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Willmann
Willmann
Willmann bekommt natürlich so Einiges mit. In der Marketingabteilung des Konzerns wird er Step-by-Step an Managementaufgaben herangeführt. Im privaten Kreis gibt er sich gesprächig, tauscht sich aus, streut gerne mal ein, was er so mitbekommt, im Konzern.
Heute ist Freitag. Willmann hat noch keine konkreten Pläne für den Abend. Er ist der spontane Typ. Sehl hatte vor ein paar Tagen beiläufig etwas von seinem Abend bei Thiel erwähnt. Sehl und Thiel. Er war nicht näher darauf eingegangen, denn Nachfragen in solchen Situationen, das weiß Willmann aus Erfahrung, führen viel zu früh zu terminlichen Verpflichtungen. Willmann hält sich gern seine Optionen offen und übernimmt zum richtigen Zeitpunkt selber die Initiative. Das ist eine der Stärken in seinem Profil. Gegen Abend ruft er bei Thiel an. Dieser sei zuhause, mit Sehl, zum Warmwerden. Perfekt. Um sich fertig zu machen, braucht Willmann nicht lang. Nach wenigen Minuten ist er auf dem Weg zu Thiel.
Dort angekommen begrüßt man ihn sehr herzlich. Der Hausherr reicht ihm einen Gin-Tonic. Auf Thiels Fernseher läuft ein Film. Den kennt Willmann schon. Namen und Gesichter, auch in Filmen, kann er sich gut merken. Mila Jovovich und Bruce Willis in Luc Bessons Meisterwerk „Das 5. Element“. Franzose, der Besson. Solche Details sind bei Willmann parat, auch wenn sie sicherlich nicht in seinem beruflichen Fokus liegen. Eine Allgemeinbildung auch im Kulturellen wird in Zukunft neben den Hard Skills immer wichtiger werden. Auch im Privaten hinterlässt er Eindruck, immer mit der Gefahr, überheblich rüberzukommen. Aber Willmann weiß auch, dass seine Umgebung von solchen Informationen immer profitiert.
Nach einer Weile gibt Thiel in einem etwas herrischen Tonfall das Signal zum Aufbruch. Kein guter Stil, vom Motivationsstandpunkt aus gesehen, aber ihm soll’s recht sein. Man einigt sich auf eine Cocktailbar, bevor es weiter zum Tanzen geht. In der Bar ist es nett, Thiel hat zwei Zigarren mitgebracht. Eine Dritte bestellt er beim Barkeeper. „Na ja, schon wieder Zigarren, wie neulich erst in Stuttgart“, denkt Willmann. Erst vor einer Woche hatte sein Abteilungsleiter ihm während einer kurzen Geschäftsreise abends an der Hotelbar eine angeboten, ihm das Wesentliche erklärt: Wie zündet man richtig an, Herstellungsverfahren, die wichtigsten Herkunftsländer. Da gibt es einfach mehr, als so eben mal draufloszuqualmen.
Thiel
Thiel hat für sein junges Alter schon viel erreicht. Trotz seines beruflichen Erfolges als selbstständiger Unternehmensberater hat er vielschichtige Interessen. Zum Beispiel ist er Filmliebhaber. Sein geheimes Laster, Hollywood, lässt ihn einzelne Filme immer wieder anschauen. Er liest Kritiken und Interpretationen.
An besonderen Abenden lässt er seine Freunde am Erreichen teilhaben. Heute ist so ein Abend. Der Vertragsabschluss war gut, alles lief genau nach Plan. Zur Feier des Tages ist er sich mit Sehl verabredet, seinem Studienkollegen. Den Humidor hat er schon seit Tagen auf Klima gebracht. Im Laufe der Zeit hat er sich eine ganz hübsche Sammlung Zigarren zugelegt. Ausschließlich Cubaner, da nimmt er es genau. Heute wird noch was Feines angezündet. 2 Cohibas sind bereits anschnitten und in seinem Mantel verstaut. Torpedos, sein Lieblingsformat. Damit wird er Sehl nachher noch überraschen. So ein Abend lebt von seinen Steigerungen. Ein netter Plausch im Apartment, zunächst, anschließend rauf langsam Fahrt aufnehmen, schauen, wer später noch dazukommt. Vielleicht Willmann. Zuerst aber mal Ruhe, Abschalten. Gin Tonic, offener Kamin, dazu Videos auf Breitband. Als Untermalung ist ihm das wichtig, der Kontrast von Kamin und Video gefällt ihm. Das alles stoppt das Alltagsdenken und erzeugt eine Stimmung, in der man mal aus dem Hamsterrad treten kann.
Sehl taucht auf. Der Abend beginnt gediegen, die Gin Tonics werden gemixt. Es läuft „Das 5. Element“. Zugegeben, das ist Mainstream, aber dennoch liebenswert. Fast wie in alten Zeiten. Natürlich hat sich einiges verändert. Während er, Thiel, wegen seines geschäftlichen Erfolgs zwangsläufig mit immer neuen Ideen in Kontakt kommt, fehlt Sehl in seinem biederen Ingenieursjob ein wenig der Wind in den Segeln. Das macht sich auch in der Unterhaltung bemerkbar, ganz klar.
