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Zu wenig Temperament

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11.07.2021
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Zu wenig Temperament

Eine Freundin schickt mir eine Mail. „Kanntest du ...?* Du bist doch aus dem Osten?“

Ich kannte. Als ich vierzehn war, gaben sie in der DDR mal eine Zeitschrift für junge Literatur heraus. „Temperamente“. Das Heft war groß angekündigt worden, junge, unbekannte Autoren sollten ein Chance kriegen. Man war schon ganz gespannt.
Von dort her kannte ich ihn. Kein Wunder. Ist sein Familienname doch sehr ausgefallen. Von ihm waren in jeder Ausgabe Beiträge.
Wenn ich, die in einem Dorf in Mecklenburg aufgewachsen ist – aus der Ecke kommt auch er, der in Stavenhagen geboren wurde, nebenan in Malchin ist meine Mutter aufgewachsen, daher kommen keine Dichter, hatte ich bisher immer gedacht, man kann sich irren - in die Kreisstadt fahren musste, ging ich jedes mal zuerst zum Zeitungskiosk und kaufte mir die neueste Ausgabe des Heftes.
Damals, mit vierzehn, fünfzehn, fand ich seine avantgardistischen Gedichte langweilig und hätte gern mehr Prosa in der Zeitung gelesen. Nicht, dass man jetzt die Vorstellung hat, dort wären irgendwelche aufmüpfigen Sachen abgedruckt gewesen. Alles war superbrav und langweilig. Es wurde wohl streng zensiert.

In den abgedruckten Fotografien - das Heft beinhaltete nicht nur Literatur - sah ich die Hinterhöfe im Prenzlauer Berg. In einem von ihnen war meine erste Wohnung. Gerade die Fotografien führten wohl zum Untergang der Zeitschrift.

Unser sozialistischer Alltag, der ein bisschen grau und kahl war – ist das jetzt im Westen besser - durfte nicht so abgebildet werden, wie er war. Das hätte dem Klassenfeind in die Hände gespielt. In den Büchern bei uns heirateten immer der Brigadier und die Parteisekretärin, und jeder machte Neuerervorschläge, wie man die Effizienz seiner Maschine noch verbessern konnte. Wenn man erwachsen geworden war und halbwegs das Leben kennengelernt hatte, las man den Quatsch nicht mehr, den man vom Realitätsgehalt den Romanen der Hedwig Courths Mahler gleichsetzen kann, bloß das alles auf sozialistisch eingefärbt war.

Aber vielleicht tue ich den Machern des Heftes Unrecht. Es standen vielleicht gar keine besseren Geschichten zur Verfügung. Ein paar sind mir trotz der vielen Jahre, die vergangen sind seitdem, noch im Gedächtnis hängen geblieben.

Ich weiß auch nicht, warum gerade die so einen starken Eindruck bei mir hinterließen. Vielleicht ahnte ich in ihnen eine Blaupause für mein späteres Leben.
Jedes Jahr an Weihnachten denke ich an die Story von den beiden Kumpels, die auf Montage sind und zusammen in ihrer Arbeiterunterkunft Weihnachten feiern wollen. Dazu kaufen sie sich je einen Broiler und einen Kasten Bier. Wie wenig braucht man, um glücklich zu sein?
Ich fand schon immer, dass die ungewöhnlichsten Weihnachtsfeste die genialsten waren.

Mein bestes war, als ich mit nichts als aufgetauten Sauerkirschen und einem frischen Brot, das ich vom Band genommen hatte in der Bäckerei, wo ich arbeitete, im Arbeiterwohnheim in der Wilhelm-Pieck- Straße, heute Tor-Straße, saß. Alles nur, weil ich nicht wusste, das in Ostberlin, damals noch Hauptstadt der DDR, am 24., 25., und 26. alles zu hatte, einschließlich der Imbisse und Restaurants. Und damals gab es noch keine Türken, die kein Weihnachten feiern und deshalb immer auf haben.
Natürlich fiel mir dabei auch wieder die Geschichte mit den beiden Freunden und ihrem Broiler ein. Trotz widriger Umstände war ich genauso wunschlos glücklich wie sie, die sich an ihrer Freundschaft wärmten. Mich hingegen wärmte, dass ich meine Heimat in weiter Ferne wusste. Da zog es mich genauso wenig hin wie die beiden frohgemuten Herren. Genauso wird es dem dahingeschiedenen Dichter auch gegangen sein, der die Stadt Greifswald, in der er aufwuchs, auch schon mal als Scheißwald bezeichnete.

Die nächste Story, die ich nicht vergessen habe, handelt davon, dass jemand von seiner Nachbarin gebeten wird, auf einen älteren Herrn, der unter ihr wohnt, zu achten. Er hatte einen Herzanfall, und sie muss zur Telefonzelle laufen. Keiner hatte seinen eigenen Apparat bei uns.
Natürlich kann er ihr die Bitte nicht abschlagen, auch wenn er in Eile ist. Er sitzt auf seinem gepackten Rucksack und will unbedingt den Zug, der ihn nach Rumänien bringen soll, erreichen. In seiner Gegenwart geht es mit dem Mann zu Ende.
Die Nachbarin kommt wieder und sagt, dass bald Hilfe eintrifft, und er kann endlich zum Bahnhof eilen. Erst als er im Zug sitzt, wird ihm klar, dass gerade in seiner Gegenwart ein Mensch gestorben ist, und dass ihm das völlig egal war. Das fand ich stark.

