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Zuckerbrot und Peitsche

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13.02.2008
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Zuckerbrot und Peitsche

„Wir machen das hier Zuckerbrot und Peitsche. Du Zuckerbrot, ich Peitsche“, entscheide ich und komme einen Zentimeter vor der Garagentür zum Stehen.
Jule sitzt auf der Beifahrerseite wie ein Dummy vorm Crashtest.
„Kann ich nicht lieber das Auto bewachen?“
„Nein, heute müssen wir zusammenhalten.“
Der Garten hinter dem grünlackierten Eisentor liegt seit Jahren wild, Löwenzahn zwischen den Pflastersteinen und mehrere Kilo Haselnüsse im Gras. Das Plastikkitz mit den roten Augen hat sich einen Moospelz wachsen lassen. Am Wegesrand sammeln wir noch ein paar späte Erdbeeren. Zwei Minuten Aufschub sind besser als nichts.
Vorsichtig steige ich die glatten Stufen hinauf. Sie haben mir schon als Kind Angst eingejagt. Die Vision: offene Brüche und Hirnfetzen am Rauputz der Hauswand. Mittlerweile haben sich einige Steinfliesen gelockert und ich verfluche meine hohen Absätze. Jule schleicht auf rutschsicheren Sneakern hinter mir her.
Er steht schon in der Tür, hat mein Auto gehört und seine Töchter sicher vom Fenster bei der Erdbeerlese beobachtet. Als ich ihn umarme, fühlt er sich noch immer stark an. Nur die Beine werden immer spindeliger, am linken ist der Puls kaum noch messbar. Deshalb sollte ein Stent eingesetzt werden. In letzter Minute entschied Papa sich jedoch um, floh im wehenden OP-Kittel. Er wollte es erstmal mit einer Knoblauchkur probieren. Das Bein habe sich seither deutlich gebessert, hat er schon am Telefon gelogen.
„Schön, dass ihr da seid“, sagt er und stakst voran in die Küche.
Dort schiebe ich ungeöffnete Briefe beiseite, verfrachte Zeitungsstapel und randvolle Aschenbecher auf die Arbeitsplatte, um die Bank frei zu räumen. Jule taucht derweil in die Tiefkühltruhe, bis sie etwas hervorzerrt, das sich wie ein Kuchen ausnimmt. Schwer zu sagen, was sich wirklich unter den Verpackungsschichten verbirgt. Wenn wir Pech haben, ist es nicht Buttercreme mit Streuseln, sondern ein Barren Kopfsülze.
Dann sitzen wir Knie an Knie auf unserem Kinderbänkchen und beobachten Papa beim Kaffeekochen. Unter den Polstern ist die Bank aufklappbar. Als ich zum letzten Mal hineingeguckt habe, auf der Suche nach Schleifen für eins meiner Kostümprojekte, lagen darin Häkeldeckchen, Margarinenbecher und Gummibänder.
Auf der gegenüberliegenden Seite des Tisches steht der Armlehnenstuhl. Ein verfilztes Strickkissen liegt darauf, jahrelang plattgesessen. Dort hat Oma gewohnt.

Als Kinder stritten Jule und ich uns darum, wer Oma kämmen durfte, während sie auf dem Armlehnenstuhl thronte. Wir fingen unten an, wo ihre arschlangen Haare dünn ausliefen. Dort konnte man sich noch vorstellen, es seien die dunklen Locken einer Prinzessin – bis wir uns weiter nach oben bürsteten, zu den grauen Strähnen und den fleischigen Ohrläppchen, die weich waren und mit viel Flaum daran, wie Pfirsiche, die man im Schulranzen vergessen hatte. Wenn wir am Scheitel angekommen waren, wo das Haar flach und ölig lag, drehte Oma ihren Zopf zu einem überraschend kleinen Knoten und setzte eine Perücke darauf. Sie hatte viele Perücken, alle mit kurzen Locken, aber in unterschiedlichen Brauntönen, je nach Jahreszeit. Wenn Oma die nicht gerade auf ihrem Knötchen trug, saßen sie auf Styroporköpfen ohne Augen vor dem Schlafzimmerspiegel. Manchmal, wenn Mama uns am Sonntagabend abholen kam und sich noch auf einen Kaffee an den Küchentisch setzte, sagte sie, ein echter Kurzhaarschnitt wäre womöglich praktischer als arschlange Haare mit einer Kurzhaarperücke obendrauf. Doch das kam für Oma aus Bibelgründen nicht in Frage, zumindest nicht bis zum ersten Schlaganfall.

Jule versucht, mit dem Käsemesser Scheiben vom gefrorenen Kuchen zu säbeln. Weil ich nicht hinsehen und Jule das Messer auch nicht wegnehmen kann, ohne dass sie es als Entmündigung anprangern würde, gehe ich Sprudel holen. Den Flur zum Wasserkasten in der Stube hat Papa in einen Tunnel mit Wänden aus Computerlaufwerken verwandelt. Hier müsste man auch mal einen Stent einsetzen, oder wenigstens mal eine Knoblauchknolle hindurchwerfen. Doch Papa hat einfach Bettlaken und Teppiche über die Geräte gehängt, damit es schöner aussieht. Als er mit dem Zubauen anfing, habe ich geschimpft, wegen der Oma, die doch seit dem Schlag eh nicht mehr gut laufen konnte. Aber er hatte ihren Rollator ausgemessen, links und rechts sogar noch fünf Zentimeter Manövrierspielraum draufgeschlagen. Auch als er die Laminatfalttür zur Stube zuzog und das angrenzende Esszimmer zum Verkaufsraum für seine auf- und umgerüsteten Schrottcomputer machte, hatte ich keine Chance. Wenn ich mit Oma allein war, klagte sie über den annektierten Empfangsraum, die Unzugänglichkeit des guten Porzellans. Wenn ich Papa vor ihr zur Rede stellte, fand sie ein Esszimmer eigentlich überflüssig und Gäste sowieso eher lästig. Zum Schluss blieben ihr so nur die Küche und die Stube, in der sie schlief und fernsah, wenn sie sich nicht gerade vor Elektrosmog fürchtete.

Früher nähte Oma in der Stube mit uns Stoffschweine und häkelte Ringelschwänze dazu, während Papa in der Garage an den Enten seiner Kunden schraubte. In der Küche kochte sie tolle Sachen: Rindsrouladen mit dicker Soße und Kartoffelknödeln, die elastisch wie Flummis waren, aber nicht so verwendet werden durften. Oft holte sie fünf Hähnchen vom Markt, zerknackte ihre Wirbelsäulen, Beine und Rippen mit der Geflügelschere, um sie dann dicht an dicht auf ein Backblech zu ordnen. Wenn die Hähnchenteile endlich fertig waren, durfte nichts verschwendet werden. Das Bratfett wurde über die Kartoffeln gegossen. Sobald wir aufgegessen hatten, sammelte Oma unsere Knochen auf ihren Teller, nagte Sehnen und Knorpel ab und brach schließlich die Röhren auf, um das Mark herauszusaugen. Wir schüttelten uns, schrien „pfui“ und „bäh“, wenn sie so schmatzte und mit beiden Händen zugriff. Nach dem Abräumen wurden die übriggebliebenen Hähnchenteile in Margarinendosen gelegt, die in Gefrierbeutel gesteckt wurden, die doppelt zugeknotet und ihrerseits in Einkaufstüten verpackt wurden. „Damit die Beinchen nicht davonlaufen“, sagte Oma. Die meisten Beutelpakete wurden eingefroren, damit man bei Gelegenheit Mikrowellenschenkel machen konnte, die innen oft gefroren blieben. Zwei Beutelpakete mussten wir aber mit nachhause nehmen, weil Mama nie anständig kochte.

Jule verteilt Kuchenfetzen auf Kristallteller, und Papa stellt die Kaffeekanne auf die Wachstischdecke. Dann setzt er sich vor Kopf und beginnt, eine Zigarette zu drehen. Früher übernahm Jule das oft für ihn. Ihre Zigaretten waren rund und schön, meine immer platt, mit viel Spucke am Papier. Die mochte er nicht rauchen. Vor ein paar Monaten haben Jule und ich die jahrzehntealte Blümchentapete überstrichen und Nikotinschmier von Fensterrahmen, Hängeschränken und Tür gewaschen. Danach habe ich Papa das Rauchen im Erdgeschoss verboten – der Oma zuliebe, die sich nie traute, etwas zu sagen. Ich hatte nicht erwartet, dass er sich daran halten würde, aber er tat es. Und jetzt darf er hier meinetwegen wieder alles zuqualmen.
Jule hustet ein paar Mal und wedelt die Schwaden weg. Ich muss sie unter dem Tisch kneifen, damit sie aufhört mit ihrem Getue. Darum geht es uns heute nicht.
Früher war es Jule, die mich unter dem Tisch kniff und piekte, bis ich ihr über dem Tisch an den Haaren zog und dafür von Papa ausgeschimpft wurde, der sie nie durchschaute. Bei Oma war das anders, die langte eines Tages über den Tisch und verpasste Jule eine echte Ohrfeige, die uns beide zum Heulen brachte. Als wir Mama die Ohrfeige petzten, sagte Oma, sie habe Jules Wange nur gestreichelt. Wir waren erschüttert: Oma log. Was würde der liebe Herr Jesus dazu sagen?

Oma hatte einen guten Draht zum lieben Herrn Jesus. Er sprach zu ihr, riet ihr etwa aus der evangelischen Kirche auszutreten, weil diese bald von den Katholiken übernommen würde. Einmal platzierte er sogar ein Atkins-Diätbuch so geschickt neben dem Altpapierkontainer, dass sie es finden und damit all ihre Gebrechen heilen konnte. Und nichts war ihm zu gering, darin seine Fürsorge zu offenbaren, und sei es bloß, dass sie den Knopf wiederfand, der ihr beim Bücken von der Bluse gesprungen war. Ein Leben lang hatte der liebe Herr Jesus seine schützende Hand über Oma gehalten.
Als Jule und ich noch in ein Bett passten, las Oma uns immer aus der Bibel vor. Sie versuchte zu erklären, warum Abraham Isaak wie ein Vieh auf den Opfertisch gebunden hatte: aus reiner Liebe und demütigem Gehorsam. Der barmherzige Samariter blieb Jule und mir dennoch lieber, und natürlich der liebe Herr Jesus, der uns von allen Wänden herab gütig anlächelte, weil er Kinder so gern hatte. Über unserem Bett stand er umringt von Schäfchen. Und das Lamm, das er auf dem Arm trug, war Jule, und das etwas größere Lamm, das mit der Nase in seine Tasche stupfte, das war ich. Und wenn Gott vielleicht einmal keine Lust gehabt hätte, uns am Morgen zu wecken, wäre das kein Problem gewesen, weil wir sofort an der Hand des lieben Herrn Jesus in den Himmel aufgefahren wären. Nur Mama würden wir dort nicht treffen. Das tat der Oma selbst schrecklich leid, uns das sagen zu müssen, aber ohne den lieben Herrn Jesus an der Hand konnte man nunmal nicht fliegen. Mama schimpfte sehr mit Oma als sie ihre rotäugigen Kinder am nächsten Morgen in Empfang nahm.

Sehr viel später erfuhr ich von einer entfernten Großtante, dass Oma sich in einem Wandschrank versteckt hielt, als sie noch nicht die Oma war, sondern ein ostpreußisches Mädchen, das Trudchen hieß. Im selben Raum erschossen russische Soldaten währenddessen ihre Mutter und ihren Bruder. Monate später brachte Trudchen ein Kind unbekannten Namens und Geschlechts zur Welt, das von einem unbekannten Russen gezeugt worden war. Die Ankunft im Westen erlebte es nicht mehr. Und so gebar Trudchen dem Fremden, der mit dem Namen ihrer ersten großen Liebe aus sibirischer Gefangenschaft zurückkehrte, ihr zweites erstes Kind, meine Tante. Dann folgte Papa und die Familie richtete sich ein. Der Vater auf dem Platz vor dem Fenster, die Mutter auf dem Armlehnenstuhl, die Kinder auf der Bank.
Ein gemeinsames „Kommherrjesusseiduunsergastundsegnewasduunsbescherethast“ über den sonst stillen Mahlzeiten. Als der Vater eines Tages vom Stuhl kippte, änderte sich eigentlich nichts. Nur der Platz am Fenster blieb leer und der Herr Jesus war jetzt nicht mehr Gast sondern Familienoberhaupt. Und er sperrte seine Kinder zu ihrem eigenen Besten in den Spinnenkeller, wenn sie statt der Bibel Westernheftchen lasen.

An der Fotowand hängt ein Sepiapapa mit kurzen Hosen und knubbeligen Knien. Der aktuelle Papa darunter erscheint kaum farbiger.
„So, was ist der Plan?“
„Welcher Plan?“, fragt er.
Jule setzt sich auf, hat ihren Einsatz erkannt. „Na, wir dachten, du würdest dir jetzt vielleicht eine kleine Wohnung nehmen wollen. Weniger zu putzen, weniger Gartenarbeit, ein Balkon vielleicht. Das könnten wir sicherlich sehr hübsch machen.“
Als ich sehe, wie er Luft schnappt, setze ich nach: „Also hier kannst du wirklich nicht bleiben. Das Haus ist viel zu groß und zu teuer. Da muss so viel gemacht werden. Du musst doch Johannes auch seinen Erbteil auszahlen. Du bekommst ja nicht mal Rente.“
„Ich habe eine bessere Idee“, verkündet Papa.
Jule rollt die Augen, und ich versuche, ein offenes Gesicht zu machen. „Ach ja?“
„Du könntest das Haus kaufen.“
Ich huste ein paar bunte Streusel. „Ich?“
„Du wolltest doch ein Haus kaufen. Du und Josch, ihr habt doch gespart.“
„Ja, aber doch nicht dieses Haus.“
„Jetzt lass mich doch erstmal aussprechen. Das ist eine gute Wohngegend hier, mit vielen jungen Familien. Und es wäre sehr praktisch. Ihr könntet unten einziehen und ich würde oben bleiben. Ich kann auch auf Paul aufpassen, wenn ihr arbeitet. Und wenn ich dann tot bin, hättet ihr das ganze Haus. Jule müsste natürlich unterschreiben, dass sie ihren Erbteil abtritt, wenn ihr schon das ganze Geld reinsteckt.“
„Mach ich sofort“, sagt Jule und lehnt sich zurück.
Jetzt passt es ihr natürlich wunderbar, dass sie von Praktikum zu Volontariat zu Schwangerschaftsvertretung hüpft, von Klappsofa zu Luftmatratze. Mit ihren schmalen Schultern und dem hohen Pferdeschwanz wirkt sie noch immer wie ein zwölfjähriges Mädchen. Dafür sah ich schon mit fünfzehn aus wie die Mutter, die ich heute bin. „Was zum Anpacken“, sagte Papa. „Monstertitte“, riefen die Jungs auf der Straße.
„Paul geht aber am anderen Ende der Stadt zur Schule“, sage ich, „das liegt jetzt fünf Minuten von zuhause und genau auf dem Weg zur Arbeit.“
„Der kommt doch nächstes Jahr eh auf die Weiterführende“, wirft Jule ein und versenkt den fünften Zuckerwürfel in ihrer Kaffeetasse.
Ich will ihr unterm Tisch vors Knie treten und überm Tisch an den Haaren ziehen. Stattdessen überlege ich angestrengt, lasse es aussehen, als ließe ich mir die Sache ernsthaft durch den Kopf gehen, als suchte ich nur noch die richtigen Wandfarben aus. Doch weil mir keine gute Lüge einfällt, sage ich schließlich die halbe Wahrheit: „Aber das Haus ist ... schlimm. Das müsste man doch quasi abreißen und neu bauen. Die Heizung ist hundert Jahre alt, die Bäder ... Ich will nicht hier wohnen.“
Papa schüttelt den Kopf und macht böse Schlitzaugen. „Wie kommst du eigentlich darauf, dass es hier um dich geht? Aber das ist typisch. So warst du schon immer. Dabei weißt du genau, was passiert, wenn du mir Stress machst.“

