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„Hey, wollen wir ficken?“

Challenge 1. Platz
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sim

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13.04.2003
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„Hey, wollen wir ficken?“

„Hey, wollen wir ficken?“
Er stand vor mir, hatte die Hose praktischerweise, ohne meine Antwort abzuwarten, gleich heruntergelassen, sodass sie ihm viel zu weit, um seine dürren Knie hing. Die Gürtelschnalle wippte noch ein bisschen. Eine recht hektische Erzieherin lief ihm sofort hinterher und zog ihm, ohne ein Wort zu verlieren, die Hose wieder hoch.
„Entschuldigen Sie bitte“, bat sie so zuversichtlich lächelnd, wie es in einer solchen Situation möglich ist, „ihm fehlt es ab und zu an der nötigen Distanz.“ Sie verwendete einen Fachausdruck dafür, den ich mir nicht merken konnte, der aber sicherlich richtig war. Sie zog den jungen Mann durch den Bus zu den Sitzplätzen, auf denen wohl die Anderen aus seiner Gruppe saßen. Ich hörte, wie sie leise mit ihm schimpfte.
„Unerhört", mokierten sich einige der anderen Fahrgäste, „man sollte solch eine Belästigung verbieten." Es kam nicht einmal eine Diskussion zustande, so einig war man sich.
„Sie sollten den jungen Mann anzeigen“, wandte sich die Dame zu meiner rechten an mich, „schließlich können auch die sich nicht alles erlauben.“
„Warum?" Ich wandte mich ihr zu, um vielleicht in ihrem Gesicht lesen zu können, wer denn die überhaupt sind. „Was hat er denn Schlimmes getan? Er hat mir eine Frage gestellt, die ich mit Ja oder Nein beantworten konnte."
„Er hat sich vor Ihren Augen entblößt", echauffierte sie sich, „ich nenne so etwas 'sexuelle Belästigung'." Sie platzierte ihre Einkaufstasche auf ihrem Schoß, als ob sie ihn schützen müsste. „Das darf man niemandem durchgehen lassen." Was hätte ich antworten sollen? Der Tumult, der entstand, war mir unangenehmer als der entblößte Unterleib, die Kommentare fand ich quälender als die direkte Frage des jungen Mannes.
„Er war doch ganz hübsch anzusehen“, grinste ich meine Nachbarin an. „Belästigt fühlte ich mich jedenfalls nicht.“
Sie rutschte ein Stückchen fort von mir, zwängte sich näher ans Fenster und korrigierte die Position der schützenden Einkaufstasche: „Dann sind Sie entweder ein Geduldsengel oder pervers.“
Zu ihrem Glück musste ich aussteigen, sie würde mich wahrscheinlich nicht wiedersehen.


„Hey, wollen wir ficken?“
Wir fuhren nicht im Bus, wie beim ersten Mal. Mein Weg führte mich an seinem Heim vorbei, da ich zum U-Bahnhof wollte. Dort stand er allein auf einer Wiese und stürzte mit seiner Frage auf mich zu.
Er hatte die Hose dieses Mal oben gelassen, soweit hatte man ihn schon dressiert. Er grinste herausfordernd, und dem Grinsen war anzumerken, dass er auf diese Frage noch nie eine ordentliche Antwort erhalten hatte. Wusste er, was er da fragte? Wusste er um die Bedeutung des Wortes?
Seine Augen strahlten mich an, sie glänzten braun in seinem vor Freude zuckendem Gesicht. Er hielt es vor Spannung kaum aus, so sehr wartete er darauf, dass ich mich endlich ärgern würde.
Könnte ich ihn mit einem „Ja“ überraschen? Oder würde es ihn enttäuschen?
Er sah nett aus, nicht wirklich hübsch, aber sehr sympathisch, und er hatte etwas an sich, dass mich neugierig machte.
„Hey, wollen wir ficken?“, wiederholte er seine Frage voller Ungeduld. Wahrscheinlich war er es nicht gewohnt, so lange auf eine Reaktion warten zu müssen. Ich schaute auf die Uhr. Ich hatte ein paar Minuten übrig, die ich mir nehmen könnte.
„Nein“, antwortete ich ihm freundlich und sah dabei fest in seine Augen, „aber wenn du magst, können wir uns ein bisschen unterhalten.“ Dabei setzte ich mich zu seinen Füßen auf die Wiese.
Er zögerte ein wenig, bevor er sich zu mir setzte: „Lieber würde ich ficken.“
„Ich kenne dich doch gar nicht", gab ich ihm zu bedenken, „stört dich das nicht?" Er schüttelte den Kopf so heftig, dass sein ganzer Oberkörper gleich mit in Bewegung geriet: „Nein“, grinste er, „du siehst gut aus und du gefällst mir“.
Ich schätzte ihn auf Mitte Zwanzig. Ganz sicher war er heute morgen nicht rasiert worden, oder konnte er sich selbst rasieren? Seine Haut war glatt, und es musste sich gut anfühlen, ihm den Rest Rasierschaum aus dem Gesicht zu waschen. Er war schlank, und wenn er nicht sprach, war nicht zu bemerken, woher er kam.
„Du gefällst mir auch“, antwortete ich lächelnd, „aber ich möchte trotzdem nicht.“
„Schade.“ Ein leichter Stich Traurigkeit überschattete ihn, dennoch stellte er fest, dass ich nett sei, und dass ich es mir ja noch mal überlegen könnte.
Ich schaute erneut auf die Uhr, eigentlich nur, um meine verwirrte Flucht zum Bahnhof einzuleiten, denn auch wenn ich nein gesagt hatte, er gefiel mir wirklich.