Oder das mit der Schwiegermutter, der die völlig unfähige Freundin, die ihr Sohn mit nach Hause gebracht hat - sie kann eigentlich gar nichts im Haushalt, nicht mal im Bett klappt es bei den Beiden - leid tut, und die ihr helfen will, weil sie sich Sorgen macht, dass ihr Sohn sich bald was anderes sucht. Dann würde ihre Schwiegertochter, die niemanden weiter hat, allein dastehen in der Welt.
Ich ahnte wohl schon, dass auch ich nicht so die Traumschwiegertochter werden würde.

Das letzte, woran ich mich noch erinnern kann, ist ein Bericht über eine Tournee der Engerling-Blues-Band. Sie schleppten damals doch tatsächlich ihr Equipment zur Autobahn und trampten zu den Konzerten, die meist in Dörfern von privaten Kneipenwirten veranstaltet wurden. Einen PKW konnten sie sich nicht leisten.
Bei ihrem Fernsehauftritt weigerten sie sich zu playbacken und drohten zu gehen.
Mit einem Mal ging es doch mit dem Livespielen. Fand ich cool von Engerling, dass sie so fest geblieben waren. Daran muss ich immer denken, wenn ich sehe wie bei Shows im Fernsehen die Sänger den Mund auf- und zumachen, was alles steril wirken lässt.
Genauso, wie die bettelarmen Musiker, trampte auch ich später ohne Geld durch die Gegend.

Trotz der Harmlosigkeit des Abgedruckten bekamen die Verantwortlichen bald Angst vor ihrer eigenen Courage und stellten das Heft ein.

Der Dichter, von dem oben die Rede ist, gehörte der intellektuellen Prenzlauer Berg Szene an. Bei uns in der DDR herrschte immer eine gewisse Feindseligkeit zwischen den Bluesern, zu denen ich mich zählte und den Intellektuellen. Wir nannten sie Intis.
Die hielten sich meist Anderen überlegen. Wir waren in ihren Augen die Prolls. Dabei hungerten sie sich genauso durch wie wir in zugigen Kämmerchen im Prenzlauer Berg.

Ich habe nie verstanden, warum sie andere Leute so tief verachteten. Viele von ihnen blickten einen ja gar nicht an, wenn sie mit einem redetet, sondern sahen an dir vorbei.

Wenn man spürt, dass einem Vorurteile entgegengebracht werden, entwickelt man seinerseits auch Ressentiments, so dass ich mir schon Vorwürfe machte, dass bei mir immer gleich die Klappe fiel, wenn ich mitbekam, dass jemand auf „intellektuell“ machte. Ich kann das einfach nicht ab, wenn jemand sich für was besseres hält.
Ich hingegen bemühte mich, meine anerzogenen Vorurteile zu überwinden. Für mich waren alle Menschen gleich. Für diese Leute, trotz ihrer Intelligenz oder gerade deswegen, scheinbar nicht.

Viele meiner Kumpels aus der Blues-und Hippieszene hatten mal ´ne Phase, wo sie völlig über sich hinauswuchsen. Viele haben sich aber später sehr geändert, wandelten sich sogar ins Gegenteil. Vielleicht hält man das nicht lange durch, sonst zertreten sie dich. Ihr altes Ich holen sie nur noch raus, um sich bei einer Frau interessant zu machen.
Über solche Jugendbewegungen werden dicke Wälzer geschrieben, dabei ist es im Leben von jemandem, der ein schönes Alter erreicht, doch nur eine kurze Phase zwischen 16 und Anfang 20 oder sogar nur bis neunzehn.

In der Schönhauser Allee gab es zu DDR-Zeiten ein Lokal, das sich „Wiener Café“ nannte. Dort sahen die, die sich als Intellektuelle fühlten - darunter auch er, denn aus unserer gemeinsamen Heimat hatte es ihn schon bald nach der Schule nach Berlin gezogen, heute steuern die von der Küste, die bei uns nicht so ganz reinpassen eher die Hansestadt Hamburg an, wahrscheinlich kommen sie da mit ihrem nordischen Dialekt und ebendieser Mentalität auch besser klar als in Berlin - durch die großen Schaufensterscheiben auf die Vorübergehenden herab und rümpften angeekelt die Nase. Es war auch ein Stammcafé von Sascha Anderson, einem bekannten Stasispitzel aus der sogenannten Prenzlauer Berg Szene. Auch ein Poet. Er hat sie alle an der Nase rumgeführt, die sie wie erwähnt ziemlich hoch trugen.

Ein bisschen schadenfroh war ich ja schon, denn dort saßen die von sich eingenommensten Leute von der Welt rum, dachte ich zumindest, bis ich in den Hausbesetzercafés die Autonomen, die aus Westberlin zu uns rüberkamen und in Friedrichshain Häuser besetzten, kennenlernte und damit mit einer anderen Dimension der Hochnäsigkeit konfrontiert wurde.
Sie merkten instinktiv, wem ein anderer Stallgeruch anhaftete und lehnten ihn ab. „Wie wollen sie denn die Welt ändern, wenn sie niemanden gelten lassen?“, fragte ich mich. Ostberliner, die dort Anschluss suchten, und die sie kräftig vor den Kopf stießen, schickten sie ja auf geradem Wege zu der entgegengesetzten Fraktion, zu den Rechten.

