich die Hälfte es Glasinhaltes über meine Jacke. Eine schweissnasse Hand auf meiner Schulter gehört dem Rempler. "Sorry". In der Mitte des Kellers zucken einige Leute mit ihren Körpern, jeder für sich alleine. Die Mädchen sind hübsch, ich lehne mich an die Wand und lasse meine Blicke schweifen. An mir vorbei drängen sich ständig Menschen. Eine Süße bleibt stehen und sagt irgendwas. ich sehe nur Mundbewegungen. Da ich nicht von den Lippen lesen kann beuge ich meinen Kopf ganz nah an ihr Ohr "Ich habe Dich nicht verstanden, tut mir leid". Durch meine Beobachtungen weiß ich, daß man sich hier ständig anfasst, während man kommuniziert, bei Jungs hauptsächlich im Nacken oder an der Schulter, bei Mädchen am Schulterblatt oder an der Hüfte. "Ob Du Kippen hast", ich verneine. Sie geht weiter. Ich trinke aus und verlasse den Keller. Nichts in dieser nächtlichen Stadt kann mich zum Verweilen einladen. Zügig gehe ich die Straße geradeaus, zurück nach Hause. Links von mir Geschrei und Lärm, Jugendliche treten auf einen öffentlichen Metall-Mülleimer ein bis er krumm wird und seinen Inhalt verliert. Ich fühle mich unwohl.