Manchmal ging Papa mit uns zum Bärenloch, wo wir Stichlinge und Kaulquappen fingen, um sie zuhause ins Aquarium zu setzten. Wenn die Stichlinge es nicht schafften, alle Kaulquappen rechtzeitig zu fressen, ließen die sich Beinchen wachsen, mit denen sie aus dem Aquarium heraussprangen. Dann fanden wir sie Wochen später als knistrige Lederfrösche hinter der Heizung.
Manchmal machten wir auch Radtouren zur Burg und kochten dort Hühnersuppe auf einem wackeligen Gasbrenner, die gute mit den Muschelnudeln, die sich von unten an den Löffel und an den Gaumen napften. Abends zeigte Papa uns dann, wie er die Hühneraugen auf seinen Zehen mit Gift einpinselte, und wir grausten uns freudig.
Aber es gab auch andere Wochenenden, Wochenenden, an denen wir von morgens bis abends vor dem Fernseher saßen und Zöpfe in den Flokati flochten, an denen wir uns bis aufs Blut stritten, während Papa tage- und nächtelang Siedlungen auf seinem Computer baute. Nur zu den Mahlzeiten in Omas Küche machte er Pause: um neun, um halb eins, um drei und um sechs.
Als ich dreizehn und Jule zehn war, fuhren wir das letzte Mal mit ihm in den Urlaub. Dort angelten wir Sardellen, die vor Schreck starben, noch bevor man ihnen mit dem Schraubenschlüssel auf den Kopf hauen konnte. Aber es war eine schwierige Zeit. Papa hatte Angst, dass ihm die deutsche Polizei wegen der schwarzen Entenbastelei über die Grenze gefolgt sein könnte, Jule hatte eine hysterische Phase, und ich schwieg mich in eine perfekte Einsamkeit hinein. Da lernte Papa die Frau im Nebenzelt kennen, die weder schwieg noch kreischte. Um mit ihr im Zelt allein zu sein, halste er uns ihr fünfjähriges Kind auf, „zum Spielen“, wie er sagte. Also spielten Jule und ich zum ersten Mal in diesem Sommer einträchtig, vergruben den bleichen Jungen bis zum Hals im Sand und ließen ihn so allein am Strand zurück. Als andere Camper das verrotzte Kind zum Platz zurückbrachten, heulte Papa laut und nass vor allen Leuten, weil er Töchter wie uns nicht verdient hatte.
Auf der Rückreise, als wir im heißen, verqualmten Auto saßen und die Fenster nicht öffnen durften, wegen der Aerodynamik und weil Papa sonst Zug im Nacken bekam, fragte er uns freundlich: „Und? Wie fandet ihr den Urlaub?“
„Saudoof!“, schrie Jule und trat von hinten gegen seinen Sitz.
Da tat Papa mir leid, weil er doch mit teurem Benzin so weit gefahren war und sich Mühe gegeben hatte. Und so log ich: „Also ich fand’s schön.“
Er drehte sich nicht zu uns um, als er antwortete: „Also ich fand’s auch richtig scheiße. Mir geht’s eh nicht gut im Moment, da habe ich euch mitgenommen, um mich aufzumuntern. Jetzt geht’s mir dank euch noch viel beschissener. Ich hätte nicht gedacht, dass ihr so egoistisch sein könnt.“
Eine Woche später besuchten wir ihn im Krankenhaus, wo er zur Erholung hingegangen war. Er konnte nicht richtig sprechen und als er über dem Nachtisch einschlief, aß Jule seinen Milchreis auf.

Ich versuche, nicht zu klingen, als säße mir ein Lederfrosch in der Kehle. „Papa, es geht nicht um mich. Es geht um dich. Ich mache mir Sorgen. Was ist denn so schlimm daran, in eine perfekt renovierte Wohnung zu ziehen? Es ist doch besser, das jetzt alles ruhig und gemütlich zu organisieren, statt auf die Zwangsversteigerung zu warten.“
Er schnaubt. „Eine Wohnung! Du bist witzig. Ich brauche Platz. Wo soll ich denn hin mit meinen Sachen?“
Ich drehe mich zu Jule um, damit sie noch ein bisschen Zuckerbrot nachlegt, doch sie kneift nur Muster ins Wachs der Tischdecke und schweigt.
„Die müssten wir dann halt mal aussortieren“, sage ich. „Das belastet ja auch. So viele Dinge. Die brauchst du doch bestimmt nicht alle.“
Papa schwitzt und zittert. „Ich will aber verdammt nochmal nicht ausziehen!“, brüllt er und haut auf den Tisch, dass das Käsemesser zu Boden fällt. „Begreifst du das nicht? Ist das zu viel verlangt, dass du einmal auf meiner Seite bist? Dass meine eigene Tochter auch mal was für mich tut?“
In mir schnurrt etwas zu einem harten Knoten zusammen, nicht wie eine Schnecke, der man zu oft auf die Fühler getatscht hat, sondern wie ein Staubsaugerkabel, wenn man auf den Einzug tritt und aufpassen muss, dass einem der Stecker nicht ans Schienbein peitscht. Ich muss raus, quetsche mich zwischen Tisch und Bank hindurch und schere mich nicht darum, dass ich dabei Papierstapel vom Beistelltisch fege. „Gut, dann warten wir jetzt einfach noch ne Weile, bis das Bein ab ist, bis du mit dem Rollstuhl nicht mehr die Treppe rauf kommst und in deinem Scheißtunnel steckenbleibst. Dann stopf ich dich in eine Zwangsjacke, roll dich raus und ruf ein Entrümpelungskommando.“
Jule und Papa glotzen mich an. Noch nie sahen sie einander so ähnlich. Vier grüne Augen sehen zu, wie ich meine Jacke vom Garderobenständer rupfe. Mit schweren Omamänteln behängt, beginnt er zu schwanken und ich kann ihn gerade noch abfangen, bevor ich unter Persianern begraben werde. Dann schleudere ich meine Schuhe von den Füßen und stopfe sie in die Handtasche.
„Und wenn du nicht mit dem Taxi nach Hause fahren willst, würde ich dir empfehlen, jetzt deinen Arsch zu bewegen“, rufe ich Jule noch zu und verlasse das Haus.
Was ich bei meinem Abgang nicht bedacht habe, ist, dass die Außentreppe auf Feinstrumpfhosen tatsächlich noch glitschiger ist als auf hohen Hacken. Ich eile über die erste Stufe, fitsche über die zweite und stürze über die dritte. Vor allem habe ich überraschend viel Zeit, meine Vision auszubauen: offene Brüche, Hirnfetzen am Rauputz, Josch wirft eine weiße Lilie in mein Grab, obwohl er wissen müsste, dass ich die nicht leiden kann. Dann lande ich auf allen Vieren und erinnere mich daran, wie fies Schürfwunden wirklich brennen. Doch was mich aufheulen lässt wie einen Cartoonkojoten, ist nicht der Schmerz, sondern die Demütigung. Hilflos rolle ich mich auf die Seite und sehe nach, ob Knochensplitter aus Handflächen und Knien ragen. Aber so viel Drama ist mir dann auch nicht vergönnt.
Papa und Jule stehen in der Haustür und starren vieräugig auf mich hinab.
„Hilfe“, sage ich gereizt.
Da setzen sie sich in Bewegung, krallen sich am Geländer fest und hoppeln in einer ungelenken Mischung aus Eile und Vorsicht zu mir hinunter.
„Kannst du deine Beine bewegen?“, fragt Jule.
„Du bist aber auch immer ungeschickt“, sagt Papa. Dann kratzt er mich zu einem handlichen Menschenpaket zusammen und hebt mich hoch.
„Lass mich runter! Du bringst uns beide um!“, zetere ich, während er mich die heimtückische Treppe hinaufträgt. Aber sein Griff und sein Schritt sind fest.
„Wo willst du hin?“, frage ich, als er versucht, sich mit mir durch den Computertunnel zu fädeln.
„Na, in die Stube, aufs Sofa“, antwortet er zwischen zwei Schnaufern.
Da trommele ich mit den Fäusten auf seinen Rücken. „Bist du bescheuert? Die Oma lag da sechs Stunden, bevor du sie gefunden hast. Lass mich jetzt runter! Ich kann selber laufen, verdammt nochmal!“
„Dann leg dich oben auf die Couch. Ich hab den Verbandkasten in meinem Zimmer.“
Die Treppe in die erste Etage ist tatsächlich kein Problem. Das wird erst kommen, wenn sich Krustenpanzer um meine Knie geschlossen haben. Doch zur Sicherheit läuft Jule hinter mir her. Oben wischt sie sich ein bisschen Wasser aus den Augen. „Ich hab mich nur erschreckt.“
Wir bahnen uns einen Weg durch Angelruten, Sportbögen und Waschmaschinenkartons, auf die Papa Zielscheiben geklebt hat. Jule zieht den Flokati auf der Couch glatt, bevor ich mich hinlege. Über mir an der Schräge hängt die Jutepinnwand, darauf unsere Kinderkunst: das Bild mit dem Haus, in dessen Fenster Jule zehn ihrer hundert selbstklebenden Schulporträtfotos gepappt hat, mein Origamikrokodil, eine Maus aus versteinerten Marshmallows. Jule hockt an meiner Seite und streicht mir das Haar aus der Stirn, während Papa im Zimmer nebenan offenbar ein paar Schränke umwirft.
Ich schließe die Augen und denke an das rotäugige Kitz, das im Garten auf der Nase liegt, an die Häkeldecken im Kinderbänkchen und den lieben Herrn Jesus mit seinen Schäfchen über dem Bett. Und ich weiß, dass Papa nicht ausziehen kann, weil er an noch viel mehr Dinge denkt. An die Ententeile, die im Keller bis zur Decke gestapelt sind und für jeden Sammler ein echter Schatz wären: Rückbänke, Kotflügel und Stoßstangen. An die 95er Computer und Röhrenbildschirme, die nicht nur im Erdgeschoss, sondern auch in unserem ehemaligen Gästezimmer darauf warten, dass er sie irgendwann zusammenbastelt und verkauft. Er denkt an den großen Zeichentisch in seinem eigenen Kinderzimmer, den er zu Beginn seines Ingenieurstudiums gebraucht kaufte, und daran, wie erst Oma, dann Mama, dann Jule und ich, dann eine lange Reihe stressiger Freundinnen ihn vom Studieren abhielten, bis er außer dem anonymen Prüfungsamt niemanden mehr fand, der schuld sein konnte, und sich mit fünfzig im sechzigsten Fachsemester exmatrikulieren ließ. Und er denkt an die Bastelarbeiten seiner Schwester Christel: Makrameeeulen und staubige Blumengestecke, die Bilder, die sie malte, bevor sie den einjährigen Johannes bei ihrer Schwiegermutter absetzte und selbst vor einen Lastwagen sprang, weil sie spürte, dass eine neue Welle auf sie zurollte. Es waren die gleichen Wellen, die ihn selbst wieder und wieder von den Füßen rissen. Manchmal gelang es ihm, auf ihnen zu reiten, mit Gischt im Vollbart durch ein Leben voller Möglichkeiten zu surfen. Da spielte er spanische Gitarre, züchtete Cannabis unter Infrarotlampen, reiste im Entenkonvoi nach Italien, liebte meine Mutter und gründete Initiativen, die eines Tages die Waffenindustrie, das Militär und die Polizei abschaffen würden. Doch dann schlugen die Wellen über ihm zusammen, wirbelten ihn im Kreis und spuckten ihn schließlich mit zerschundener Seele in sein Elternhaus zurück. Wieder und wieder entkam er. Wieder und wieder fand er sich an der Wachstischdecke, die Füße unter dem mütterlichen Tisch, das gebeugte Haupt unter den wachsamen Augen des lieben Herrn Jesus.
Mama erzählte mir von seinem letzten Ausbruchsversuch: An diesem Tag kurz nach Jules Geburt stach er Oma das Käsemesser mit der Doppelspitze in den Rücken. Er wollte nachsehen, ob sie ihr Herz wirklich am rechten Fleck trug, wie sie immer behauptete. Da rief sie den lieben Herrn Jesus an: „Nimm mich zu dir, Herr, ich bin bereit zu sterben!“ Doch so sollte es nicht sein. Sie hatte eine dicke Haut und blutete nur ein paar Tropfen. Und so lebten Papa und Oma fortan unter einem Dach und er begann, sich dort mit ihr einzumauern.

