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Zwischen den Zeilen
Ein Brief von ihr, mit rotem Kuss. Endlich. Eine Wolke Parfüm schwebt mir entgegen.
Ich sehe sie vor mir für einen Moment. Heather. Ich denke nicht oft an sie, ich kann es nicht, aber jetzt ist sie bei mir. Wie geht es dir, schreibt sie. Mit blauer Tinte. Ich habe ihr den Füller geschenkt.
Jamey läuft jetzt, schreibt sie.
Ich habe seinen ersten Zahn nicht miterlebt, jetzt läuft er. Fotos. Schwarze Haare, wie ich. Und Heathers Augen. Heather. Sie fehlt mir. Es schneit jetzt zu Hause, schreibt sie. Es ist so heiß, hier. Ich will in den Winter. Schnee statt Sand. Wie geht es dir, schreibt sie.
Ich nehme ein Blatt Papier, einen Stift. Schweißtropfen fallen von meiner Hand. Ich nehme ein neues Blatt. Will nichts schreiben, was sie sorgt. Sie hat Angst, ich auch.
Heather, schreibe ich, Heather. Sie fehlt mir. Soll ich das schreiben? Wie geht es dir, schreibt sie. Wie geht es mir? Sand, überall. In meinen Kleidern, in der Luft, in meinen Lungen. Schnee wäre toll, schreibe ich, wische meine Hand trocken. Die Kantine ist stickig und leer. Ich kann nicht schlafen. Heathers Briefe muss ich alleine lesen. Ihr Duft schwebt um mich. Erinnere mich an sie, habe die Augen geschlossen. Nehme die Briefe mit, bevor ich schlafen gehe.
Am nächsten Tag schreibe ich weiter. Sam ist tot, schreibe ich, ich hab ein paar Mal mit ihm geredet. Lege den Stift hin und schaue ins Leere. Sam starb irgendwo. Ich hab ihn nicht gesehen. Die anderen haben es erzählt. In Hollywood wäre er in meinen Armen gestorben. Hätte mir eine Botschaft anvertraut, für seine Frau. Wenn er eine hatte. Aber er starb undramatisch, allein. Und schweigend.
Was würde ich Heather sagen wollen? Wir haben so oft geredet. Sie weiß alles. Weiß es auch Jamey? Sag Jamey, ich liebe ihn, schreibe ich. Er fehlt mir. Ich fehle ihm nicht. Er hat mich vergessen. Ob Sam überhaupt jemanden hatte? Ich rieche an Heathers Brief. Sie ist noch da, ein bisschen. Wie geht es dir, schreibt sie.
Wie geht es mir? Die Leute machen mich krank, schreibe ich und höre wieder auf. Mir wird schlecht. Wenn sie mich anschauen. Wenn ich die Furcht in ihren Augen sehe, und den Hass. Ich würde mich auch hassen. Und ich habe Angst vor ihnen. Wir empfinden gleich. Spiegelbilder. Aber ich habe Waffen. Bin ich gut oder schlecht? Oder dazwischen?
Nach dem Einsatz in der Nacht nehme ich den Stift wieder, denke nach. Wir haben ein Haus durchsucht. Eine Familie geweckt. Dabei ein Mädchen in Jameys Alter. Ich wollte der Mutter ihr Messer lassen. Nur ein kleines Küchenmesser, ganz stumpf. Wie sollen sie sonst ihr Essen schneiden. Chad hat mich angeschrieen, denk an Sam, willst du, dass wir alle draufgehen. Hat das Messer weggenommen. Es war nur ein stumpfes Küchenmesser, nicht gefährlich. Sie könnten uns auch mit einem Stein töten, hab ich gesagt. Aber Chad hat Angst. Er wurde laut, zu laut. Sam war der erste, der draufging von uns. Chad will nicht der nächste sein. Die Kleine fing an zu heulen. Er hat auch sie angeschrieen.
Ich lasse den Stift fallen, schließe die Augen. Ich fühle mich so einsam hier.
Ich sollte Heather schreiben, dass wir einer Frau ihr Küchenmesser geklaut haben, mitten in der Nacht. Dass alles kaputt ist hier. Will ihr schreiben, dass es mich ankotzt. Dass ich fort will. Und wie schön es wäre, bei ihr zu sein. Bei Heather.
Lass uns auswandern, will ich schreiben, nach Kanada, in die Schweiz. Lass uns in den Schnee gehen. Lass mich dabei sein, wenn Jamey wächst. Ich will es sehen. Und ich will dich sehen. Ich will meine Nächte nicht mit deinen Briefen teilen. Das reicht nicht. Ich brauche dich, will ich schreiben, du fehlst mir.
Hebe den Stift wieder auf.
Und wie geht es dir, schreibe ich.