Hallo MiK!
Danke für Deine näheren Erläuterungen! Jetzt ist mir klar, wie Du das meintest. 
Ganz am Ende wird dann die Verbindung zwischen beiden Erzählsträngen aufgezeigt. Das meinte ich mit unerwarteter Handlungsumschwung. Das hat mir sehr gefallen.
Freut mich, daß Dir das gefallen hat.
Lieber Cerberus!
Dein Wikipedia-Zitat bezieht sich auf andere, nämlich die Kälteversuche. Von denen spreche ich hier aber nicht. Ich habe hier ein Zitat aus »Zeit ohne Gnade« von Rudolf Kalmar, abgedruckt in »Wir schweigen nicht« vom Österreichischen Bundesverlag, 1964:
Für die letzte Steigerung des Entsetzens zur technischen Attraktion ist nicht die SS allein, sondern mit ihr und – wie man gerechterweise zugeben muß – in erster Linie die deutsche Luftwaffe verantwortlich.
Ihr Repräsentant im KZ Dachau war ein Stabsarzt Doktor Rascher. Schnittige Uniform, […]. Ein Auto-Feschak, dessen Kabriolett auch dann noch über den Appellplatz fegte, als sogar die mittleren Parteibonzen wegen Benzinmangels schon längst zu Fuß gingen.
Dieser Dr. Rascher kam eines Tages mit einer seltsamen Apparatur an. Sie war in einen Lastwagen eingebaut und diente der Wirkungsprüfung des Luftdrucks.
Ein Mann wurde in die verglaste Kabine eingeschlossen und dann die Luft daraus langsam abgesaugt. Das Barometer stieg mit dem schwächer werdenden Druck. Es zeigte 3000, 5000, 8000, 10000 Meter Höhe an.
Die physikalischen Bedingungen in dem hermetisch abgeschlossenen Raum waren so, als ob ein Flieger ohne Sicherung und ohne Sauerstoffatmung im offenen Aeroplan höher und höher steigen, als ob ein Fallschirmjäger in diesen Höhen abspringen würde, um frei unter seiner seidenen Kuppel niederzuschweben.
Man mußte nur ein Ventil öffnen und die Luft einströmen zu lassen. Wenn sie durch einen schmalen Spalt bloß in einem feinen Faden hineinpfiff, hatte der Fallschirm starken Auftrieb und verlor, in der Strömung ziehend, nur ganz allmählich an Höhe.
Wenn der Druck sprunghaft wechselte und das Barometer innerhalb weniger Sekunden um mehrere hundert Meter sank, trieben heftige Böen den Landenden wild durch den Raum.
Oder das Ventil wurde mit einem Ruck aufgerissen und jagte die Quecksilbersäule durch die ungehemmte Gewalt des einbrechenden Überdrucks zurück.
Dann hatte sich der Fallschirm nicht geöffnet, dann war er zerrissen oder am Flugzeug hängengeblieben.
Der Mann in den Gurten stürzte mit der steten Beschleunigung durch sein eigenes Gewicht wie ein Stein in die Tiefe.
Am Versuchswagen der deutschen Luftwaffe genügten ein paar Hebelgriffe, um die geschilderten Situationen und ihre beliebig komplizierten Kombinationen physikalisch zu rekonstruieren.
[…]
Sie krochen ahnungslos in seine Kabine und flogen, flogen, flogen. Das Barometer stieg auf 8000, […], 15000 Meter.
In diesen Höhen bricht das Blut aus den Gefäßen.
Zum unschätzbaren Vorteil der nationalen medizinischen Wissenschaften läßt sich ziemlich genau feststellen, wie lange der Kreislauf dem Unterdruck der stratosphärischen Bedingungen standhält und wann er versagt.
Man konnte sogar feststellen, ob der Sturz ohne Fallschirm unter allen Umständen tödlich sein muß, weil der plötzliche Anstieg des Druckes die Gefäße zerreißt, wo die Zone der mittelbaren Lebensgefahr und wo schließlich das Reich des unentrinnbaren Todes beginnt.