Papa rumort noch immer in seinem Zimmer und ich muss ein bisschen heulen. Da hakt Jule ihren kleinen Finger in meinen. „Wir machen das schon.“

 

Überraschung! :dozey:
Fliege hat mir schon ziemlich früh den Zahn gezogen, dass ich mich hinter dieser Geschichte gut verstecken könnte. Und dann direkt im ersten Kommentar enttarnt. Menno!:heul: Man könnte es ja auch als Kompliment auffassen, irgendwie. Ist ja auch gut zu wissen, dass man sowas wie nen erkennbaren Stil hat. Aber ich hab mich trotzdem geärgert. Wahrscheinlich ist mein Spieltrieb einfach noch ausgeprägter als meine Autoreneitelkeit :D Und ein bisschen stilistische Vielseitigkeit wär ja auch nicht schlecht, aber nagut. Zum Glück gab es wenigstens ein paar, die ich hinters Licht führen konnte. Und durch die Ratebeiträge, die anderen Autoren, die da erwogen wurden, hab ich mich auf jeden Fall sehr geschmeichelt gefühlt. Besonders Quinns irrer Mr. Hyde Autor wäre ich gern gewesen. But alas! Boring old fiz.
Dabei war mir die Geschichte tatsächlich sehr fremd. Ist sie noch. Ich seh zwar die einzelnen Sätze und Stellen und kann die auch mögen, aber so im Ganzen fühl ich mich da nicht wirklich zuhause drin, gerade in der Erzählerin (also im letzten Copywrite zum Beispiel hab ich mich einfach nur wohl und ich selbst gefühlt). Deshalb hat diese Geschichte sich für mich als Maskentext angeboten. Das ist seltsam, weil es doch auch der Text ist, der die größten autobiografischen Anteile hat (keine Angst, das ist schon alles sehr verwurstet und keine der Figuren bin ich, schon gar nicht die mit den dicken Titten). Darum muss ich ihn vielleicht so auf Armeslänge von mir fernhalten, weil da schon auch viel Bitteres drinsteckt. Denselben Zweck erfüllt wohl auch der Humor und die Maske halt.
Es hat mich sehr berührt, dass sich da offenbar so viele mit der Geschichte identifizieren konnten, da ganz drinsteckten, wo ich im Moment noch son bisschen außen vor stehe. Also wirklich ein ganz großes Dankeschön an alle Kommentatoren. Dass so viele die Geschichte mochten, hilft mir irgendwie, dazu selbst einen Zugang zu finden. Ausserdem fühlt sich diese Enthüllung durch das viele Lob auch ein bisschen an, als dürfe ich mir jetzt einen Dichterlorbeer aufsetzten. Das ist auch nicht übel. :D
Zum Glück gab es aber nicht nur Lob sondern auch Kritteleien und Verwirrung. Also der Text ist auf jeden Fall weit davon entfernt, perfekt zu sein. Ich glaube, das Problem liegt zum Teil auch darin, dass ich eine echte Familiengeschichte mit echten Menschen in eine Kurzgeschichte mit Figuren komprimieren musste. Rick hat ja geschrieben: „Das halte ich für eine große Kunst, aus Geschichtenfiguren Menschen zu machen.“ Für mich war es hier eher die Herausforderung aus Menschen Geschichtenfiguren zu machen. Das sind ja jetzt vielleicht 5 Prozent des Gesamtkomplexes und trotzdem soll sich da ein rundes Bild ergeben. Und vieles, was für mich im Hintergrund klar war, konnte der Leser da nicht mehr unbedingt nachvollziehen. Dass ich nicht auf die Kommentare antworten konnte, hab ich nicht als so schlimm empfunden. Aber als mir klar wurde, dass im Text einiges undeutlich ist, und ich es nicht ändern konnte, das hat mich schon gequält. Scharen von Lesern irren herum, wo man doch einfach schnell ein paar Wegweiser aufstellen könnte.

Da einige Punkte mehrfach aufkamen, werde ich das thematisch bündeln, um mich nicht immer zu wiederholen und nicht so viele Querverweise setzen zu müssen. Im Anschluss daran bekommt aber jeder Kommentator noch mal seine individuelle Antwort.

Die Familensituation
Ich schätze mal die Situation in der die Handlung spielt ist einigermaßen deutlich geworden: Die Oma hat es vor kurzer Zeit dahingerafft und der Vater kann sich das Haus jetzt eigentlich nicht mehr leisten, weil es noch andere Erben auszubezahlen gilt. Es geht nicht unbedingt darum, ihn ins betreute Wohnen zu stecken, denn er kann sich ja trotz drohendem Raucherbein gut selbst versorgen, aber er muss halt einfach ausziehen. Er ist auch kein uralter Mann (heiner hat ihn ja auf 70 geschätzt), sondern ich stell ihn mir so im Alter von 58-60 vor. Quinn hat das Alter der Töchter ja detektivisch genau ermittelt: „Wann wird das gewesen sein? 95? 96? Was gab's da? Das erste Siedler kam 93 raus, das zweite 96. Sim City 2000 kam 93 raus. Die Mädchen sind vielleicht 85 geboren und 83.“ Die ältere ist tatsächlich so 30-32. Aber weil halt nicht jeder Leser ein Privatdetektiv ist, werde ich da noch ein paar deutlichere Hinweise einbauen.
Dafür hat heiner die Situation des Aufwachsens ziemlich gut charakterisiert. Also der Vater ist kein Witwer, sondern ein Wochenendpapa. Die Mutter hat sich von ihm getrennt, weil er halt einfach untragbar war und das trägt die Oma ihr womöglich nach. Diese Situation kann man allerdings höchstens implizit rekonstruieren, weil die Kinder im Gästebett schlafen und weil es nur um die Wochenenden geht, während der Schulalltag ganz ausgeblendet bleibt. Ich denke auch nicht, dass dieser Vater in der Lage wäre, so viel Verantwortung zu übernehmen. Aber gut, ich seh völlig ein, dass ein Leser da verwirrt sein kann und werde das deutlicher gestalten. Auch weil das schon ein anderes Licht auf ihn wirft, wenn man ihn nicht als überforderten Witwer bemitleiden muss, wie Quinn das getan hat: „Das ist schon ein richtig trauriger Absatz durch die Kinderaugen, dass er da wirklich mit den beiden kleinen Säcken in Urlaub fährt, wohl alleine, und dann hat er Glück und trifft wen und hat wohl ein bisschen Sex und ein bisschen Glück und die Kinder sabottieren das eiskalt. Graben den Jungen ein, sind sicher neidisch. Ich denke diese Dynamik bei einem Witwer mit Kinder in dem Alter – das ist grausam. Grad mit zwei Mädchen in dem vorpubertären Alter da – wenn man überlegt, man ist da in den Schuhen des Mannes – ich weiß auch nicht, wie man sich da verhalten sollte. Da hast du ja 10 Jahre Hölle vor dir.”
Wenn man vorausetzt, dass er die Kinder eingentlich nicht so viel sieht, nicht für ihre Aufzucht verantwortlich ist, verschiebt sich das doch und die verdaddelten Wochenenden und Urlaubsgeschehnisse lassen ihn ziemlich egozentrisch wirken, wie heiner sagte: “Mit dreizehn ist sie zum letzten Mal mit ihm in den Urlaub gefahren – scheinbar hat sich ihre Mutter früh von ihm getrennt und sie hat Papa nur am Wochenende und in den Ferien erlebt – sprich: so richtig viel war er nicht für sie da und jetzt stellt er solche verqueren Forderungen auf? Das bekomme ich nicht zusammen”
Diese scheinbare Unlogik ist halt genau der Punkt, den ich darstellen wollte. Er hat sich oder konnte sich halt nie so richtig um die Töchter kümmern, hat sie aber im Gegenzug immer schon für sein Wohlergehen verantwortlich gemacht, was natürlich eine Verkehrung der Rollen ist. Klar ist das pervers. Aber das heißt ja nicht, dass es deshalb nicht so sein kann. Zumal er halt tatsächlich kein ganz normaler Mensch ist. Was uns zum nächsten Punkt führt ...

Die Krankheit des Vaters
Einige haben ja eine Depression diagnostiziert, dazu vielleicht noch ein Peter-Pan-Syndrom, und das ist auch richtig. Es geht aber noch ein bisschen weiter als das. Die psychische Erkrankung, die ich darstellen wollte ist eine bipolare Störung. Der Vater ist manisch-depressiv mit psychotischen Schüben: die Angst, von der Polizei verfolgt zu werden, der Angriff auf die Oma. Deshalb auch das Bild der Wellen: so übersteigerte Euphorie mit Allmachtsvisionen (Welt retten etc.) und dann wieder völlige Handlungsunfähigkeit. Die Tante hatte ja dieselbe Krankheit. Es ist typisch, dass manisch Depressive sich umbringen, wenn sie merken, dass wieder ein manischer, psychotischer Schub kommt. In den depressiven Phasen sind sie selbst dazu meist nicht in der Lage.
Und der Vater trägt seine Anfälligkeit halt so ein bisschen wie einen Schild vor sich her: „Stress mich nicht, sonst gefährdest du meine seelische Gesundheit. Nimm Rücksicht, sonst bist du es hinterher schuld.“ Was natürlich gerade gegenüber Kindern ein ziemlich mieses Druckmittel ist, die so für das Wohlergehen des Vaters verantwortlich zu machen. Wegen dieser Krankheit reagiert er womöglich auch egozentrischer, kindlicher und sturer, als man es von einem erwachsenen Mann erwarten könnte. Wobei ich auch psychisch gesunde Rentner kenne, die sich gegen jede Vernunft gegen einen Umzug sträuben, egal was das für sie und ihr Umfeld bedeutet. Es ist schwer, da die Grenze zwischen Krankheit und Charakterzug zu ziehen.
Also für Leute, die sich mit solchen Krankheiten nicht auskennen, ist das sicherlich so detailliert nicht zu diagnostizieren, aber in diesem Fall werde ich das nicht verdeutlichen. Weil sich die meisten Kommentatoren ja nicht dran gestört haben. Ich glaube, man braucht die medizinische Diagnose nicht, um den Vater als Leser einigermaßen einordnen zu können.

Die herkulischen Kräfte des Vaters
Das wurde ja von einigen bemängelt, dass es unrealistisch sei, dass der Vater seine Tochter trägt. Mit dem Vorwurf hatte ich auch schon gerechnet, er ist also nicht sehr weit hergeholt. Allerdings habe ich folgende Ausreden dafür, dass ich es trotzdem nicht ändern werde.
1. Der Vater ist tatsächlich kein greiser Krüppel. 60jährige sind oft erstaunlich stark und schlechte Durchblutung im Bein ist noch keine richtige Behinderung.
2. Die Tochter hat zwar dicke Titten und wahrscheinlich breite Hüften, aber das heißt ja nicht, das sie insgesamt dick sein muss. Vielleicht ist sie ja nur 1,50 groß.
3. Ein bisschen übertrieben sollte es schon sein. Es ist ja der Moment eines Umschwungs hier, in dem die Tochter, die immer eher Mutter war, endlich Kind sein darf, und der Vater, der nie wirklich erwachsen wurde, sich endlich wie ein Vater benimmt. Darum ging es mir, zu zeigen, dass bei allem, was da schiefgelaufen ist und rollenmäßig verdreht wurde, auch sowas wie väterliche Fürsorge da ist, wenn auch nur punktuell (an guten Wochenendtagen) und im Notfall. Damit es halt nicht so eindimensional ist, mieser Vater und Punkt. Müttern sagt man ja manchmal nach, dass sie Autos hochheben können, wenn ihr Kind drunter liegt, und dieses leicht magische Motiv wollte ich hier etwas aufnehmen.

Das Ende
Beim Ende bin ich selbst noch nicht ganz sicher. Einerseits sehe ich schon, dass es so ein bisschen lieb und leise ausläuft, ohne das was geklärt ist. Andererseits kann es in dieser Situation auch keine richtige Klärung geben. Die Tochter erkennt, warum der Vater nicht ausziehen kann und weiß trotzdem, dass er muss. Die Positionen sind klar und unvereinbar. Alles ist gesagt. Was jetzt kommen wird, sind ewig währende, zermürbende Diskussionen und Wiederholungen. Und ich glaube nicht, dass es den Text besser machen würde, den Leser damit zu beuteln. Da wäre der am Ende auch völlig zermürbt und im Zweifelsfall gelangweilt. Das wäre zumindest meine Befürchtung, wenn ich heiners Wunsch folgen würde: „Also, ich hätte mir etwas mehr an Auseinandersetzung gewünscht, nicht gradlinig und ausschließlich mit Argumenten, nein, in der Form wie es in der ersten Hälfte passiert. Papa zieht sich schmollend zurück, Tochter kommt auf ihn zu, es knallt, Vorwürfe (von beiden Seiten und gespickt mit der Vergangenheit) werden durch den Raum geschmettert, Abkühlung, erneute Annäherung, die Schwester kommt mit hinzu und dann vielleicht ein offenes Ende und nicht so versöhnlich wie bei dir.”
Da lasse ich den Leser lieber ein bisschen hungrig als übersättigt zurück.
Der Sturz bringt ja so ein bisschen Bewegung in die Sache. Ursprünglich war der gar nicht drin. Da ist die Erzählerin einfach frustriert abgezogen. Das wäre ein noch lahmeres Ende gewesen. Aber jetzt mit dem Sturz wird alles noch mal durcheinandergewirbelt, von einer anderen Seite beleuchtet. Da wird klar, dass sich alle trotz allem Streit und vergabgener Verfehlungen auch lieb haben und umeinander sorgen. Das ist schön, aber es ist eben trotzdem keine Lösung des Problems. Insofern ist es auch ein trauriges Ende, diese Erkenntnis, dass Liebe und Verständnis allein hier auch nicht aus der Patsche helfen werden. Das einzige, was die Schwestern tun können, ist eben zusammenzuhalten. Und so war das auch gedacht, diese Figerhakgeste, wie Dion schrieb: „Dazu wird die kleinere Schwester die ihr zugewiesene und bisher verweigerte Zuckerbrotrolle fortan übernehmen, während die Erzählerin weiter die Peitsche schwingen wird.”
Also wenn mir da noch was Großes zum Ende hin einfällt, was sich nicht in Zankereien verzettelt und zerdehnt, dann änder ich das vielleicht noch. Aber im Moment hab ich nichts.

Also nochmal vielen Dank für die Kommentare. Ein ganz spezieller Dank geht auch an Fliege, die mich wirklich großartig und unendlich geduldig, ja man muss schon sagen „betreut“ hat.

Ansonsten kann ich jedem nur empfehlen, sich mal die Maske aufzusetzen. Es wird ja hoffentlich nicht jedes Mal so langweilig beim Raten wie in meinem Fall. Und die Wartezeit bis zum Einstelltermin und das Bewusstsein, dann für 10 Tage mal nicht am Text rumfummeln zu können, hat mich schon dazu getrieben, länger und intensiver am Text zu arbeiten als sonst. Das hat ihm glaube ich gut getan und ich werd mich bemühen, das auch bei meinen „normalen“ Texten mehr umzusetzen. Nicht immer alles sofort einzustellen, sobald ich hinten nen Knoten drum machen kann.

Gute Nacht!

 

Liebe Novak,

Du warst meine erste und wahrscheinlich auch leidenschaftlichste Kommentatorin. Es hat mich wirklich sehr beruehrt, wie emotional Du auf die Geschichte reagiert hast und wie gut Du verstanden hast, um was es mir ging. Du hast Dich nicht so sehr von der lustigen Buntheit beeindrucken lassen, sondern hast das Bittere dahinter gesehen.

