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Zwei Freunde auf großer Fahrt
Zwei Freunde auf großer Fahrt
Paul lebte mit seiner Mama, seinem Papa und seiner jüngeren Schwester Mia in einem winzigen Dorf namens Hinterdeich. Das Dorf war so klein, dass Paul nicht viele Freunde zum Spielen hatte. Jeden Morgen fuhr Mama ihn mit dem Auto in den Kindergarten, wo seine einzigen Spielkameraden waren. Mittags holte sie ihn wieder ab. Wenn sie zu Hause waren, aßen sie. Mama kochte einmal die Woche Pauls Lieblingsessen, Spaghetti mit Tomatensoße.
Heute gab es zum Nachtisch einen Pudding. Paul hatte aufgegessen und war schon vom Tisch aufgestanden. „Mama, darf ich raus?“
„Wo willst du denn hin?“, fragte Mama verwundert. Paul hatte auf dem Nachhauseweg einen großen Möbellaster gesehen. Da war er neugierig geworden.
„Die Straße runter, Mama“, antwortete er. „Ach so,“ lachte Mama. „Du möchtest wohl erforschen, wer zu uns ins Dorf zieht.“ Paul, der schon von einem Bein auf das andere hüpfte, sagte: „Ja, vielleicht sind auch Kinder dabei.“ Er träumte schon lange von einem Freund, mit dem er spielen konnte. Die Nachmittage mit seiner Mama und seiner kleinen Schwester wurden ihm zu langweilig. Opa spielte zwar oft mit ihm, aber das war was ganz anderes.
„Na gut, ab mit dir. Aber vorm Dunkelwerden bist du wieder zurück.“
„Jaaa!“, rief Paul und sauste durch die Tür nach draußen. Er lief bei Opa und Oma vorbei. Opa war im Garten und pflückte süße saftige Kirschen vom Baum. „Na mein Junge,“ sagte er, als Paul kurz stehen blieb.„Möchtest du ein paar Kirschen?“
„Gerne, Opa“, antwortete Paul, nahm sich zwei Hände voll aus dem Eimer und hamsterte sie in seinen Hosentaschen. Opa schüttelte mit dem Kopf, als er das sah.
„Opa, ich muss weiter“, sagte Paul wichtig und zeigte auf den Möbelwagen am Ende der Straße. Opa sah über den Rand seiner Lesebrille. „Aha“, sagte er zwinkernd mit den Augen. „Du suchst wohl einen neuen Freund?“ Paul nickte und rannte zum Lastwagen. Als er dort angekommen war, lehnte er sich an den Gartenzaun und beobachtete die Möbelpacker. Das wurde ihm bald zu langweilig. Er nahm sich von seinen Kirschen aus der Tasche und kaute sie. Den Kern lutschte er sorgsam sauber. Dann spitzte er seinen Mund und versuchte, den Kirschkern so weit wie möglich auszuspucken. Er war so damit beschäftigt, den gegenüberliegenden Baum zu treffen, dass er den blonden Jungen neben sich erst gar nicht bemerkte. Der Junge sprach ihn an: „Wie heißt du?“
„Ich bin Paul,“ antwortete Paul überrascht und zeigte dann lächelnd seine riesige Zahnlücke. „Und wer bist du?“
„Ich heiße Max und wohne ab heute hier“, antwortete Max und gab ein Zahnlückenlächeln zurück. Von diesem Moment an waren sie die besten Freunde.
Max kam aus einer großen Stadt. Das Landleben kannte er noch nicht. So zeigte Paul ihm alles, was in seinem Dorf schön und spannend war. In Hinterdeich gab es viele mit Wasser gefüllte Gräben, die in einen Teich mündeten. Der Teich selbst lag in einem Wald, der auch beim hellsten Sonnenschein immer schummerig war, so dicht standen die Bäume beieinander. Es gab keinen richtigen Weg zu dem Teich und man musste aufpassen, dass man seine Schuhe nicht im Morast verlor. Max und Paul schnitzten sich mit Opas Hilfe starke biegsame Stecken, mit denen sie über die Gräben springen konnten.
An einem warmen Sommertag, nahmen sie ihre Stecken und liefen querfeldein zu dem Teich im Wald. „Huh, hier ist es ja unheimlich,“ sagte Max zu Paul, als sie vor dem düsteren Gewässer standen. „Das liegt daran, dass hier ein Schatz vergraben wurde, beidem ein toter Seeräuber Wache hält“, klärte Paul auf. „Ein toter Seeräuber?“, wiederholte Max furchtsam „Ja, hat Opa erzählt. Sieh, da drüben auf der Insel ist sein Schatz.“ Paul sah zur Mitte des Teiches hinüber. Dort erhob sich eine vom Schilf und anderen Pflanzen grün überwucherte schmale Insel aus dem Wasser. „Wie kommen wir dahin, etwa schwimmen?“, fragte Max angewidert bei dem Anblick der vielen Blutegel im dunklen Wasser. „Ach sei doch kein Frosch“, hielt Paul ihm vor.„Ich bin kein Frosch!“, erwiderte Max böse. „Ich will nur nicht in diesem kalten Moderwasser schwimmen. Das mit dem Frosch nimmst du zurück. Wer es sagt, ist es selber!“
„Gut, ich nehme es zurück, du bist kein Frosch“, sagte Paul versöhnlich, denn er hatte schon eine Idee. „Wir bauen uns ein Floß.“
„Ein Floß! Prima Idee, ich weiß wie das geht. Los komm!“, sagte nun auch Max begeistert. Die Jungen fanden in dem Wald genügend starke Äste, die sie zu einem Haufen sammelten. Als sie genügend beisammen hatten, war es schon spät und sie mussten heimkehren. Auf dem Heimweg schmiedeten sie Pläne, wie das Floß auszusehen hätte, und was sie dazu bräuchten. „Wir brauchen ein Segel und festes Band zum Zusammenknoten“, stellten sie fest.