„Hey, wollen wir ficken?“
Meine Wege hatten mich in den letzten Tagen öfter als nötig am Bahnhof vorbei geführt, und so manches Mal hatte ich ihn getroffen. Ich hatte schon von weitem gespäht, ob ich ihn sehen würde, mich gefreut, wenn ich ihn erblickte, und meinen Schritt automatisch beschleunigt, um ein bisschen Zeit zu haben, wenn er mich ansprach. Er sprach mich immer an, er stellte immer diese Frage, aber er grinste anders dabei, etwas verschworen, als sei es ein Geheimnis zwischen uns. Langsam schlichen sich Vertraulichkeiten ein. Er fing an, mir auf die Schulter zu fassen, wenn er fragte, ich fing an, ihn zu kitzeln, wenn wir nebeneinander im Gras saßen.
Ich schüttelte ihm die Hand zur Begrüßung, wodurch seine Frage noch etwas merkwürdiger anmutete. Ich lernte, ihn zu mögen, und je mehr ich ihn mochte, umso schuldiger fühlte ich mich dafür.
Er war so warm, wenn ich ihm beim Kitzeln sein Hemd etwas hochschob, um an seinen Bauch zu kommen. Er war so zart, wenn er sich in dieser Balgerei tapsig entschloss, mich zu umarmen, mir mit seinem Gesicht ganz nah kam und ungelenk seinen heißen Atem ins Ohr pustete.
„Was machst du am Wochenende?“, fragte ich ihn, als er mir mal wieder seine Begrüßungsfrage stellte.
„Ich warte hier auf dich.“
Es war so schön, wie direkt er war. Ich suchte Vorwände, um zum Bahnhof gehen zu können, er brauchte das nicht. Er wartete auf mich.
„Hast du nicht Lust, mich zu besuchen?“
„Wollen wir dann ficken?“
Ich konnte ihm die Frage nicht mit Nein beantworten. Ich wusste, wenn er sie mir in meiner Wohnung stellen würde, würde ich ja sagen, gespannt, was dann passiert. Würde er sich einfach die Hose runterziehen, wie beim ersten Mal im Bus? Gern würde ich ihm sanft hinaus helfen, würde ihm beim Toben das Hemd öffnen und ausziehen, ihn kitzeln, streicheln und küssen, seinen Körper genießen, dem ich mich hingeben wollte. Gern würde ich mich von seinen etwas ungeschickten Händen betasten lassen, irgendwo auf seiner forschenden Suche nach Liebe und Sex.
Gern würde ich mit ihm einfach vor dem Fernseher sitzen, würde ihm vorlesen und dabei mit ihm kuscheln.
„Wir könnten ins Kino oder ins Theater gehen." Er verzog enttäuscht den Mund, aber er sagte nichts.
„Es sind ja noch ein paar Tage hin bis zum Wochenende", tröstete ich ihn, „wir können uns ja noch etwas einfallen lassen." Ich stach mit dem Finger leicht in seinen Bauchnabel, und erhob mich von der Wiese.
„Bis morgen.“ Er blieb liegen, als ich ihm die Hand hinstreckte, er winkte mir hinterher und lachte laut.
„Mir ist was eingefallen!“, rief er mir so breit grinsend hinterher, dass ich wusste, was ihm eingefallen war. Und er wusste, dass ich es wusste, denn sonst hätte er es laut gesagt.
„Ich muss verrückt sein", dachte ich mir und die Schamesröte kroch mir ins Gesicht, obgleich er seinen Einfall gar nicht für jeden hörbar kundgetan hatte. Ein Heer von Fragen und Ängsten machte sich über mich her.
Wie verbrachte er seine Tage, und was würde passieren, wenn ich mich mit ihm anfreunden würde. Würde ich ihn besuchen dürfen oder am Wochenende zu mir nach Hause holen? Wer besuchte ihn bisher? Hatte er eine Familie, die sich um ihn sorgte?
Wie wäre es eigentlich gewesen, wenn ich ihn ganz normal kennen gelernt hätte, wenn ich schon einen Teil meines Lebens mit ihm verbracht hätte, bevor er seine geistige Kraft, durch einen Unfall oder einen Schlaganfall verloren hätte. Würde ich mir dann Gedanken darum machen, ob er mir gefallen dürfte, und was andere darüber denken?
Aber wäre es nicht perverse animalische Lust, die mich dazu treiben würde, seine Frage mit Ja zu beantworten? Ist gleichberechtigte, gegenseitig erfüllende Sexualität überhaupt möglich mit ihm? Kann man lieben, wenn man keine Gespräche führen kann?
Würde er mir jemals über sich erzählen können, über seine Geschichte, über sein Leben, über seine Gefühle? Würde ich mich mit ihm jemals über Bücher austauschen können, könnte ich ihn für ein Theaterstück begeistern oder für einen Film?