Die Geschichte der Weitergabe eines Traumas von einer Generation an die nächste. [...] Die Oma ist noch im Krieg schwer traumatisiert worden. Sie hat überleben müssen, Dinge tun müssen, die einem heutzutage das Herz zusammenziehen würden, es musste ja weitergehen, sie hat auf Überlebensmodus geschaltet. Kinder aber, die von jemandem groß gezogen werden, der seine Dämonen nur einsperren kann zusammen mit einem Herzjesulein, von jemandem, der seine eigenen Traumata nie bewältigt hat, diese Kinder werden selbst traumatisiert. Den Rest übernehmen dann die Bibelgeschichten mit der schrecklichen Kindsopfergeschichte, die bigotte Moral (der Kommentar der Oma zur Mutter) oder das Einsperren im Keller. Beide Geschwister, der Vater und seine Schwester sind/waren depressiv und wie ich dem Text entnehme, schwer depressiv. Bruder und Schwester (also Vater und Tante) haben versucht, sich davon zu befreien und sind doch jeder auf seine Weise daran gescheitert. Er der Vater hat seine Mutter attackiert und sie nach dem Tod "vergessen". Auch die beiden Enkel, also Jule und die Icherzählerin haben an diesem schrecklichen Familienschatz zu tragen. Dieser Fluch, das Trauma, die Depression, das ist von einem zum anderen weitergegeben worden. Man spürt es, wenn die Icherzählerin davon berichtet, wie oft sie allein blieben und sich selbst versorgen mussten, wie sehr sie um die Liebe des Vaters (und aus Rache für die Mutter) kämpften, dass sie den fremden Jungen bis zum Hals eingruben. Oder wie sie den Vorwurf des Vaters, sie sei eigennützig, empfindet.
Tatsaechlich hatte ich mir beim Schreiben die Aufgabe gestellt zu zeigen, wie so ein Kriegstrauma durch viele Generationen hindurchsickert. Wahrscheinlich wird der kleine Paul auch noch etwas davon abbekommen. Aber in jeder Generation praegt es sich etwas anders aus. Und alle machen Fehler, aber wenn man die Kette so zurueckverfolgt, versteht man auch warum. Und klar ist das schlimm fuer Kinder, solchen zerbrochenen Menschen ausgeliefert zu sein. Das bleibt auch im Erwachsenenalter schlimm, nur kommt dann oft das Verstaendnis hinzu, was es aber auch nicht unbedingt leichter macht, damit umzugehen.

Wenn man den Anfang des Textes sieht: Zuckerbrot und Peitsche machen, sagt da die Icherzählerin, da ist sie auf die böse Rolle festgelegt - oder anders ausgedrückt, die Verantwortungsträgerin. Und die beiden Schwestern halten eben nicht zusammen, sie müssen sich erst absprechen, sich zusammentun, da gibt es keine echte Schwesternsolidarität, sondern Rollen. Und als die Icherzählerin auf die Schnauze fliegt und ihr Vater sie trägt, da kippt das alles ein bisschen, dieses Festgelegte. Da hakt dann die Kleine der Großen den Finger ein und aus dem Du wird ein Wir.
Ja, so hatte ich es mir gedacht. Sie uebernimmt schon freiwillig die schwerere Rolle, aber sobald die Schwester einen Ausweg sieht, entzieht sie sich der laestigen Pflicht. Andererseits stellt der Sturz die Solidaritaet zwischen den Schwestern, aber eben auch die Fuersorge des Vaters wieder etwas her. Da ist zwar viel kaputt, aber eben doch nicht alles.

Der Satz drückt für mich so wunderbar das Starren und Staunen derjenigen aus, die auf einen herabglotzen. Wenn man da unten liegt, sich weh getan hat, nicht weiß, ob man lachen oder weinen soll, dann sind die Köpfe und Augen der Beobachter gar keine einzelnenTeile mehr, sie verlieren ein bisschen die Individualität, verbinden, vereinen sich zu einem gemeinsamen Glotzen. Und vieräugig drückt das perfekt aus, ein vieräugiges Glotzmonster.
Schoen, dass es fuer Dich funktioniert hat. Fuer mich war es auch ein Rueckbezug auf die ploetzliche Aehnlichkeit von Jule und Pappa mit den vier gruenen Augenpaaren. Da formieren sich durch den Ausbruch der Erzaehlerin die Allianzen kurz um, nachdem Jule die Erzaehlerin kurz zuvor die Erzaehlerin im Stich gelassen hat.

Also wirklich tausend Dank fuer Deine Kommentare. Eine schoenere Reaktion haette ich mir auf diesen Text nicht wuenschen koennen.

Hallo Andrea,

Alle Figuren sind liebens- und hassenswert zugleich.
Darueber freue ich mich wirklich. Das war mir sehr wichtig, da keine Figur in die Pfanne zu hauen und auch keine zu strahlend dastehen zu lassen. Die Gefahr besteht wahrscheinlich immer am meisten beim Erzaehler. Ich ha auch echt gezoegert, sie so fies werden zu lassen, dem Vater mit Zwangsjacke zu drohen. Aber ich glaub, der Mut hat sich hier gelohnt. Sonst waer es wohl zu lau geworden.

Danke fuer Deinen Kommentar und die Enttarnung :D

Hallo Gisanne,

Zum Jubeln traurig und zum Heulen komisch. [...] Aber auch das, was zwischen den Zeilen steht: Geschwisterrivalität, beginnende Krankheit und altern des Vaters, Sorge und Trotz, die mitschwingen, der Muff in allen Ecken, die Vertrautheit zwischen den Dreien: Familie halt, schaurigschrecklichaberwitzigliebevollschön!
Das trifft es sehr schoen. Ich hab mal drueber nachgedacht, ob ich mich vielleicht etwas hinter dem Huebschen und Lustigen hier verstecke, ob es nicht ein ehrlicherer Text waere, wenn er nur bitter waere. Aber nein, es ist genau diese Mischung aus ernst und lustig, liebevoll und grausam, die fuer mich Familie ausmacht.

Und ausserdem gefällt mir der Stil: Gedachtes, Gesagtes, Erinnertes, Gegenwärtiges im flüssigen Wechsel.
Das freut mich, dass das bei Dir funktioniert hat. Ich hatte ein bisschen Sorge, das man da als Leser etwas die Orientierung verlieren koennte.

Auch Dir vielen Dank!

Hallo Carduela,

Vor einiger Zeit hatte ich nämlich mal angefangen, eine ähnliche Thematik zu Papier zu bringen, allerdings mit Mutter/Tochter-Konstellation und dem ganzen Gepäck, das diese Eltern-(Kriegs-)Generation mit sich trägt. Ich hab es natürlich nicht hinbekommen, und nachdem ich dies jetzt gelesen habe, begrabe ich das Projekt endgültig.
Nein, auf keinen Fall! Das lustige ist, dass ich diesen Text selbst aus einer Frustration heraus geschrieben hab. Ich hatte Ricks Maskenballtext gelesen, als ich noch dachte, er sei Makita :Pfeif:, und mir gedacht: Scheisse, sowas wirst Du nie hinkriegen. Lass es doch gleich. Ich bin mir sicher, es wird Dir auch gelingen, einen eigenen Weg zu finden, dieses Thema umzusetzen.

Vielen Dank fuer Dein Lob und Deinen Kommentar.

Hallo Rick,

ueber Dein Lob und die Empfehlung habe ich mich besonders gefreut, denn s. Antwort an Carduela :D

anders, als man es von sonstigen Familiengeschichten gewöhnt ist, nicht so glatte Charaktere, sondern welche mit Ecken und Kanten, mit Marotten und Macken, aber liebenswert und echt. Menschen zum Anfassen! Das halte ich für eine große Kunst, aus Geschichtenfiguren Menschen zu machen. Das ist eine der wichtigsten Zielsetzungen beim Scheiben, wenn man in die Rolle des "Schöpfers" schlüpft.
Das freut mich, weil es mir echt wichtig war, keine schwarzen Schafe und leidenden Jungfrauen zu zeichnen. Und wie gesagt, zumindest die Oma und den Vater hab ich gar nicht so richtig erschaffen, die musste ich nur ins Kurzgeschichtsformat stutzen. Das war auch nicht leicht. Was ich da noch fuer Geschichten erzaehlen koennte ... Da musste ich wirklich sehr streng aussortieren. Vielleicht wird Dein Wunsch also eines Tages wahr:
Davon hätte ich deutlich mehr haben können, gern auch einen ganzen Roman ;-)

Und die Dialoge sind richtig gut, charakterisieren exzellent die Figuren und sind mehr als nur Gerede um des Redens willen. Das ist auch eine Kunst, Dialoge so einzubinden, dass sie Story und Personen weiterbringen/weiterentwickeln, und nicht nur zu so einer Selbstzwecklaberei verkommen. Prägnant wäre das, was mir dazu einfiele.
:bounce:
Dialoge Schreiben ist ja immer ne echte Strafe fuer mich. Und grad hier war's super schwer. Und dann auch noch dieses dumme "wie leite ich die Rede ein?". Ich hasse es! Unso schoener, dass es trotzdem funktioniert hat.

aufgrund dieser beeindruckenden Erzählerstimme wusste ich natürlich von Anfang an, von wem der Text ist ;-)
Wie immer ;)

Auch Dir vielen, vielen Dank.

Und an alle recht freundliche Ostergruesse,
fiz

Fortsetzung folgt...

 

Es waren die gleichen Wellen, die ihn selbst wieder und wieder von den Füßen rissen.
Moin feirefiz,
genau diesen Satz habe ich einfach überlesen (Asche auf mein Haupt).
Ganz ehrlich, beim Lesen bin ich nicht darauf gekommen, das der Vater so schwer krank sein soll (und die anderen Kommentare, in denen das wohl entdeckt wurde, kannte ich nicht). Nachdem ich deine Erklärungen gelesen habe, versuchte ich zu ergründen, warum das so war.

Da ist wohl als erstes die Reaktion der Töchter. Wenn ich weiß, was mit dem Vater „los ist“, stelle ich mir einfach vor, das ich anders reagiere als die beiden. Der Vorschlag vom Vater wurde quasi ernsthaft diskutiert (so kam es mir beim Lesen vor) und die Trotzreaktion der Icherzählerin mit dem Weglaufen war für mich auch nur damit erklärbar, das sie auf eine solche Forderung und die anschließende Auseinandersetzung nicht vorbereitet war.

Dann habe ich bis zu den oben zitieren Wellen (die ich, da ich zum Ende hastete, überlas) keine Infos von der Ich-Erzählerin bekommen (oder sie auch überlesen), das ihr Vater krank ist. Dies muss ja nicht eine Diagnose des Arztes sein, sondern kann auch anders in den Text eingestreut werden. Das hätte mir das Lesen und Verstehen sicher erheblich leichter gemacht. So wurde es für mich zum Ratespiel.

Dass die beiden nicht bei ihrem Vater gelebt haben, habe ich intuitiv gegriffen. Da waren (zumindest für mich) die Infos klar im Text vorhanden, auch wenn du ein wenig den Eindruck vermittelt hast, als wenn die beiden Frauen sich in dem Haus aufhalten, in dem sie aufgewachsen sind.

Na ja, das nur als kleinen Nachtrag zu meinem Kommentar.

Herzlichst Heiner

 

Und weiter gehts ...

Hallo bernadette,

freut mich, dass Du so in die Geschichte eintauchen und so viel Vetrautes entdecken konntest.

Man erfährt nichts über die Umstände, wieso die Kinder nicht bei der Mutter leben, das trieb mich schon ein wenig um.
Ich hoffe, das kann ich durch die Ueberarbeitung klaeren, dass sie unter den Woche bei der Mutter sind. Ohne da zu viel zu erklaeren.

Einige Jahre später wird Papa krank und die Alte-Leute-bevormunden-Ära beginnt. [...] Die Problematik mit der Frage, was mit den altgewordenen hilfebedürftigen Eltern passieren soll, ist eine sehr heikle. Dummerweise hören die Alten genauso wenig auf die Jungen wie es früher umgekehrt war. Und noch schlimmer ist die Tatsache, dass einige gar nicht mehr realisieren, dass man ihnen helfen muss, ob sie wollen oder nicht. Viele dieser Gedanken kamen mir zu der Geschichte.
Ja, das ist grundsaetzlich ne spannende Phase, wenn die Kinder ploetzlich Verantwortung fuer die Eltern uebernehmen muessen. Hier wird das halt noch ein wenig dadurch potenziert, dass der Vater halt nie ein klassischer "Vater" war, dass die Rollen immer schon etwas verdreht waren. Vielleicht haetten sich viele Leser leichter orientieren koennen, wenn ich dieses Problem an einer klassischeren Familiensituation durchgespielt haette, ohne da auch noch psychische Krankheit, Trennung etc. reinzubringen. Das ist schon alles recht vollgestopft auch. Aber mit ner klassischen Familie waere es eben nicht meine Geschichte gewesen.

Eine richtige Lösung wird dem Leser nicht geboten, aber wie soll es die auch geben?
Ja, eben. So hatte ich mir das auch gedacht.

Wir machen das hier Zuckerbrot und Peitsche.
Für mich fehlt da was.
Wir machen das hier mit/wie Zuckerbrot und Peitsche.
Ja, ich weiss, das ist hier kein korrekter Sprachgebrauch. Zuckerbrot und Peitsche wird da gewissermassen zum Adjektiv. Ich hatte auch die Alternative erwogen: "Die Strategie ist Zuckerbrot und Peitsche". Aber dann war mir das regelwidrige doch lieber. :shy:

Dann hake ich gleich noch zum Thema Titel ein. So ganz klar wird mir nicht, wo ich dieses Zuckerbrot und Peitsche finden soll. In der neuen hübschen Wohnung? Ich kann den Titel nicht so recht in die Geschichte zuordnen.
Also ich verstehe schon die gesetzte Mission, aber innerhalb der Gespräche scheint mir dieses Zuckerbrot-Peitschen-Symbol nicht so recht eingesetzt. Ich seh' eindeutig mehr Peitsche. Wenn sich das Symbol für die ganze Familienbeziehung untereinander anwenden lassen soll, dürfte der erste Dialog nicht so dominant dahin führend sein.
Zuckerbrot und Peitsche war halt der urspruengliche Plan, an den Jule sich dann nicht so richtig haelt, so dass die Erzaehlerin improvisieren muss. Ausserdem ist es fuer mich ganz allgemein Symbol fuer dieses familiaere Mischmasch: Das Schoene neben dem Ekligen, das Liebevolle neben dem Grausamen. Deshalb hab ich's als Titel genommen.

Da habe ich auch sehr gestockt. Was ist das denn für eine Protagonistin? Jedes normale Mädchen hüpft Treppen hinunter und zählt einen Reim dazu, oder hat im schlimmsten Falle Angst um ihr Röckchen, wenn sie ausrutschen könnte - und die denkt an einen offenen Schädelbruch.
Gut, das ist inhaltlich schräg, aber formal hatte ich mit dem Die Vision: auch ein Stolperer.
Mein Alptraum z.B. hätte mich viel besser gleich zur Prota geführt. Mit Die Vision: könnte soviel gemeint sein, erstmal.
Vielleicht war sie ja kein ganz normales Kind, sondern schon immer etwas sorgenvoller und weniger unbeschwert. Ich kann dazu nur sagen, dass es diese Treppe in Wirklichkeit gibt und ich mich schon als Kind vor ihr gefuerchtet habe. Runtergefallen ist zum Glueck nie wirklich jemand.
Ja, mit der Vision war ich auch ein bisschen ungluecklich, mit der Formulierung. Zuerst hatte ich "meine Befuerchtung". Ich guck mal, wie ich das aendern kann.

Rindsrouladen mit dicker Soße und Kartoffelknödeln, die elastisch wie Flummis waren, aber nicht so verwendet werden durften.
was ja nicht heißt, dass man es nicht schon probiert hätte
eben :D

Dann setzt er sich vor Kopf und beginnt, eine Zigarette zu drehen.
Den Ausdruck kenne ich nicht, wenn ich auch damit die Stirnseite des Tisches in Verbindung bringe.
Fliege kannte den auch nicht, hat aber auch die Stirnseite des Tisches damit verbunden. Da das auch meiner Aussageabsicht entspricht, lass ich es einfach mal so. Ist vielleicht was Regionales.

