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Wir sind die Kunst

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13.06.2002
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Wir sind die Kunst

Tu mal lieber die Möhrchen
(Helge Schneider)

"Stellen Sie hier auch aus?"
"Ja. Gleich da vorne, Der Brunnen mit dem gebrochenen Henkel, das ist von mir."
"Hübsch. Wirklich. Der exzessive Farbschwung im unteren Drittel gefällt mir. Geht es um die Vereinheitlichung zwischen der Stabilität des Seins auf der einen und dem scheinbar willkürlichen Konstrukt aus Chaos und Anarchie in unserer Gesellschaft auf der anderen Seite?"
"Nein. Nein, es geht um einen Brunnen."
"Ja, interessant. Ein Brunnen also. Die Aussage des Werkes besteht also in seiner Existenz... Ich finde es toll, dass man hier endlich mal die Gelegenheit bekommt, die Werke anderer unbekannter Maler zu bestaunen. Wissen Sie, die Kunst in unserer Welt ist so schrecklich langweilig geworden."
"Ach, wem sagen Sie das. Die Konvention des Mainstream zwingt den hauptberuflichen Künstler heutzutage dazu, seinen eigenen Anspruch in seine Werke zurückzuschrauben und zugunsten kaufargumentativer Allgemeingültigkeit aufzugeben. Die Individualität hat keinen Raum mehr in der kapitalisierten Kunst. Alles verschwimmt zu einer faden Masse aus Konformität."
"Genau so ist es. Es geht doch nur noch darum, seine Werke möglichst gewinnbringend an den Mann zu bringen. Wo bleibt da der künstlerische Anspruch, frage ich mich."
"Und darum bin ich so gerne hier. Die Unbeschwertheit von uns jungen Malern ist ein Zeichen dafür, dass es ihn noch gibt, diesen unbändigen Willen, Aussagen zu tätigen. Dieses ungestüme Heranwagen an unkonventionelle Themen, dieser gewagt rebellische Bruch mit dem Status Quo. Man muss auch mal neue Wege beschreiten können."
"Deshalb sind wir ja hier. Ich bin ja so froh, hier endlich einen Ort gefunden zu haben, an dem ich mit Gleichgesinnten über eine gemeinsame Leidenschaft referieren kann. Der Meinungsaustausch in der Kunst ist ja so wichtig. Nur hier, wo noch nicht alles durchsetzt ist von der Vereinheitlichung des stupiden Massengeschmacks, kann man noch wahre Inspiration finden."
"Kunst darf einfach nicht eingegrenzt werden. Sie muss alles können dürfen. Meine Meinung."
"So ist es, mein Freund. Es ist schön, endlich einen kultivierten Gesprächspartner gefunden zu haben, der diesen Idealismus ebenso wie ich verspürt."
"Sagen Sie, ich würde jetzt gerne einen Blick auf eines Ihrer Werke werfen."
"Mit Vergnügen. Gleich dort drüben. Engel mit flammendem Gewissen. In Öl."
"Gewagte Farbkombination, aber von einer nicht unerheblichen Originalität durchdrungen. Gratuliere. Vielleicht ist Ihnen die Sonne aber eine Spur zu grün geraten."
"Das Gefühl hatte ich zunächst auch. Aber ich denke, vor dem Kontext des Interpretationsraumes stellt die grünliche Färbung eine Synergie in Zusammenhang mit dem Titel dar."
"Interessant. Und demnach versinnbildlicht der unausgewogene Farbwechsel im Hintergrund eine gewollte Anspielung auf den Inneren Konflikt."
"So ist es. Es ist ein Wunder, was man mit ein wenig Inspiration alles schaffen kann."
"Hier, werfen Sie doch mal einen Blick auf dieses Werk."
"Igitt, was ist das denn?"
"Sie sagen es. Das beleidigt meine Augen."
"Das so etwas sich Kunst nennen darf. Er hat nicht einmal die Formen richtig getroffen."
"Genau. Außerdem hat er übergemalt. Hier und hier und... und da auch noch mal."