Wenn es wahr ist, daß durch die theoretischen Erkenntnisse des Stabsarztes Dr. Rascher dem Endsieg gedient wurde, dann starben die armseligen Gefangenen in der Druckkammer des Versuchswagens tatsächlich eine Art Heldentod fürs Vaterland.
Nicht freiwillig gerade, aber sie starben, und ihr Tod war kein Mord, sondern ein notwendiges Opfer für die deutsche Wissenschaft.
Man holte sie, wenn der Arrest leer und gerade kein Kandidat für Kugel und Strick, für Gas und Gift zur Hand war, ganz einfach aus dem Lager.
Über Empfehlung eines SS-Mannes, der sich dem mächtigen Dr. Rascher gefällig zeigen wollte, auf Grund einer gewissenlosen Denunziation, oder um Leute beiseite zu schaffen, deren weitere Existenz irgendeinem Lumpen nicht genehm war.
Dr. Rascher war bestimmt von Himmler, angeblich sogar von Hitler selbst, mit besonderen Vollmachten ausgestattet und dem Oberkommando der Wehrmacht direkt unterstellt.
[…]
Die Luftdruckversuche hatten ihr eigenes Programm:
Die erste Kategorie war ungefährlich. Sie stand unter Bedingungen, denen ein halbwegs gesunder Organismus ohne weiteres gewachsen war.
In der zweiten Kategorie hing es von der Konstitution des Experimentierhäftlings ab, ob er durchstand oder nicht. Das Verhältnis der Versuche mit tödlichem Ausgang zu denen ohne »Exitus infolge Versagens von Herz und Kreislauforganen« bildete eine wichtige Schlüsselzahl für die kriegswichtige Forschungsarbeit im Dienste der deutschen Luftwaffe.
Die dritte Kategorie der Experimente im Krankenbau des Konzentrationslagers Dachau war vorsätzlicher Mord, Vivisektion, Bestialtät. Die Luft wurde bis zu einem Grad verdünnt, der unbedingt tödlich war. Die Menschen hinter dem Glas brachen ohnmächtig zusammen.
Gehilfen des Dr. Rascher standen bereit, um die Sterbenden nach einem fingierten Absturz aus 15000 oder 18000 Meter Höhe von der unvermittelt aufgerissenen Druckkammer weg sofort in den Operationsraum zu schleppen.
Man schnitt den zuckenden Leichen Organe heraus, um sie zu untersuchen. Die Lunge eines Menschen, die fünf Minuten vorher noch in einem gesunden Körper geatmet hatte, wurde bereits mikroskopiert. Man hob die Schädeldecke ab, um festzustellen, ob durch diese Art zu sterben besondere Veränderungen in der Gehirnmasse hervorgerufen würden.
Soll ich das ganze Register der Ungeheuerlichkeiten aufzählen, das alle Beteiligten tief unter das Tier degradiert?
Soll ich von den raffinierten Scheußlichkeiten erzählen, die hier ebenso wie in der Malariastation des Dr. Schilling und daneben im Saal der Phlegmonen unter dem Vorwand der Wissenschaft verübt wurden?
Die Wissenschaft des Dritten Reichs hatte sich mit dem Tage der Machtergreifung nationalisiert.
Es gab nicht mehr bloß eine deutsche Philosophie und eine deutsche Geschichte, sondern plötzlich auch eine deutsche Medizin, eine deutsche Physik und eine deutsche Mathematik.
Die Menschen zerfielen in wertvolle und wertlose Rassen.
Der Komponist Mendelssohn hörte auf, eine ehrwürdige Figur der deutschen Musikgeschichte zu sein. Thomas Mann war kein Dichter mehr, weil er Hitler ablehnte, sondern nur mehr ein Schreiberling, und der Nobelpreisträger Paul Ehrlich nicht mehr der Begründer der modernen Serumbehandlung und der Entdecker des »Salvarsan«, sondern nur mehr ein Jude. Wie Albert Einstein und Sigmund Freud.
Dafür wurden unter der Mitwirkung graduierter deutscher Ärzte nunmehr in Dachau und anderswo täglich Menschen geschlachtet. Der Reichsärzteführer ging wiederholt durch den Krankenbau und war zufrieden, wenn die leeren Betten sauber gebaut und der Wäscheschrank abgestaubt war.
