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Zungenküsse
Frank war bei allen seinen Freundinnen immer sehr als ausgezeichneter Zungenküsser aufgefallen. Seine Küsse wussten, wo sie hin wollten. Ganz tief in die Seele der anderen. Für immer in die Seelen eintauchen, das konnte er. Und dann gehen. Mit den Seelen. Und seiner Zunge.
Seit vorgestern weiß Frank, dass er bald sterben wird. Der Arzt hat nur gesagt, er solle von nun an nur noch das tun, was ihm wichtig sei. Er solle seine letzten Tage genießen. In vollen Zügen.
Im Wartezimmer saß gestern eine Frau, mit der Frank heftig geflirtet hat. Nachdem sie aus dem Untersuchungszimmer kam, sind sie zusammen in Franks Wohnung gegangen und haben gefickt. Auch sie meinte, er sei ein ausgezeichneter Zungenküsser. Sie habe vieles andere schon besser gehabt, aber seine Zungenküsse, die gingen wahnsinnig tief. Als ob sie das Herz aus dir raussaugen würden. Frank konnte nur lachen über diese Bemerkung. Und stubste mit seiner Nase in ihren Bauchnabel.
Heute hat Frank Krämpfe. Seine Zunge ist gestern abend dick geworden. Er hat auch Kopfschmerzen bekommen, weil er ständig darüber nachgedacht hat, wie groß seine Zunge ist und permanent an seine Schneidezähne anstieß. Heute nun hängt sie ihm schon bis zum Kinn. Sie wächst. Frank denkt an all die Frauen, die er geküsst hat und muss lachen. Zungenküsse.
Jetzt ist Frank im Behandlungszimmer und der Arzt spricht hinter vorgehaltener Hand mit der Schwester Ulla. Ulla mit den großen Brüsten und den grünen Augen. Frank hat manchmal beim Onanieren an sie gedacht. Als er daran denkt, wird er ganz verlegen. Weiß sie das? Ulla kommt auf ihn zu und fragt, ob sie ihm helfen könne, er sehe so verschroben aus der Wäsche. Frank kann nicht sprechen. Seine Zunge tropft das T-Shirt voll. Es ist das, was seine Ex-Freundin Bettina ihm zum Geburtstag geschenkt hat. Darauf steht, aber Ulla kann es nicht lesen, weil die Zunge davor hängt, "Traumzungenkussmann". Sie liest nur Traummann und denkt an die Stunden in ihrer Einraumwohnung, die sie an ihn denkend verbracht hat. Ulla streicht über Franks schütteres Haupthaar und haucht "Na?"
Frank wird lernen, wie er seine Zunge trotz ihres enormen Gewichtes bewegen kann und wird ihr mit seiner Zunge zärtlich über den Oberarm streichen. Sie wird verstehen. Ihre Zunge rausstrecken und an die Worte des Arztes denken: "Er wird sterben, Schwester Ulla, er muss sterben. Seine Zunge wächst aus ihm heraus und sein Körper wird schrumpfen, er wird nur noch eine Zunge sein. Es gibt keine Rettung. Schwester Ulla, schenken sie ihm Freude!" Schwester Ulla wird nach Mandelöl riechen und nach Schwarzem Pfeffer schmecken. Sie wird erkennen, dass Franks Leiden doch gestoppt werden kann.
Morgen wird Schwester Ulla eine Rettungsinitiative gegründet haben. Sie wird an die nur weiblichen Mitglieder Schichtpläne verteilt haben, die Franks unablässige Versorgung mit Zungenküssen garantieren werden.
Bis Frank übermorgen gehofft haben werden wird, Schwester Ulla niemals getroffen gehabt zu haben, weil ihre schwangere Freundin Cordula ihn als Zunge und nicht mehr als Mensch geheiratet haben werden wird und Schwester Ulla deswegen ein Attentat organisiert haben wird und Frank um dreiviertel sieben den Lauf der Pistole auf einer der blauen Adern an seiner Unterseite gefühlt haben werden wird.