Thiels Telefon klingelt. „Ah, Willmann!“ Er blickt dabei mit fragendem Blick neben sich, zu Sehl. Beide wissen, dass es nicht ohne Risiko ist, Willmann zu früh dabeizuhaben. Einerseits: Willmann ist ein ausgewiesener Partymotor, immer für gut für ausgelassene Stimmung. Andererseits hat Willmann eine Art an sich, die den letzten Nerv rauben kann. Schnell beendet. Sehl hält für eine Sekunde inne und bestätigt dann mit kurzem Nicken. Willmann darf also mitkommen. Gute Idee, denkt Thiel, und überlegt kurz, wann Willmann zu ihnen stoßen könnte. Hierher kommen kann Willmann natürlich nicht. Zu früh. Ausgeschlossen. Er denkt dabei auch an Sehl. Thiels Überlegungen werden von Willmann unterbrochen. „... komme also gleich vorbei“, hört er ihn sagen. Zu spät, hier noch zu intervenieren, Willmann ist bei so etwas nicht aufzuhalten.
Zwanzig Minuten später steht Willmann mit freundlichem Lächeln vor der Tür. Kaum hat er auf dem freien Benz-Sofa platz genommen, sprudelt es aus ihm heraus: „Ah, das 5 Element, von Luc Besson. Ist Franzose, der Besson. Da spielt Bruce Willis mit und.. und Uma Thurman.“ Sekunden. „Nee“, verbessert er sich „Milowitch, ... Eva!“ und blättert dabei scheinbar immer noch in seinem inneren Lexikon „Mila - genau, Mila Jovovitch heißt die! Ein heißes Gerät. Spielt auch bei Dings mit, hier ...“ Mit einem Zug leert Thiel seinen Gin Tonic, steht auf und geht in die Küche. Danke. genau so sollte es nicht kommen. Zwei Sätze von Willmann und die schöne Planung ist dahin! „Eva Milowich“, denkt sich Thiel: „Eva Milowich!“ Er versucht sich zu beruhigen. Ohne Erfolg. Er beneidet Sehl. Wie der bei so einem Auftritt ruhig bleiben kann. Er braucht jetzt frische Luft. Und Ablenkung. Das ist immer noch sein Abend. „So Leute, austrinken! Ich will jetzt Mädels sehen! Gehen wir noch kurz ins Palo!“ Etwas behäbig trinken Sehl und Willmann aus. Auf dem Weg versucht Thiel sich zu entspannen. Ohne nennenswerten Erfolg.
Das Palo ist Thiels Wohnzimmer. Hier kann man gleichzeitig reden und nach den Mädels schauen. Auch die Drinks werden ganz passabel ausgeschenkt. Angekommen, setzen sie sich an freie Plätze an der Theke. Thiel liebt diese Thekenplätze. Sie einigen sich wieder Gin Tonic. Thiel schaut sich eine Weile um. Die Mädels sind heute hübsch anzuschauen. Wenigstens etwas. Ihre Drinks kommen. Immerhin, wenn sie es bis in die Disko schaffen, ist der Abend gerettet. Vielleicht entfaltet Willmann dort seine Qualitäten und es wird noch ganz lustig. „Der Willmann“, denkt Thiel und muss schmunzeln, „- eigentlich ein netter Kerl.“ Thiel atmet wieder durch. Er entschließt sich, seine Havannas doch noch rauszuholen. Und ordert für Willmann an der Bar einfach eine Dritte. Kein Problem, das Palo ist gut sortiert. Nachdem er sich seine Zigarre angezündet hat, greift Willmann sich sein Gasfeuerzeug: „Hier die Zigarre, die musst du erst mal vorher ein wenig in den Fingern rollen, und dann anzünden. Hab ich von einem Kollegen aus Stuttgart neulich, guck’ so. Was sind das eigentlich für welche? Sind das Cubanische? Oder aus der Dom Rep?“
Sehl
Gegen 16 Uhr klingelt Sehls Handy. Es ist Thiel, der mal wieder einen seiner „Erfolge“ feiern will. Sehl kann da nicht absagen, Thiel ist in so etwas unerbittlich. Thiel ist eigentlich ganz erträglich, aber bei seinen „bestimmten Anlässen“ macht er einen auf ganz dicke Hose. Seit Thiel geschäftlich etwas laufen hat, weiß Sehl, muss er sich stundenlang dessen wirtschaftsphilosophischen Offenbarungen anhören, bevor sie dann endlich unter Leute gehen.
4 Stunden später hockt er bei Thiel auf dessen Designercouch und fügt sich seinem Schicksal. Thiel inszeniert sich mit Kamin und Filmvorführung. Er kommt ihm endlos vor. Wie soll er das aushalten? Wie lang erträgt er die immer gleichen Beweihräucherungen eines Studienfreundes, der irgendwann abgehoben ist?
Als Thiels Telefon klingelt, merkt Sehl auf: Ob er doch noch angebissen hat? Im Fitnessstudio schien er ihm etwas unaufmerksam. Dabei war er bei seiner Ankündigung an die Grenze des Offensichtlichen gegangen. Noch einen Schritt weiter, und er würde sich bei Thiel auf ihn berufen können. Als Thiel sein Nicken einfordert, weiß Sehl: Er ist gerettet. Willmann. Er wird Thiel wieder zur Weißglut bringen. Ganz bestimmt.