„Hey wollen wir ficken?“
Ich entschied mich für meine Ängste und blieb beim Nein. Ich mied den Weg zum Bahnhof, jedenfalls den direkten, denn es gab einen zweiten, sehr viel weiteren Weg. Ich sagte nie adieu, ich wechselte einfach meine Gewohnheiten. Irgendwann sah ich seine strahlenden Augen nicht mehr in meinen Wachträumen, seine Frage erschuf keine Fantasien mehr in mir, für die ich mich schämte. Mit der Scham, ihn allein gelassen zu haben konnte ich besser leben. Vielleicht würde er ja mal bei sich im Heim jemanden unter den anderen Behinderten finden, der seine Frage mit Ja beantwortete? Vielleicht würde ja dann ein gnädiges Pädagogenauge die Tür schließen und den beiden ihren Spaß lassen?

 

Hi Schwarze Seele,

ach, ich freue mich immer noch, zu lesen, wenn die Geschichte jemandem gefällt. :)

Lieben Gruß und vielen Dank, sim

 

Hallo sim,

der "Nachteil" bei deinen Geschichten ist die Tatsache, dass sie grundsätzlich einen große Schweif an Kommentaren hinter sich herziehen. Insofern denke ich oft, ich müsste mir eigentlich auch die alle noch durchlesen und schauen, ob ich dann überhaupt noch etwas Neues und Interessantes dazu beitragen kann.

Nun, ich habe die Kommentare zu dieser Geschichte auch dieses Mal nur überflogen und schreibe jetzt trotzdem was, auch auf die Gefahr hin, dass ich nur das wiederhole, was zuvor schon sehr oft so oder so ähnlich angemerkt wurde.

Ich finde deine Geschichte äußerst bemerkenswert, weil sie ein "Heißes Eisen" aufgreift, ohne übermäßig zu betonen, dass es ein heißes Eisen ist. Du beschreibst die Situation sehr einfühlsam, klug und mit einer erstaunlichen Selbstverständlichkeit, was den Kern ganz behutsam freilegt. Dadurch setzt das eigene Nachdenken darüber wie von selbst ein, ohne dass man spektakulär oder mit plakativen Mitteln in diese Richtung getrieben wird. Plakativ ist natürlich der Titel, der aber seine besondere Note durch die Geschichte erhält, und dadurch einen völlig anderen und sehr tiefen Sinn bekommt.