Am nächsten Nachmittag, hatte Max noch Paketband vom Umzug mit und Paul ein altes weißes Hemd von Papa. Viel Arbeit hatten sie sich vorgenommen. Doch die Aussicht auf den Schatz war so verheißungsvoll, dass die Jungen mit viel Fleiß die Äste zusammenlegten und diese mit dem Paketband zusammenschnürten. Die Hohlräume zwischen den Ästen polsterten sie mit Moosen und Flechten aus. Zuletzt befestigten sie das weiße Hemd an einem Ast, den sie in die Mitte des Floßes steckten. „Und wie hält der Mast jetzt fest?“, fragte Paul. „Wenn wir auf dem Wasser sind, können wir den Mast tiefer reinstecken. Dann wird er schon halten“, versicherte Max.
„Hurra! Schiff ahoi!“, rief er aus. Mühsam zogen die Jungen das Floß bis an den Rand zum Teich. „Jetzt geht’s los“, freute sich Paul. Max stand auf dem Floß und Paul watete ins Wasser, um das Floß vom Ufer zu ziehen. „Knie dich hin!“, befahl er Max. „Sonst ist es zu kippelig.“ Er schwang sich zu Max aufs Floß und kniend paddelten sie mit den Händen auf die Insel zu. „Iiiiii, da kommt Wasser durch!“, rief Max, als das Floß in Fahrt kam. Das Moos und die Flechten sogen das kalte Teichwasser auf. Die Polsterung löste sich aus den Fugen und trieb davon. „Na und, bist du aus Zucker?“, entgegnete Paul. „Nein natürlich nicht“, antwortete Max ein wenig verstimmt. Die Freunde paddelten weiter, bemerkten kaum, dass ihre Beine patschnass wurden, so aufgeregt waren sie. Kurz vor der Insel passierte es dann. „Pass auf!“, rief Max als er Grund sah. „Langsamer!“ Aber Paul konnte die Fahrt nicht mehr bremsen. Der Teil des Mastes unterhalb der Wasserlinie berührte den Grund und das Floß kam ruckartig zum Stehen. Die Jungen konnten sich nicht halten und glitschten ins Wasser. „Iiiiigittt“, jammerte Max als er im Wasser lag. „Ach, es gibt Schlimmeres“, wiegelte Paul sofort ab. „Wohl schlimm!“, heulte Max, als sich auch noch ein Blutegel, an seinem Bein festsaugte. „Du bist schuld!“, griff Max seinen Freund an. „Du bist zu schnell gefahren.“
„Nein, bin ich nicht!“, wehrte sich Paul. „Du bist schuld, weil du gesagt hast, der Mast könne tiefer gesteckt werden!“
„Bin ich nicht! ... Du Landei!“, zürnte Max.
„Und du,... du Stadtpinkel“, gab Paul beleidigt zurück.
Max war richtig sauer auf Paul und Paul war richtig sauer auf Max. Wütend starrten sie sich an.
„Ich gehe jetzt nach Hause! Du Blödmax!“, sagte Paul und kniete sich wieder auf das Floß. „Du bist selber blöd!“ rief Max zurück und kniete sich daneben. Schweigend paddelten sie zum Ufer zurück. Als die Jungen das Floß auf das Land zurückzogen hatten, waren sie sehr traurig. Eine Weile saßen sie nur da. „So ein dummer Streit“, begann Paul. „Wollen wir uns wieder vertragen?“
„Stimmt.“, schniefte Max. „Wir haben den Schatz nicht gefunden.“
„Zeig mal her!“, sagte Paul und deutete auf Max Wade. Max hielt ihm die Wade mit dem Blutegel hin. „Ist nicht so schlimm“, sagte er tapfer.
„Wenn der Egel sich voll gesogen hat, fällt er ab.“, tröstete Paul den Freund .
„Wirklich? Hat dein Opa das gesagt?“, fragte Max.
„Ja, sieh nur!“ Der Blutegel war richtig dick geworden. Paul nahm den Egel zwischen Daumen und Zeigefinger und trug ihn zum Teich zurück. „Er soll doch nicht an Land sterben, nur weil er dein kostbares Blut getrunken hat“, feixte er.
„Warte, ich möchte ihn auch mal halten“, rief Max und sprang auf seine Füße. Er nahm den Blutegel in die Hand und betrachtete ihn. „Eigentlich ist der gar nicht so ekelig, wie ich dachte“, lächelte er verlegen, „Morgen schwimmen wir zur Insel!“
Behutsam ließ Max den Egel in den Teich zurückfallen.