Der Vergleich ist auch wieder sehr gut gewählt, aber ich würde dir vorschlagen, zu überdenken, ob man den peitschenden Stecker nicht weglassen kann und dafür den Einzug etwas dynamischer beschreibt.
Der peitschende Stecker steht ja nur für den schnellen Einzug und nicht als Symbol für den harten Knoten, um den es geht. Da der Satz beim ersten Lesen sicher von vielen nicht gleich 100% verstanden wird, hängt man sich evtl. am Peitschen auf, sieht das als Bild für den Schmerz, dabei ist es ja der harte feste Knoten, der der Protagonistin zu schaffen macht.
Aber ich wollte eben zwei Sachen damit ausdruecken. Den Knoten in der Protagonistin und die Gefahr fuer ihr Umfeld, wenn man so auf ihren Einzug trampelt. Dann kriegt man, in diesem Fall eben der Vater, auch schon mal ihren peitschenden Stecker ab. Das ist halt auch nen Rueckbezug zum Zuckerbrot und Peitsche-Motiv, das Dir ja eh zu wenig ausgepraegt war.

vieräugig gefällt mir hier überhaupt nicht, was soll das auch aussagen? Wenn sie gucken und keiner ein Glasauge hat, müssen sie ja wohl mit vier Augen gucken.
Wie gesagt, ich hab das schon in meiner Antwort an Novak erklaert, das ist auch wieder so ein Rueckbezug, hier auf die ploetzliche Aehnlichkeit und Allianz von Schwester und Vater.

Also vielen Dank fuers genaue Lesen, Kommentieren und Freude dran haben. Und um Ostern kann man sich ja gut mal 5 Kilo anfressen ;) Aber hoffentlich nicht vor Kummer.

Hallo Fred,

Das ist schmerzhaft und nicht alles worüber man nachdenkt ist gut, manches nur spießig-heimelig, anderes rührend - das ist ein nicht ausreichendes Wort, um das zu beschreiben, was die Erzählerin fühlt, wenn sie an die Oma zurückdenkt, an das Kämmen ihrer Haare, die Gebete bei Tisch, die Ohrfeige. Da gab und gibt es ein Menge Konflikte, natürlich. Das macht eine Familie erst aus, das ist das Leben. Da läuft nicht alles glatt. Aber trotzdem, das ist auch das Zuhause, die Kindheit, das, was einen geprägt hat. Und der Vater ist der letzte, der da noch lebt, der übrigbleibt und wie eine beim Putzen vergessene Spinnwebe in diesem selbstgebauten und doch unerwünschtem Nest drin hockt und jetzt will er, kann er da nicht mehr weg. Das ist sein Leben, auch wenn wenig davon wirklich ideal war. Das Chaos mit dem Computerkram, den er seit undenkbaren Zeiten sammelt, seine ganzen Macken, die rutschige Treppe, der verwilderte Garten, die gehäkelten Tischdeckchen. Das ist – soll ich diesen spießigen, altmodischen, deutschen Begriff wirklich verwenden(?) - Heimat, seine Heimat.
Ja, darum ging es mir. Dieses widerspruechliche Familiengefuehl irgendwie sinnlich erfahrbar zu machen. Freut mich, dass es Dich so erreichen konnte. Und ja, den Vater hast Du da gut gepackt - wie eine vergessene Spinnwebe :lol: Ich hatte ja echt Angst, dass man mir sentimentalen Kitsch vorwirft, aber solche Kommentare wie Deiner haben mir echt Mut gemacht.

Einfach nur - Danke für diese besondere Geschichte
Und Danke fuer diesen schoenen Kommentar

Hey Quinn,

Warum hat noch keiner vermutet, dass die Geschichte von mir ist? Das gibt mir zu denken!
:rotfl:Ja, das kann ich mir auch nicht erklaeren. Deine Geschichten sind doch voll von monstertittigen, stoeckelbeschuhten Ich-Erzaehlerinnen und nostalgischen Details.

Das ist schon toll, also „arschlang“ hier bei die Oma zu setzen, da muss man erstmal drauf kommen.
Willkommen in meinem Kopf :D

Nein, show don't tell ist überhaupt nicht spießig und nervig und langweilig,nein, man hätte den Leser ja um das Vergnügen dieses Absatzes bringen können mit einem schlichten: „Oma konnte nix zukommen lassen, das hatte sie noch aus dem Krieg.“
Dann liest man das und sagt auch: Guter Satz, gute Figur, aber tiefer passiert da nix.
Den Absatz sollte man wirklich linken, wenn einer kommt mit dem spießigen Show, don't tell. Nur weil das ständig überall wiedergekaut wird in irgendwelchen leidenschaftslosen Diskussionen und nur weil so viel unter dieses schwammige Motto passt, im Kern ist das eine unheimlich wichtige Forderung.
Da war ich natuerlich maechtig stolz, dass der Text Dir stilistisch so gefallen hat. Ich denke auch, dass solche Details wichtig sind. Ich habe nun mal das Pech, eine recht klischeehafte Oma zu haben. Aber wenn man das durch so Details irgendwie neu belebt, macht es vielleicht nichts, dass die Erkenntnis dahinter nicht bahnbrechend ist.

Das ist ein so reichhaltiger Text, das hier sind 5 Zeilen und man kriegt tasächlich über FÜNF Figuren etwas mitgeteilt, so ein Puzzlestück. Jule ist die, die unter dem Tisch kneift. Die Erzählerin ist die, die das aushält, aber dann über dem Tisch in die Haare greift. Papa kriegt das nicht mit, sieht nur das, was oben bezahlt. Oma kriegt das mit und kann dieses falsche offenbar überhaupt nicht. Dann heulen beide Schwestern gleichzeitig, also da ist eine tiefe Verbundenheit da. Mutti ist das ausgleichende Element. Und Oma ist schon ziemlich pragmatisch.
Ja, so war's gedacht. Gerade die Solidaritaet der Schwestern im Notfall, trotz aller Zankerei. Das Motiv kommt ja bei dem Sturz nochmal durch. Und ja, der Text ist ziemlich vollgepackt. Schoen, wenn es nicht nur verwirrt und erschlaegt.

Grad weil man, wenn man das zum ersten Mal hört, selbst noch ein Kind ist und dann: Und der Vater hat den da schon auf dem Altar gehabt und mit einem Messer? Und Gott wollte das so? WAS?
Ja, Abraham sollte man als Oma besser einfach auslassen.

Hm, das gefällt mir nicht so, wirkt wie ein Fremdkörper im Text. Auch von der Erzählperspektive. [...] Ich hab fast erwartet, das kommt als großes Finale, aber der Text sirrt dann aus mit der Anekdote über den vater, da zurrt man etwas fest, die Figur des Vaters, das hätte es für mich nicht gebraucht.
Ja, verstehe ich. Es war allerdings auch als Bruch der Perspektive gedacht. Das ist halt so der erwachsene, der informierte Blick auf die Hintergruende, die man als Kind nicht so kapiert. Das war mir eines meiner Hauptthemen eigentlich, neben dem vererbten Trauma, wie sich die Wahrnehmung aendert, wenn man ploetzlich die Hintergruende der eigenen Familie erfaehrt, wenn man versteht, warum die Leute so sind, wie sie sind - und das macht es oft noch schwieriger, mit ihnen umzugehen. Das wuerd ich ungern rausschmeissen, weil fuer mich sonst auch zu wenig Distanz, zu wenig Entwicklung zwischen dem Kindheits- und dem Erwachsenen-Ich der Erzaehlerin laege.

Also die genauere Lebensituation des Vaters als Wochenenvater und so weiter, hab ich ja schon erklaert. Ich werd versuchen, das deutlicher zu machen.

Ich will dir den Tag verderben, aber nur ganz kurz: Das ist dasselbe wie die rothaarige aus How i met your mother, deren Vater ist auch ein Tunichtgut, der ständig davon phantasiert, brettspiele zu erfinden, der dann aber in so einer „Großvaterrolle“ durchaus seine Stärken hat.
Das hat mir gar nicht den Tag verdorben, denn obwohl ich nur ein paar Folgen dieser Serie kenne, hab ich ausgerechnet die gesehen und gedacht: Krass, der ist wie mein Vater. Nutzlos irgendwie und fuer die Kinder auch bitter, aber andererseits auch ein liebenswerter Spinner mit Visionen.
Zum Grosseltern - Eltern Kontrast sag ich bei Schwups noch was.

wie hier aus der gelebten Schwesternsolidarität mit diesem einzigen Satz ausgebrochen wird, ist großartig.
Zieh du mal hier ein und kümmer dich um Papa, ich hab derweil mein eigenes Leben.
Ja, da wirft Jule die Schwester dem Papa zum Frass vor, um aus der Schusslinie zu kommen (grossartiger Metaphernmix, fiz :rolleyes:). Das geht ja innerhalb von Sekunden, solche Dynamiken in Familien. Zack! Ein neues Buendnis! Zack! Was Falsches gesagt und einer ist auf der Palme. Zack! Papa sieht sein kleines Maedchen am Boden und macht sich Sorgen.

Ich denke das sind die zwei großen, aktuellen Stränge. Eskapismus mit Schwertern, Pistolen, Zauberstäben und Vampiren – oder die Kindheit.
Ja, hmmm. Das Gefuehl hab ich auch oft, dass ich so richtig viel an dramatischen Lebensereignissen nicht zu bieten habe als Schreibinspiration. Manchmal denke ich die gute Literatur wird in Zukunft sowieso nicht aus dem Westen kommen - was haben wir schon fuer Probleme?

Also ich hoffe, ich hab jetzt alles einigermassen beantwortet. Da steckt ja so viel drin in dem Kommentar. Ich hab mich sehr gefreut. Auch ueber das Trommeln fuer den Text. Danke.

Hallo Schwups,

Da musste ich lachen, weil ich mir das richtig vorstellen kann, wie der Bastler da praktisch denkt und gleich mit dem Meterstab um den Rollator herumwuselt und einen "Manövrierspielraum" berechnet.
Tatsaechlich hat er den Rollator mit irgendwelchen Kartons eingebaut. Da hat die Oma mal gesagt: "Ich fuehle mich wie der Rollator, voellig eingebaut". Da hab ich gesagt: "Wow Oma, Du so poetisch." Ich haette das gerne drin gehabt, musste mich aber entscheiden. Und voellig ueberladen sollte es halt auch nicht sein. Ich hab noch so viele tustige Sachen ... und tragische eh :D

Das ist sehr liebenswürdig beschrieben hier, später kippt der Text dann ins Melancholische, mir hat diese Mischung sehr gut gefallen. Ich kann da richtig mitfühlen mit dem Vater, stelle ihn mir im Grunde als herzensguten Mann vor, der aber doch nicht so richtig vom Fleck kommt, zwar Träume hatte, diese aber nie verwirklichen konnte.
Ja, so habe ich ihn auch gesehen. Eine traurige Figur. Schoen, dass die Mischung bei Dir gut ankam.

Auch hier wieder, was alles in diesem einen Satz mitschwingt, Herr Jesus als Familienoberhaupt, ja, da kann man sich vorstellen wie es zuging in dieser Familie nach dem Tod des Vaters. Auf den anschliessenden Satz könntest du dann auch beinahe verzichten, das sagt eigentlich dieser Satz schon alles aus.
Ja, koennte ich vielleicht. Ich denk mal drueber nach. Ich wollte es nicht auswalzen, nur zeigen, dass eine Frau, die als Oma ganz niedlich und lustig sein kann, als Mutter hoellisch gewesen sein kann. Auch so ein Blick, der sich im Erwachsenenalter verschiebt finde ich.

Im den letzten Abschnitten erfährt man dann ein wenig mehr über den Vater, es sind aber mehr so Schemen, die man sieht - der Krankenhausaufenthalt "zur Erholung", das ewige Studium, der Selbstmord der Schwester, diese "Wellen", die wohl auf Depressionen schliessen lassen. Hier ändert sich das Bild des Vaters, wie ich es zu Beginn hatte, und, wie gesagt, hier kippt die Geschichte mehr und mehr ins Melancholische, Tragische - es tun sich immer mehr Abgründe auf hinter diesem zu Beginn so normal wirkenden Familienalltag. Mir gefällt, dass hier vieles nur angedeutet wird, auch das Schicksal der Mutter - es passt zum Text, finde ich.
Ja, dieses Kippen war mir wichtig. Das Reflektiert halt auch irgendwie das Erwachsenwerden, dass man die Zusammenhaenge da immer besser versteht, wo man als Kind nur sauer oder verwirrt war. Ist dadurch fast so, als ob der Leser, der am Anfang noch nicht viel versteht, im Laufe des Textes auch so ein bisschen erwachsen wird, mehr Ueberblick gewinnt und dadurch aber die Auswegslosigkeit der Situation nur klarer erkennt.

Zum Ende gibt es was in der ersten Antwort.

Vielen Dank fuer's Mitgehen und Kommentieren.

Hallo dot,

Von mir gibt's einfach nur ein dickes Lob.
Dann gibt es von mir nur ein dickes Danke. Wirklich ein tolles Gefuehl, wenn so viele Leser sich so mit der Geschichte identifizieren koennen, wenn sie darin das Lustige und das Bittere erkennen.

Das ist so aus dem Leben - wie kommt man auf solche tollen Vergleiche? Klasse!
Da hab ich ehrlich gesagt lange nach gesucht. Ist mir nicht einfach zugeflogen.

Zum starken Papa geht's in der ersten Antwort.

Fortsetzung folgt ...

 

he fiz,

ich hab gerade noch mal geguckt, was ich unter dein Copy geschrieben habe. Ich dachte, vielleicht könnte ich das Lob einfach kopieren und hier wieder einsetzen. Könnte ich wirklich, denn das Ding hier ist ... Wow.
Da ich mir zu fein bin, mich selbst zu zitieren, pick ich mal ein Stück deiner Antwort raus:

Das finde ich manchmal selbst schade hier im Forum, dass man Texte selten einfach nur geniesst, sondern immer mit einem imaginaeren Rotstift liest.
Das sehe ich genauso. Aber: Umso größeres Kompliment an Texte, bei denen ich beim Lesen keinen Moment an den Rotstift denken muss. So wie hier.
Hätt ich noch mehr von lesen mögen, aber der Cut ist trotzdem weise gewählt. Vom Gefühl her hätte ich den erwartet als sie aus dem Haus stürmt. Schön, dass du den Leser noch einmal mit reinnimmst und die Verschrobenheit mit Fürsorge ergänzt.
Sehr, sehr gerne gelesen.

grüßlichst
weltenläufer

 

Und weiter gehts...

Hallo heiner,

vieles, was Du angesprochen hast, habe ich ja schon in meiner ersten Antwort thematisiert. Zum Ende sag ich jetzt nicht nochmal was. Aber zum Vater, weil Du auch nochmal drauf eingegangen bist.