Sicher wurde dir auch von vielen bescheinigt, dass dies ein mutig gewählter Stoff ist, den du ohne jede inhaltliche oder stilistische Schwäche gemeistert hast. Voll des Lobes kann ich sagen, dass mir diese Geschichte ausgesprochen gut gefallen hat, und das ich daraus etwas mitnehme - was eher selten geschieht.

DAS ist, so meine ich, schon eine sehr hohe Kunst des Schreibens, denn ich war ganz tief drin, in dieser Situation. Und sehr nahe dabei.

Grüße von Rick

 

Hi Rick,

hätte ich meine Webcam an, würdest du sehen, dass ich jetzt rot geworden bin.

Vielen Dank und einen lieben Gruß, sim

 

Besser spät als nie.

Lobhudeleien sind ja wohl eh zeitlos, und diese Geschichte ist ein kleines Kunstwerk, filligran, flüssig, sanft und einfühlsam ge- und beschrieben, mit dem gereiften Blick für Momente, die Prots, die Sprache.

Ich muss zugeben, sie hat mich gefesselt, berührt, nachdenklich gemacht, also _fast_ eine Punktlandung. Fast, weil das Ende, die letzten Sätze mir nicht munden wollen, ich hab ein Faible für Moral, doch diese Darreichungsform sagt mir nur teilweise zu. Doch mit Enden ist es halt so, manchmal ist der Leser einfach unzufrieden damit, _daß_ es endet, zu diesem Kreis zähle ich mich bei Deiner Geschichte.

Fazit ohne Einschränkung: aussergewöhnlich, besonders und wertvoll. Und daher ein großes Danke für die Momente beim lesen und für das, was bleibt (und es bleibt).

Berührt,
C. Seltsem

 

Hi C.Seltsem,

kaum ist meine Gesichtsfarbe wieder abgeklungen, werde ich schon wieder rot. ;)
Okay, das Ende hat einigen nicht gefallen. Aber deine Worte tun trotzdem gut.

Vielen Dank und lieben Gruß, sim

 

Hi Johannes, vielen Dank fürs Lesen und für dein Lob.

Lieben Gruß, sim

 

Hi Sim!

Ich sag jetzt nix dazu, wie die Geschichte geschrieben ist. Ich denk, die dauernden Wiederholungen hängen dir mittlerweile zum Hals raus. Du hast kapiert, was du kannst. :D

Ich hab die Geschichte erst heute entdeckt, weil die jemand aus dem Keller geholt hat, drum auch heute erst ein Kommentar. - Besser spät als nie, oder? :)

Zweierlei verstehe ich nicht. Zugegeben, alle Kommentare hab ich nicht ... wenn das schon gesagt wurde, geh ich mich schämen.

Alle haben überlegt, wie sich die Prot fühlt. Hat sich außer mir niemand Gedanken gemacht, was der Junge wohl meint, will, fühlt? Weiß er, was "ficken" bedeutet? Was versteht er darunter?
Na, egal. Spielt für die Geschichte keine Geige, er hat ja doch nur eine Nebenrolle.

Das zweite: Warum kam die Frage auf, ob die Prot ein Mann sein könnte?
Kann sie nicht.
Eine Frau, die

sim schrieb:
Sie platzierte ihre Einkaufstasche auf ihrem Schoß, als ob sie ihn schützen müsste.
spricht in einer so peinlichen Situation nicht einen Mann mit
sim schrieb:
„Sie sollten den jungen Mann anzeigen“, wandte sich die Dame zu meiner rechten an mich, „schließlich können auch die sich nicht alles erlauben.“
an.
Nie.
Die Frau neben ihr ist ein verklemmtes Mütterchen, eine männerfeindliche Emanze oder eine Hausfrau.
Keine von denen würde einen Mann ... Ach Gott, wie peinlich!

Nein, es ist eine Frau.
Hugh, ich habe gesprochen.
...ist aber trotzdem nur meine Meinung. ;)

Ach, noch was:
Lass die Geschichte so. Meist ist weniger doch mehr.