Mit denen, denen sie angeblich helfen wollten, wollten sie ja gar nichts zu schaffen haben. Allein, ohne die Unterstützung der Mehrheit, können sie doch gar nichts verändern. Dort, in der Hausbesetzerszene, galten die Punks als die Prolls, so wie früher im Osten wir Blueser.

Da war mir die Klientel, die in der Brückenstraße in Schöneweide im „Zum Henker“ saß und Cocktails trank, die „Goebbels“ hießen, ja fast noch lieber. Da wusste man wenigstens, woran man mit ihnen war.
In dieser Kneipe bin ich aber nie drin gewesen, nur außen dran vorbeigelaufen.

Dieser Dichter, von dem oben die Rede war, hat Anderson verziehen und ist weiterhin sein Freund geblieben. Sowas kenne ich nicht aus eigenem Erleben, muss aber die merkwürdigste Sache von der Welt sein, wenn du liest, was dein bester Freund über dich berichtet hat. Aber viele haben den Stasispitzeln vergeben und tun so, als wenn nichts gewesen wär.
Dabei ist doch jedem klar, dass einer, der einmal zum Verräter seiner Freunde geworden ist, das jederzeit wieder machen würde. Und wenn die Wende nicht gekommen wäre, wäre er immer noch bei der „Firma“ und würde sich in konspirativen Wohnungen mit seinem Führungsoffizier treffen.

Es gibt wohl so einen Menschentyp der zur Denunziation neigt. Dazu gehören auch Kollegen, die andere beim Chef anscheißen. Solche Leute, die tickten wie die IM s bei uns im Osten, haben in den schwarzen Jahren von 33 bis 45 die Rote Kapelle an die Gestapo verraten.

Solche Konsequenzen wie die Einlieferung in ein KZ hat die Spitzeltätigkeit bei uns nicht gehabt. Aber genug Leute verloren ihren Studienplatz, oder sie legten ihnen anderweitig Steine in den Weg. Besonders an einer Kunstschule in Sachsen muss so was gang und gebe gewesen sein.
Ich kannte mal jemand dort, übrigens auch er zwangsexmatrikuliert. Nach der Wende stellte sich heraus, dass fast alle seine Kumpels bei der Stasi gewesen waren.
Immer, wenn ich Leute aus dieser Hochschule im allumspannenden Netz finde, die heute in irgendwelchen Galerien ihre Werke ausstellen, lese ich den Zusatz: zwangsexmatrikuliert aus politischen Gründen. Ein Studienplatz dort, der übrigens schwer zu bekommen war, vielleicht war ein Verpflichtung als IM hilfreich beim Bestehen der Aufnahmeprüfung, muss ja wie ein Schleudersitz gewesen sein. Ich habe sowas aber alles nie erlebt und neige zur Verharmlosung. Betroffene, besonders die in Haft waren, erzählen anderes.

Merkwürdigerweise ist von ihm, der sein Studium auf Druck von oben abbrechen musste, nichts dabei. Er ist wohl kein Picasso, eher ein Kulturpolitikertyp. Wäre er wohl auch geworden, wenn er seinen Abschluss gemacht hätte. Stattdessen hat er sich damals an das Leben von der Hand in den Mund gewöhnt oder gewöhnen müssen.
Früher, zu Ostzeiten, haben sie Klamotten genäht und auf dem Bahnhof verscheuert. Irgendwie mussten sie ja durchkommen. Jetzt hangelt er sich mit Hilfe von Freunden über geförderte Stellen durch. Ich höre ihn manchmal als Sprecher in einer freien Radiosendung.

Seine Sendung ist langweilig und vorhersehbar. Langweiliger und braver als Sendungen vom staatlichen Rundfunk. Eigentlich hätte ich ihm mehr zugetraut. Irgendwas Kontroverses, wo streitbare Themen angeschnitten werden, wo sich die Rundfunkmacher was trauen, und er mit dem Aufnahmegerät in den Knast geht und den Häftlingen das Mikro unter die Nase hält, oder sie mischen sich unter AfD-Wähler und Rechte. Stattdessen ein zahmer Verein.
Die alte Angst, die wir im Osten hatten, ist immer noch zu spüren. Es ist wohl gar nicht so, dass gleich die Fördergelder gestrichen werden, wenn sie zu unabhängig werden, es sieht eher so aus, als wenn sie sich einer Selbstzensur unterwerfen. Kommt mir als Hörerin jedenfalls so vor. Grad so, als wenn die Jungs und Mädels von "Horch und Guck" noch immer unsichtbar dort herumspuken, fünfunddreißig Jahre nach der Wende.


Mir ist unbegreiflich, dass von unseren schriftstellerischen Talenten aus dem Osten, die vor dem Mauerfall natürlich kaum eine Möglichkeit hatten, etwas zu veröffentlichen, was nicht hundertprozentig auf der Linie der Parteiführung lag - Druckgenehmigungsbehörde hieß das Hindernis -, komischerweise wenig kam, als ihnen alles offenstand.
So mancher hatte in der Prenzlauer Berg Szene den Ruf, der zukünftige Salinger der DDR zu sein, wenn man ihn denn lassen würde, wobei ich aber ehrlicherweise eingestehen muss, dass ich davon niemand kenne und in diese Kreise nie reingehört habe.

