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Zurück bleiben, bitte

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03.06.2009
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Zurück bleiben, bitte

Zurück bleiben, bitte

„Zurück bleiben, bitte“, tönte die Stimme durch den Lautsprecher. Die Türen schlossen sich mit einem lauten Knall. Ein letzter Blick zurück, dann setzte sich der Zug ruckelnd in Bewegung.
Die Landschaft zog erst langsam, dann immer schneller an ihr vorbei. Sie schaute aus dem Fenster, beobachtete das Farbenspiel der Natur. Gegenüber saß ein Mann im Anzug. Seine Nase steckte tief in der aktuellen Tageszeitung und er schien nichts um sich herum wahr zu nehmen. Hauptsache informiert sein. Wahrscheinlich war er auf dem Weg zur Arbeit. Was er wohl machte? Bestimmt ein hohes Tier in irgendeiner Bank. Ein Reihenhaus, eine Frau zwei Kinder. Ein Leben nur für die Arbeit, das Geld und den Ruhm. Ob das glücklich machte?
Die nächste Station, ein schneller Wechsel, neue Gesichter. „Zurück bleiben, bitte“. Als sie wieder aufschaute hatte eine alte Frau den Platz belegt. Ihr Gesicht war von Falten durchzogen, die Zeit hatte ihre Spuren hinterlassen. Das Leben fast vorbei. Wahrscheinlich war sie auf dem Weg zu ihren Enkeln. Enkel, die lieber mit Freunden spielen würden, anstatt die Dame zu sehen und eigentlich nur auf einen Geldschein warteten. Ob das glücklich machte?
Auch sie blieb nicht lange sitzen. Ruhelos verließ sie den Platz nach zwei Stationen. Zwei Jugendliche sprangen in letzter Sekunde in den Wagon. „Zurück bleiben, bitte“, wieder ruhte ihr Blick nur für kurze Zeiten auf den Häuserschluchten am Schienenrand. Lautstark holten die Jugendlichen eine Flasche billigen Wodka aus dem Rucksack, redeten lärmend über irgendwelche Proletenpartys und tranken sich ihr Leben schön. Wahrscheinlich nur um dazu zu gehören. Ob das glücklich machte?
Als ihre Freunde dazu stießen setzten sie sich weg und gaben den Blick auf eine Frau mit Kinderwagen frei. „Zurück bleiben, bitte“. Das Baby schrie, die Frau rollte genervt mit den Augen und seufzte. Lustlos schob sie den Wagen vor und zurück. Sie war noch recht jung. Wahrscheinlich war ihr Mann schon lange fort. Was ihr blieb war das Kind, die Verantwortung, bestimmt überfordert. Ob das glücklich machte?
Alle in Hektik, dauernd ein Ein- und Aussteigen. Nur noch wenige Stationen. „Zurück bleiben, bitte“. Ein junges Mädchen drängelte sich an dem Kinderwagen vorbei, ließ sich auf die Sitzbank fallen. Sie war so schön, bestimmt war sie glücklich. Einige Minuten vergingen, sie drückte an ihrem Handy herum. Plötzlich eine verdächtige Handbewegung. Sie wischte sich eine Träne aus den Augenwinkeln. Was sie wohl traurig machte? Wahrscheinlich eine SMS, eine gescheiterte Beziehung. Nein, sie war nicht glücklich. Wegen der Liebe. Ob das glücklich machte?
„Zurück bleiben, bitte.“ Der Zug fuhr wieder an, sie war draußen. Beobachtete die träge anfahrenden Wagons. Ihr Rollstuhl glitt über die Rampe. Sie war zurückgeblieben. Allein am Rande der Gesellschaft. Still stehend, für immer. Ob sie glücklich war?

 

Norbo 132 schreibt über seinen Text:

Ganz neu hier im Forum möchte ich einfach mal meine neuste Kurzgeschichte vorstellen, über Kritik würde ich mich freuen :-)

Derlei bitte in ein Extraposting.

 

hi Norbo132,
ich finde die Idee, die hinter der Geschichte steckt, gut, allerdings frage ich mich auch, was in dieser Rollstuhlperson vorgeht, hat sie schon mit dem Leben abgerechnet, wenn sie nur noch negative Dinge sieht und hinein interpretiert?
Ich meine, wieso sollte eine junge Mutter nicht auch mal glücklich sein?
Und was bedeutet dann Glück für die Hauptperson?
Gruß,
Johanna

 

Hallo Norbo

und willkommen auf kg.de. :)

Leider muss ich sagen, dass mich dein Einstand auch nicht überzeugen konnte.
Die Idee mit der Bahnfahrt, den Stationen, den verschiedenen Menschen, die ein- und aussteigen, alles Gesichter im Zeitgeschehen mit ihren eigenen Geschichten, interpretiert vom beobachtenden Erzähler, ist ein sehr verbauchtes Motiv.
Da ist es wirklich schwierig, dem Ganzen eine neue Note abzugewinnen, um sie den Leser schmackhaft zu machen.
Den Gedanken, dass die Erzählerin beinahe zwanghaft ihre Vorstellungen auf die Menschen projeziert, die einsteigen, finde ich eigentlich ganz gut. Allerdings bleibt das alles zu schablonenhaft. Du gönnst keiner "Station" die Zeit, um wirklich wirken zu können. Hier braucht es mehr Tiefe, um das Ende nicht so plump rüberkommen zu lassen, wie es meinem Gefühl nach wirkt. Das Heischen um Mitleid samt schwingendem Moralfingerchen finde ich hier etwas zu sehr aufgedrückt.
Zu retten wäre das in meinen Augen, wenn du die Reflexionen vertiefst und sie nicht derart parolenhaft stehen lässt. Das braucht es auch meiner Meinung nach, um die Verbindung mit dem Titel klarer zu zeichnen. Und der letzte Satz muss wirklich raus.

Soweit zu meinen Gedanken, was dein Debut hier auf kg.de angeht.
Am besten selbst mal ein bisschen rumstöbern, was hier so aufgetischt wird, und selbst kritisieren, dabei lernt man am meisten.

grüßlichst
weltenläufer

 

Mir hat die Geschichte nicht so gut gefallen. Das liegt zum einen daran, dass an allem und jedem nur das Negative gesehen und geschildert wird, dann immer die stereotype Frage: Ob das glücklich machte? Und dass die Zugfahrerin zum Schluss im Rollstuhl sitz, macht die Düsternis perfekt.

 

hallo Norbo,

Ich habe zwar keine Ahnung, aber ich schätze, du bist noch relativ jung. Wahrscheinlich noch in der Schule... habe ich Recht?
Das denke ich deshalb, weil ich früher oft ähnliche Gedanken hatte (Bin jetzt aber nicht alt oder so ;)), und ich denke solche Gedanken plagen irgendwann die meisten jungen Menschen, die anfangen über ihr Selbst und die Welt nachzudenken (sofern sie auch denken). Dass du das tust finde ich gut.
Diese Geschichte ist nicht berauschend, hier wird nichts besonders Neues eingebracht, aber ich denke sie ist nicht schlecht. ich glaube sie wirkt halt auf viele Leser abgegriffen. Das sind Leute die jetzt älter sind, und solche Gedanken mal hatten, und sich nun nicht mehr jeden Tag fragen was glücklich macht... sie leben einfach ihr Leben, da kann man nicht permanent solche Grundsatzfragen stellen...
Aber ich schweife jetzt aus und spekulier ziemlich viel. Das ist ein weites Feld...

mfg,

JuJu

 

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