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Zweier

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06.03.2007
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Zweier

Zweier

Simon wischte einen Rest Zahnpasta aus dem Mundwinkel und ließ sich auf das Bett fallen. Er schloss die Augen und sog die muffige Luft des Schlafzimmers durch die Nase ein. Eine Ecke der Gürtelschnalle drückte in seinen Bauch, aber er hatte keine Lust, sich auszuziehen. Stattdessen drehte er sich auf den Rücken. Er sah auf den Wecker. „6:53“ blinkte es ihm entgegen. Er quälte sich aus dem Bett heraus, schob mit einer Hand die Jalousie zur Seite und öffnete das Fenster. Von draußen drang der Lärm des frühmorgendlichen Straßenverkehrs herein. Auf dem Gerüst vor dem Haus glänzten die Reste des nächtlichen Regens in der aufgehenden Sonne und Simon sah durch seine nur noch ein viertel geöffnete Augen, wie Frau Marquard den gerade ankommenden Bauarbeitern zuwinkte, während ihr Hund an den Rhododendron pinkelte. Simon gähnte herzhaft und entschloss sich, wenigsten doch noch die Jeans auszuziehen. Halb entkleidet ließ er sich zurück auf das Bett fallen und vergrub sein Gesicht im Kopfkissen. Ein dumpfes, lautes und einigermaßen rhythmisches Klopfen draußen vor dem Fenster war das letzte, was er wahrnahm. Es war wohl einfacher, einen Azubi den angetrockneten Speis aus dem Eimer klopfen zu lassen, als ihn am Abend vorher mit Wasser auszuspülen (den Eimer, nicht den Azubi). Er wunderte sich, woher er solche Dinge wusste und schlief über dem Gedanken, ob man einen Azubi heutzutage noch immer „Stift“ nennt,ein.

Ein Geräusch von schweren Schuhen auf Metall vermischte sich mit Erinnerungen vom Vortag und fliegenden Zähnen. Ein Zahn sagte etwas zu einem anderen Zahn und dieser stöhnte genervt. Darauf flog erste Zahn einen kleinen Looping, sah Simon an, öffnete den Mund und befahl, einmal unten nachzusehen. Irgendetwas stimmt hier nicht, kam es Simon in den Sinn, bevor die Erkenntnis ihn kitzelte, dass es sich nur um einen Traum handeln könnte, und die Zähne nichts anderes waren, als die Bauarbeiter vor seinem Fenster. Zu müde, um aufzuwachen und zu wach, um wieder einzuschlafen, hing Simon zwischen zwei Welten. Er konnte und wollte nicht aufstehen und das Fenster schließen, aber auf Kommando wieder einzuschlafen, war gar nicht so einfach. So blieb ihm also nichts übrig, als zu lauschen und zu hoffen, dass er von selbst ins Reich der Träume zurück gleiten würde. Ein Paar Arbeitsschuhe stapfte vorbei. Eine kurze Ruhepause, dann eine Stimme von unten:
„Sind keine Zweier da!“ Klang, als würde das Paar Arbeitsschuhe von gerade dem Azubi gehören.
„Wie? Sind keine Zweier da? Ja, brüll doch mal genau vor meinem Fenster herum. Simon hasste es, zu müde zu sein, um das Kissen über den Kopf zu ziehen.
„Sind keine da.“ Das sagtest du bereits.
„Da müssen welche sein.“ Was in aller Welt sind überhaupt „Zweier“? Simon nahm an, dass es sich um irgendeine Art von Dachpfannen handeln müsse. Ziemlich wahrscheinlich, immerhin wurde da draußen gerade das Dach erneuert. Vielleicht waren es auch Styroporplatten, die, gerade frisch an die Außenwände geklebt, Simon sowohl erhöhte Wärmedämmung als auch eine erhöhte Miete bescheren würden. Aber eigentlich interessierte es ihn nicht, zumindest nicht jetzt.
„Sind aber keine da!“ Die tauchen auch nicht auf, wenn du jetzt noch mal fragst Und wenn du das tust, muß ich dich würgen. Vermehrte Nachfrage führt NICHT zum Auftauchen nicht vorhandener Gegenstände- ging es Simon durch den Kopf.
Man schien ihn gehört zu haben. „Ich komm runter!“ Ein zweites Paar Arbeitsschuhe, das wenigstens fünfunddreißig Kilogramm mehr Gewicht trug als das erste, stapfte an seinem Fenster vorbei. Was man so alles hören konnte, wenn man sich nur darauf konzentrierte. Man konnte sogar hören, wie sich ein weiterer Mann auf den Gerüst am Hintern kratze und dann eine Zigarette anzündete.
„Gerd, sind keine Zweier da!“ schallte eine Stimme herauf. Sieh mal an. Der Hinternkratzer heißt also Gerd.
„ Keine Zweier??“ Ach komm, Gerd, die Diskussion hatten wir bereits.
„Nee, keine Zweier!“