Viele wurden wohl überschätzt, oder überschätzten sich selbst. Ich kann viel davon reden, wieviel Bücher ich schreibe, wenn man mich lässt, aber dann lässt man mich, und nichts kommt.

Auch die Bands, die sich „Die Anderen Bands“ nannten, lösten sich nach dem Fall der Mauer rasch auf. Ihr schöpferisches Potential war verpufft. Ausgerechnet jetzt, wo sie die Möglichkeit hatten aufzutreten, und Platten zu machen. Schade. Von ihnen hätte ich noch einiges erwartet. In einem Dokumentarfilm - Flüstern & Schreien - unter anderem auch über diese Szene, der noch zu Ostzeiten in die Kinos kam, sah man interessante schwarzhaarige Männer mit schwarzen Sakkos, die geheimnisvolle Töne erzeugten, umherlaufen. Alles offen nach oben. Pustekuchen. Leider ein Irrtum. Nach der Wende, oder in den Jahren darauf, war alles vorbei. Ihre Musik war wohl nur ein Ventil, um Dampf abzulassen, eine Funktion, die sich mit dem Systemwechsel erledigt hatte.
Außerdem war die Hälfte sowieso IM.

Ein Musiker, dessen Band zu Wendezeiten sehr bekannt war, und die sich später auflöste, schreibt heute auch. Natürlich bevorzugt über die Wilde Zeit. Und gar nicht schlecht. Er machte einen Haufen Jobs und schrieb über seine verschiedenen Tätigkeiten: „In keinem Job, den ich hatte, war ich besonders gut.“ Das kann ich unterschreiben. Man hört bei ihm Enttäuschung raus. Vielleicht zu früh aufgesteckt.

Es gab aber eine Band, die sehr gut wurde, auf die wir alle stolz waren, und die vor einiger Zeit in die Schlagzeilen geriet, weil man ihnen den Gebrauch von KO-Tropfen vorwarf. Mutige Frauen waren damit in die Öffentlichkeit gegangen. Anwälte bezichtigten sie zu lügen. Und die Jungs haben mal als Punks angefangen.

Vielleicht ist es schade, dass ich ihn nicht gekannt habe. Er hätte mir, seiner Mecklenburger Landsmännin, die ehrliche Meinung über mein schriftstellerisches Talent sagen können. Eher aber vermute ich, dass er mich gar nicht für voll genommen hätte.
*Bert Papenfuß Gorek

 

Hi @Frieda Kreuz

Für mich sind deine Beiträge ja, wie du weisst, leider keine unterhaltsamen Geschichten, sondern meist unzusammenhängende, aneinandergereihte Erinnerungsfetzen aus DDR Zeiten. Die langen Schachtelsätze sind anstrengend zu lesen und am Ende weiss ich oft nicht, was du mir als Leser mit der Geschichte mitgeben wolltest, sind es doch eher persönliche Erinnerungen deiner Protagonistin.

Trotzdem sind mir zwei Sachen aufgefallen, die ich gerne loswerden möchte:

Eine Freundin schickt mir eine Mail. „Kanntest du ...?* Du bist doch aus dem Osten?“
Warum so geheimnisvoll mit dem Namen, da verstehe ich den Sinn des Auslassens statt Hinschreiben, und mit *-Verweis erst am Ende, nicht ganz.

Oder das mit der Schwiegermutter, der die völlig unfähige Freundin, die ihr Sohn mit nach Hause gebracht hat - sie kann eigentlich gar nichts im Haushalt, nicht mal im Bett klappt es bei den Beiden - leid tut, und [die] ihr helfen will, weil sie sich Sorgen macht, dass ihr Sohn sich bald was anderes sucht. Dann würde ihre Schwiegertochter, die niemanden weiter hat, allein dastehen in der Welt.

Die Freundin des Sohnes macht die Mutter höchstens zur Schwiegermutter in spe. Und warum tut ihr die Freundin ihres Sohnes leid, wenn sie so abschätzig über sie denkt?
Ausserdem stimmt mMn der Bezug nicht. 'die' kann weg.

Nix für ungut, dotslash

 

Hallo Frieda!


Unser sozialistischer Alltag, der ein bisschen grau und kahl war – ist das jetzt im Westen besser -
Naja, kommt drauf an, wo. Zumindest hat keiner hier "den Farbfilm vergessen" ;-)
Trotz der Harmlosigkeit des Abgedruckten bekamen die Verantwortlichen bald Angst vor ihrer eigenen Courage und stellten das Heft ein.
Diese Geschichten sind aber alle sehr brav nach dem Prinzip "Solidarität" ausgewählt. Wo ist das nicht parteilinienkonform, zensiert, "sozialistisch eingefärbt", und "harmlos", wie Du selbst schreibst?

Es gibt wohl so einen Menschentyp der zur Denunziation neigt.
Absolut.
Mir ist unbegreiflich, dass von unseren schriftstellerischen Talenten aus dem Osten, die vor dem Mauerfall natürlich kaum eine Möglichkeit hatten, etwas zu veröffentlichen, was nicht hundertprozentig auf der Linie der Parteiführung lag - Druckgenehmigungsbehörde hieß das Hindernis -, komischerweise wenig kam, als ihnen alles offenstand.
Total interessante Fragestellung!
Vielleicht zu früh aufgesteckt.
Was bedeutet das?