 

Hi Schusterjunge,

vielen Dank fürs Lesen. :)

Die Geschichte wird auch ganz bestimmt nicht mehr geändert.
Der Junge sehnt sich bestimmt nach Nähe, Freundschaft und Wärme. Und ganz bestimmt sehnt er sich auch nach Sex. Aber dazu kommt es ja nicht mal ansatzweise. Und nach dem die Protagonistin einfach die Wege wechselt, fühlt er sich bestimmt recht allein gelassen.

Interessant, deine Begründung, warum es sich um eine Frau handel muss. :)

Lieben Gruß, sim

 

Hallo sim,

zwar sind schon ein paar Tage vergangen, seid du diese Geschichte gepostet hast ;) trotzdem sehe ich mich geradezu gezwungen, sie zu kommentieren.

Und, auch, wenn du es schon geschätzte fünfzigmal gehört hast: Diese Geschichte ist ein kleines Meisterwerk.
Eine einfühlsame Geschichte über Tabus und den angedachten Bruch derselben. Die Gefühlswelt des (geschlechtslosen?) Prot., Verlangen, Ängste und, am Ende, fehlender Mut, machen die Geschichte glaubhaft und regen zum Nachdenken an.

Dickes Lob.

MfG
Rick S

 

Hallo Rick S,

ich sehe gerade, die Geschichten hat schon zehn Jahre auf dem Buckel. :)
Wahrscheinlich würde ich sie heute ganz anders schreiben, dennoch oder gerade deshalb freue ich mich sehr über deinen "späten" Kommentar. Es ist einfach schön, zu sehen, wenn Texte, die man längst in die Selbstständigkeit entlassen hat, noch funktionieren.
Es ist halt wie mit Kindern, deren Schwächen man sieht, die man als Vater ja selbst zu verantworten hat. Man liebt sie doch. :)

Lieber Gruß
sim

 

Hallo @sim,

ehrlich gesagt hab ich die Geschichte schon vor Monaten gelesen und damals nicht kommentiert, weil ich mir damals noch nicht sicher war, mit älteren Geschichten, ob man die wieder rauf holt oder nicht. Außerdem hatte ich keine Anmerkungen (im Sinne von Verbesserungsvorschlägen). Aber mich hat sie nicht losgelassen. Ich finde sie fantastisch, den Konflikt im Protagonisten, die gegenseitige Zuneigung und dann diese Anziehung und das nicht sicher sein, wie damit umgehen - ob es nicht ein Ausnutzen wäre, sich darauf einzulassen, ob es in Ordnung wäre oder nicht; ob es überhaupt einen richtigen Konsens gäbe. Und die Entscheidung am Ende, den Bahnhof zu meiden, die Verbindung mit ihm ganz aufgeben - verbunden mit der Scham, die empfunden wird alleine dadurch, es in Betracht gezogen zu haben und dass Verdrängen, Vergessen, das leichter fällt, als daran erinnert zu werden. Und obwohl man dem Protagonisten folgt, bleibt der Gedanke an ihn hängen, wie er am Bahnhof sitzt - vielleicht noch immer wartet oder vielleicht noch immer fragt "Willst du ficken" oder es vielleicht gar nicht mehr fragt, weil es die Beziehung zum Protagonisten irgendwie zerstört haben könnte? Und dann natürlich noch außerhalb der Geschichte, die ganzen Gedanken, die dazu kommen.

Also wie gesagt, keine Verbesserungsvorschläge. ?

LG Luzifermortus

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo - erst als ich die Geschichte zuende gelesen hatte, bemerkte ich, die ist ja schon alt und "fertig besprochen". Na, dennoch nun noch mein Feedback -- Ich hab das gern gelesen und finde sie sehr interessant. Vor allem die Reakionen, die üblichen Reaktionen, auf einen solchen "Menschen mit Handicap" sind hervorragend getroffen. Das Fehlen von Toleranz, Einfühlungsvermögen und Gelassenheit. Deine Protagonistin bricht wundervoll ein Loch in diese Wand, sie bringt Möglichkeiten ins Spiel, die zum Nachdenken anregen, ohne groß mit Vorwürfen zu kommen; sie ist offen.

