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Wie immer
Die Zeiger meiner Uhr bewegen sich nur langsam vorwärts. Ich warte seit genau vierundzwanzig Minuten und acht Sekunden. In kurzer Zeit müsstest du auftauchen. Du hältst unseren Zeitplan immer perfekt ein.
Das musst du ja auch. Keiner darf merken, wenn wir uns treffen. Du sagst immer, es bleibt unser kleines Geheimnis. Unser kleines, schmutziges Geheimnis. Niemand soll sich in unsere Beziehung einmischen.
Anscheinend hältst du mich für dumm. Ich weiß, weshalb wir uns nur sehen, wenn wir davon ausgehen können, unbeobachtet zu sein. Meistens in dem schützenden Mantel der Dunkelheit.
Fast immer bringst du mir Rosen. Eigentlich hasse ich dieses so genannte romantische Gewächs. Steche mich an den verräterischen Dornen, die das Blut über meine Fingerknöchel fließen lassen.
Du möchtest mich ablenken. Ich lasse es dich nicht erkennen, aber ich weiß, dass du mir nur diese Aufmerksamkeiten schenkst, damit ich nicht misstrauisch werde.
Doch ich bin nicht misstrauisch. Es ist nicht, dass ich es nicht glaube, dass du mich liebst. Ich weiß es.
Ich weiß, weshalb du dich von mir angezogen fühlst. Du bist ein schöner Mann, so schön wie ein Filmstar. Deine Schultern sind breit und dein Lächeln strahlt voller weißer Zähne.
Und es gefällt mir, wenn wir uns treffen. Auch wenn ich die Wahrheit in deinen Augen sehe, gefällt es mir. Die Wahrheit schmerzt nicht, weil ich alles von Beginn an wusste.
Du weißt es bis jetzt nicht, aber ich.
Die Türglocke schellt, es ist jetzt ein paar Sekunden nach elf Uhr. Pünktlich, was nicht anders von dir zu erwarten war.
Ich gehe langsam zur Tür. Meine Jeans erzeugen ein schleifendes Geräusch auf dem gefliesten Boden.
Als ich die Tür öffne stehst du vor mir, dein glänzendes, schwarzes Haar perfekt gestylt. Deine Kleidung ohne Flecken, keine Falten wo keine hingehören.
Ein Lächeln, erstreckt sich über dein Gesicht. Ich weiß, dass es ernst gemeint ist. Es freut dich, mich zu sehen, ich lese es in deinen Augen.
In deinen Händen hältst du, welch eine Überraschung, ein Dutzend rote Rosen. Und wie immer, welch eine Überraschung, versichere ich dir meine Freude darüber. Mein Inneres versucht auszubrechen, schlägt gegen die Glaswände. Schreit über die abgedroschenen Blumen. Hasst sie.
Doch du merkst von alledem nichts. Wie immer.
Während ich die Blumen in eine Vase stelle, legst du von hinten deine Arme um mich. Ich spüre deinen Herzschlag, er wird schneller. Meiner hingegen bleibt konstant langsam. Gleichmäßig.
Der Seufzer bahnt sich den Weg über meine Lippen, ich kann es nicht verhindern, dass er die Mauer durchschlägt und ausbricht. Doch, wie zu erwarten war, merkst du es nicht. Dein Druck wird nur stärker. Dein Puls schneller.
Ein seltsames Paar müssen wir für den unsichtbaren dritten Beobachter abgeben. Ein schöner Mann wie du umarmt eine hässliche Frau wie mich. Und ich weiß, dass ich hässlich bin. Deine gegaukelte Liebe nimmt mir dieses Wissen nicht. Trübt nicht meine Gedanken.
Anfangs habe ich mich gefragt, weshalb du dich für mich interessierst. Nach einigen Überlegungen, habe ich den Grund herausgefunden.
Schönheit gibt dir nicht das, was du brauchst. Du findest sie bei dir im Überfluss, du triefst praktisch davon. In deiner Gegenwart wirkt jeder andere Mensch hässlich.
Du suchst den Gegensatz. Das Hässliche lässt dich deine Überlegenheit erkennen. Vielleicht ist das nicht genau dein Gedanke, vielleicht denkst du tatsächlich, dass du mich liebst.
Deine Hände gleiten zärtlich über meine Haut und ich lasse es zu. Mein Körper sehnt sich danach, weiß nicht das, was meine Seele, meine Gedanken wissen.
Ich werde dich nicht verlassen. Du wirst es tun. Irgendwann wirst du gehen, jemanden treffen, der meine Hässlichkeit noch übertrifft. Dann wirst du mich alleine, mich wieder jeden Tag denselben Dingen nachgehen lassen, die ich vor deinem Auftritt in meinem Leben tat.
Doch bis dahin, wirst du jeden Abend zur selben Zeit vor meiner Tür stehen und einen Strauß Rosen bei dir haben.
Und ich werde sie mit gespielter Freude annehmen.
© Tamira Samir