Wie alt ist bitteschön denn Papa. Auch wenn er nie erwachsen geworden ist, ewig an seinen Enten und Computerteilen rummontiert hat und trotzdem nie damit auf einen grünen Zweig gekommen ist, kann ich mir diese Reaktion bei einem erwachsenen Mann (ich schätze ihn in der Szene mal auf siebzig), der schon einiges im Leben hinter sich hat, nicht vorstellen. [...] so richtig viel war er nicht für sie da und jetzt stellt er solche verqueren Forderungen auf? Das bekomme ich nicht zusammen.
Also dass der Vater da nicht besonders erwachsen reagiert. wobei ich nach wie vor glaube, dass man da gar nicht unbedingt die Krankheit als Erklaerung braucht. Wenn man Menschen, besonders etwas aeltere und eigenwilligere, aus ihrem Zuhause rausrupfen moechte, reagieren die nicht immer besonnen. Und Vaeter, die von ihren Kindern mehr fordern, als sie selbst gegeben haben, gibt es auch unter den offiziell "Gesunden" sicherlich genug. Also ich finde Deine Irritation ueber das Verhalten des Vaters wichtig und richtig. Er benimmt sich seltsam. Aber ich wuerde das nicht als Fehler des Textes werten wollen, denn Menschen verhalten sich staendig ungerecht und unlogisch, gerade in Stresssituationen (seine Mutter ist ja auch grad gestorben, sein Leben bricht so ein bisschen um ihn herum zusammen).

Vielleicht ist der Stoff zu viel für eine Kurzgeschichte, ich weiß es nicht. Diverse Erinnerung an den Vater waren nur als Gedankenfetzen vorhanden und wirkten auf mich, als wolle der Autor die Figur noch interessanter und logischer machen. Mir war das aber zu schnell und dadurch zu klischeehaft.
Ich sehe ein, dass da ziemlich viel reingestopft und dann nur fetzenhaft angesprochen wird. Kann auch verstehen, dass dem Leser da der Kopf vielleicht etwas schwirrt und er dann wichtige Stellen einfach uebersieht. Also skizzenhaft ja, klischeehaft finde ich den Vater nicht so sehr. Klar, wenn man ihn so auf den ewigen Loser reduziert, aber ich denke, er hat doch schon eine recht individuelle Geschichte und auch besondere Eigenheiten.
Also ich ueberleg noch, wie ich die Orientierung etwas erleichtern kann, ohne die Komplexitaet reduzieren zu muessen, oder sehr viel laenger zu werden. Das moechte ich naemlich beides nicht so gerne.

Da ist wohl als erstes die Reaktion der Töchter. Wenn ich weiß, was mit dem Vater „los ist“, stelle ich mir einfach vor, das ich anders reagiere als die beiden. Der Vorschlag vom Vater wurde quasi ernsthaft diskutiert (so kam es mir beim Lesen vor) und die Trotzreaktion der Icherzählerin mit dem Weglaufen war für mich auch nur damit erklärbar, das sie auf eine solche Forderung und die anschließende Auseinandersetzung nicht vorbereitet war.
Es ist ja nicht so, dass ein Mensch mit bipolarer Stoerung staendig verrueckt ist. Die haben halt so wilde Phasen und dann die Depressionen, koennen aber mit guter Medikation und Selbstmanagement auch ueber Jahre hinweg voellig symptomfrei sein. Die sind ja auch nicht dumm. Deshalb kann man schon normal mit ihnen reden und argumentieren, wenn sie grad keinen Schub haben. Der Vater ist halt allgemein etwas seltsam und egozentrisch, aber es ist unmoeglich da ne genaue Trennlinie zu ziehen, ob das einfach sein Charakter ist, oder eine Folge der Krankheit, die sich auch in ruhigen Phasen in seinem Verhalten niederschlaegt. Ruht er sich da auf seiner Krankheit aus, wenn er sagt "stress mich nicht", oder ist er wirklich vorm Zusammenbruch. Das ist ja oft das Schlimme fuer Angehoerige, dass man oft nicht entscheiden kann, ist er jetzt einfach ein Arsch oder ist das ein Ausdruck seiner Krankheit. Im Zweifel tut es beides gleich weh.
Und klar ist die Reaktion der Tochter nicht die strategisch guenstigste. Sie hat den Besuch gewiss auch anders geplant. Aber sie ist halt auch nur ein Mensch. Und jeder kennt das ja, wie treffsicher so familiaere Gemeinheiten sein koennen, wie schnell man da die Fassung verlieren kann, wenn ein bestimmter Knopf gedrueckt, eine alte Wunde aufgerissen wird. Also es war mir wichtig, dass keine Figur sich hier perfekt verhaelt - dazu stecken sie ja auch emotional zu tief drin. Eine gelernte Betreuerin haette die Sache bestimmt ganz anders und viel effektiver aufgezogen.

Also wie gesagt, ist nicht so, dass ich das hier in den Kommentaren durch die Erklaerung rechtfertigen will, ich guck schon noch, wo ich da bestimmte Sachen deutlicher machen koennte. Aber ich glaube grundsaetzlich muss man Figuren schon zugestehen, sich etwas bescheuert und unlogisch zu verhalten, dem Vater wie den Kindern.

Aber schoen, dass Dir die Geschichte trotz der zeitweiligen Verwirrung trotzdem gefallen hat und danke fuer den Kommentar und den Nachtrag.

Hallo Markus,

Statt irgendwelche Blumen zu pflücken, die irgendeinen Strauß ergeben, bist du über alles gestolpert und hast dir nur die schönsten von allen ausgesucht. Im Moment ihrer schönsten Blüte hast du sie dir geklaut.
schoen, wenn das so angekommen ist. Und ja, die Auswahl war das Schweste.

Drei Beispiele, und ich denke der Zauber deiner Zeilen liegt ganz wesentlich in den Verknüpfungen: Styroporköpfchen, Schlafzimmerspiegel, Kuchenfetzen, Kristallteller, usw…
Das freut mich ganz besonders, dass jemand meine Kuchenfetzen auf Kristalltellern wuerdigt. Die mochte ich auch so gerne :)

Ich empfinde deine Erzählung nämlich nicht uneingeschränkt als fantastisch.
bring it on!

Die Sprache schon.
Das ist ja schonmal was. :D

Danke fuer's Kommentieren, Loben und Drohen.

Hallo Dion,

Ja, ein toller Text. Allerdings fehlte mir, wie bernadette, die Kittelschürze. Aber Hähnchen auf dem Backblech, das kenne ich. Ist wohl ein Rezept noch aus der Römerzeit. Ja, und den Armlehnenstuhl kenne ich auch. Ist wohl Standard bei Omas. Damit sie leichter aufstehen können. Denn solange sie aufstehen und alleine aufs Klo gehen können, ist alles in Ordnung. Danach erst gibt es Drama, das tagtägliche. Das hier aber nicht thematisiert wurde. Wäre wohl zu viel verlangt bei all der Nostalgie, die alle Herzen schmelzen lässt. Skurriles zu erzählen ist leichter, sorgt für Lacher, macht es angenehmer, sich zu erinnern.
Die Oma hatte Glueck und ist einfach auf ihrem Sofa gestorben, bevor sie ein richtiger Pflegefall wurde. Puh, wenn ich das auch noch reinbringen muesste, da wuerde der Text vollends aus den Naehten platzen. Trotzdem denke ich, da steckt nicht nur Nostalgie sondern auch ne gute Portion Drama in dem Text.

Der baerenstarke Papa wird in der ersten Antwort verteidigt. Hast Du bestimmt schon gesehen.

Und das Motiv, dass sich eine Frau einen Russenoffizier angelt, um von den vielen Soldaten verschont zu bleiben, das kenne ich aus einem Film: Anonyma - Eine Frau in Berlin. Nur war der nur ein Major oder so etwas, kein General wie in dieser Geschichte. Günstig auch, dass das Besatzungskind nicht weiter störte und bald starb.
Da kann ich nichts fuer. Grundsaetzlich meide ich Klischees wie der Teufel das Weihwasser, oder wie ich selbst das Weihwasser. Aber wenn die Realitaet nun mal manchmal klischeehaft ist. Das war jetzt halt 1:1 die backstory meiner Oma, die ich da reingeschrieben hab. Das Tragische an solchen schrecklichen Erlebnissen ist ja auch irgendwie, dass die einem schon fast banal vorkommen, weil bestimmt jede Oma aehnlich Schreckliches zu erzaehlen haette. Da kann man mit seinem Leid keinen Blumentopf oder viel Mitleid unter den Zeitgenossen gewinnen, weil alle gelitten haben. Ich glaub, deshalb hat man da auch nie so richtig drueber geredet.

Danke fuer den Kommentar fuer's trotzdem Gutfinden und auch fuer die Rechtfertigung des Endes.

Hallo Fliege,

Ich mag das Bild, dass die Drei da in diesem mit Altlasten vollgestopften Haus hocken und Tiefgefrorenes auftauen. Also, dieses Gesamtkonstrukt fand ich bemerkenswert hübsch. Dabei ist das alles so mit Liebe gemacht, dieser ganze Krempel, der Staub, der Müll und dennoch steckt in all den Details Liebe drin. Das bricht das natürlich auf und man gewinnt das alles lieb, irgendwie. Man hat sich halt eingerichtet, in dem Haus, dass so viel erlebt hat und so viele Träume in sich begraben hält und natürlich will die Prot. da nicht einziehen, sondern sich davon lösen. Das hat der Vater ja auch schon probiert und ist daran gescheitert.
Dinge und Orte sind mir immer genau so wichtig wie die Figuren. Und es freut mich natuerlich, wenn das nicht erschlaegt, sondern gefaellt. Da steckt echt viel drin in dem Haus, das ist Heimat und Gefaengnis zugleich.

Die Oma ist so böse, aber eben auch die Oma. Was hat die eigentlich mit der Mutter? Warum ist die der so spinnefeind? Ich kann ja nur mutmaßen, und würde sagen, es war nicht schicklich, dass sie ihren Jungen hat sitzenlassen. Das gehört sich nicht, Frauen müssen schlucken, wenn Männer sich umtreiben. Aber das ist jetzt ne Vermutung.
Es waere ja auch nicht die erste boese Schwiegermutter der Menschheitsgeschichte. :D

So grausam von der Oma mit den arschlangen Haaren ... und im nächsten Absatz gleich das Schicksal der Oma hintendran, wo man ihr dann wieder alles verzeihen tut. Diese Figurentennis ist schon clever.
Ja, so war das gedacht. Ich frag mich auch immer, ob es das eigentlich einfacher macht, wenn man Menschen versteht. Oft ist es ja einfacher, sie bloed zu finden. Aber dann hat das natuerlich auch was versoehnliches, zu sehen, dass es keine grundlose Bosheit ist.

Ja geil. So fies, gerade weil die Prot. sich vorher noch bemüht ihn nicht zu verletzen und er haut verbal ihr dann in die Fresse.
Ich hab's Dir ja schon gesagt. Das war hier wirklich eine der boesesten Stellen im Text. Das ist was anderes, wenn man Kindern einfach sagt, ihr habt euch scheisse benommen, aber sie so in den Hinterhalt zu locken, ihr Staubsaugerkabel erst so abzurollen, nur um dann hinterruecks auf den Einzug zu trampeln ... Die andern haben das glaub ich nicht so krass empfunden, aber fuer mich ist das eine schlimme Stelle. Auch den Kindern das Gefuehl zu geben, sie sind verantwortlich, wenn es ihm schlecht geht. Und dann muss er auch noch ins Krankenhaus - da muessen sie sich ja extrem schuldig fuehlen.

Ich glaub Jule war viel mehr seine Tochter, als die Prot.
ja

So meta der Satz.
Meinst Du weil der Text selbst so mit Dingen vollgestopft ist? :D

Endlich, dachte ich, als ich das gelesen habe. Gut das sie auch mal aus ihrer Mutter Theresa-Rolle fällt.
Das war wichtig. Auch fuer mich, weil ich beim Schreiben ja sonst immer die laute Konfrontation meide.

Das ist so eine von diesen Geschichten, die eben kein Ende haben können. Es kann nicht gut werden, es kann nicht auseinanderbrechen, es kann am Ende nicht nur Scherben geben. Es geht halt weiter, immer. Insofern finde ich es konsequent und richtig. Aber klar, würde ich da noch ne Weile bei denen bleiben, wenn ich die Möglichkeit dazu hätte
Das ist doch schoen. Und so sehe ich es im Grunde auch.

Vielen Dank fuer Deinen Kommentar und fuer Alles!

Hallo Jimmy,

sprachlich ganz großes Kino, wie ich finde. Ganz eigener Stil, mit teilweise herausragenden Bildern, ich habe sie in einem Rutsch lesen können, ohne ein einziges Mal zu stocken.
schoen, dass die Geschichte auch bei Dir punkten konnte, obwohl sie eindeutig eher Maedchen- als Maennerliteratur ist.

Familiensachen können ja total schnell richtig krass eskalieren, und vielleicht habe ich da auch drauf gewartet, der Vater, der durchdreht, oder die Prot, die einfach die Schnauze voll hat. Dieser Text ist da schon so eine kleine Achterbahnfahrt, hält immer so gerade das Tempo, könnte aber auch jederzeit richtig abgehen, ist sehr gut gemacht.
Ich denke auch. In wenigen Beziehungen kennt man sich so gut, sind so viele Altlasten im Spiel und kann man sich so schnell gegeneitig auf die Palme bringen und dann aber auch in sekundenschnelle wieder versoehnen. Man hat sich einander ja auch nicht ausgesucht. Das ist schon eine sehr besondere Konstellation und ein dankbares Sujet.

Danke fuer Deinen Kommentar

Und weltenlaeufer,

Du kommst auch noch hinterhergezuckelt, um mir ein Lob zu hinterlassen, ueber das ich mich natuerlich sehr gefreut habe. Man haengt sich ja naturgemaess oft eher an den Kritikpunkten auf, aber es ist auch schoen zu wissen, dass einige Leser einfach durchflutschen ohne sich zu ratschen und zu stossen.

Hätt ich noch mehr von lesen mögen, aber der Cut ist trotzdem weise gewählt. Vom Gefühl her hätte ich den erwartet als sie aus dem Haus stürmt. Schön, dass du den Leser noch einmal mit reinnimmst und die Verschrobenheit mit Fürsorge ergänzt.
Das war ja auch das urspruengliche Ende. Aber dann hab ich das Ruder nochmal rumgerissen, wollte noch ne Runde Achterbahn fahren. Schoen, dass es Dir gefallen hat.

Vielen Dank auch Dir.

Und liebe Gruesse an alle!
fiz

 

Das war jetzt halt 1:1 die backstory meiner Oma, die ich da reingeschrieben hab. Das Tragische an solchen schrecklichen Erlebnissen ist ja auch irgendwie, dass die einem schon fast banal vorkommen, weil bestimmt jede Oma aehnlich Schreckliches zu erzaehlen haette.
Mein Einwurf beruht auf Logik: So viele Offiziere von Major aufwärts hatte die Rote Armee gar nicht, damit jede, die von sich behauptete, sich in der fraglichen Zeit einen geangelt zu haben, die Wahrheit sagen könnte. Ich denke, da ist auch viel Dichtung drin gewesen – so ein General in der Biografie macht schon was her, nicht wahr?

