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Zeit, Morgen und Lethargie
Es ist 6.40 Uhr. Der penetrante Klang einer mir nur allzu vertrauten Melodie, welche ich bereits seit Wochen zu ändern gedachte, geleitet mich unsanft aus meinen angenehmen, wenn auch lückenhaften Träumen hinüber in die Prosa der Realität und damit direkt in mein Bett, das mir dank der über Nacht von meinem Körper an die Decke abgegebenen Körperwärme als eine ernsthafte Alternative zum ersten und voraussichtlich kalten Schritt daraus hervor erscheint.
Ich betätige die Schlummertaste an dieser elektronischen Hundeleine, die mir meine Freundin, wenn auch aus den besten Absichten, geschenkt
(oder angelegt) hat und falle in einen eben so kurzen wie erholsamen Halbschlaf, aus welchem ich jedoch nur kurz darauf, bedingt durch das erneute Ertönen der mittlerweile verhassten Melodie aus den Lautsprechern meines Handys erwache.
In meinem noch vom Schlaf vernebelten Verstand manifestiert sich die Frage, wie es nur möglich ist, dass diese winzigen Lautsprecher einen derart lauten Klang zu erzeugen vermögen, während dieser auch schon durch einen automatisierten Griff meinerseits mit einem letzten knackenden Ton verstummt.
Beinahe simultan drängt sich mir auch schon durch ein gerade noch vernehmbares Läuten der nahegelegen Kirchturmglocke, bei welcher es sich wie mir spontan in den Kopf schießt heutzutage wahrscheinlich auch bereits eher um einen Lautsprecher als eine Glocke handelt, die momentane Uhrzeit auf.
Angesichts dieser entschließe ich mich, mein Bett zu verlassen und mich anzuziehen.
Ich entscheide mich gezwungenermaßen für die am Vortag getragene Kleidung und tausche lediglich die Unterwäsche aus.
Die Auswahl dieser entpuppt sich, da der Großteil meiner Kleidung ungewaschenen einen mich schelmisch anlächelnd zu scheinenden Haufen bildet, als nicht allzu schwierig.
Schwarze Shorts, weißes T-Shirt.
Ein Blick auf meinen Nachttisch, welcher dem Aufheben meines Handys gewidmet war, lässt mich kurzzeitig abschweifen und ein paar Zeilen aus einem neben diesem liegenden, aufgeschlagenen Buch lesen.
„Er ahnt nicht, dass schon der einfachste Werteausdruck, wie 20 Ellen Leinwand = 1 Rock, das Rätsel der Äquivalentform zu... „
Ich löse mich widerwillig und mit einem leichten, unterbewusst ausgelösten Kopfschütteln von meiner unfreiwilligen Lektüre und eile ins Badezimmer,
wo ich, noch in Gedanken bezüglich des Buches und dank jahrelanger Übung ohne auch nur einen Gedanken daran zu verlieren, die täglichen Dinge, welche man im Bad eben so besorgt, hinter mich bringe.
Erst das unangenehme Knarren der sich hinter mir schließenden Badezimmertür weckt mich aus diesem gedankenverlorenen Zustand und ich mache mich, notgedrungen mal wieder ohne Frühstück, auf den Weg.
Ersatzweise zünde ich mir bereits direkt nach dem Schließen der Wohnungstür, welche nicht weniger rücksichtslos zu knarren pflegt als die restlichen Türen meiner Wohnung, beinahe so zeremoniell eine Zigarette an, als ob diese die fehlende Nahrungsaufnahme zu ersetzen vermöge.
Beim herabsteigen der mir so zahllos anmutenden Stufen, die durch einen schmalen Gang hinunter zur Straße führen nehme mal wieder das Moosgrün der Treppe war.
Hatte ich die schreckliche Farbe dieser Treppen nicht bereits bei meinem Einzug bemängelt?
Hatte ich nicht schon damals angemerkt, dass mich diese an das Grün des Mooses an einem verwitterten Grabstein erinnert?
Wie dem auch sei, ist es mir wohl nicht vergönnt, diese morgendliche Assoziation auf den Friedhof zu verbannen, auf den sie gehört.
Als ich endlich unten ankomme und die letzte Türe, welche mich von der Welt außerhalb meines Domizils trennt, hinter mir schließe, gerate ich schon fast in freudige Erregung als ich vernehme, dass diese, möglicherweise aus Gründen der Emanzipation von den anderen, eher ein Ächzen als ein knarren verlauten lässt.
Mein erster blick nach auf die Straße lässt mich, dank strahlender Sonne, auf einen warmen Tag hoffen. Nur um mich bereits Millisekunden später mit der Erkenntnis zu konfrontieren, dass ich mich zu einem Trugschluss hatte verleiten lassen.
3 Grad C!
Ich lege schnellen Schrittes die knappen 300m zu meinem Auto zurück.
Schwarzer Corsa, rote Sitzbezüge, neu, zumindest die Bezüge.
Kurz nachdem ich in diese Rostlaube, welche ich mein eigen nenne, eingestiegen bin, drehe ich den Schlüssel im Zündschloss herum und mein Radio ertönt.
Kurz gefolgt vom Jammern des anspringenden Motors und dem daraus resultierenden lautstarken Klappern des Auspuffes, den ich schon vor Monaten zu reparieren gedacht hatte.
Ich fahre los.
In Anbetracht der Gefahr plötzlich einsetzenden Sekundenschlafes drehe ich das Radio lauter.
Als ich gerade versuche, den Klängen eines der wohl interessantesten Gitarrensolos, die
Mr. Hendrix seiner Zeit zu schaffen vermochte, zu lauschen, fällt mir die Uhr auf meinem Armaturenbrett und somit auch die vorangeschrittene Zeit auf, welche wie ein Damoklesschwert über meinem Kopf hängt.
Ich fahre auf die Autobahn, eine der wohl monotonsten Errungenschaften menschlicher Zivilisation.
Gedanken über die anderen Verkehrsteilnehmer und wer im Inneren dieser Hightech Kutschen, welche so mancher paradoxerweise zum Inhalt seiner Existenz erhoben hat, versuche ich zu vermeiden.
Noch während ich, gerade mit einem Gedanken an eine Phrase des letzten Stückes, an dem ich gestern Nacht gearbeitet hatte, endlich die lang ersehnte Ausfahrt erblicke, werfe ich die mittlerweile achtlos zwischen meinen Fingern verglühte Zigarette aus dem Fenster, welches ich, wie ich just in diesem Moment feststelle, mal wieder über Nacht einen Spalt breit offen gelassen haben muss.
Noch ein einige hundert Meter.
Ich fahre an einigen Parkplätzen vorbei, die mir sehr gelegen gekommen wären, hätten sie nicht schon andere belegt.
Da.
Endlich ein freier Platz.
Die Uhr.
Zu spät...