„Und nun?“ Vor Simons imaginärem Auge schob sich ein ca. fünfundvierzig jähriger Bierbauchträger mit blondem Schnauzer seine verdreckte Schirmmütze in den sonnenverbrannten Nacken und beugte sich über das Gerüst.
„Sag ma´ Chef Bescheid“, tönte es von unter herauf.
„Jau, mach ich.“ Tu es nicht Gerd! Tu es nicht! Nicht so. Bitte, das hier ist kein schlechter Witz. Nimm das Handy und ruf ihn an. BITTE! Nichts da, Gerd kannte kein Erbahmen. „CHEEEEF, KEINE ZWEIER DA!“ schallte seine Stimme durch den Morgen.
„Keine Zweier?“ kam eine vierte Stimme von einer undefinierbaren Stelle des Gerüsts.
„Nee!“
Acht Sekunden Stille.
„Ich ruf mal auf der Firma an, macht ihr mal so lange Frühstück.“ Simon öffnete das linke Auge und hob seinen Kopf Richtung Fenster. Durch die Lamellen der Jalousie sah er zwei Arbeitsschuhe mit einer weißen Arbeitshose darüber vorbeitrampeln.
Keine Zweier, kein Krach, keine zehn Minuten später und Simon schlief tief und fest, bis das nervtötende Tuten seines Weckers ihn viereinhalb Stunden später zwingen würde, sich zu erheben und wieder seinem Arbeitsleben zu widmen. Gerd machte da gerade Mittag.

 

Hallo Juby,

gefallen hat mir deine Geschichte, obwohl einige Unstimmigkeiten vorhanden sind, nur weiß ich immer noch nicht was eigentlich "Zweier" sind?

Simon sah durch seine nur noch ein viertel geöffnete Augen,
ein Viertel, finde ich schlecht ausgedrückt ... wenig geöffneten Augen oder einen Spalt geöffnete Augen

einen Azubi den angetrockneten Speis aus dem Eimer klopfen zu lassen, als ihn am Abend vorher mit Wasser auszuspülen (den Eimer, nicht den Azubi).
was ist Speis? und dann würde ich schreiben, als den Eimer vorher ... statt eine Erklärung in Klammern

Man konnte sogar hören, wie sich ein weiterer Mann auf den Gerüst am Hintern kratze und dann eine Zigarette anzündete.
kratzte und das scheint Unglaubwürdig, wo er sich kratzt kann wohl niemand heraus hören.

das wenigstens 35 Kilogramm mehr Gewicht trug als das erste,
hier ist die Gewicht Angabe auch sehr Unglaubwürdig,

Vielleicht sind noch andere Fehler drin, trotzdem mir hats gefallen.


Liebe Grüße Weltflucht

 

Hallo Weltflucht,
danke für Deinen Kommentar.

wenig geöffneten Augen oder einen Spalt geöffnete Augen
Da denke ich mal drüber nach.
was ist Speis?
Ein Baustoff, der aus einem Bindemittel (z. B. Kalk oder Zement), Zuschlagstoffen (z. B. Sand) und Ansatzwasser besteht und der durch Abbinden oder Trocknen erhärtet. Man nennt es auch Mörtel.
statt eine Erklärung in Klammern
Ich weiß und ich hatte auch darauf gehofft, dass mir jemand einen besseren Vorschlag liefert. Das Problem bei deiner Idee ist aber, daß ich dann das Wort "Eimer" zweimal in einem Satz unterbringen müsste. Egal wie ich den Satz umformuliere, er gefällt mir danach einfach nicht mehr oder läßt sich schlecht lesen. Der Punkt steht aber weiterhin auf der Überarbeitungsliste.
wo er sich kratzt kann wohl niemand heraus hören.
Da muß ich Dir wohl recht geben. Viuelleicht sollte ich es so umformulieren, dass man erkennt, Simon hält es für allgemeingültig, dass sich ein Bauarbeiter in so einer Situation nun mal nur am Hintern (und nirgendwo sonst)kratzen kann. Er hört ja auch ein Feuerzeug und geht davon aus, dass der Mann sich eine Zigarette anzündet(obwohl er es nicht sieht) Es könnte genau so gut ein Zigarillo o.ä. sein.
hier ist die Gewicht Angabe auch sehr Unglaubwürdig
Glaube mir, wenn das Bett nahe genug am Fenster steht, kann man den Unterschied nicht nur hören,bei entsprechend schlechter Bausubstanz kann man es sogar spüren, wer über ein Gerüst läuft. Aber so ist das mit der Realität.Sie macht sich in Geschichten nicht immer sonderlich gut.
Und warum sollten zwischen einem Lehrling und jemandem, der seit Ewigkeiten auf dem Bau herumturnt, keine 35 kg Gewichtsunterschied bestehen? Ich denke trotzdem über eine Abänderung nach.
Danke für den Kommi und Danke für die Inspiration zu einer neuen Geschichte.
Die ist gestern Nacht entstanden, aber ich werde sie erst veröffentlichen, wenn ich hier ein paar mehr Geschichten kommentiert habe.
Juby

 

Hallo Juby,

Ja, mit dem Gewicht stimme ich dir zu, ich meinte ja die Gewichtseinheit, würde ich nicht schreiben, zumal in einer Geschichte Zahlen immer als Wort ausgeschrieben werden. Und mit dem Eimer, auch da stimme ich dir zu, du könntest vielleicht Behälter schreiben. Hört vielleicht nicht so gut an, aber etwas anders fällt mir auch nicht ein.