Aber sei’s drum, die Zeiten waren hart, wir Spätgeborenen haben kein Recht, dieses Verhalten zu kritisieren. Aber es fällt halt auf, wenn dieses Motiv immer wieder vorkommt – und so zum Klischee verkommt. Will sagen: Es hilft dir nichts, dass du die Erzählungen deiner Oma 1:1 wieder erzählt hast, denn das weiß ein Leser nicht – es sei denn, er liest deinen Kommentar dazu.

 
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Hallo Dion,

Mein Einwurf beruht auf Logik: So viele Offiziere von Major aufwärts hatte die Rote Armee gar nicht, damit jede, die von sich behauptete, sich in der fraglichen Zeit einen geangelt zu haben, die Wahrheit sagen könnte. Ich denke, da ist auch viel Dichtung drin gewesen – so ein General in der Biografie macht schon was her, nicht wahr?
Also erstmal bruestet sich die Oma ja nicht damit, sondern es ist ein dunkles Familiengeheimnis, das auf Umwegen rauskommt und von dem sie ihrem eigenen Mann und den Kindern und Enkelkindern offenbar gar nichts erzaehlt hat.
Ich halte das auch nicht fuer ein Argument der Logik, was Du da vorbringst, sondern fuer eins der Wahrscheinlichkeit. Es ist nicht unlogisch, dass die Oma einen General als Beschuetzer hatte, sondern hoechstens unwahrscheinlich, was aber entgegen einem logischen Ausschlusskriterium nicht bedeutet, dass es so nicht gewesen sein kann.
Ist aber natuerlich gut moeglich, dass bei so einer Mauschelueberlieferung ein Hauptmann zum General gewachsen ist. Mir ist das im Grunde ziemlich egal, denn die Frage des Dienstgrades beruehrt die Figurenzeichnung der Oma und alles, worauf es mir bei diesem Text ankommt, nicht im Geringsten. Insofern kann ich das auch in Unteroffizier aendern, fuer die Leser, denen es wichtig ist.

Aber es fällt halt auf, wenn dieses Motiv immer wieder vorkommt – und so zum Klischee verkommt.
Also ich weiss nicht. Ist das echt so verbreitet? Von diesem Anonyma-Buch hab ich gehoert, aber sonst kenn ich mich einfach zu wenig aus, um zu wissen, wie verbreitet das Motiv ist. Ich les und gucke eigentlich nichts mit Weltkriegsthematik, wenn ich es irgendwie vermeiden kann.
Das ist auch son Detail, ich hab das zwar aus der Geschichte meiner Oma, aber ich haenge nicht gross daran, weil es mir ja eh nicht auf biographische Praezision ankommt und ich auch viele andere Dinge geaendert habe. Im Grunde kann der russische Offizier/General/Wasauchimmer auch ganz raus. Worauf es ankommt ist das verschwiegene erste Kind, das ja auch aus einer ebenso wahrscheinlichen wie klischeehaften Vergewaltigung stammen kann, und der fremde Ehemann.

Also ich ueberleg's mir. Entweder wird der Russe runtergestuft oder er fliegt ganz raus.

Danke fuer Deine Rueckmeldung,
fiz

Edit: So sieht es jetzt aus: "Monate später brachte Trudchen ein Kind unbekannten Namens und Geschlechts zur Welt, das von einem unbekannten Russen gezeugt worden war."

 

Also ich weiss nicht. Ist das echt so verbreitet? Von diesem Anonyma-Buch hab ich gehoert, aber sonst kenn ich mich einfach zu wenig aus, um zu wissen, wie verbreitet das Motiv ist. Ich les und gucke eigentlich nichts mit Weltkriegsthematik, wenn ich es irgendwie vermeiden kann.
Du vermeidest alles, was mit Weltkriegsthematik zu tun hat? Dann ist deine Sicht der Dinge verständlich. Ich kann dir versichern, die Anonyma ist nur ein Beispiel, an das ich mich zuerst erinnerte (weil unlängst wieder im Fernsehen gesendet) und zudem leicht im Internet zu finden war.

 
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Du vermeidest alles, was mit Weltkriegsthematik zu tun hat?
Hehe, ja, das hab ich ein bisschen zu krass ausgedrueckt. Natuerlich hab ich mich damit auch schon mal ausfuehrlicher beschaeftigt. Und wenns was gutes neues dazu gibt, guck ich mir das auch an. Aber son Guido Knopp "Hitlers Freunde", "Hitlers Frauen", "Hitlers Hunde"-Schmu, und so oeffentlich-rechtliche Mehrteiler, die meide ich. Und das Anonyma-Buch will ich auch nicht lesen, das hat mir son reisserisches Geschmaeckle. Wenn man an ner englischen Uni studiert hat, wo 90 Prozent der deutschen Literatur- und Geschichtswissenschaft sich mit jedem noch so abseitigen Nebenaspekt des dritten Reichs beschaeftigt, wird man der Thematik auch etwas ueberdruessig.

Edit: Ich hab grad mal nachgeguckt, zu dem Anonyma Buch. Das ist ja schon in den 50ern das erste Mal herausgekommen. Da war das ja ne sehr mutige und wichtige Sache. Also wuerde ich das schon auch lesen. Aber den Film dazu, von dem ich so ein paar Bilder im Kopf habe, den wuerd ich mir nicht angucken wollen.

 
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Hallo feirefiz,

Ich hab jetzt nicht alle Kommentare gelesen, aber die Geshichte hat bei mir nicht so gut funktioniert wie bei den meisten. Also das hab ich dir schon beim Trinkpäckchen gesagt: Das ist erstaunlich Deutsch. Also ich bin auch lang genug in Deutschland, aber meine Kindheit war eine andere, und das Ding weckt hier einfach keine Erinnerungen bei mir. Da gabs kein Jesus bei mir in der Kindheit. Und vielleicht noch schlimmer für mich als Leser: Ich hatte auch keine Oma. Und auch keinen Keller. Flokati musste ich googeln, Wachstischdecke, da hats lang gedauert, aber irgendwann kam ich drauf, fuck, ich musste sogar Sapiapapa googeln. Ist peinlich, aber ich hab halt nie so ein Digicam mit "sapia" Einstellung gehabt. Und in Sapia hing noch nie was bei uns. Kopfsülze ist mir auch nicht ganz klar, was das sein soll. Ein Schweinekopf oder was? Bei uns gabs keine Schweineköpfe. Wir hatten auch keine Tiefkühltrühe, hatten noch nie eine.

Doch was mich aufheulen lässt wie einen Cartoonkojoten

Was ist ein Cartooncoyote? Meist du Coyote? Der immer Roadrunner haben will? Der hält doch nur Schilder hoch, der ist stumm.

Wir bahnen uns einen Weg durch Angelruten, Sportbögen und Waschmaschinenkartons, auf die Papa Zielscheiben geklebt hat. Jule zieht den Flokati auf der Couch glatt, bevor ich mich hinlege. Über mir an der Schräge hängt die , darauf unsere Kinderkunst: das Bild mit dem Haus, in dessen Fenster Jule zehn ihrer hundert selbstklebenden Schulporträtfotos gepappt hat, mein Origamikrokodil, eine Maus aus versteinerten Marshmallows.

Ich lese da: Angelruten, Sportbögen, Waschmaschinenkartons, Flokati, Schräge, Zielscheiben, Jutepinnwand, Kinderkunst, Schulporträtfotos, Origamikrokodil, Mausmarshmallows

Keine Ahnung ... andere mögen das wohl.

Flokati und Jutepinnwand seh ich zum ersten Mal.

Und Waschmaschinenkartons? Häh? Auch noch Plural?

Makrameeeulen und staubige Blumengestecke,

Der ganze Text ist so. Makrameeeulen … hab ich gegoogelt.
Und sogar die staubigen Blumengestecke … ich verbind da nichts wirklich was mit. Gabs auch nicht bei uns.

Fleischige Ohrläppchen find ich gut.

Dort angelten wir Sardellen, die vor Schreck starben

Geangelt hab ich tatsächlich auch .. wenn auch keine Sardellen, trotzdem: Die sterben doch nicht vor Angst. Was ist das für ein Pussyfisch? :) Die kann doch nicht vor Angst sterben.

Als säße mir ein Lederfrosch in der Kehle.

Ein Lederfrosch? Ist das jetzt irgendein ganz bestimmter Frosch, den ich kennen sollte oder was ist des?


Es ist so ein Text voller Dinge, die mir nichts sagen, hab ich das Gefühl. Auch der Streit um das Haus … irgendwie entfernt für mich.

Mir tut der Vater leid, glaub ich. Der Urlaub und so. Also zu 80% geht der Text irgendwie an mir vorbei und ist als Rückblende erzählt, und mit dem Rest kann ich jetzt irgendwie …
Warum kann der Vater nicht einfach dableiben? Soll er doch dableiben. Scheiß drauf. Da kommen die Töchter und wollen dich aus dem Haus rauschmeißen, weil zu groß und teuer und Erbe und so … check ich da was nicht? Mir sind die beiden Tussis da glaub voll unsympathsisch. Mit Zuckerbrot und Peitsche und bla bla.
Also es ist dicht erzählt und leibevoll, aber ja … :) Vielleicht muss ich es wieder lesen, nochmal ganz genau oder so. Aber … sorry.

„Gut, dann warten wir jetzt einfach noch ne Weile, bis das Bein ab ist, bis du mit dem Rollstuhl nicht mehr die Treppe rauf kommst und in deinem Scheißtunnel steckenbleibst. Dann stopf ich dich in eine Zwangsjacke, roll dich raus und ruf ein Entrümpelungskommando.“

Alter, wenn ich mal eine Tochter krieg, die mir in 50 Jahren so was sagt. :) Ich glaub, dann würde ich mich dort halt einbunkern wie Hitler und das ganze Geld für Nutten ausgeben. Also auch so normale Grundgedanken wie Vererben und Sparen und so … man kennt diese Prinzipien, aber ich sag mal, die stehen nicht besonders hoch im Kurs bei Familie JuJu.

Und wie alt ist der Vater eigentlich? Bein ab … weiß nicht. Schlechte Durchblutung in den Beinen. Periphere arterielle Verschlußkrankheit nennt sich das auf schlau … kann der noch zwei Hunder Meter laufen am Stück? Packt er das? Das kann der bestimmt noch … naja … sechs, sieben Jahre gut gehen im Haus, wenn der jeden Tag viel läuft und bisschen trainiert und so. Vielleicht auch mehr. Ist so meine Blickdiagnose von hier aus.

Und was ist ein Bärenloch? Ein Loch, wo Bären reinscheißen?

Sorry! Ich bin nicht die Zielgruppe für den Text! Mir ist nicht mal der Hauptkonflikt richtig klar. Also echt: Wuuussshhh. Voll an mir vorbei.
Ich les mit jetzt mal die anderen Kommenatre genauer durch.

MfG,

JuJu

 
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Hey Juju,

irgendwie kann ich gar nicht so richtig traurig sein, dass der Text an Dir vorbeigegangen ist, weil ich die Vorstellung, dass Du da sitzt und Kopfsuelze, Sepiapapa und Makrameeeule googelst so geil finde :lol:

Ausserdem hatte ich mir ja schon in meiner eigenen Fake-Kritik geschrieben, dass der Text nur bei Leuten funktionieren kann, die da ihre eigenen Kindheitserinnerungen andocken koennen.

Fleischige Ohrläppchen find ich gut.
Na wenigstens. Fleischige Ohrlaeppchen sind kulturuebergreifend, eine anthropologische Konstante.

Was ist ein Cartooncoyote? Meist du Coyote? Der immer Roadrunner haben will? Der hält doch nur Schilder hoch, der ist stumm.
Und dann auch noch das. Das einzige Fitzelchen Ami-Kultur, mit dem ich dich am Nostalgieschwanz haette packen koennen, und ich verhau es gnadenlos. Ich hab jetzt extra nochmal nachgeguckt und Du hast Recht. Der Coyote ist wirklich stumm. Ich hatte so im Kopf, dass der so jault, wenn er in den Canyon faellt, aber ich glaube das ist Goofy. Der Coyote macht nur so ein Sausgeraeusch. Goofy kann ich aber nicht nehmen, weil es sonst zu goofy wird. Ich koennte natuerlich behaupten, dass ich mit dem Vergleich ausdruecken wollte, dass sie eben wie Coyote nur innerlich jault ...

Aber hier liegst Du dafuer falsch:

Geangelt hab ich tatsächlich auch .. wenn auch keine Sardellen, trotzdem: Die sterben doch nicht vor Angst. Was ist das für ein Pussyfisch? Die kann doch nicht vor Angst sterben.
Die zappeln wie bloed, mehr Kampf als die Grossen und dann sind sie steif und tot. Die regen sich einfach zu sehr auf beim Geangeltwerden. Vielleicht haben wir aber auch nur zu nah am Atomkraftwerk gefischt.

Also ich denke auch, wenn man so zwischen staubigen Blumengestecken und Waschmaschinenkartons mit Zielscheiben drauf herumirrt, kann man die verstreuten Hinweise zum Familienkonflikt nicht auch noch auflesen. Das war ja fuer mein urdeutsches Publikum schon ein bisschen schwer.

Warum kann der Vater nicht einfach dableiben? Soll er doch dableiben. Scheiß drauf. Da kommen die Töchter und wollen dich aus dem Haus rauschmeißen, weil zu groß und teuer und Erbe und so … check ich da was nicht? Mir sind die beiden Tussis da glaub voll unsympathsisch. Mit Zuckerbrot und Peitsche und bla bla. [...] Und wie alt ist der Vater eigentlich? Bein ab … weiß nicht. Schlechte Durchblutung in den Beinen. Periphere arterielle Verschlußkrankheit nennt sich das auf schlau … kann der noch zwei Hunder Meter laufen am Stück? Packt er das? Das kann der bestimmt noch … naja … sechs, sieben Jahre gut gehen im Haus, wenn der jeden Tag viel läuft und bisschen trainiert und so. Vielelicht auch mehr. Ist so meine Blickdiagnose von hier aus.
Also das Problem ist, dass der Neffe die andere Haelfte des Hauses geerbt hat und jetzt ausbezahlt werden muss. Dafuer muss entweder jemand das Geld auf den Tisch legen, oder das Haus muss verkauft werden. Wenn es nach den Toechtern ginge, wuerden sie ihn sicher gerne in dem Haus lassen, schon weil sie wissen, wie viel Theater das Rausrupfen machen wird. Aber wenn sie keine Lust haben, ihm eben mal 80 000 auf den Tisch zu legen, damit er da hocken bleiben kann, geht das nunmal nicht, dass er da bleibt.
Mit dem Bein hat das nicht so viel zu tun. Das ist eher so ne Uebersprungshandlung, weil ihr der Kragen platzt. Sie haette auch sagen koennen. Dann warten wir auf die Zwangsversteigerung und lassen Dich von der Polizei rauszerren.
Der Vater ist so 60 dachte ich mir. Und vielleicht schreib ich das auch noch da rein.

