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Und sie dreht sich doch

Challenge 3. Platz
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15.01.2002
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Und sie dreht sich doch

"Dass die Welt sich dreht, hat einer gesagt."
"Wer sagt so etwas?"
"Einer, ich kenne seinen Namen nicht."
"Ohne seinen Namen sind die Worte nichts wert."
"Dann sag ich es."
"Die Erde dreht sich?"
"Ihr sagt es."
"Nicht ich! Ihr wolltet es sagen."
"Ich? Nein. Doch Ihr habt es gesagt."
"Wieso sollte ich sagen, dass die Erde sich dreht? Ich bin doch nicht meines Lebens müde?"
"Und dennoch habt Ihr es gesagt."
"Ich habe keine Zweifel an dem, was unsere Väter sagen."
"Und wenn doch etwas Wahres daran ist?"
"Woran?"
"Dass die Erde sich dreht."
"Warum sollte etwas Wahres daran sein? Nur weil Einer es sagt?"
"Vielleicht gerade deswegen."
"Warum solche Gedanken?"
"Warum nicht?"
"Ihr fangt euch Ärger ein, glaubt mir."
"Sei´s drum. Sie dreht sich, die Erde!"
"Alleine steht Ihr da mit Eurem Gespinst. Alleine und unwissend!"
"Unwissend unter Unwissenden."
"So sei es, bringen wird es Euch nichts, was Ihr von Einem hörtet. Den Tod allein."
"Ich fürchte den Tod nicht!"
"Sagt mir das, wenn die Wachen an Eurer Türe klopfen."
"Eher sterben will ich, als mich selbst belügen!"
"Ruhig, ruhig. Sprecht nicht von einer Lüge. Auch Ihr könnt´s nicht beweisen."
"Und wenn ich´s könnte, würdet Ihr mir glauben?"
"Was soll diese dumme Fragerei?"
"Würdet Ihr nicht auch mich dann verleugnen, aus Angst vor dem Tod?"
"Ach!"
"Verleugnen würdet Ihr mich und jeder andere würde es auch."
"Ha, da seht Ihrs! Nichts bringt Euer Geschwätz zu Tage. So schweiget und tut wie Euch geheißen."
"Ich tu wie mir beliebt! Nicht länger lasse ich mir Vorhaltungen machen, wie und was ich zu denken habe."
"So wollt Ihr tatsächlich sterben, so jung wie ihr seid"
"Doch kann ich behaupten, gelebt zu haben und nicht tot gewesen zu sein, wie Eurer einer es schon seit dem Tag seiner Geburt ist."
"Mäßigt Euch!"
"Frei bin ich seit dem Tage dieser Erkenntnis, kein Sklave, kein Schoßhund der Inquisition!"
"Still! Ich höre schon Schritte."
(...)
"Still ward ihr in diesen Momenten."
"Ihr sagtet es mir."
"Sagtet Ihr nicht, dass ihr tut, wie euch beliebt."
"Das sagte ich, doch gebe ich zu, dass auch mir in diesen Sekunden ein wenig seltsam zumute war."
"Vergessen wir das Gerede. Lasst uns zur Arbeit zurückkehren."
"Ihr sagt es. Dass die Welt sich dreht, hat einer gesagt und keiner hat´s gehört."

[Beitrag editiert von: Frederik am 12.04.2002 um 14:21]

 

Den Dialog fand ich echt gut. Eigentlich der beste der bisher gepostet wurde. Die Sprache ist "auf alt" getrimmt, und das passt, wenn es auch bestimmt nicht "authentisch" ist. Auf jeden Fall macht der Text den Eindruck, als sei länger an ihm gefeilt worden, und das ist gut. Auch das Ende ("Sagtet Ihr nicht, dass ihr tut, wie euch beliebt.") fand ich sehr gelungen.

Einige kleine Punkte:

Das Wort "Regime" scheint nicht hineinzupassen. Das Wort wird eher in der neueren Politikwissenschaft gebraucht (jedenfalls kennt man es hauptsächlich daher und aus Zeitungsberichten), und es wirkt hier unpassend. Ein anderes Wort wäre vielleicht besser ("Die Herrschenden" vielleicht).

Und hier gibt's einen Fehler, gleich am Anfang:

"Dass sagte ich, aber ich gebe zu, dass auch mir in diesen Sekunden ein wenig mulmig war."
Na, gefunden? ;)

 

Danke Ben. Hab mir den Satz mehrere Male durchgelesen und nichts gefunden. Dank Abraxas kann ich jetzt korrigieren ;)
Und die Kommafehler werd ich gleich mal mitkillen. :gunfire:

 

Ich finde Idee, Stil und Ausführung deines Dialoges ausgezeichnet. Schließe mich Ben ganz an.

@Sighard

Es stören nur die vielen Anführungsstriche

Hm, wir befinden uns in der Rubrik "Dialog". Wie sollte man wörtliche Rede, aus der der Text bestehen soll, sonst kennzeichnen?


Alles Liebe,
Sylvia

 

Der Vorschlag mit den Bindestrichen ist nicht völlig unsinnig, wurde bzw. wird in der Literatur auch manchmal für wörtliche Rede verwendet. Aber der Autor hat sich nun mal für die "klassische Variante" entschieden. Sinn der Diskussion?