Wünsche dir noch frohes Schaffen
Gruß Weltflucht

 

Die 35 werden natürlich sofort in "fünfunddreißig" geändert. Und der 45jähriger wird zu einem "fünfundvierzig jährigem".Ich habe vor Urzeiten mal gelernt, dass man nur Zahlen bis 12 ausschreibt. Ich sollte mir mal eine neue Grammatik zulegen.

 

Hallo Juby,

zumindest hab ich nun kapiert, woher die Frage nach dem Zweier kommt, in Deiner seltsamen Geschichte über das eigensinnige Eigenleben Deiner Prots.
Zweier sind übrigens doppelzöllige Nägel, also zwei Zoll lange, unsere Zivilisation wäre ohne ihre Entwicklung und Kultivierung nicht möglich gewesen, doch das nur am Rande.

Was die Zahlen angeht, Ziffern und die Zahlen 10, 11, 12 ausschreiben, einfache größere Zahlen ebenso, Ausnahmwen sind Eigennamen in Ziffern, Gleis 3 darf so bleiben, Lieboldstraße 11 ebenfall, der Hunderjährige liest sich dafür besser als der 100jährige.

Ein Zahn sagte etwas zu einem anderen Zahn und dieser stöhnte genervt.
finde ich ein schönes Wortspiel, ich habe sehr grinsen müssen beim lesen :D
Es war wohl einfacher, einen Azubi den angetrockneten Speis aus dem Eimer klopfen zu lassen, als ihn am Abend vorher mit Wasser auszuspülen (den Eimer, nicht den Azubi).
das hat Welfflucht ja schon angesprochen, es würde schon runder wirken, wenn du die Klammern durch einen einfachen Punkt ersetzt : Es war wohl einfacher, einen Azubi den angetrockneten Speis aus dem Eimer klopfen zu lassen, als ihn am Abend vorher mit Wasser auszuspülen. Den Eimer, nicht den Azubi.
Die Wortdopplung finde ich da übrigens nicht schlimm, trägt sie doch zum lakonischen Humor bei.
Vor Simons imaginärem Auge schob sich ein ca. fünfundvierzig jähriger Bierbauchträger mit blondem Schnauzer seine verdreckte Schirmmütze in den sonnenverbrannten Nacken und beute sich über das Gerüst.
beugte
„Sag ma´ Chef Bescheid“ tönte es von unter herauf.
in der wörtlichen Rede immer mit einem Komma abtrennen, Bescheid"KOMMAtönte.
Durch die Lamellen der Jalousie sah er zwei Arbeitsschuhe mit einer weißen Arbeitshose darüber vorbeitrampeln.
der Bezug ist unglücklich, besser wäre sowas wie : zwei Arbeitsschuhe unterhalb einer weißen Arbeitshose, die vorbeitrampelten
Gerd machte da gerade Mittag.
Tempusfehler, Du bist davor im Futur : Gerd würde da gerade Mittag machen

Grüße,
Carlson vom Dach Seltsem

 

Hallo
Fehler werden sofort korrigiert.(Himmel, Du hast aber auch ein gutes Auge für so etwas)

Zweier sind übrigens doppelzöllige Nägel
Och, jetzt hast Du es verraten^_^. Aber es ist schön zu wissen, daß sich Menschen auch für solche Dinge interessieren.
unsere Zivilisation wäre ohne ihre Entwicklung und Kultivierung nicht möglich gewesen, doch das nur am Rande.
Und genau darum haben sie ja auch so eine "wichtige" Rolle bekommen. Ohne Zweier läuft eben nichts. Ein Hoch auf sie, die sie sonst so wenig beachtet werden.
...als ihn am Abend vorher mit Wasser auszuspülen. Den Eimer, nicht den Azubi.
Ist so offensichtlich,einfach die Klammern wegzulassen,daß ich mich frage, warum mir das nicht eingefallen ist.
Gerd würde da gerade Mittag machen
Jaaa, du hast recht, aber ich finde diese Formulierung als Geschichtenabschluß nicht sehr schön. Darum werde ich einfach mal auf die Grammatik pfeifen (zumindest so lange, bis mir etwas besseres einfällt).
Liebe Grüße
Juby

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Juby,
Dein Text hat mir Spass gemacht. Gut geschrieben und flüssig. Vor allem die Zähne als Traummotiv für die Handwerker.

Darauf flog erste Zahn einen kleinen Looping,

Da fehlt 'der' - 'Darauf flog d e r erste Zahn...'

Ich liebe solche Fachbegriffe wie 'Zweier' und 'Speis'! Ohne sie läuft rein gar nichts.

Herzlich grüsst Dich,
Gisanne

 

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