Danke fuer Deinen Kommentar. Hat mich amuesiert.

lg,
fiz

 

Dann sitzen wir Knie an Knie auf unserem Kinderbänkchen und beobachten Papa beim Kaffeekochen.

Wann,

lieber Halbbruder,

hätten wir je Gahmuret – unsern liebden Vater – je beim Kaffeekochen beobachtet? Vielleicht, dass es Deinem Neffen Lodengrün mag einmal widerfahren sein bei seinem Vater, aber uns beiden? Jâ-ne mac ich niht gelouben!, und doch stehts hier und es macht sich gut. Wie hat doch Nietzsche einst erkannt, dass der Künstler „gelegentlich des Zuckerbrotes und der Spielsachen“[Menschl., Allzumenschl., 171], bedürfe, was eben hier geschieht, und was einem, der derzeit in einer ganz andern, zeitgebundeneren Literatur rumwieselt, auch mit einiger Verzögerung erst ins Auge fällt.
Was sind die jungen Leute heute schon so reif, gleich den Alkten in Erinnerung zu schwelgen und Biographisches zum Besten zu geben – als wollten sie es Jean Paul gleichtun und die „Selberlebensbeschreibung“ so früh als möglich in die Welt setzen und durch eine Konjektural-Biographie verfeinern, wie der geheiligte Biertrinker seinen „bevorstehenden“ Lebenslauf ironisierte.
Freilich hatte die Zusammensetzung „Zuckerbrot“ in ihrem ersten, entlehnten Teil bei ihm noch die alte indische sarkara (daher kommt das Wort über Arabien in den Mittelmeerraum und dann auf germanistischen Zungen) Bedeutung des Kieselsteins, der sich hier vor allem im Schicksal der Kriegsgeneration äußert – ohne dass man vergessen sollte, wer und was die Gräuel begonnen hat und dass Vergewaltigungen immer schon und immer noch Teil der Kriegsführung sind, den Feind zu demütigen. Aber ich bin nicht mürrisch (das Nietzsche Zitat endet übrigens „um nicht mürrisch zu werden“), hab’s gern gelesen, aber dennoch ein paar triviale Randnotizen:

Wenn wir Pech haben, ist es nicht Buttercreme mit Streuseln[,] sondern ein Barren Kopfsülze.
Zwar ess ich gern, sei’s Fleisch (oder Hirn) oder Fisch in Gallert – da kommt der alte Troglodyt durch, doch hier gilt entgegen aller Kunst der Zubereitung ein Komma nachzutragen, wie im Folgenden auch:

Doch was mich aufheulen lässt wie einen Cartoonkojoten, ist nicht der Schmerz[,] sondern die Demütigung

Aber es gab auch andere Wochenenden, Wochenenden[,] an denen wir von morgens bis abends vor dem Fernseher saßen und …

nunmal
Sollte nun mal auseinandergeschrieben werden.

Hier befremdet die Endung eher

…: aus reiner Liebe und demütiger Gehorsamkeit.
Gehorsam

Hier rutscht Dir ein Plural dazwischen, der vielleicht zwei Stufen meint, wenn da nicht die dritte genannt wäre

Ich eile über die erste Stufe, fitsche über die zweiten und stürze über die dritte.

Sowat muzja ma’ widda von dem da kommn:
Als andere Camper das verrotzte Kind zum Platz zurückbrachten, heulte Papa laut und nass vor allen Leuten, weil er Töchter wie uns nicht verdient hatte.
Hat er oder hat er vielleicht doch nicht. In jedem Fall: besser vllt. Konjunktiv
…, heulte Papa … , weil er Töchter wie uns nicht verdient h[ä]tte.

Zum Abschluss das schönste Wort

Makrameeeulen

Gruß vom

Alten, der immer noch durchs Tal schleicht –
auf der Suche nach Deinem Neffen Lodengrün, dem mal wieder von seiner Elsa geschwant hat

 
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Hey Friedel,

bitte entschuldige die spaete Antwort. Mir schwirrt grad ein wenig der Kopf. Du kennst das: Regieren, Tjostieren, zum Christentum Konvertieren.

hätten wir je Gahmuret – unsern liebden Vater – je beim Kaffeekochen beobachtet? Vielleicht, dass es Deinem Neffen Lodengrün mag einmal widerfahren sein bei seinem Vater, aber uns beiden? Jâ-ne mac ich niht gelouben!, und doch stehts hier und es macht sich gut.
Stimmt, von dem hatten wir beide nicht viel. Ich sogar noch weniger. Ein paar weisse Flecken, das war's. Du wenigstens so ein unbestimmtes Zurren in der Brust und ein paar Laendereien und offene Rechnungen.

Was sind die jungen Leute heute schon so reif, gleich den Alkten in Erinnerung zu schwelgen und Biographisches zum Besten zu geben – als wollten sie es Jean Paul gleichtun und die „Selberlebensbeschreibung“ so früh als möglich in die Welt setzen und durch eine Konjektural-Biographie verfeinern, wie der geheiligte Biertrinker seinen „bevorstehenden“ Lebenslauf ironisierte.
Ja, das ist schon so ein bisschen vermessen. Aber es ging ja weniger um meinen Lebenslauf als den von Oma und Vater. Und die sind anstaendig alt und haben auch was erlebt.

Fuer die Randnotizen bin ich Dir sehr dankbar. Peinlich, was ich da bei hundertmaligem Korrekturlesen noch uebersehen habe.

Hat er oder hat er vielleicht doch nicht. In jedem Fall: besser vllt. Konjunktiv
Eigentlich bin ich recht ordentlich mit den Konjunktiven. In "Bruederchen und Schwesterchen" findest Du uebrigens ganz viele. Aber hier wollte ich ihn nicht, weil ich es nur halb als indirekte Rede, eher so als allgemeine Gewissheit darstellen wollte und das haette der Konjunktiv etwas geschwaecht.

Zum Abschluss das schönste Wort

Zitat:
Makrameeeulen

Ja, ne? Ist auch mein Liebling.

Vielen Dank und viele Gruesse,
fiz

 

Hallo fiz,
ich habe mir lange überlegt, welche deiner Geschichten ich zuerst kommentieren sollte. Ein wenig bin ich um die ansteckende Kinderkrankheit herumgeschlichen, aber da komme ich lieber irgendwann später noch zurück. Das hier ist ein reiferer Text und das Tragische finde ich eben doch anziehender.
Diesmal habe ich auch alle Kommentare durchgelesen und bin jetzt gut im Bilde, was die Geschichte bei Deutschen auslöst. Habe ich mir aber schon so ähnlich vorgestellt.
So ein wenig ging es mir bei dem Text wie JuJu. Keine Ahnung, was eine Makrameeule ist. Und unter einem Origamikrokodil kann ich mir auch nichts vorstellen. Ist es überhaupt was deutsches? Und den lieben Herrn Jesus gab es in meiner Kindheit in der Sowjetunion auch nicht. Und man hat mich auch so erzogen, dass die Eltern nicht in ein Heim kommen und wenn sie alt werden und Hilfe brauchen, dann nimmt man sie irgendwie zu sich. Und so ein Kindheitsomahaus mit jahrzehntealten Erinnerungen hatte ich auch nicht.
Die Geschichte lebt schon sehr stark von dem Deutschsein, man könnte dazu noch tausend Stellen finden. Also ich lebe auch schon lange in Deutschland, aber der Text wirkte auf mich irgendwie exotisch. So wie Tatort schauen am Sonntag oder Wolf Biermann.
Aber diese Exotik ist mir sehr symphatisch. Ich weiß nicht, ob du das jetzt gut findest, aber ich habe heute im Autoradio "Bitte gib mir nur ein Wort" von Wir sind Helden gehört und ich musste an den Text denken. Überhaupt werden bei mir durch die Geschichte ganz viele eigenartige Assoziationen ausgelöst. Irgendwie ist so vieles, was ich mit Deutschland verbinde, in dem Text drin. Auch ohne explizit angesprochen zu werden. Insbesondere aber die Familiendynamik, diese mir fremde Kindheit auch, diese ganze Kriegstraumathematik, da gibt es in mir drin eine seltsame Sehnsucht danach, Parallelen zu suchen. Deswegen hinterlässt die Geschichte bei mir auch so ein diffuses Gefühl.
Der Text ist sehr intim. Und er ist voller Liebe. Jemand hat in den Kommentaren geschrieben, dass es dein unverkennbarer Stil sei, den Charakteren und den Details gegenüber viel Liebe entgegenzubringen. Ja, so empfinde ich das auch.
Und der Humor ist klug und fein. Nur finde ich, ist er nicht zum laut lachen, sondern packt einen und bleibt irgendwo im Hals stecken, weil er immer eine tragische Implikation hat. Da sind sehr viele starke Stellen im Text, die schon alle zitiert wurden. Will das jetzt nicht wiederholen.
Ich finde, in dem Text, aber auch in vielen anderen Texten von dir, zeigst du eine sehr liebenswerte und vielschichtige Verwebung von Gedanken und Gefühlen. Du siehst irgendwie so vieles, eine sehr sensible Wahrnehmung ist das. Und davon lebt auch der Text hier. Und er lebt gut. Und das obwohl er ja gar keine richtige "Geschichte" hat. Es ist halt diese Zwischenmenschlichkeit, die du in so vielen Facetten einfängst und dem Leser ganz nahe bringst.
Das ist jedenfalls ein Text, der mich weiterbringt und es ist wirklich sehr aufschlussreich gewesen, die Diskussion dazu zu beobachten.
lg, randundband

 

Hallo Randundband,

bei aller Euphorie würde ich gern Deine Empfehlungswut ein wenig einbremsen wollen. Ich habe hier in mehreren Jahren eine Geschichte empfohlen, Du diesen Abend zwei.

Finde schon, man sollte sich sehr genau überlegen, welcher Geschichte man diesen Stempel aufdrückt, sonst herrscht hier bald Inflation.

Nachti, nastro.

 

Lieber nastroazzurro,
das ist ja sehr schön, dass du hier gegen die Inflation kämpfst, aber ich habe heute (und überhaupt) keine einzige Geschichte empfohlen. Die Geschichten sind schon lange vor mir empfohlen worden.
lg, randundband

 
Zuletzt bearbeitet:

nastro,

deine Vermutung kam wohl so zustande, weil die empfohlenen Geschichten, wenn sie wieder einen Kommentar bekommen, auf der Übersichtsseite in der Auswahl landen.
Hier wurde diese Geschichte empfohlen.

Aber davon abgesehen, sehe ich keinen Grund, wieso man nicht zwei Geschichten an einem Tag empfehlen kann, wenn sie es wirklich verdienen und der Empfehler das in seinem Text begründen kann. Wir würden uns freuen, wenn viel öfters (begründet) empfohlen werden würde. Diese Empfehlungen gehen auch noch durch den Moderatorenfilter, also nicht jeder Vorschlag wird auch tatsächlich ausgeführt; die Empfehlung muss schon Hand und Fuss haben und von der Qualität her gerechtfertigt sein.

 

Hallo randundband,

Ein wenig bin ich um die ansteckende Kinderkrankheit herumgeschlichen, aber da komme ich lieber irgendwann später noch zurück. Das hier ist ein reiferer Text und das Tragische finde ich eben doch anziehender.
Ein reiferer Text, hmm. Ein reiferes, schwereres Thema vielleicht. Ich hab die Kinderkrankheit nach wie vor lieber als diesen Text. Dieser liegt mir irgendwie schwer im Magen, was aber natürlich nichts über die Qualität aussagt, sondern mit mir persönlich zu tun hat.

Ich sehe auch, dass das ein sehr deutscher Text ist. Umso mehr freue ich mich, dass er Dir trotzdem gefallen hat. Ich denke mir auch, wenn Du jetzt einen Text über Jugend in der Sowjetunion schreiben würdest, der ganz detailliert und sinnlich ist, wäre das für mich ja auch eine Möglichkeit mal in eine ganz fremde Kindheitserfahrung zu schlüpfen und ihr so näher zu kommen. So hoffe ich halt immer, dass das Spezifische in meinen Texten nicht nur Hürde sondern auch eine Möglichkeit sein kann, Leuten, die anders leben oder gelebt haben, meine Welt etwas vorzustellen.

Der Text ist sehr intim. Und er ist voller Liebe. Jemand hat in den Kommentaren geschrieben, dass es dein unverkennbarer Stil sei, den Charakteren und den Details gegenüber viel Liebe entgegenzubringen. Ja, so empfinde ich das auch.
Und der Humor ist klug und fein. Nur finde ich, ist er nicht zum laut lachen, sondern packt einen und bleibt irgendwo im Hals stecken, weil er immer eine tragische Implikation hat. Da sind sehr viele starke Stellen im Text, die schon alle zitiert wurden. Will das jetzt nicht wiederholen.
Ja, das stimmt wohl. Der ganz laute Schenkelklopfer ist nicht so mein Ding. Das ist auch schon fast zwanghaft bei mir. Sobald es bitter wird, muss was Lustiges rein und sobald es zu Hopsig wird, schmeiß ich nen Knüppel dazwischen. Aber immer wenn ich merke, dass ich ne bestimmte Masche hab, hab ich auch immer den Wunsch dagegen anzugehen, also beim nächsten Mal das Traurige vielleicht auch mal einfach traurig sein zu lassen.

Ich finde, in dem Text, aber auch in vielen anderen Texten von dir, zeigst du eine sehr liebenswerte und vielschichtige Verwebung von Gedanken und Gefühlen. Du siehst irgendwie so vieles, eine sehr sensible Wahrnehmung ist das. Und davon lebt auch der Text hier. Und er lebt gut. Und das obwohl er ja gar keine richtige "Geschichte" hat. Es ist halt diese Zwischenmenschlichkeit, die du in so vielen Facetten einfängst und dem Leser ganz nahe bringst.
Also ich fühle mich schon sehr gut getroffen von Deiner Beschreibung. Mir ist auch beim Lesen das Zwischenmenschliche und die Innenwelt der Protagonisten oft wichtiger als die eigentliche Geschichte. Das ist wohl einfach meine Art. Aber ich bemühe mich trotzdem darum, meine schlappen Plotmuskeln zu trainieren.

Vielen Dank für Deinen Kommentar, hat mich sehr gefreut.

lg,
fiz

 

Lieber nastroazzurro,
das ist ja sehr schön, dass du hier gegen die Inflation kämpfst, aber ich habe heute (und überhaupt) keine einzige Geschichte empfohlen. Die Geschichten sind schon lange vor mir empfohlen worden.
lg, randundband

Hallo randundband,

sorry, habe ich nicht gewusst und hätte ich nicht geahnt, das der Reload von empfohlenen Geschichten so läuft.

Du darfst also kräftig weiterkommentieren, nix für ungut und ciao.

Hi Bernadette,

siehe oben und sorry. Das die Empfehlungen einen Filter durchlaufen finde ich okay, sonst haben wir hier neben Inflation vielleicht auch irgendwann Cliquenbildung.

Textreichen Feiertag,

nastro.

 

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