"Keinen Sinn für Formalien. Offensichtlich hat der... naja, ich möchte ihn nur schwerlich Künstler nennen... er hat also ganz offensichtlich sehr wenig Mühe in dieses Werk gesteckt. Das sieht beinahe so aus, als hätte irgendjemand unsere schöne Ausstellung als Plattform für einen perfiden Scherz missbraucht, um unser Anspruchsdenken bewusst zu hintergehen."
"Offensichtlich ein Spaßvogel, der es mit der Kultur nicht so genau nimmt und vermutlich nur deshalb ausstellt, um uns zu veralbern. Hier, sehen Sie sich nur mal das schlampige Gelb an. Furchtbar, ganz ganz furchtbar. So etwas sollte verboten werden."
"Aber umgehend. Da steckt ganz sicher keinerlei Intention hinter. Ich meine, etwas derart schlampig Produziertes kann gar keine Aussage haben. Von künstlerischem Anspruch ganz zu schweigen."
"Und so etwas hängt hier inmitten unserer Ausstellung. Ein Schandfleck sondergleichen."
"Wie kann es angehen, dass solch ein Stück Müll sich hier hat hineinschummeln können? Da muss man doch aufpassen."
"So etwas untergräbt den positiven Gesamteindruck dieses Oevres in seinen Grundfesten. Das darf einfach nicht geduldet werden. Irgendjemand sollte hart durchgreifen und solche Sachen auf der Stelle..."
"Sie sprechen von einer Art Kontrolle?"
"Ja, natürlich. Wissen Sie, Kunst ist ja schön und gut, aber sie sollte sich in einem gewissen Rahmen befinden."
"Sie sagen es. Und das hier ist ganz offensichtlich keine Kunst. Irgendwo gibt es Grenzen."
"Pfui Teufel! Ich kann meine Abscheu gar nicht in Worte fassen. Offensichtlich ist dieser Maler unfähig, wahres Kulturgut zu schaffen. Aus diesem Grund wäre ich dafür, dass ihm der Zugang zu unseren Hallen fortan verwehrt bleibt."
"Wir sollten eine Eingabe machen. Am besten schriftlich. So etwas kann und darf es einfach nicht geben."
"Ich denke da auch an die Außendarstellung unserer Gruppierung. Ich meine, wie stehen wir denn da, wenn ein Besucher kommt und das erste, was er sieht, ist dieser hingerotzte Schrott?"
"Er wird ganz sicher von vornherein Zweifel an unserem Anspruchsdenken haben und uns für einen unseriösen Haufen pseudo... ach, mir fehlen die Worte! Da kommt einfach so ein dahergelaufener Trottel daher und denkt, nur weil er den Pinsel schwingen kann, ist das gleich Kunst."
"Ja, da könnte ja jeder kommen. So etwas erfordert eine Menge Übung und auch ein gewisses Verständnis."
"Eben. Es ist unsere Pflicht, solchen grottenschlechten Müll aus unserer Mitte zu entfernen. Glauben Sie mir, ich male seit Jahren. Wenn jemand den Unterschied zwischen Kunst und Mist erkennt, dann ganz sicher ich."
"Ich weiß, was Sie meinen. Mir geht es ganz genauso."
"Wir sind eben noch wahre Künstler."
"Wir sind die Kunst."

 

Zweischneidig?!

Finde ich den Gebrauch der intellektuellen Sprache. An sich eine gute Idee, die beiden Künstler so reden zu lassen - denn genau das ist Satire. Genauso bescheuert reden sie in der Realität.
Allerdings wird es nach ein paar Zeilen monoton, hier könntest du straffen; du musst bedenken, wie anstrengend es für den Leser ist, dabei will der doch lieber unterhalten werden.

Gerade noch rechtzeitig, bevor meine Spannungskurve nach unten sackte, kam der Bruch, wiederum im Kern zwar richtig, aber ruckartig umgesetzt.

Meine Empfehlung: Mach dir mehr Gedanken um den Charakter der Personen, erwecke sie zum Leben, dann können sie den Leser auch mitreißen.

 

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