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Winterwunderland
Die Hand am Wasserhahn, beobachtete er das einlaufende Wasser, wie es sich plätschernd mit dem restlichen Wasser vermischte und die Badewanne so immer mehr füllte. Er wartete einige Augenblicke, drehte den Hahn dann zu. Noch ein wenig Badesalz hinein, dann begann er sich voller Vorfreude auszuziehen. Er liebte es zu baden. Besonders jetzt, wo die Tage immer kälter wurden, konnte man so eine warme Wanne richtig genießen. Es machte Spaß, drinnen von warmem Wasser umgeben zu entspannen, während draußen Minusgrade herrschten. Da der Temperaturunterschied auf seiner Haut zunächst so stark war, stieg er nur langsam ins Wasser, ließ seiner Haut genug Zeit, sich an die Veränderung zu gewöhnen. Schließlich konnte er sich gemütlich zurück legen und die Gedanken schweifen lassen, während das angenehm temperierte Wasser seinen Körper umspielte.
Als er zwanzig Minuten später, nur ein Handtuch umgewickelt, das Bad verließ, traf er auf dem Flur seine Mutter. Diese sah ihn prüfend an.
„Hast du schon wieder gebadet, Lukas?“, erkundigte sie sich dann, wobei der vorwurfsvolle Tonfall kaum zu überhören war.
Lukas blieb stehen und nickte.
„Das verbraucht viel zu viel Wasser Junge, du solltest besser duschen. Heutzutage muss man sparsam mit Wasser umgehen.“
"Aber auf diese eine Badewanne kommt es jetzt auch nicht mehr an."
"Natürlich! Jeder Einzelne ist da wichtig. Ist das denn so schwer zu verstehen?"
Lukas schüttelte nachgebend den Kopf. „Nein, Mama.“
Also duschte Lukas am kommenden Tag. Und am Tag darauf. Und am Tag darauf. Als er am vierten Tag aufwachte, schneite es. Es musste die ganze Nacht geschneit haben, so hoch lag der Schnee. Begeistert sah er aus dem Küchenfenster. Eine beeindruckende Schneedecke hatte alles unter sich begraben.
„Hier ist dein Pausenbrot“, hörte er seine Mutter hinter sich sagen. Er drehte sich um, schnappte sich das Brot, packte es in seinen Ranzen und machte sich dann auf den Weg zur Schule. Überall waren Leute vor ihren Haustüren mit Schneeschieben beschäftigt. An den wenigen Stellen, wo der Schnee noch nicht weggeräumt war, ging Lukas ganz langsam und horchte genau auf das charakteristisch knackende Geräusch, das der Schnee machte, wenn er darauf trat, und welches ihm eine kindische Freude bereitete. Irgendwann führte ihn sein Schulweg durch das Neubaugebiet, vorbei an einer großen, zugeschneiten Wiese, die sich auf der noch unbebauten Seite der Straße befand. Er hielt inne, um den Anblick zu genießen. Die ihn umgebende Kälte war gleich viel deutlicher zu spüren, als er stehen blieb. Dennoch setzte er seinen Weg nicht gleich fort. Regungslos stand er da und ließ den Blick geduldig über die Wiese schweifen. Da noch niemand darauf herumgelaufen war, lag der Schnee unberührt vor ihm. Lukas beobachtete fasziniert, wie die dicken Schneeflocken vom Himmel fielen und am Boden mit dem schon vorhandenen Schnee verschmolzen. Was für ein Anblick. Er kam sich vor wie ein Forscher, der ein Gebiet entdeckt hatte, das noch niemand vor ihm betreten hatte. Sollte er nun als erster darauf herumlaufen? Die schneebedeckte Wiese erforschen und sich durch seine Fußstapfen darauf verewigen? Er dachte einen Moment darüber nach. Aber das würde die schöne, perfekte Schneedecke zerstören. Also entschied er, die Schneedecke so unberührt zu lassen, wie sie war, und setzte seinen Weg fort.
Es war früher Nachmittag, als Lukas Schule aus hatte und sich auf den Heimweg machte. Es dauerte nicht lange, da kam er wieder an der Wiese gegenüber des Neubaugebietes vorbei. Doch der Anblick hatte sich verändert. Überall waren Fuß- und Kufenspuren von Schlitten zu sehen. Der Schnee war keineswegs mehr so gleichmäßig wie am Morgen, sondern aufgewühlt und zertreten. Enttäuschung machte sich in dem kleinen Jungen breit. Die Szene keines weiteren Blickes würdigend, ging er weiter.
Zu Hause angekommen, begrüßte er nur kurz seine Mutter, warf den Ranzen achtlos ins Kinderzimmer und verschwand dann ins Bad, um sich eine Wanne einzulassen.