Die deutsche Wissenschaft war auf die Henker gekommen. Die Henker regierten das Land.
Bloß vor dem Nürnberger Gericht – und nicht nur dort – wollte keiner mehr etwas wissen davon.
An anderer Stelle, die ich jetzt aber nicht mehr finde, habe ich gelesen, daß die Luftwaffe diese Informationen für Überraschungsangriffe brauchte, weil sie durch die Erkenntnisse des Dr. Rascher aus größtmöglicher Höhe (aus der keiner damit gerechnet hätte) abspringen konnten. (Oder das zumindest vor hatten, so genau hab ich das nicht mehr im Kopf.)
Es tut mir Leid, daß Du die Geschichte als Moralkeule empfunden hast – als solche war sie nicht gedacht. Als ich das Buch las, hat es mich ziemlich beschäftigt, daß dasselbe Gefühl im einen Fall etwas Schönes ist, im anderen Folter, die bis zum Tod getrieben wird.
Klar hat es nichts mit dem Tandemsprung direkt zu tun. Wenn ich über einen Weg gehe, der von Zwangsarbeitern errichtet wurde, hat mein Darübergehen auch nichts mit ihnen zu tun. Trotzdem haben sie da Blut, Schweiß, Tränen und machmal auch ihr Leben gelassen. Kann ich so ignorant sein, zu sagen, davon will ich nichts hören? Kann ich nicht. Aber ich werde mir durch solche Gedanken auch bewußter, wie wertvoll die Freiheit ist, die wir genießen. Und solche Gedanken, lieber Cerberus, sind wie ein tiefer Brunnen, aus dem man Kraft schöpfen kann, wenn es darum geht, sich gegen Beschneidungen dieser Freiheit zu wehren.
Wenn ich zum Beispiel viel lieber vor kg.de sitzen bleiben würde, weil es viel bequemer ist als auf irgendeine Demonstation zu gehen, wenn ich wählen kann zwischen eisigem Wind oder warmem Tee und ich eigentlich eh grad so faul bin, dann denke ich an sowas, und wie es wäre, wenn ich eines Tages nicht mehr so gemütlich da sitzen könnte, nur, weil ich zu bequem war, um auf die Freiheit aufzupassen, und dann steh ich auf.
Danke fürs Zuhören.
Lieber Golio!
Deine Kritik hat mich unheimlich gefreut! Nicht nur, weil Du die Geschichte ganz richtig verstanden hast, sondern auch, weil ich das Gefühl habe, daß Du Dir richtig Mühe gegeben hast. Sowas freut nicht nur das Autoren-, sondern auch das Kritikerherz. 
Hier …
Ich denke, ohne diesen letzten Satz bzw. mit einem anderen letzten Satz oder wenn der Autor nach diesem Satz noch ein verlängertes Ende hinzufügen würde und den Springerjungen irgendwie noch sympathischer zeichnet, würde die Geschichte unaufdringlicher und somit übezeugender wirken, weil der Leser dann teilweise denkt, dass er, der Leser, selbst auf die Message gekommen sei.
… hast Du sicher Recht und ich werde mir überlegen, wie ich das hinkriegen kann. Ich kann nur noch nicht versprechen, wann das sein wird, weil ich meine Energien im Moment für andere Dinge und eine andere Geschichte brauche.
Ich lege sie sozusagen von der langen auf die mittlere Bank…
spannungs- und stimmungsmäßig voll der Kracher, weil er einfach schockmäßig voll unter die Haut geht.
Darin werde ich mich die nächsten Tage suhlen.
Würde auch unter Horror eine gute Figur machen und punkten, weil sie im Vergleich zu den anderen Horrorgeschichten noch eine Botschaft und einen wahren, ernsten Kern hat.
Cerberus springt mir an die Gurgel, wenn ich das mache

… Nein – die Geschichte gehört schon nach Gesellschaft.

Höchstens Historik käme dafür noch in Frage, aber dadurch, daß der Anfang und das Ende ja in der Jetztzeit spielen, bin ich mir da nicht so sicher.
Danke an Euch drei fürs Lesen und Kommentieren,
liebe Grüße,
Susi