Allerdings hab ich auch noch einige Anmerkungen.
Zunächst stilistischer Kleinkram. Geschmackssache vermutlich. Ich bin der Meinung, manche Sätze werden stärker, wenn sie auf das Wesentliche entschlackt sind, wenn sie kurz und auf dem Punkt sind.

Er stand vor mir, hatte die Hose praktischerweise, ohne meine Antwort abzuwarten, gleich heruntergelassen, sodass sie ihm viel zu weit, um seine dürren Knie hing.
Hier zum Beispiel. Ich meine, du könntest diesen Satz in zwei umwandeln mit dem Effekt, dass der erste stärker ist. Also in etwa so: "Er stand vor mir und hatte die Hose schon heruntergelassen." Das 'praktischerweise' würde ich eher weglassen, das Folgende könnte dann sein: "Ohne meine Antwort abzuwarten." Danach die Beschreibung, wie er da steht, Gesicht, dürre Knie ...


„Entschuldigen Sie bitte“, bat sie so zuversichtlich lächelnd, wie es in einer solchen Situation möglich ist, „ihm fehlt es ab und zu an der nötigen Distanz.“
Hier würde ich das "wie es in einer solchen Situation möglich" streichen. "Entschuldigen Sie bitte", sagte sie und lächelte zuversichtlich. "Ihm fehlt ab und zu die Distanz." Warum? Weil in dem 'zuversichtlich' schon alles enthalten ist und die Beschreibung dadurch wächst, ohne die hinzugefügte Erklärung. Aus dem gleichen Grund kann auch das 'nötige' weg.


„Warum?" Ich wandte mich ihr zu, um vielleicht in ihrem Gesicht lesen zu können, wer denn die überhaupt sind. „Was hat er denn Schlimmes getan? Er hat mir eine Frage gestellt, die ich mit Ja oder Nein beantworten konnte."
Das meinte ich mit "sie bricht ein Loch in die Wand". Eine wunderbare Antwort, entblößt jeder (negativen) Beurteilung.


Wusste er, was er da fragte? Wusste er um die Bedeutung des Wortes?
Hier reicht meines Erachtens die erste Frage. Falls noch ein zweiter kommen soll, warum nicht statt des leicht unklaren "Bedeutung des Worts" (welches genau?): "Wusste er, was ficken heißt?"


Ist gleichberechtigte, gegenseitig erfüllende Sexualität überhaupt möglich mit ihm? Kann man lieben, wenn man keine Gespräche führen kann?
Würde er mir jemals über sich erzählen können, über seine Geschichte, über sein Leben, über seine Gefühle? Würde ich mich mit ihm jemals über Bücher austauschen können, könnte ich ihn für ein Theaterstück begeistern oder für einen Film?
Hier hab ich ehrlich gesagt ein 'Glaubwürdigkeits-Problem'. Zwar kann ich mir vorstellen, eine 'normale Frau' -- was auch immer das ist, das lass ich offen -- könnte sich gedanklich drauf einlassen, Sex mit "so jemand" zu haben, ich halte es allerdings für sehr unwahrscheinlich, dass sie auch drüber nachdenkt, eine Beziehung einzugehen. Insgesamt hätt ich diese Fragen auch weggelassen und anders verpackt. Also in Konkretes.
-
Zu guter Letzt frage ich mich, ob dein Text nicht provokativer und interessanter wäre mit offenem Ende. Also mit einer Sitution, in der etwas möglich zu sein scheint, doch ohne 'Zwangsläufigkeit'.

Wobei dieses

Und die Entscheidung am Ende, den Bahnhof zu meiden, die Verbindung mit ihm ganz aufgeben
schon auch ein guter Schluss ist; nur meine ich, man könnte die Begründungen dem inneren Spiel des Lesers überlassen, den Input dafür hast du gegeben.


So, das nun an dich nachgereicht mit Gruß,

Flac

 

Hallo Luzifermortus, hallo Flic Flac,
euch beiden vielen Dank fürs Graben und Mögen.
Gerade nach so vielen Jahren ist es gar nicht schlecht, noch einmal stilistische Hinweise zu lesen. Der Abstand ist groß genug, noch einmal zu feilen und es streicht sich auch deutlich leichter. :)
Ich hoffe, ich komme die Tage dazu. :)
Liebe Grüße
sim

 

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