Es gab aber ein Band,
eine Band
die sehr gut wurde, auf die wir alle stolz waren, und die vor einiger Zeit in die Schlagzeilen geriet, weil man ihnen den Gebrauch von KO-Tropfen vorwarf. Mutige Frauen waren damit in die Öffentlichkeit gegangen. Anwälte bezichtigten sie zu lügen. Und die Jungs haben mal als Punks angefangen.
Bist Du hier tatsachenbasiert (es kam juristisch nichts dabei herum) oder den Frauen zugeneigt? Das Wort mutig klingt nach Letzterem. Was ok ist. Aber dann könnte der Rest des Absatzes weniger "objektiv" formuliert werden.


Mein Fazit:

Wie mein Vorkommentator schon anmerkte, sind Deine Texte hier Fragmente von Memoiren und keine Kurzgeschichten bzw. keine Literatur i. e. S. Inhaltlich komme auch ich nicht ganz mit, denn es fehlt Stringenz. Stilistisch gäbe es einiges zu verbessern, klar. Das wurde auch angemerkt.
Hat man sich daran erst einmal gewöhnt, haben Deine Texte Potential.

Das liegt für mich besonders am Inhalt. Du hast viel zu erzählen, was nicht jeder erlebt hat, und was ich hoch interessant finde. Solltest Du es noch mal in eine andere Form gießen wollen, könnten mehr Leser die Atmosphäre und die Historie genießen, die Du transportierst.

Es gibt inzwischen genügend Beispiele, wie das fantastisch gelingen kann:
Lutz Seiler sei als ein Beispiel genannt, wie ostdeutsche Perspektiven aus der Vorwende- und Wendezeit in hochgradig berührender Weise in eine literarische Form gegossen werden können.

An Inhalten mangelt es Dir nicht.


Viele Grüße von Pazifik

 

Hallo @dotslash , Hallo @Pazifik ,
zwei Leser, zwei entgegengesetzte Meinungen. Ist ja lustig. Ich verstehe dotslash, dass er von der ewigen Ostalgie die Nase voll hat. Das Thema ist eigentlich gegessen. Oder? Und den Begriff Stasi kann auch keiner mehr hören. Ich konnte ihn hier aber nicht auslassen. Ich weiß, dass ich damit sehr naiv umgegangen bin. Von etwas, von dem man keine Ahnung hat, sollte man auch nicht schreiben. Manchmal ist es aber so, dass Leute, die gar nicht dabei gewesen sind, besser den Kern der Sache treffen, als Beteiligte. Und für mich war das, dass ich mir einfach nicht vorstellen konnte, warum so viele zu Verrätern ihrer Freunde wurden. Besonders in der Kunstszene, unter den angeblich Unangepassten, war das sehr verbreitet.

Ich finde den Text selber irgendwie nicht so richtig gut, musste ihn aber schreiben. Diese Zeitschrift für junge Literatur, wo den Machern wohl mächtig die Muffe ging, dass sie Berufsverbot kriegen, wenn sie die falschen Sachen drucken. Pazifik hat schon Recht, dass sie versucht haben, die Unverfänglichsten auszuwählen. Da sind bestimmt viele gute Sachen in der Versenkung verschwunden. Ich hätte mir mehr Arbeiten gewünscht, die sich mit unserem realen Leben beschäftigen, auch ohne große Gesellschaftskritik.

Lutz Seiler kenne ich natürlich. In Kruso habe ich mal reingelesen, in Stern? finde ich die Passagen, die in Wendezeiten in Mitte spielen sehr gelungen. Die Gegend um den Wasserturm kenne ich sehr gut.
GrußFK

 

Ich finde den Text selber irgendwie nicht so richtig gut, musste ihn aber schreiben.

@Frieda Kreuz ,

Ich kann deinen Drang verstehen, diesen Text schreiben zu müssen. Andererseits stellst du dich ja mit einem persönlichen Text in einem literarischen Medium. Damit ist dein Text auch literarisch zu kritisieren und zu bewerten. Dass da eine tiefsubjektive Perspektive mitschwingt, versteht sich. Dennoch möchte ich Deinen Text nicht als eine Erinnerung verstehen, sondern eben als literarischen Text.

Mich erinnert dein Text an Zeitzeugen, die in Schulen auftreten. Einerseits persönliche Erinnerungen, andererseits der große, historische Blick, oft distanziert und seltsam sachlich, aber oft anschlussfähig an allgemeine Vorstellungen, die man von der DDR hat. Grau war sie, es gab dies und das. Mich nervt nicht das Thema. Und mich nervt nicht die DDR und die Erinnerungen an sie, was mich nervt, ist, dass ich hier keine Persönlichkeit lesen kann. Ich erkenne in deinem Text nichts individuelles, keine spezielle Wahrnehmung auf die 80er und auch frühen 90er. Das Individuelle ist das Zufällige biographischer Lebenspfade und Interessen: Hier mal ein Café, hier mal eine Wohnung gehabt, dort mal gearbeitet, da Interesse an Musik und Literatur. Vielleicht kennst du dieses Gefühl, wenn Menschen von irgendeinem tollen Ort schwärmen, den es mal irgendwo gab und man selber denkt sich, okay, danke für die Info. Freut mich für dich, aber ich habe eben zu der Kneipe Goldener Krug keinen emotionalen Bezug. Ich habe den Goldenen Krug nicht erlebt und ich weiß nicht, was das ist. Vielleicht kann man das sozialnostalgische Unfähigkeit nennen.

