Zwei im Spiegel
Verdammt bin ich geil! Noch ein paar Spritzer Coolwater und ein wenig Gel, dann ist alles perfekt.
Ich könnte mich glatt in mein Spiegelbild verlieben. Ich übe ein paar Moves für den Abend und schenke mir selbst ein Lächeln.
Zeitgleich mit dem Eintreffen von Joe habe ich mein Styling beendet. Er hält eine Martiniflasche in der Hand und begrüßt mich mit einem breiten Grinsen.
Fünfundzwanzig Minuten später machen wir uns angetrunken auf den Weg zu unserem Lieblingsclub "Dream".
Dort angekommen ist alles wie immer. Fast im Minutentakt Küsschen und Shakehands hier und da. Ob es nun Freunde sind oder nicht; darüber habe ich mir noch nie Gedanken gemacht. Ich weiß nur, dass es sich gut anfühlt, diese Leute um mich zu haben und den Anderen zu zeigen, wer ich bin.
Der Abend läuft gut. Es sind viele Bekannte von mir da und ich habe meinen Bekanntenkreis schon ein wenig erweitert.
2:30 Uhr, die Tanzfläche gehört mir. Ich präsentiere meine erst kürzlich auf MTV gesehenen Moves zu meinem Lieblingslieb "If I Ruled The World". Es läuft perfekt. Ich spüre anerkennende und begehrende Blicke. Das ist meine Welt, hier bin ich der King, hier werde ich respektiert.
Aus dem Augenwinkel bemerke ich, wie sich ein Mädchen langsam an mich rantanzt. Ohne mir etwas anmerken zu lassen tanze ich weiter bis ich spüre, wie sich ihr Körper an mich schmiegt. Zwei oder drei Lieder später entferne ich mich einfach elegant von ihr, um meinen Nachbarn anzurufen, der auch noch kommen wollte.
Draußen, vor dem Club ist nicht mehr viel los. Während ich darauf warte, dass die Verbindung hergestellt wird, laufe ich abseits ein wenig auf und ab. Er hat sein Handy aus, selber Schuld.
"Hey, sorry, weißt du, ob hier noch irgendwas geht?", meinen Kopf nach links drehend erblicke ich drei Jugendliche die ein wenig planlos dastehen. Einen arroganten Blick kann ich mir nicht verkneifen. "Ich weiß ja nicht, was bei euch so geht... Seid ihr überhaupt schon achtzehn?". Der kleinste von ihnen antwortet spontan: "Hey du Vogel, ein bisschen mehr Respekt!" - "Vor dir?! Ha...".
Und schon habe ich den erste Schlag hängen. Als erstes höre ich nur ein Klatschen und sehe kurz schwarz, doch einen Augenblick später durchströmt eine schmerzende Wärme meine Wange.
Ich öffne meine Augen wieder und sehe gerade noch, wie einer der größeren zum zweiten Mal ausholt. Benebelt sinke ich zu Boden. Der Türsteher vom "Dream" schaut nur teilnahmslos zu, aus fünfzig Metern Entfernung. Dieser Penner! Eigentlich sollte er mich mittlerweile ein wenig kennen.
Einige Tritte von allen Seiten später entfernen sich die drei. Es geht mir ganz OK, ich schaffe es ganz gut aufzustehen und laufe ins "Dream" zurück. Der Türsteher schenkt mir nicht mal einen einzigen Blick. Die Schlampe von vorhin tanzt mit einem Anderen. Joe hat ein Mädchen am Start und reagiert nicht auf mich. Die Anderen schenken mir kurze mitleidige Blicke und ignorieren mich dann.
Ich hole meine Jacke und haue ab.
Zuhause stehe ich wieder vor dem Spiegel. Ein paar blaue Flecken, das Gesicht ist ein wenig geschwollen aber alles in allem habe ich noch mal Glück gehabt. Lange betrachte ich mich im Spiegel. Doch so sehr ich es auch versuche, schaffe ich es nicht, mir ein Lächeln zu schenken.
Wer bin ich eigentlich?