Wie ich die Zettel entdeckte
„Ich komme heute später“, steht auf einem kleinen weißen Stück Papier, das dort auf dem staubigen Fußboden liegt. Daneben liegt ein Zweites und ein Drittes. „Geh bitte einkaufen“ und „Nicole anrufen“ sind ihre Botschaften. Ich betrachte sie lange, versuche die Aufgaben in meinen normalen Arbeitstag einzubauen und gehe ins Bad. Auf der Toilette denke ich erneut an die Zettel auf dem Boden. Ist das in unser Beziehung übrig geblieben?, geht es mir blitzartig durch den Kopf. Die Zettel, die stummen Anweisungen. Der Knecht, ohne Möglichkeit zur Antwort. Schnell gegriffen, mit einem Kugelschreiber ähnlichen Gegenstand draufgekritzelt und die Botschaft wartet darauf, gelesen gleichwohl bearbeitet zu werden. Beziehungskommunikation auf einem Format von 5 mal 5 Zentimetern. Der Erfinder der Post Its, Spencer Silver, wird sich 1968 sicherlich noch keine Gedanken gemacht haben, welche Wirkung seine Erfindung auf die Menschheit haben kann. In meiner Welt stehen diese kleinen Papierfetzen für ein Kommunikationsmittel zwischen zwei Menschen, das wirklich funktioniert. Doch fangen wir die Geschichte von vorne an.
Wir, das sind in diesem Fall meine Freundin und ich, sind vor drei Jahren nach Leipzig gezogen. Unsere Beziehung begann wahrscheinlich wie jede andere herzliche Übereinkunft zweier Menschen mit viel Liebe, Zeit füreinander sowie Gesprächen zur jeder Zeit und an jedem Ort. Themen aus einer Palette von „Was machst du morgen?“ bis „In meinen Socken ist ein Loch, was nun?“ Drei Jahre später hat sich vieles verändert. Meine Freundin verlässt am frühen Morgen das Haus, geht zur Arbeit, zur Physiotherapie und zum Training. Und das an jedem Tag der Woche. Sie gehört nicht zu der Sorte von Frauen, die am Morgen extra laut sind, um die Ungerechtigkeit unterschiedlicher Weckzeiten auszugleichen. Wenn mein Wecker gegen acht Uhr dann die Stille verreist, ist sie längst weg. Auf meinem kurzen Weg zum Badezimmer überfallen sie mich dann. Sie liegen auf dem Boden, kleben an der Wand, hängen am Spiegel, baumeln an der Tür oder grinsen mich vom Tisch her an. Diese kleinen weißen Zettel. Anfangs störten sie mich noch. Sie enthielten oft Arbeitsaufgaben oder lästige Erinnerungen. Doch seit einigen Wochen freue ich mich auf jede Nachricht im Format 5 mal 5.
Wer jetzt denkt, das ist irgendwie armselig, den möge ich noch einmal auf unsere Situation hinweisen. Nun, was würden Sie tun, wenn Sie in Ihren Partner nur noch am späten Abend im Bett antreffen? Schlafen andere Pärchen verliebt in der Löffelstellung ein, heißt es bei uns: leise schleichen und noch leiser hinlegen. Ich versuche manchmal etwas lauter zu sein, damit meine Freundin kurz aufwacht, sich freut und mir noch einen Kuss schenkt. Passiert dies nicht, denke ich einige Minuten an Spencer Silver und seine Erfindung. Ich frage mich, welche Botschaft mich wohl am nächsten Morgen erwartet.
Wir haben sein Post-It-System mittlerweile auf unsere Bedürfnisse angepasst. Jeden Tag einen neuen Zettel schreiben, entfällt bei uns. Die most-used-Anweisungen habe ich am Computer zusammengestellt, ausgedruckt und an einer Magnettafel im Flur befestigt. Zusammen mit einigen netten Füllworten, damit die sprichwörtliche Liebe nicht zu kurz kommt. Das Resultat von einigen Bastelstunden liegt nun jeden Morgen auf dem Boden im Flur. Noch völlig verschlafen, ersetzen drei verstaubte Zettel ein: „Guten Morgen Schatz, ich hoffe du hast gut geschlafen. Kannst du nachher bitte Einkaufen gehen. Ich schaff es nicht mehr und wir brauchen noch Äpfel. Das wäre ganz lieb von dir.“ Komme später / Äpfel kaufen / Kuss!!!Auf den Punkt gebracht, werden Sie jetzt denken.