Aber vielleicht tue ich den Machern des Heftes Unrecht. Es standen vielleicht gar keine besseren Geschichten zur Verfügung. Ein paar sind mir trotz der vielen Jahre, die vergangen sind seitdem, noch im Gedächtnis hängen geblieben.

Stilistisch erwarte ich - so hart muss ich jetzt sein - eine präziser formulierte Sprache. Der zweite Satz ist kein Satz, der aus meiner Sicht in einem literarischen Text verfasst werden sollte. Er ist ein Umgangssprachensatz, aber keiner, der klug komponierte Erinnerungen an ein bestimmtes Milieu bzw. bestimmte Zeit aus einer individuellen Perspektive darstellt. Auch Formulierungen wie "Es gab" klingen unsauber. Natürlich "gab es" sehr viele Bands und es gab auch Leuchttürme und Straßenbahnen und was weiß ich. Nur mündet das in eine Erinnerungs-Beliebigkeit, der Text zerfasert und das, was hier vage als Geschichte angedeutet wird - vielleicht eher ein Porträt eines Menschen, der zurückblickt und seine Umbruchserfahrungen einordnet - geht verloren. Dein Text ist eben kein persönlicher Text sondern ausschließlich für dich persönlich. Das empfinde ich als schade, weil du ja etwas schreiben willst und schreiben musst, aber dadurch das Gegenteil deiner Intention bewirkst.

Lg
kiroly

 

@Frieda Kreuz, leider kann ich deine Antwort so nicht stehen lassen.

zwei Leser, zwei entgegengesetzte Meinungen.
Ist das so?

Ich verstehe dotslash, dass er von der ewigen Ostalgie die Nase voll hat. Das Thema ist eigentlich gegessen. Oder? Und den Begriff Stasi kann auch keiner mehr hören.
Unterstellung. Wo habe ich das gesagt?
Es ist ja nicht der Thematik-Überdruss, den ich anprangere, sondern dass der Text aus Versatzstücken besteht und mich durch die fehlende Stringenz – wie @Pazifik es treffend ausdrückt – einfach nicht unterhält.

Leider gehst du auch nicht auf meine Frage des Sternverweises ein, die mich tatsächlich interessiert hätte. Vielleicht geht dir ja nach @kirolys Kommentar ein Licht auf, oder auch nicht.

Trotzdem noch dies

Es gab aber ein Band, die sehr gut wurde, auf die wir alle stolz waren, und die vor einiger Zeit in die Schlagzeilen geriet, weil man ihnen den Gebrauch von KO-Tropfen vorwarf.
eine Band und weil man ihr oder den Mitgliedern

Womöglich sind dir aber meine Anmerkungen grundsätzlich egal, denn Wille zur Weiterentwicklung und literarische Auseinandersetzung mit Texten scheint bei dir nicht auf dem Speiseplan zu stehen.

Henusode, sei's drum, gute Nacht,
dot

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @kiroly und Hallo @dotslash ,
eigentlich geht es ja um den Dichter, der Name spielt eigentlich keine Rolle, er könnte auch fiktiv sein, der gerade verstorben ist. Die Erzählerin findet heraus, dass er aus ihrer Heimatgegend ist - 40 Kilometer von mir entfernt. Auch er ging mit neunzehn nach Berlin, suchte da wie sie die Freiheit, blühte als Künstler auf und lebte ein Bohemeleben, von der Hand in den Mund. So wie sie auch. Jedenfalls letzteres. Sie begegneten sich aber nie, da er mit einer intellektuellen Clique abhing, wo sie gar nicht akzeptiert worden wäre.

Ihr findet, dass Persönliches fehlt. Das sind doch eigentlich die Textstellen, die der Erzählerin im Gedächtnis geblieben sind. Warum ausgerechnet diese? Sie ahnt, obwohl sie erst vierzehn, fünfzehn ist, dass sie Ähnlichkeit mit der unfähigen Schwiegertochter hat und nicht so der Bringer als Ehefrau sein wird. Auch Weihnachtsfeste im Arbeiterwohnheim wie den beiden Jungs stehen ihr bevor. Ebenfalls solche Situationen wie die mit dem Nachbarn.

Aber man lässt sich nicht unterkriegen im Osten. Ihre bettelarme Bluesband schleppt ja auch ihre Anlage eigenhändig zur Autobahn und trampt zu den Konzerten bei denen sie auftreten, so wie sie später auch auf diese Weise ohne Geld in der Weltgeschichte umherreist.