San

Editiert, weil ich zu spät gemerkt habe, dass meine Schwester (porree) noch eingeloggt war - sorry! :)

[Beitrag editiert von: Rabenschwarz am 03.03.2002 um 15:06]

 

Hey, danke erstmal für eure Kritik. Hätte nicht gedacht, dass das Thema Anklang findet.
In einer Unterrichtseinheit über Kurzgeschichten habe ich im Prüfungskurs Deutsch erfahren, dass Kurzgeschichten "grundsätzlich" ohne Anführungszeichen geschrieben werde (siehe Beispiele von blablabla). Nun, eine solch einsträngige Einstellung bewirkt bei mir eher das Gegenteil. Natürlich gebe ich zu, dass hier die Anzahl der Aführungszeichen ziemlich extrem ist. Eine Alternative wäre da (o.Anführungszeichen):
Redner_1: ...
Redner_2: ...
aber mir ist relativ egal, da es mich nicht stört. Also lass ich´s einfach so.

Bis denne
Frederik

[Beitrag editiert von: Frederik am 02.03.2002 um 13:02]

 

Toll. Bin auch sehr begeistert. Erinnert mich irgendwie an die Griechen - sowohl Theater als auch Platons Dialoge.
"Sowas" in der zweiten Zeile würde ich durch "so etwas" oder "dies" ersetzen, und "nimmer mehr" bedeutet "nie wieder", also würde ich vielleicht einfach "nein" schreiben, denn er hat es ja noch nie gesagt.

 

Danke auch für eure Kritik. Hab wieder geringfügige Änderungen vorgenommen. Hoffe ich hab das Gröbste jetzt rausgefiltert.

@Anna

Wörtliche Rede in Kurzgeschichten generell ohne Anführungszeichen? Das habe ich noch nie gehört (und kenne dafür auch keine Beispiele). Kannst Du mir bitte mal die entsprechenden Quellen nennen?

Wie ich schon schrieb kommt diese Äußerung aus einem Deutsch Prüfungskurs. Die vorgelegten Beispiele waren dann auch ohne Anführungszeichen. Ein Beispiel, das ich jetzt im Kopf habe ist "Flitterwochen, dritter Tag" von Gabrielle Wohmann oder (allerdings hier nicht ausgeprägt) "Vom Meer" von Peter Bichsel.
Ich kenne neben den Geschichten auf kg.de allerdings auch viele andere Kurzgeschichten mit Anführungszeichen und halte diese Pauschalisierung, die man in der Schule praktisch "auferlegt" bekommt für ausgemachten Schwachsinn. Aber so ist das nunmal. :(

Bis denne
Frederik

 

Lieber Frederik!

Der Stil des Dialoges erinnert mich sehr an die Werke des beginnenden 20. jahrhunderts. Erinnerter hier an Schillers "Kabale und Liebe", oder Brechts: "Liebelei". Ich bewundere es, dass du mit dieser Sprechweise umgehen kannst, da ich es, wenn ich es lese, niicht einmal richtig verstehe, geschweige dem je schreiben könnte.

Das Thema ist, ohne es einer Epoche zuordnen zu wollen, zwar nicht neu, aber deswegen nicht minder aktuell. Also auch nicht schlecht.

Ganzheitlich gesehen ist mir die Ausführung etwas zu kurz. Aus diesem text lässt sich mehr machen und vielleicht verwendest du ihn ja für einen Impuls für eine längere Geschichte. Könnte mir das gut vorstellen.

Zu guter letzt noch ein herzliches Prost auf den Dritten Platz. Gratulation! :prost:

Peter Hrubi

[Beitrag editiert von: Peter Hrubi am 11.03.2002 um 08:04]

 

„Ich verehre Bindestriche“, behauptet(e) der gesperrte (?) Sighard.

Hallo Frederik,

zufällig bei den Wanderungen durch KG.de über diesen Dialog gestolpert sehe ich, wäre es ein Kind, dass er bald seinen siebenten Geburtstag feierte und spätestens jetzt eingeschult würd’.

Ein feiner, kleiner Text, der nicht begraben bleiben sollte, wie ich finde, selbst wenn alles bereits gesagt zu sein scheint. Auch schön zu sehen, wie vor Jahr und Tag Kommentare den heutigen ähneln, aber bisher noch keine Kuriosität wie die der Geschwister porree und Rabenschwarz gesehen (aber ich bin ja auch noch nicht durch).

Doch halt, ich muss auch die Erwartungshaltung des Publikums erfüllen: wäre es ein Dialog in neuerer Zeit, ich verlöre kein Wort über den Konjunktiv, ließe die „würde“-Konstruktionen unbehelligt. Hier wirkt sie einfach merk- und denkwürdig: eine altertümelnde Sprache mit englischer Grammatik unterlegt.

Beispiel:

"Und wenn ich´s könnte, würdet Ihr mir glauben?" … "Würdet Ihr nicht auch mich dann verleugnen, aus Angst vor dem Tod?" … "Verleugnen würdet Ihr mich und jeder andere würde es auch."

Wäre nicht besser und der Sprache angemessen "und wenn ich´s könnte, glaubtet Ihr mir?" … "Verleugnet(et) Ihr nicht auch mich dann aus Angst vor dem Tod?" … "Verleugnen würdet Ihr mich und jeder andere tät es auch."

Bisher übersehen Flüchtigkeitsfehler:

"Ich tuKOMMA wie mir beliebt! …“

"So wollt Ihr tatsächlich sterben, so jung wie ihr seidFRAGEZEICHEN (evtl. auch Ausrufezeichen)"

Und seltsam stößt auf die Formulierung „Eurer einer“. Sollte es nicht „Euer einer“ heißen?

Zum Schluss noch die schöne Andeutung in Brecht’scher Manier zur lebens- und gesundheitserhaltenden Feigheit, mir gefällt der text!


Moin & gute Nacht

friedel

 

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