Dass weder die Literaten aus der sogenannten Prenzlauer Berg Szene nach der Wende voll aufgeblüht sind, noch die Anderen Bands, von denen man als Ostdeutscher viel erwartet hat - der Dokumentarfilm heißt übrigens "Flüstern & Schreien" - ist eigentlich ein Drama. Bei dem Musiker von Ich-Funktion, der jetzt auch Romane schreibt, habe ich rausgelesen, dass er sich Vorwürfe macht, für seine Band nicht genug gekämpft zu haben.
Gruß Frieda

 

Zu wenig Temperament

Ein Titel, der einen „Kühlschrank“ wie mich (jahrelang der „protestantische“ Vorsitzende einer „Mitarbeitervertretung“ in einem „katholischen“ Krankenhaus mit Erfahrung im Grabenkrieg zwischen Unten und Oben, Hand anlegen, selber tun und gelegentlichem Hände falten & Hoffen, der HERr würd’s schon richten) ansprechen muss,

liebe Frieda,

und die über sog. Kitsch als Methode ist, „bildungsferne“ Zeitgenossen zu erreichen (ich komm da keineswegs wegen der von Dear genannten Hedwig Courths Mahler drauf), so sollte es auch die Möglichkeit geben über/mittels einfache/r Sprache an Literatur Anteil zu haben und zu nehmen.

Warum soll dergleichen nicht für die schreibende Zunft gelten, der Branche, die Lesefutter produziert?

Das Du Sätze kleist’schen Formates fehlerfrei hinkriegst, zeigt sich bereits hier (ich bin vielleicht der einzige Kleist-Verehrer hierorts)

Mein bestes war, als ich mit nichts als aufgetauten Sauerkirschen und einem frischen Brot, das ich in der Bäckerei, wo ich arbeitete, vom Band genommen hatte, im Arbeiterwohnheim in der Wilhelm-Pieck- Straße, heute Tor-Straße, saß, weil ich nicht wusste, das in Ostberlin, damals noch Hauptstadt der DDR, am 24., 25., und 26. alles zu hatte, einschließlich der Imbisse und Restaurants. Und damals gab es noch keine Türken, die kein Weihnachten feiern und deshalb immer auf haben.

Dass es mit der Zeitenfolge
Er hatte einen Herzanfall, und sie muss zur Telefonzelle laufen. Keiner hatte seinen eigenen Apparat bei uns.
nicht immer klappt ist mir auch schon widerfahren und

schwache Klammern krieg auch ich hin

Er sitzt auf seinem gepackten Rucksack und will unbedingt den Zug, der ihn nach Rumänien bringen soll, erreichen.
aber auch eleganter durch ein bissken Mögelrücken

Er sitzt auf seinem gepackten Rucksack und will unbedingt den Zug erreichen, der ihn nach Rumänien bringen soll.

Aber was muss das für ein „Back“studio sein, wo man nicht mal „playbacken“ [ˈplɛɪbɛkn] kann¿

Bei ihrem Fernsehauftritt weigerten sie sich zu playbacken und drohten zu gehen.
Aber da fällt mir auch nix besseres ein als
"Bei ihrem Fernsehauftritt verweigerten sie sich dem Playback und drohten zu gehen."

Es gibt wohl so einen MenschentypKOMMA! der zur Denunziation neigt.
Hol es Dear von hier
Viele wurden wohl überschätzt, oder überschätzten sich selbst.
hier kann nämlich das
Komma weg!

Ihr schöpferisches Potential war verpufft. Ausgerechnet jetzt, wo sie die Möglichkeit hatten aufzutreten, und Platten zu machen.
Weg mit dem Komma!

Wie immer gern gelesen vom

Friedel

*Bert Papenfuß Gorek

; † 26. August 2023

 

Hallo, finde ich ja nett von Dir, @Friedrichard , dass genügend "Temperament" vorhanden ist, um eine Kritik über meinen Text zu schreiben. Ich wundere mich, dass Du den Dichter kanntest, denn ich hatte angenommen, dass sein Wirkungskreis sich nur auf den Osten beschränkte.
Schachtelsätze muss ich manchmal einfach schreiben, weil es nicht anders geht. Ich will jetzt hier nicht den Namen Proust in die Runde werfen. Gegen seine sind meine Sätze doch noch harmlos. Er wird auch seine Gründe gehabt haben, ellenlange, verwickelte Gespinste zu formulieren. Mit einem Wortakrobat wie ihm kann ich mich sowieso nicht vergleichen.

Für mich ist es auch kompliziert, Missverständnisse zu vermeiden. Viele Leser, es soll ja auch Leute geben, auch wenn ich es mir nicht vorstellen kann - Scherz - die erst nach der Wende geboren wurden, für sie ist Berlin eins, da sie die geteilte Stadt nicht mehr kennen.
Oder überhaupt das geteilte Land. Deshalb muss ich immer unnötig kompliziert schreiben: damals im Osten, hieß zu der Zeit noch Hauptstadt der DDR. Sonst würden sie Ost- und Westberlin zusammenwerfen und wären irritiert. Und immer die Betonung auf: komme aus Mecklenburg-Vorpommern. Jüngere würden sonst vielleicht nicht wissen, um welche Zeit es sich handelt. Dadurch wirken meine Texte unnötig verschachtelt.
Gruß Frieda

 

Hallo @Frieda Kreuz,

ich habe deinen Text wieder gerne gelesen. Ich denke, Diskussionen über die Form bzw. die Frage, in wie weit so ein Text literarisch ist, sind belanglos. Er kann dein persönlicher Plauderton sein – oder aber die literarische Imitation eines Plaudertons. Was davon ist es? In meinen Augen egal.

Inhaltlich fehlt handlungstechnisch ein roter Faden, der Text hängt sich an der Figur oder Person des Dichters auf, wodurch er in Richtung Essay, Erinnerung, Kommentar, also in Richtung journalistischer Formate rückt.

In diesem Kontext finde ich eine Sache sehr spannend: Wärst du eine berühmte Person könnte das ein Zeitschriftenbeitrag sein oder ein Auszug deiner Biografie – und der Text würde breite Anerkennung finden. Niemand würde die Relevanz des Inhalts in Frage stellen, denn man würde mit einem an deiner Prominenz hängenden Grundinteresse lesen.

Nun bist du – so glaube ich – aber nicht prominent und dieses Grundinteresse fehlt. Ergo wird nach der Relevanz gefragt. Das finde ich spannend, weil das für mich heißt: Nur, wer etwas darstellt, darf Interesse an seiner Person erwarten.

Aber ist das so? Hat nicht jeder Mensch das Recht sich frei und ohne Anpassung an Gattungskonventionen und Lesererwartung zu erinnern? Und ist nicht jedes Leben einzigartig und damit interessant? – Ich denke, so ist es, und rebelliere mit meinen Texten ja auch gegen diese Ausgrenzung durch Marktmechanismen und soziale Hierarchien:

Man muss sich nämlich kein Recht verdienen, von sich und seinem Leben ganz direkt erzählen zu dürfen. Klar, auch die Leser können sich frei entscheiden und müssen das nicht lesen. Es ist aber kein Unding, sich und seine eigene Biografie anlasslos in den Mittelpunkt eigener Texte zu stellen. Ich finde das sogar vorbildlich, weil es von Reflexion, Aufrichtigkeit und – entgegen der landläufigen Meinung, dass sich hier jemand zu wichtig nimmt – von Demut zeugt, denn wer sich offenbart, schafft Raum für Widerspruch und Kritik. Der Schweigende hingegen kann viel leichter einfach die Ergebnisse seines Lebens als Erfolg oder sonst etwas verkaufen – wenn niemand den Weg kennt, weiß auch niemand, was wirklich Sache war. (Hier denke ich zum Beispiel an den Gründer von Nike, der seinen Erfolg selbst vor allem auf Glück zurück geführt hat – ohne diese Offenbarung würden seinem Leben ganz andere Narrative übergestülpt werden können.)

Worauf ich hinaus will: Man kann sagen, dass wir in einer eitlen, narzisstischen Mediengesellschaft leben, in der jeder eine Bühne und Aufmerksamkeit für sich beansprucht, auch wenn er gar nichts vorzuweisen hat. Man aber auch sagen: Sich auch auf eine Bühne zu stellen ist ein Akt der Rebellion und Selbstbehauptung in einer eitlen und narzisstischen Mediengesellschaft, in der wir von den Inhalten anderer Menschen zugeballert werden, auch wenn wir deren Wert nicht sehen.

Oder mit anderen Worten: Man kann sich von allen den Katzenbergers und Prechts und Hoeness' und Lobos und Rezos und Linnemanns und Reichelts und somit vom Diskurs insgesamt abwenden. Oder man kann sagen: Wenn diese ganzen Schwätzer sozialen Raum beanspruchen, dann tue ich das auch.

Finde ich gut, dass du das machst!

Freundliche Grüsse

Henry

 

Hallo @H. Kopper ,
finde ich sympathisch von Dir, dass Du einer kritisierten Autorin Mut machst. Ich bin scheinbar hoffnungslos auf der Ich-Erzählungsschiene festgefahren. Was anderes kann ich nicht. Vielleicht ist die Geschichte ja wirklich ein bisschen farblos. Es passiert ja nichts. Es ist nur von einem Dichter die Rede, den die Erzählerin aber nie gekannt hat. Dann noch von einer Zeitschrift, die nicht allzu viele Auflagen hatte. Wie du schon gesagt hattest, trotzdem hab ich mich getraut, die Story auf die Leute loszulassen. Du sagst, ich bin mutig. Mut braucht man immer, wenn man etwas von seinen Sachen veröffentlicht. So auf blauen Dunst. Ein Fahrt ins Unbekannte. Scheinbar auch ohne Kompass. So kann man leicht absaufen mit seinem Text.
Eigentlich geht es in "Zu wenig Temperament" ja um ein untergegangenes Land, auch um Identitätsverlust. Verrat - Stasi.
Trotzdem mein neuestes Werk keinem so richtig gefallen hat, habe ich ja doch schon einiges an Rezensionen erhalten.
Gruß Frieda

 

Ich will jetzt hier nicht den Namen Proust in die Runde werfen. Gegen seine sind meine Sätze doch noch harmlos.

Moin, Frieda,

warum nach Frankreich abschweifen, wo doch Heinrich von Kleist sprachlich viel näher liegt ...

Tschüss & schönen Sonntag wünscht der

Friedel

 

Hallo @Friedrichard ,
ich kenne merkwürdigerweise alle Werke von Kleist. Das liegt daran, dass sie im Kleistjahr Sämtliches von ihm im Radio gelesen haben, jeden Tag eine halbe Stunde. Ich habe tapfer durchgehalten bei "Penthesilea" und dem "Käthchen von Heilbronn", denn ich wollte rauskriegen, warum sie diesen Autor immer so in die Höhe heben. kann aber sein, dass ich die "Herrmannschlacht" geschwänzt habe. Hörte sich nun doch zu gruselig an.
Ich fand es besser, als ich gedacht hatte. Verstehe aber, dass das nicht jedermanns Geschmack trifft. Gruß Frieda

 

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